Archiv des Autors: Peter Sutter

Modebranche: mehr Emissionen als durch Fliegen und Schiffahrt zusammen

Das weltweite Modegeschäft boomt. Und wie. Seit 2000 hat sich, wie die „NZZ“ am 10. November 2019 berichtet, der Absatz an neuer Kleidung mehr als verdoppelt, mehr als hundert Milliarden neue Teile werden jedes Jahr produziert. Fast wöchentlich werfen die grossen Anbieter neue Kollektionen auf den Markt. Sie produzieren immer billiger und immer schneller, mehr als man je tragen kann. Doch der Rausch hat seinen Preis. Für Klima,Wasser, Böden und Näherinnen ist Fast Fashion eine Katastrophe; die Produktion von Klamotten verschlingt Ressourcen, verschleisst Menschen, vergiftet Ökosysteme und damit die Lebensgrundlage von Millionen. Die Billigmentalität hat Folgen: Was heute Trend ist, wird morgen weggeschmissen. Nach einem Jahr sind sechzig Prozent aller Kleidungsstücke bereits im Abfall. Und vierzig Prozent der produzierten Kleidung werden nicht einmal verkauft. 1,2 Milliarden Tonnen CO2 bläst die Textilindustrie jedes Jahr in die Luft. Damit verursacht die Bekleidungs- und Textilindustrie mehr Emissionen als Fliegen und Schifffahrt zusammen.

Das Beispiel der Bekleidungsindustrie zeigt, dass es, um der Klimaerwärmung Einhalt zu gebieten, nicht genügt, Abgaben auf Benzin und Flugtickets einzuführen und Gebäudesanierungen voranzutreiben, so wie das gegenwärtig in den europäischen Ländern diskutiert wird. Es würde auch nicht genügen, höhere Steuern oder Abgaben auf Billigkleidern zu erheben oder Produktionslimiten für die Textilindustrie einzuführen. Das alles wäre reine Symptombekämpfung, wie wenn man einem Monster seine gefährlichsten Zähne ausreissen wollte, worauf sogleich an unzähligen anderen Stellen neue, noch gefährlichere Zähne nachwachsen würden. Was es braucht, ist eine radikale Umgestaltung des bisherigen, auf Ausbeutung, endlose Profitsteigerung und Gewinnmaximierung ausgerichteten Wirtschaftssystems und die Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen den Lebensbedürfnissen der Menschen über alle Grenzen hinweg, den Bedürfnissen der Natur und den Bedürfnissen zukünftiger Generationen.

Berliner Mauerfall: Auch der Kapitalismus baut seine Mauern

9. November 2019. Heute vor genau 30 Jahren ist die Mauer zwischen Ost- und Westberlin gefallen. 30 Jahre seit dem Sieg des kapitalistischen Westeuropa über das sozialistische Osteuropa. 30 Jahre seit dem endgültigen Durchbruch von Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie für all jene Menschen, die zuvor während über vier Jahrzehnten im «Reich des Bösen» gelebt hatten.

So jedenfalls will es die offizielle Geschichtsschreibung. Aber gehören damit Mauern quer durch Europa tatsächlich endgültig der Vergangenheit an? Sind in diesen 30 Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer nicht unzählige neue Mauern entstanden, still und heimlich, Mauern der sozialen Apartheid, mitten im Reich der vermeintlichen Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie? Mauern zwischen den Zonen der Reichen, denen vom Luxushotel und dem Golfplatz über die Segelyacht und dem eigenen Swimmingpool bis zum Kreuzfahrtschiff alle nur erdenklichen Luxusvergnügungen zur Verfügung stehen – und den Zonen der Armen, die sich an lärmigen Strassen in viel zu kleine Wohnungen zwängen und schon dankbar sein müssen, wenn der Lohn gerade mal fürs Essen bis Ende Monat ausreicht.

Ebenso unüberwindbar ist diese Mauer zwischen Arm und Reich wie jene frühere zwischen Ost- und Westberlin. Doch während die Menschen im damaligen Ostdeutschland wenigstens die Sympathie und die moralische Unterstützung durch den Westen erfahren durften, sind die Armen Europas sich und ihrem Elend selber überlassen, ohne Aussicht, dass sich daran etwas ändern wird.

