Sudan: Die Zukunft ist weiblich

Seit mehreren Monaten demonstrieren in der sudanesischen Hauptstadt Khartum Zehntausende gegen die Regierung. Die Bewegung feierte vor zwei Wochen einen ersten grossen Erfolg, als der langjährige, verhasste Machthaber Al-Bashir von der Armee abgesetzt wurde. Doch die Demonstranten und Demonstrantinnen geben sich damit nicht zufrieden und gehen weiterhin täglich auf die Strasse. Sie fordern den Rücktritt der gesamten Regierungselite und einen demokratischen Neubeginn. Hauptgründe für die Aufstände sind die jahrelange Unterdrückung, insbesondere der Frauen, die wirtschaftliche Misere und die weit verbreitete Armut – jeder zweite Sudanese muss mit weniger als einem Franken pro Tag auskommen, der Brotpreis hat sich innert weniger Wochen verdoppelt und selbst die Grundnahrungsmittel sind so teuer, dass sie für die Ärmsten beinahe unerschwinglich sind. Hoffnungsträgerin und Ikone des Widerstands ist die 22jährige Architekturstudentin Alaa Salah. «Der Sudan», sagt sie, «sollte ein demokratisches Land werden, in dem die Menschen frei und stolz leben können.» So charismatisch und populär Alaa Salah ist, so bescheiden ist sie zugleich: «Ich bin nur eine von vielen. Bevor ich bekannt wurde, war ich mit ihnen auf der Strasse, am Singen und Protestieren.» Die Hoffnungen auf eine neue Zeit sind riesig. «Ich wünsche mir», sagt eine der Demonstrantinnen, «dass wir eine bessere Zukunft haben, die Zukunft, von der wir immer geträumt haben.» Und, bezogen auf Alaa Salah, meint die Frauenrechtlerin Ihsan Fagiri: «Asaa transportiert unsere Revolution in die Welt hinaus.»

(Schweizer Fernsehen SRF1, «10vor10», 25. April 2019)

Ist das der Beginn jener Revolution, von der wir schon so lange träumten? Oder hat sie schon mit dem von Greta Thunberg initiierten Klimastreik angefangen? Oder findet sie soeben in den USA statt, wo sich immer mehr junge Menschen zum Sozialismus und damit zu einem radikalen politischen Neubeginn bekennen? Wie dem auch sei: Die Zeichen sind unverkennbar. Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir ohne Übertreibung vom Beginn eines neuen Zeitalters sprechen können – genau so, wie es die Frauenrechtlerin Ihsan Fagiri prophezeit: Asaa Salah werde die sudanesische Revolution in die ganze Welt hinaustragen. Was – durch den Wahnsinn des Kapitalismus – aus dem Lot geraten ist, muss wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. Und dass es überall an vorderster Front die Frauen sind, die nun das Szepter in die Hand nehmen, ist ebenfalls kein Zufall: Der Kapitalismus war ein Projekt der Männer. Die Zukunft aber ist weiblich…

Ostdeutschland: Moderne Variante von Kolonialismus

Wie schlecht Ostdeutsche an den Spitzen deutscher Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur vertreten sind, zeigt eine Studie ostdeutscher Soziologen: 1,7 Prozent beträgt ihr Anteil insgesamt – ihr Prozentsatz an der Bevölkerung ist zehnmal so gross. So krass untervertreten sind nicht einmal Frauen im Topmanagement deutscher Konzerne. Kein Rektor einer deutschen Hochschule ist Ostdeutscher, nur 3 von 336 Bundesrichtern, nur 2 von 200 Generälen, nur 3 von 190 Chefs grosser Konzerne…

(Tages-Anzeiger, 28. März 2019)

