Mit der 99-Prozent-Initiative, über die am 26. September 2021 abgestimmt wird, möchte die Juso, unterstützt von der SP und den Grünen, ein bisschen mehr Gerechtigkeit schaffen: Kapitaleinkommen wie Zinsen, Mieterträge oder Dividenden über 100’000 Franken sollen eineinhalbmal so stark besteuert werden wie Lohneinkommen. Eine längst fällige Reform, wenn man bedenkt, dass nur gerade mal ein Prozent der Bevölkerung über rund 43 Prozent aller Vermögensanteile verfügen, allein schon an Dividenden über 75 Milliarden Franken jährlich ausgeschüttet werden und gesamtschweizerisch die Kapitaleinkommen Jahr für Jahr höher sind als die Einkommen durch Arbeit. Anders gesagt: Reich wird man in der Schweiz nicht dadurch, dass man viel und hart arbeitet, sondern dadurch, dass man viel besitzt. Das führt zur nächsten Frage, nämlich, woher denn das viele Geld kommt, das in laufend wachsender Menge in den Taschen der Reichen und Reichsten landet. Wenn ein Unternehmen Dividenden auszahlen kann, heisst das ja nichts anderes, als dass in der betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung der Gesamtgewinn genug hoch und die Lohnkosten genug tief waren, damit ein Überschuss erzielt werden konnte, der nun an die Aktionärinnen und Aktionäre weitergegeben werden kann. Mit anderen Worten: Die eigentliche Basis des Betriebs, die Arbeiterinnen und Arbeiter, haben für ihre Leistung weniger Geld bekommen, als ihre Arbeit eigentlich Wert gewesen wäre – während am anderen Ende der Skala die Aktionärinnen und Aktionäre diesen Mehrwert abgeschöpft haben, ohne dafür auch nur den kleinen Finger krümmen zu müssen. Nochmals in anderen Worten gesagt: Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben also nicht nur für sich selber gearbeitet, sondern gleichzeitig auch für das Unternehmen sowie die Aktionärinnen und Aktionäre. Und nochmals mit anderen Worten: Eigentlich ist das nichts anderes als nackter Diebstahl, Raub an Volkseigentum und im Grunde nichts anderes als der Zehnte – der zehnte Teil aller landwirtschaftlichen Erträge -, den die Untertaninnen und Untertanen in weiten Teilen der Schweiz bis um 1800 ihren Vögten und Landesherren abzuliefern hatten, ohne dass diese eine eigene Leistung hierfür erbringen mussten. Nur weil sich heutige Ausbeutungsverhältnisse hinter dem edlen Begriff der „Freien Marktwirtschaft“ verstecken, können wir uns in der Illusion wiegen, frühere Ausbeutungsverhältnisse seien längst historisch überwunden. Das Gegenteil ist der Fall: Je länger der Kapitalismus sein Unwesen treibt, umso tiefer der Graben zwischen denen, die immer sagenhaftere Reichtümer auftürmen, und denen, die immer härter arbeiten und trotzdem von ihrer Arbeit kaum anständig leben können. Wer behauptet, die 99-Prozent-Initiative sei „extrem“, dem müsste zu bedenken gegeben werden, dass nichts so extrem ist wie die heutige Verteilung von Einkommen und Vermögen. Und dass die 99-Prozent-Initiative noch längst nicht die Lösung ist, sondern nicht mehr als ein längst fälliger kleiner Schritt in Richtung von ein klein wenig mehr Gerechtigkeit.