Doch damit nicht genug. Eine weitere, ebenso unüberbrückbare Mauer ist an der südlichen und östlichen Grenze Europas hochgezogen worden, Jahr um Jahr, höher und höher. Und wieder geht es um Reichtum und Armut. Noch verzweifelter als die Armen Europas sind die Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten, bereit, alle ihre Habseligkeiten und sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um ins vermeintliche Paradies des Nordens zu gelangen. Doch auch für die meisten von ihnen endet alle Hoffnung in Resignation, bitterer Enttäuschung oder, schlimmstenfalls, dem Tod. Wann wohl werden wir auf den Fall und die Beseitigung der heutigen Mauern in und um Europa mit soviel Genugtuung und Freude zurückblicken können, wie wir heute auf den Fall der Berliner Mauer zurückblicken?

Klimajugend und Wirtschaftsverbände: Alle im gleichen Boot

Am 15. Mai 2020 sollen so viele Menschen auf die Strasse gehen und für das Klima demonstrieren, wie es die Schweiz noch nie gesehen hat. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen die Aktivisten Verbände, Organisationen, Gemeinden und Unternehmen angehen – auch solche, die die Interessen der Wirtschaft vertreten. Nur: Die wollen nicht. Sie sagen auf Anfrage zwar, dass auch sie etwas gegen die Klimakrise tun wollten. «Ein Streik ist aber nicht unser Mittel», sagt etwa Corinne Aeberhard, Leiterin Kommunikation des Schweizerischen Gewerbeverbandes. Die Wirtschaft lahmzulegen, sei ihren Interessen diametral entgegengesetzt.

(Tages-Anzeiger, 7. November 2019)

Noch scheint das alte Denken, wonach sich Gesellschaft, Arbeitswelt und Wirtschaft in unterschiedliche Interessenträger aufspalten, vorzuherrschen: hier die klimastreikende Jugend, dort die Wirtschaft, hier linke Politik, dort rechte Politik, und nichts dazwischen. Dabei müsste doch längst klar sein, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, in dem wir entweder alle miteinander untergehen oder in dem wir alle miteinander überleben. Wenn es den Wirtschaftsverbänden mit ihrem Anliegen, die Wirtschaft auf keinen Fall lahmzulegen, wirklich ernst wäre, dann müssten sie sich unverzüglich an den Aktivitäten der Klimajugend beteiligen, denn wenn wir nicht schleunigst etwas unternehmen, dann ist früher oder später nicht nur die Wirtschaft, sondern das gesamte Leben auf diesem Planeten lahmgelegt.

Belinda Bencic: Wie Mainstream-Journalismus funktioniert

In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger vom 4. November 2019 erzählt die Schweizer Tennisspielerin Belinda Bencic von ihren Verletzungen der vergangenen Wochen, vom Verhältnis zu ihrem Vater und von ihren Ferienplänen. Und dann setzt sie sich auch noch mit den Preisgeldern der grossen Turniere auseinander. Sie kritisiert, dass die Spielerinnen auf den vordersten Rängen viel zu hohe Preisgelder bekämen und jene auf den hinteren Plätzen praktisch leer ausgingen. Dabei, so Bencic, sollte sich doch auch eine Spielerin, die auf Platz 100 der Weltrangliste liege, einen Coach sowie medizinische Betreuung leisten können.

Gleichentags veröffentlicht das Gratisblatt «20minuten» das gleiche Interview, allerdings in stark gekürzter Form. Selbstverständlich ist da von den Verletzungen der Tennisspielerin die Rede, auch von ihrem Verhältnis zum Vater und von ihren Ferienplänen. Was hingegen vollständig fehlt: ihre Kritik an der Vergabe der Preisgelder und der Hinweis darauf, dass die Spielerinnen auf den vordersten Plätzen der Weltrangliste gegenüber den anderen viel zu stark bevorzugt würden.