Die Zahlen belegen: Die Eingliederung der ehemaligen sozialistischen DDR in die kapitalistische Bundesrepublik Deutschland war nicht so sehr eine Verbrüderung auf Augenhöhe, sondern vielmehr ein Akt der Okkupation. Statt die historische Chance zu nutzen, aus den Vorzügen der beiden unterschiedlichen Gesellschaftssysteme etwas Gemeinsames, Neues zu schaffen, wurde die DDR einfach wie ein Niemandsland auf einer weissen Landkarte in den kapitalistischen Westen einverleibt. Dies zeigt den wahren Charakter des Kapitalismus: So «freiheitlich» er sich auch gebärdet, in Tat und Wahrheit ist er ein totalitäres System, das keinen Widersacher neben sich duldet – das war schon zur Zeit des Kolonialismus nicht anders, als ganz Afrika von den europäischen Grossmächten erobert und ihren wirtschaftlichen Interessen unterworfen wurde. Die Demütigung, die damals von den Afrikanern und Afrikanerinnen empfunden wurde, wird heute auch von den Menschen der ehemaligen DDR empfunden. Und deshalb ist es auch kein Zufall, dass die AfD genau in Ostdeutschland mit ihren populistischen und fremdenfeindlichen Parolen so grossen Zulauf hat.

Flugverkehr: Der Wettbewerbsdruck und seine Folgen

«Die sich häufenden Sicherheitsprobleme von Flugzeugen haben mit dem aktuellen Marktumfeld zu tun. Es besteht ein riesiger Wettbewerbsdruck. Und vor allem in der ganzen Angebotskette der Luftfahrtindustrie, bei der von Boeing und von Air Bus auf die ganze Kette Druck ausgeübt wird, sind der Druck und die Konkurrenz sehr, sehr gross. Das merken ja auch wir Passagiere. Wir bezahlen so wenig wie noch nie für ein Flugticket. Und das schlägt durch bis am Schluss zum Produzenten. Schliesslich wird auch bei der Ausbildung der Piloten gespart.»

(Andreas Wittmer, Aviatikexperte, Schweizer Fernsehen SRF1, 10vor 10, 27. März 2019)

Und wieder sind wir beim kapitalistischen Konkurrenzprinzip und seinen verheerenden Auswirkungen angelangt. Nicht nur, dass die Sicherheit der Flugzeuge darunter leidet und die Arbeitsbedingungen von Piloten und Kabinenpersonal. Ebenso schlimm ist der Preisdruck auf die Flugtickets, die mittlerweile um ein Vielfaches günstiger sind als Bahn- oder Schiffsbillette und die damit die Anzahl der Flugpassagiere von Jahr zu Jahr ins Unermessliche steigen lassen – mit allen bekannten Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Das Verkehrs- und Transportwesen gehört nun mal nicht in die private Hand. Der Flugverkehr müsste von einem öffentlichen, im Auftrag aller Staaten der Welt tätigen Unternehmen betrieben werden, welches sämtliche Standards bis hin zu den Flugpreisen verbindlich festlegt und regelt. Das sei ja fast noch schlimmer als Kommunismus, werden die Kritiker eines solchen Modells zu bedenken geben. Aber was ist denn schlimmer, ein Flugverkehrswesen, das gewisse Elemente «kommunistischer Planwirtschaft» aufweist, oder der Untergang der Menschheit infolge eines Klimakollapses? Ganz abgesehen davon, dass man das Flugzeug am besten sowieso ins Museum stellen würde, denn es gibt keinen einzigen wirklich plausiblen Grund dafür, dass man Menschen und Waren nicht auch auf alle möglichen anderen, vielleicht weniger schnellen, dafür aber auch weitaus weniger schädlichen Wegen von A nach B schaffen kann.

(Seitens der SVP wird immer wieder das Argument ins Feld geführt, eine Erhöhung der Flugticketpreise sei unsozial, da sich dann nur noch die Reichen das Fliegen leisten könnten. Zynischer geht es nicht mehr, sind es doch ausgerechnet Politiker der SVP, die sich für eine Kürzung der Sozialhilfe in mehreren Kantonen stark machen und damit ausgerechnet auf jenen Menschen herumtrampeln, die nicht einmal davon zu träumen wagen, je in einem Flugzeug zu sitzen. Aber selbst wenn die Flugtickets so billig wären, dass auch noch der letzte Sozialhilfebezüger sich dann und wann einen Flug leisten könnte, wäre auch dies wiederum alles andere als sozial, denn es geschähe nur auf dem Buckel und auf Kosten jener Abermillionen Menschen in den Ländern des Südens, die heute schon von den Auswirkungen des Klimawandels existenziell bedroht sind. Das einzig wirklich Soziale wäre ein – weltweiter – Einheitslohn. Dann könnten sich nämlich alle  Menschen – wenn es denn tatsächlich noch Flugzeuge gäbe – genau gleich viele Flugreisen leisten. Aber dafür wird die SVP wohl kaum zu gewinnen sein…)

