Nicht immer sind die Frauen Opfer und die Männer Täter: Bis zur endgültigen Verwirklichung einer gewaltfreien Gesellschaft brauchen wir eine tiefergehende Systemveränderung…

Wie das „St. Galler Tagblatt“ am 3. September 2025 berichtete, hat das oberste Schweizer Militärgericht kürzlich eine Kommandantin und zwölf Offiziere zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Dies aufgrund eines Vorfalls in der Kaserne Colombier NE am 6. April 2018, wo es im Zusammenhang mit der Beförderung von Militärangehörigen zu haarsträubenden Gewaltexzessen gekommen war: Armeekader nutzten die Zeremonie, um mit gröbster Gewalt auf die ihnen untergebenen Soldaten einzuprügeln. In den darauffolgenden Tagen mussten 22 Soldaten vom Truppenarzt behandelt werden. Sie hatten Schmerzen, Blutergüsse, zwei von ihnen zeigten Anzeichen von gebrochenen Rippen, einer bekam kaum Luft und ein anderer musste notfallmässig in eine Klinik eingewiesen werden. Die Schläger waren bei diesen Gewaltexzessen insbesondere von einer Kompaniekommandantin zusätzlich angefeuert worden, unter anderem mit diesen Worten: „Ich toleriere bis zu zwei gebrochene Schlüsselbeine.“ In der Gerichtsverhandlung versuchte die Kompaniekommandanten ihr Verhalten damit zu rechtfertigen, dass sie als Frau im Ausbildungsalltag habe Härte demonstrieren wollen, weil sie befürchtet hätte, als „zu nett“ oder „nicht kämpferisch genug“ zu gelten.

Weitere Fälle, bei denen sich Frauen als besonders gewalttätig erweisen, konnte man wiederholten Berichten über Trainingsmethoden bei der Förderung jugendlicher Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern in schweizerischen Ausbildungszentren entnehmen. Wiederholt war und ist dabei die Rede von Trainerinnen aus osteuropäischen Ländern, vor allem im Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Synchronschwimmen und Balletttanzen. Jugendliche, vor allem Mädchen, erleiden dabei oft über Jahre kaum zu beschreibende physische und psychische Gewalt, so etwa kommt es immer wieder vor, dass trotz schwerer Verletzungen wie Knöchelbrüchen weitertrainiert werden muss, Synchronschwimmerinnen so lange unter Wasser bleiben müssen, bis sie in Einzelfällen schon das Bewusstsein verloren haben, Turnerinnen wegen zu geringem oder zu hohem Körpergewicht erniedrigt und in Anwesenheit ihrer Teamkolleginnen aufs Gröbste beschimpft werden oder sich sogar, auch darüber wurde schon berichtet, wegen kleinster Fehler beim Trainieren vor ihren Trainerinnen nackt ausziehen und auf den Knien vor ihnen um Vergebung bitten mussten.

Die schweizerische Kompaniekommandantin sowie nicht wenige der notabene als besonders erfolgreich geltenden Sporttrainerinnen mögen zwar seltene Ausnahmen sein, aber ihr Machtgebaren und ihr gewalttätiges Verhalten gegenüber Untergebenen zeigen, dass auch Frauen sich genauso „herrisch“ verhalten können wie all jene Männer, die Frauen respektlos behandeln, erniedrigen oder ihnen auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger schwere Gewalt antun.

Selbstverständlich soll mit solchen Beispielen nicht ansatzweise all die immense Gewalt, welche von Männern gegenüber Frauen ausgeübt wird, verharmlost oder relativiert werden. Aber Männer bloss moralisierend an den Pranger zu stellen, bringt uns nicht zu einer Lösung des Problems, solange nicht auch die dahinterliegenden Machtstrukturen in aller Beharrlichkeit analysiert und offen gelegt werden.

Der Versuch einer These: Das Grundproblem ist nicht der Mann als solcher, sondern das bestehende gesellschaftliche Machtsystem, in dem die Mächtigeren weitaus häufiger Täter sind und die weniger Mächtigen in aller Regel ihre Opfer. Und da das herrschende Gesellschaftssystem so eingerichtet ist, dass Männer viel leichter und schneller Machtpositionen erlangen können als Frauen, sind Männer zweifellos in viel höherer Anzahl Täter, während Frauen in viel höherer Anzahl Opfer sind. Das ist nicht primär die Folge ihres Geschlechts, sondern die Folge einer Klassengesellschaft unterschiedlicher Rechte, Befugnisse und Privilegien sowie aller mit ihr verknüpfter und von ihr geprägter gesellschaftlicher Machtstrukturen. Der Mann wird nicht in dem Augenblick zum „Bösewicht“, da er – als Baby männlichen Geschlechts – geboren wird, sondern erst in dem Augenblick, da er in die vorgegebenen Denk-, Macht- und Verhaltensmuster hineinwächst und diese – wohl weitgehend unbewusst – nach und nach verinnerlicht.