Ein Beispiel dafür, wie «Mainstream-Journalismus» funktioniert. Wären doch Bencics Aussagen zu den Preisgeldern das Einzige in ihrem Interview, das tatsächlich Ecken und Kanten hat und eine Facette ihrer Persönlichkeit aufzeigt, die bisher weitgehend unbekannt war, das Bild einer sozial eingestellten jungen Frau, die nicht damit zufrieden ist, dass sie selber möglichst viel Geld einstreichen kann, sondern die ebenso besorgt ist um das Wohl jener Spielerinnen, die auf den hinteren Plätzen der Weltrangliste liegen und mit ihrem eigenen persönlichen Einsatz den Wettkampf um die vordersten Plätze erst möglich machen, denn Gewinnerinnen kann es bekanntlich nur geben, wenn es auch Verliererinnen gibt. Das alles wird dem Leser und der Leserin des Gratisblattes erspart: Es könnte ja dazu führen, dass der eine oder die andere auf einmal nachzudenken und Dinge anders zu sehen beginnt, als man sie zuvor gesehen hat…

Die Macht der Fake News: Was es braucht, sind bessere Geschichten

«Erdogan, Trump, Bolsonaro: Sie beherrschen das Story-Telling besser als ihre politischen Gegner. Dabei geht es nicht so sehr darum, was gesagt wird, als vielmehr darum, wie es gesagt wird. Diesem Phänomen kann nicht allein mit Fakten begegnet werden. Die damit verbundene Wiederholung des Falschen verfestigt die Fake News bloss. Was es braucht, sind bessere Geschichten, Visionen, die eine Überwindung des Status quo versprechen. Denn von dieser Überwindung träumen die Menschen. Es reicht eben nicht, eine Rentenerhöhung von 10 Euro zu versprechen. Es fehlt die Erzählung dazu, und an dieser fehlt es der Linken. Es braucht progressive Storylines, um die Wählerinnen und Wähler zu überzeugen.» So Imran Ayata, Politikwissenschaftler, im „Tages-Anzeiger“ vom 5. November 2019.

Welches wäre denn die Geschichte, die von den Linken erzählt werden müsste? Zweifellos die Geschichte von der Überwindung des Kapitalismus und von der Vision einer neuen, am Wohl von Mensch und Natur orientierten globalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Denn wer träumt in seinem Innersten nicht von einer Welt, in der aller Reichtum auf alle Menschen gerecht verteilt ist. Von einer Welt, in der alle Menschen genug zu essen haben. Von einer Welt, in der kein Kind mehr sterben muss, bloss weil es an sauberem Wasser oder an medizinischer Grundversorgung fehlt. Von einer Welt, in der niemand mehr gezwungen ist, seine Heimat zu verlassen, bloss weil es dort an den minimalsten Lebensgrundlagen fehlt oder die Menschen von Gewalt und Krieg bedroht sind. Von einer Welt blühender Landschaften, wo Mensch und Natur im Einklang miteinander leben. Von einer Welt ohne Waffen und Kriege. Es geht nicht darum, ob diese Welt heute oder morgen Wirklichkeit werden kann. Es geht bloss darum, der menschlichen Sehnsucht nach dem Paradies konkrete Hoffnung zu verleihen und auf diese Weise ihre Kräfte zu stärken, um jeden Tag einen kleinen Schritt hin zu jener erträumten Wirklichkeit möglich zu machen.

Als wäre die Welt immer noch die gleiche wie vor 50 Jahren

Auto-Schweiz freut sich über einen «goldenen Herbst». Wie der Verband der Autoimporteure mitteilte, wurden im Oktober im Vergleich zum Vorjahr 14 Prozent mehr Neuwagen eingelöst, im September waren es 18 Prozent. Damit beträgt die Zahl der Neuwagen, im bisherigen Jahr aufsummiert 252’500, ein Plus von knapp 2 Prozent gegenüber der gleichen Vorjahresperiode.

(Tages-Anzeiger, 5. November 2019)

Unbegreiflich. Wenn es um die Steuerrechnung geht, tätigen Herr und Frau Schweizer jede auch noch so kleine Abzugsmöglichkeit, um die Steuerrechnung möglichst niedrig zu halten. Wenn es darum geht, für die nächste Ferienreise ein Hotel zu buchen, wird man nicht müde, Dutzende von Angeboten miteinander zu vergleichen, um sich schliesslich für das Günstigste zu entscheiden. Und wenn im nahen Ausland die Lebensmittel billiger sind als zuhause, dann fährt man schon gleich mal los und packt sich seinen Kofferraum voll. Ja, Herr und Frau Schweizer sind Weltmeister im Kalkulieren, im Sparen, im Rechnen, im Optimieren. Doch ausgerechnet wenn es um die mit Abstand grösste Rechnung geht, nämlich um die heutige und die zukünftige globale Ökobilanz und das Überleben der gesamten Menschheit in den nächsten 50 bis 100 Jahren, wollen Herr und Frau Schweizer plötzlich von alledem nicht mehr das Geringste wissen. Höchstens noch für ihre Enkelkinder richten sie auf der Bank ein Sparkonto ein – alles was später kommt, scheint ihnen egal zu sein. Verkehrte Welt…