160 Liter Wasser für eine Tasse Kaffee

Vier Milliarden Menschen leiden mindestens einen Monat pro Jahr unter Wasserknappheit und drei von zehn Menschen auf der Welt haben überhaupt keinen Zugang zu Trinkwasser. Gleichzeitig verbrauchen die Schweizer und Schweizerinnen pro Tag im Schnitt 4200 Liter Wasser. In dieser Menge enthalten ist sowohl die direkte Nutzung von Wasser – z.B. zum Kochen, Waschen und Putzen –, sowie die indirekte Nutzung, das heisst, das «virtuelle Wasser», das für die Produktion von landwirtschaftlichen und industriellen Gütern benötigt wird und zu 82 Prozent aus dem Ausland stammt, und zwar grösstenteils aus Ländern, in denen das Wasser sehr knapp ist und die Bevölkerung oft überhaupt keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat. Wie krass dieses Missverhältnis ist, zeigt sich am Beispiel Kaffee: Um eine einzige Tasse Kaffee zu produzieren, braucht es 160 Liter Wasser. Noch extremer ist der Wasserverbrauch für die Fleischproduktion. «Die Schweiz», so ein Bericht von Deza und WWF, «verdankt ihren Wohlstand zu einem beträchtlichen Teil den Wasserressourcen anderer Länder, oft in Gebieten der Erde, in denen das Wasser sehr knapp ist, darunter zum Beispiel Äthiopien, Sudan, Kenia, Indien, Afghanistan und Pakistan.»

(www.infosperber.ch)

Kapitalismus ist institutionalisiertes Verbrechen. Weil sie das reichste Land der Welt ist, kann es sich die Schweiz leisten, Unmengen von Wasser zu importieren aus Ländern, wo die Menschen buchstäblich verdursten. Mit jeder Tasse Kaffee, die wir trinken, verwehren wir Dutzenden von Kindern, Männern und Frauen irgendwo in Brasilien, Vietnam oder Äthiopien den Zugang zu sauberem Trinkwasser und setzen somit deren Lebens aufs Spiel. Eigentlich müsste uns jeder Schluck Wasser schmerzen wie Feuer. Doch im globalen Netz des Kapitalismus sind Täter und Opfer fein säuberlich voneinander getrennt und die Verbindungen zwischen ihnen unsichtbar…

 

Fünf Mädchen bringen einen Präsidenten zu Fall

Der Entscheid sei ihm nicht leichtgefallen, gesteht Nursultan Nasarbajew, der Präsident Kasachstans, in einer Fernsehansprache. Doch nach 30 Jahren an der Macht habe er sich dazu entschlossen zurückzutreten. Schlussendlich waren es wohl fünf kleine Mädchen, die dem Präsidenten klarmachten, dass er als Landesvater ausgedient hat. Die Kinder waren zwischen drei Monaten und 13 Jahren alt, als sie vergangenen Monat beim Brand eines Hauses in Astana starben. Mutter und Vater konnten ihre Kleinen nicht retten, weil beide auf Nachtschicht waren, um die Familie durchzubringen. Die Tragödie löste wütende Proteste von Müttern aus: gegen miese Arbeitsbedingungen, gegen Armut, gegen schlechte Gesundheitsversorgung – und letztlich gegen das unfähige Regime.

(Tages-Anzeiger, 20. März 2019)

Es mag ja ein «unfähiges Regime» sein. Aber das ist nur ein Teil der Realität. Der andere, das ist der Kapitalismus. Was nämlich Nursultan Nasarbajew das Amt gekostet hat, könnte ebenso gut auch hierzulande – unter einem «fähigen» Regime – geschehen sein. Denn auch in der Schweiz gibt es Eltern, die aus existenziellen Gründen beide Nachtschicht arbeiten und während dieser Zeit ihre Kinder allein lassen müssen. «Zum Glück» hat sich diese Tragödie im fernen Kasachstan ereignet, so können wir bequem mit dem Finger auf einen «unfähigen» Regierungspräsidenten zeigen und so tun, als hätten wir mit dem Ganzen nichts, aber auch nicht das Geringste zu tun. In Tat und Wahrheit ist der Schuldige aber nicht der Präsident Kasachstans, sondern ein Wirtschaftssystem, das auf die gnadenlose Ausbeutung von Mensch und Natur ausgerichtet ist, in Kasachstan ebenso wie in der Schweiz und überall. Interessant ist ja die Frage, ob der schweizerische Bundesrat ebenfalls zurücktreten würde, wenn sich ein solches Unglück hierzulande ereignen würde. Wohl kaum…