Macht korrumpiert. Diese Aussage des Historikers Lord Acton aus dem Jahre 1887 gilt eben nicht nur für Männer, sondern gleichermassen auch für Frauen. Das mögen ein paar weitere im Folgenden ausgeführte Beispiele deutlich machen.

Erstes Beispiel: Die treibende Kraft hinter den von den USA über den Irak zwischen 1991 und 1995 verhängten Wirtschaftssanktionen war die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright. Sie liess sich von ihrem Ziel, dem Irak bleibenden Schaden zuzufügen, auch dann noch nicht abbringen, als die ersten Meldungen an die Öffentlichkeit gelangten, irakische Kinder würden infolge dieser Sanktionen in grosser Zahl sterben. Bis zuletzt hatten die Sanktionen einer halben Million irakischer Kinder das Leben gekostet. Noch Jahre später gab Albright einem TV-Reporter, der sie nach der Rechtfertigung für diese Sanktionen befragte, offensichtlich frei von jeglichem schlechtem Gewissen zur Antwort, sie würde sich wieder genau gleich verhalten, hätte sich der Tod dieser halben Million Kinder doch gelohnt, weil er dazu beigetragen hätte, die Interessen der USA gegen dem Irak möglichst wirkungsvoll durchzusetzen.

Zweites Beispiel: Es war eine Aussage der britischen Premierministerin Margret Thatcher aus dem Jahr 1987, auf die sich bis heute all jene berufen, die alles Gesellschaftliche dem freien Markt und dem freien Unternehmertum überlassen wollen und für die fast alles Staatliche des Teufels ist. Diese Aussage lautete: „Menschen sind Individuen, nur sie alleine können denken, handeln und frei sein, Das alles kann das Kollektiv nicht. Insofern gibt es keine Gesellschaften, nur Individuen.“ Heute, über 30 Jahre später, wird uns nach und nach bewusst, was für ein immenses Zerstörungspotenzial in diesen Worten einer der heftigsten Vorkämpferinnen des Neoliberalismus lag, jetzt, wo immer härter und erbarmungsloser der Egoismus überhand genommen hat im Kampf aller gegen alle und bald auch noch die letzten sozialen Netze zu zerreissen drohen. Wenn es eine typische Eigenschaft gibt, die sich, auch in grosser historischer Dimension, Frauen zuschreiben lässt, dann ist dies wohl das Soziale, die Fürsorge, die Gemeinschaft, die gegenseitige Verantwortung zwischen Stärkeren und Schwächeren. Und dann kommt ausgerechnet eine Frau und zerstört dieses Jahrtausendwerk ihrer unzähligen Vorfahrinnen innerhalb eines einzigen Tages, männlicher als der denkbar männlichste, herrschsüchtigste und machtbessenste Mann.

Drittes Beispiel: Aktuell treten sie sogar nicht nur einzeln auf, sondern geradezu reihenweise, als wollten sie der Öffentlichkeit endgültig beweisen, dass Frauen sogar noch weitaus „männlicher“ sein können als die schlimmsten Männer. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula Van der Leyen, die ihre Macht, demokratische Abläufe wo immer möglich auszuhebeln zugunsten ihrer eigenen Machtinteressen, geradezu strahlend auszukosten scheint. Die ehemalige deutsche Aussenministerin Analena Baerbock, die am liebsten ganz Russland zerstören würde. Die EU-Aussenbeauftragte Kaya Kallas, die auch von den irrwitzigsten Lügen nicht zurückschreckt, um möglichst viel Angst vor einem Angriff Russlands auf die baltischen Staaten und den Rest Europas zu schüren, damit auch niemand auf die Idee kommt, die bereits in Gang gesetzte Rüstungseuphorie der europäischen Länder in Frage zu stellen. Die sogenannte Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mit ihrem aggressiven und hasserfüllten Gehabe nur darauf zu warten scheint, mit dem Gewehr an die Ostfront geschickt zu werden, denn dort, wie sie einmal sagte, könnte man sie gewiss „gut gebrauchen“.