Familienarbeit: anspruchsvoll und gesellschaftlich wichtig

Bezugnehmend auf die Tatsache, dass noch immer ein grosser Teil der Frauen auf eine berufliche Karriere verzichten, um sich vollzeitmässig der Kinderbetreuung und dem Haushalt zu widmen, meint Michèle Binswanger in ihrem Kommentar «Konservativ bis auf die Knochen»: «Wir können uns je länger, desto weniger leisten, all die gut ausgebildeten Frauen am Herd vergammeln zu lassen.»

(Tages-Anzeiger, 5. November 2019)

Zweifellos muss alles getan werden, um die Vereinbarkeit von Familienarbeit und ausserhäuslicher Erwerbsarbeit zu fördern. Und selbstverständlich sind sämtliche Anstrengungen zu begrüssen, die es möglich machen, dass nicht nur Mütter, sondern auch Väter einen Teil der Familienarbeit übernehmen. Wer aber Familienarbeit so definiert, dass es sich dabei bloss um ein «Herumgammeln am Herd» handelt, erweist allen diesen berechtigten gesellschaftspolitischen Anliegen einen Bärendienst. Haus- und Familienarbeit ist alles andere als ein «Herumgammeln am Herd». Es ist vielmehr eine der anspruchsvollsten Tätigkeiten, die man sich nur vorstellen kann. Und obendrein eine der gesellschaftlich betrachtet wichtigsten – schliesslich sind die Liebe, die Zuwendung und das ganze Umfeld, in dem ein Kind in seinen ersten Lebensjahren aufwächst, von grundlegender Bedeutung für sein ganzes zukünftiges Leben – und damit auch für sämtliche Menschen, mit denen es privat und beruflich zu tun haben wird. Das soll kein Plädoyer dafür sein, dass Mütter – oder Väter – nicht neben oder anschliessend an ihre Familienarbeit auch einer ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen sollen. Es soll aber ein Plädoyer dafür sein, dass Familienarbeit – mit oder ohne Karriere – als vollwertige berufliche Tätigkeit anerkannt wird und dafür auch die entsprechende gesellschaftliche Wertschätzung erfährt bis hin zu einer materiellen Entlohnung – denn weshalb soll ausgerechnet einer der anspruchsvollsten und gesellschaftlich wichtigsten Berufe bloss gratis geleistet werden?

Erhöhung des Rentenalters: Das Gegenteil wäre logischer

Die am Montag publizierte jüngste Auflage des OECD-Länderberichts empfiehlt der Schweiz eine «nachhaltige Reform» der Altersvorsorge. Das allgemeine Normrentenalter solle schrittweise auf 67 steigen und dann im Einklang mit der Erhöhung der Lebenserwartung noch weiter zunehmen.

Bald sind alle Häuser, wo es denn überhaupt noch Platz hat, fertiggebaut. Auch die Güter des täglichen Lebens sind in so verschwenderischer Fülle vorhanden, dass man kaum mehr etwas Zusätzliches produzieren muss. Und unzählige Arbeiten, die früher von Hand und mit menschlicher Arbeitskraft verrichtet wurden, werden heute von Computern und Maschinen erledigt. Zeit also, anzuhalten und auf das Erreichte voller Stolz und Zufriedenheit zurückzublicken. Logischerweise, da schon so vieles gemacht wurde, könnte man sich nun etwas Ruhe gönnen, sich mehr Freizeit leisten, längere Pausen machen, nur noch vier statt fünf Tage pro Woche arbeiten, längere Ferien machen, früher in Pension gehen. Doch absurderweise ist in der Realität genau das Gegenteil der Fall: Druck und Hektik am Arbeitsplatz nehmen immer mehr zu, im Büro, auf dem Bau, in den Spitälern, überall. Der Postbeamte hetzt im Sekundentakt von Haus zu Haus, die Kitaangestellte muss zehn statt sieben Kinder betreuen, der Journalist hat kaum mehr Zeit, für seine Artikel sorgfältig zu recherchieren. Und jetzt soll – gemäss Empfehlung der OECD – also auch noch das Rentenalter auf 67 Jahre angehoben werden. Irgendetwas scheint da schiefgelaufen zu sein. Offensichtlich werden die Früchte nicht an jene verteilt, welche die Arbeit geleistet haben, sondern man presst sie wie Zitronen einfach immer weiter aus – je härter, je mehr und je länger sie schon gearbeitet haben, umso härter, mehr und länger sollen sie auch in Zukunft arbeiten, das Hamsterrad, das sich, je schneller man rennt, umso schneller dreht. Auf dass irgendwo, unsichtbar, die Früchte dann doch noch verzehrt werden, aber eben nicht von denen, die dafür geschuftet haben, sondern von denen, die das alles so eingerichtet haben, die Baustellen, die Fabriken, die Spitäler, die Supermärkte, das Hamsterrad, alles…