Pensionskassen: Wie viel die Broker absahnen

Um neue Versicherte zu gewinnen, engagieren die Pensionskassen Broker, welche den Versicherten eine bestimmte Pensionskasse empfehlen. Fürs Vermitteln kassieren due Broker saftige Provisionen, und zwar nicht bloss einmalig, sondern pro Versicherten, den sie vermitteln konnten, Jahr für Jahr. Dieses System – so Urban Hodel vom PK-Netz, das sich für die Rechte der Versicherten in der 2. Säule einsetzt – schaffe falsche Anreize, es verleite die Broker dazu, jene Pensionskasse anzubieten, die am meisten Provisionen zahlt, und nicht die, welche für die Versicherten die beste wäre. Damit werde das System der beruflichen Vorsorge ausgehöhlt. «Jährlich werden über 300 Millionen an Broker- und Makler gezahlt», sagt Roger Baumann, Lehrbeauftragter der Universität St. Gallen. Diese hohen Provisionen treiben die Verwaltungskosten der Pensionskassen in die Höhe und schmälern empfindlich die Altersrenten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.

(«Kassensturz», Schweizer Fernsehen SRF1, 5. März 2019)

Wer ist eigentlich auf die verrückte Idee gekommen, die Altersvorsorge in eine erste, zweite und dritte Säule aufzuspalten? Und auf die noch viel verrücktere Idee, dies alles – zumindest bei der zweiten und dritten Säule – dem freien Wettbewerb und der gegenseitigen Konkurrenzierung verschiedener Anbieter zu überlassen? Dabei wäre es doch so einfach: Man führt zunächst einen Einheitslohn ein. Für die Altersvorsorge ist sodann eine einzige staatliche Säule – entsprechend der heutigen AHV – zuständig. Die Rente entspricht dem Einheitslohn. Was an Verwaltungs-, Lohn- und Werbekosten Dutzender privater Anbieter heute noch verschwendet wird, käme vollumfänglich den Rentenbezügern und -bezügerinnen zugute.

Noch nicht geboren, aber bereits 115’000 Follower

Auf Instagram hat Halston Blake Fisher über 115’000 Follower. Die Kleine ist eine sogenannte Kidfluencerin, nur weiss sie es noch gar nicht. Denn Halston ist noch nicht einmal geboren. Sie soll noch in der ersten März-Woche zur Welt kommen, doch ihre Eltern sorgen schon im Voraus dafür, dass ihr Baby ein Medienstar wird. Vater Kyler und Mutter Madison Fisher haben Erfahrung mit Social Media. Ihre zwei Jahre alten Zwillingstöchter Taytum und Oakley haben 2,5 Millionen Insta-Follower  und verdienen mit gesponserten Posts zwischen 10’000 und 20’000 Dollar. Taytum und Oakley posieren regelmässig für Kinderkleider, Spielzeug oder Autositze. Den Youtube-Kanal der Familie haben über drei Millionen Personen abonniert. «Meine Kinder machen das Paket perfekt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir so weit gekommen wären, wenn wir die Mädchen nicht hätten», sagt Papa Kyler. Die Eltern sorgen für die Likes, die Marken für das Geld: Die Spielzeugfirma Melissa & Doug hat vor einiger Zeit zahlreiche Familien mit Insta-Accounts per E-Mail angeschrieben. Sie bot Geld und kostenloses Spielzeug für die Posts ihrer Kinder, auf denen zu sehen ist, «wie sie Spass mit den Spielsachen haben». Für einen Post bot das Unternehmen 10 Dollar pro 1000 Follower…. Vorbild aller Kidfluencer ist der siebenjährige Youtuber Ryan, der mit seiner Show «Ryan Toys Review» laut der Wirtschaftszeitschrift «Forbes» 22 Millionen Dollar pro Jahr verdient.