Die Welt ist nicht primär von herrschsüchtigen, skrupellosen und machtgierigen Männern bestimmt, sondern primär von „männlichen“ Machtstrukturen, Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen. Wer – ob als Mann oder als Frau – in dieser Gesellschaft in Bezug auf Ansehen und Karriere erfolgreich sein will, muss sich, solange diese Machtstrukturen unangetastet bleiben, ihnen so weit als nur irgendwie möglich anpassen. Dann hat man es sogar bis über den Tod hinaus geschafft. So wie Madeleine Albright: Bei ihrem Begräbnis im März 2022 war allenthalben nur von ihrem Mut, ihrer Tapferkeit, ihrer Geradlinigkeit und ihrer Hartnäckigkeit die Rede und niemand erwähnte auch nur mit einem einzigen Wort, dass eine halbe Million irakischer Kinder für die ausserordentlichen „Qualitäten“ dieser Frau ihr Leben hatten opfern mussten. Während – um ein Gegenbeispiel zu nennen – die ehemalige, frühzeitig freiwillig aus ihrem Amt geschiedene neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern nicht als Siegerin, sondern als Versagerin in eine immer noch zutiefst von „männlichem“ Erfolgsdenken geprägte Geschichte eingehen wird, nicht, weil sie über keinerlei Qualitäten für dieses Amt verfügt hätte, sondern ganz im Gegenteil deshalb, weil ihre tägliche politische Arbeit so sehr von Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeitsliebe getragen war, dass sie schliesslich an den Widerständen und Hindernissen der herrschenden Machtstrukturen scheitern musste. Machtstrukturen, die sich unter anderem in Chatrooms manifestierten, die voll waren mit beleidigenden, wütenden und drohenden Mitteilungen sowie täglichen Vergewaltigungs- und Morddrohungen und in denen Jacinda Ardern als „dämonisch“ und „böse“ dargestellt und sogar mit Adolf Hitler verglichen wurde, sodass sie auch heute noch und vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens für ihre Sicherheit besonderen Polizeischutz benötigt.

Es – aus Frauensicht – als „Erfolg“ zu feiern, wenn immer mehr Frauen machtvolle Positionen in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Forschung, an den Universitäten, auf den Chefetagen multinationaler Konzerne und ganz allgemein an möglichst vielen Schalthebeln der Macht einnehmen, ändert an den tieferliegenden Machtverhältnissen auch nicht das Geringste. Im Gegenteil: Sie werden dadurch erst recht zementiert, kann doch die Tatsache, dass, sobald die entsprechenden „Frauenquoten“ auf den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsebenen erreicht sind, zum verhängnisvollen Trugschluss führen, dass damit das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen erreicht sei und es deshalb keiner weiteren diesbezüglichen Anstrengungen mehr bedürfe. Tatsächlich aber werden die bestehenden Machtverhältnisse damit nicht überwunden, sondern höchstens verschoben, in eine andere Richtung gedrängt oder umgelagert. Denn für die Kaffeebäuerin in Kenia, die sich von früh bis spät bis an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte abrackert und dennoch kaum genug Geld verdient, um sich und ihre Kinder ausreichend zu ernähren, spielt es auch nicht die geringste Rolle, ob Frauen auf den Chefetagen von Nestlé oder anderen Lebensmittelkonzernen zu fünf, 20, 50 oder 70 Prozent vertreten sind, solange diese Frauen nur die traditionellen, bisher Männern vorbehaltenen Rollen einnehmen, sich somit zu Komplizinnen und Mittäterinnen herrschender Ausbeutungsmechanismen machen und nicht mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften für den Aufbau neuer, ausbeutungsfreier Wirtschaftsformen kämpfen.

Es ist kein Zufall, dass parallel zum Fortschreiten gnadenloser Profitmaximierung durch immer raffiniertere Methoden der Ausbeutung von Mensch und Natur auch die Gewalt gegen Frauen und Kinder und die Anzahl der Femizide laufend zunimmt. Alles hängt mit allem zusammen, in all den unzähligen Macht-, Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Diskriminierungsverhältnissen, in denen nicht nur Frauen Opfer von Männern sind, sondern auch Männer Opfer von Frauen sein können, „ausländische“ Menschen, unter ihnen insbesondere Flüchtlinge, Opfer von „einheimischen“ bzw. „sesshaften“ Menschen sind, Kinder und Jugendliche Opfer bloss aufgrund ihres jüngeren Alters Opfer von Erwachsenen, kulturelle und ethnische Minderheiten Opfer von sich als etwas „Höheres“ und „Besseres“ fühlenden Mehrheiten, sogenannt „Ungebildete“ Opfer von sogenannt „Gebildeten“, sogenannte Laien Opfer von sogenannten „Experten“, Gelegenheitsdiebe und „Kleinkriminelle“ Opfer von all jenen, die sich ganz „legal“ auf Kosten anderer bereichern, so etwa durch den Besitz von Aktien, was ihnen ermöglicht, selber nicht mehr arbeiten zu müssen, sondern nur noch von der Arbeit anderer leben zu können. Bei allen punktuellen Bemühungen um den Abbau einzelner Macht- und Ausbildungsverhältnisse darf nicht das grosse Ganze aus den Augen verloren werden: Dass die einzelnen dieser Machtsysteme, und damit eben auch das Patriarchat, nur dann dauerhaft überwunden werden können, wenn gleichzeitig auch das heute weltweit in Form einer rigorosen Klassengesellschaft herrschende immense und weit verzweigte kapitalistische Macht- und Ausbeutungssystem überwunden wird.