Den Kapitalismus bloss reformieren zu wollen, greift zu kurz

Alles spricht vom Klimawandel. Doch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen ist nur eine von zahlreichen Auswirkungen der zerstörerischen kapitalistischen Weltordnung. Eine zweite ist die permanente Umverteilung von den Armen zu den Reichen, so dass über eine Milliarde von Menschen nicht einmal genug zu essen haben, während eine andere Milliarde von Menschen in nie dagewesenem Luxus prasst. Eine dritte ist die gnadenlose Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft bis hin zu Zuständen, die man durchaus mit der Sklaverei früherer Jahrhunderte vergleichen kann. Eine vierte ist das unermessliche Leiden von Abermillionen von Tieren in viel zu engen Käfigen, auf den Schlachthöfen, auf viel zu prall gefüllten Transportfahrzeugen und in den Versuchslabors der Pharmaindustrie. Eine fünfte ist die alle menschliche Vorstellungskraft sprengende militärische Aufrüstung, mit der jedes Land die von ihm gehorteten und anderen Ländern gestohlenen Reichtümer gegen Angriffe von aussen zu schützen trachtet. Wollen wir eine bessere Zukunft, dann genügt es nicht, bloss gegen den Klimawandel anzukämpfen. Mit der gleichen Leidenschaft muss auch gegen die soziale Ungerechtigkeit, gegen jede Form von Ausbeutung und gegen militärische Rüstung angekämpft werden. Den Kapitalismus bloss reformieren zu wollen, greift zu kurz. Es braucht eine Überwindung des Kapitalismus und den Aufbau einer von Grund auf neuen, nicht an den Bedürfnissen des Kapitals, sondern an den Bedürfnissen der Menschen, der Erde und zukünftiger Generationen orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.

Elektroautos: Ein neues Zeitlater?

Im ostdeutschen Zwickau hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ein neues VW-Werk eröffnet. Hier werden zukünftig ausschliesslich Elektroautos fabriziert. Merkel ist begeistert und spricht von einem «neuen Zeitalter» der deutschen Automobilindustrie.

(Schweizer Fernsehen SRF1, Tagesschau, 4. November 2019)

Haben die Menschen ein so kurzes Gedächtnis? Oder merken sie sich einfach nur das, was ihnen in den Kram passt? Da konnte man doch unlängst überall lesen, dass die Ökobilanz eines Elektroautos kein bisschen besser ist als jene eines mit Benzin angetriebenen Autos, vor allem wegen der Herstellung und Entsorgung der Akkus, aber auch wegen der Unmenge an benötigter Elektrizität, welche ja auch nicht einfach vom Himmel herunterfällt. Doch offensichtlich will niemand auf die liebgewonnene Mobilität und das Gefühl von «Freiheit», welches die eigenen vier Räder vermitteln, verzichten – und da «vergisst» man halt sehr schnell alle Unangenehme, um sich das eigene schlechte Gewissen nicht vermiesen zu lassen. Angela Merkel hat zu früh ein «neues Zeitalter» heraufbeschworen. Das hätte sie sich aufsparen müssen für den Tag, an dem das allerletzte Privatauto von der Bildfläche verschwunden wäre, um einer von Grund auf neuen, menschen- und umweltfreundlichen Mobilität Platz zu machen.