(www.20minuten.ch)

Die schrankenlose Ausdehnung des Kapitalismus, die nicht einmal mehr vor den unvorstellbarsten Absurditäten Halt macht…

2,5 Millionen Küken bei lebendigem Leib geschreddert

Pro Jahr werden in der Schweiz 2,5 Millionen Küken bei lebendigem Leib geschreddert, weil sie das «falsche» Geschlecht haben. Dabei kommt es oft vor, dass Tiere überleben – beispielsweise mit abgeschnittenen Füssen. Nun soll das Schreddern lebender Küken in der Schweiz verboten werden. Der Bundesrat stimmt einer entsprechenden Forderung der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK) zu.

(www.blick.ch)

So etwas Verrücktes wie das Schreddern lebendiger Küken kann nur dem Kapitalismus in den Sinn kommen. Wenn nun auch das Schreddern lebendiger Küken künftig nicht mehr erlaubt sein soll, dann hat der Kapitalismus immer noch genug Schlupflöcher, wo er sich austoben kann – man denke nur etwa an die Tierversuche, denen ebenfalls jedes Jahr eine halbe Million Tiere geopfert werden. Es liessen sich zahllose weitere Beispiele aufzählen. Dies zeigt: Der Kapitalismus ist ein Raubtier, das sich nicht zähmen lässt, wenn man ihm die schlimmsten Zähne ausreisst – die Zähne wachsen nach und suchen sich neue Beute. Es braucht eine von Grund auf neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der ein Tierleben und ein Pflanzenleben ebenso viel wert sind wie ein Menschenleben.

Dringend: Stimmrechtalter Null

In der Schweizer Politik vertieft sich der Graben zwischen Jung und Alt. Die Rentner verlieren derzeit kaum eine Abstimmung, während sich die Jungen bei gewissen Fragen nur schwer durchsetzen können. Dies zeigen die Vox- und Voto-Analysen zu den Urnengängen der jetzigen Legislatur. Demnach hat die Gruppe der über 60Jährigen nur einmal den Kürzeren gezogen, beim Nein zur Abschaffung der Heiratsstrafe. Die Jungen wurden demgegenüber bei jedem fünften Urnengang in die Minderheit versetzt. Sie hätten etwa die letzte AHV-Reform, den fixen Atomausstieg und die Initiative für eine grüne Wirtschaft angenommen. Umgekehrt wehrten sie sich erfolglos gegen Sozialdetektive und neue Überwachungsmittel für den Nachrichtendienst.

(NZZ am Sonntag, 24. Februar 2019)

Niemanden scheint es zu interessieren, ob der 85Jährige, der seinen Stimmausweis ausfüllt, noch in vollem Besitz seiner geistigen Kräfte ist und ob er die Vorlage, über die er abstimmt, wirklich verstanden hat oder ob er bloss von seinem Sohn oder seiner Tochter dazu gedrängt wurde, so oder anders abzustimmen. Wenn aber jemand auf die Idee kommt, das Stimmrechtsalter auf 16, 14 oder gar auf Null herabzusetzen, dann ertönen von allen Seiten kritische Stimmen: Unter 18 Jahren sei doch niemand reif, sich eine glaubwürdige eigene Meinung zu bilden, und viel zu stark wäre das Abstimmungsverhalten eines 14- oder 16Jährigen von seinen Eltern, älteren Geschwistern oder anderen Erwachsenen beeinflusst. Führen wir uns die gegenwärtige Klimastreikbewegung, die ausschliesslich von Jugendlichen initiiert wurde, vor Augen, kommen wir zu einem gänzlich anderen Bild: Sehr wohl sind Kinder und Jugendliche in der Lage, sich mit politischen Fragen ernsthaft auseinanderzusetzen. Vor allem aber sind sie es, die Entscheidungen, welche heute getroffen werden, noch am längsten ausfressen müssen, zu einem Zeitpunkt noch, wenn die Älteren, die heute abstimmen, längst schon gestorben sind. Wenn ich mir die kleine Samira, die jetzt fünfeinhalb Jahre alt ist, vorstelle, dann kann man mit ihr schon ganz vernünftig über gewisse «politische» Themen sprechen, es gibt Abstimmungen, bei denen sie schon eine ganz klare Meinung hätte. Weshalb sollte sie ihre kindliche Stimme nicht abgeben dürfen? Sie müsste ja nicht zu allen Abstimmungen Stellung nehmen, das tun Erwachsene übrigens auch nicht. Freilich setzt das voraus, dass Eltern ihre Kinder nicht einseitig beeinflussen, sondern möglichst objektiv über die Vor- und Nachteile der betreffenden Sachvorlage informieren. Das soll nicht möglich sein? Dann muss man es eben möglich machen, zum Beispiel durch spezifische Elternkurse zum Thema «Demokratie in der Familie und Demokratie in der Gesellschaft». Das Gleiche gilt für die Schule: Es wäre die Kunst der Lehrkräfte, die Kinder in einfachen Worten über den Inhalt einer Abstimmungsvorlage aufzuklären, ohne ihnen dabei die eigene Meinung aufzudrängen. Eine anspruchsvolle Aufgabe, aber unerlässliche Voraussetzung einer umfassenden Demokratisierung der Gesellschaft, welche keine Diskriminierungen kennt, weder nach Hautfarbe, nach sozialem Status, nach Religion, noch nach Alter.

Load Controller: Zehn Stunden Arbeit ohne Pause – und das mitten in der Schweiz

Load Controller bestücken Flugzeuge mit Ladung – am Flughafen Zürich bis zu zehn Stunden ohne Pause. Sie sind verantwortlich dafür, dass die Flugzeuge gleichmässig beladen werden und nicht in Schieflage geraten können, was leicht einen Absturz zur Folge haben könnte. Arbeitgeber ist die zur Emirates-Gruppe gehörende Dnata Switzerland. Sie ist am Zürcher Flughafen für die Bodenabfertigung zuständig – neben Swissport und AAS. Dnata hat keinen guten Ruf. «Sie fällt immer wieder negativ auf: Tieflöhne, schlechte Sozialleistungen und zu lange Arbeitszeiten », sagt Stefan Brülisauer von der Gewerkschaft VPOD. Und was sagt das zuständige Arbeitsinspektorat? «Die Pausenregelungen des Arbeitsgesetzes gelten grundsätzlich auch für Arbeitnehmende, die an einem Flughafen tätig sind. Wir haben uns deshalb bei der Firma bereits gemeldet», sagt Arbeitsinspektor Thomas Zollinger. «Selbstverständlich kann die Sicherheit gefährdet sein, wenn die Load Controller übermüdet und unkonzentriert sind», sagt auch der Luftfahrtexperte Hansjörg Egger. «Das müsste das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) dringend kontrollieren.» Dort sieht man das anders: Fehlende Pausen oder Überstunden zum Nulltarif seien in erster Linie ein Thema arbeitsrechtlicher Natur, und das Bazl sei nicht (primär) dafür zuständig. Die Abfertiger würden zwar regelmässig inspiziert, es werde auch darauf geachtet, dass keine Doppelschichten gearbeitet werden. Eine Kontrolle der geleisteten Arbeitszeiten gebe es aber nicht. «Grundsätzlich sind die Airlines und die Piloten dafür verantwortlich, dass die Flugzeuge ordnungsgemäss und sicher geladen werden.»

(www.beobachter.ch)

 

Schöne neue – globalisierte – Welt. Da spielen sich alle Mechanismen des Kapitalismus in seiner Endform gegenseitig in die Hände. Erstens: «Dnata Switzerland», der Name erweckt den Anschein eines Schweizer Unternehmes, ist in Tat und Wahrheit ein Ableger der «Emirates»; Menschen, die in der Schweiz arbeiten, sind also Arbeitsbedingungen unterworfen, die irgendwo in einem arabischen Golfstaat definiert werden. Zweitens: Es gibt nicht nur einen einzigen Beladungsdienst, sondern gleich drei, neben «Dnata Switzerland» noch Swissport und ASA. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass diese drei Firmen in einem permanenten gegenseitigen Konkurrenzkampf um Kosten und Effizienz stehen, ein Konkurrenzkampf, der wie immer auf dem Buckel der Arbeitenden ausgetragen wird. Drittens: Das zuständige Bundesamt für Zivilluftfahrt erklärt sich ausserstande, zu diesen Missständen Stellung zu nehmen und jeder schiebt die Verantwortung auf den anderen ab.