In Windeln zur Arbeit

In den Schlachtbetrieben in den USA arbeiten oft Immigranten, die kaum Englisch sprechen und einfach nur glücklich sind, einen Job zu haben. Eine sehr leicht ausbeutbare Gruppe. Einige Betriebe verbieten den Schlachtarbeitern, während der Schichten die Toiletten zu benutzen. Die Arbeiter sind also gezwungen, in Windeln zum Dienst zu kommen. 

(Elizabeth Anderson, www.zeit.de)

Wie heisst es so schön in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: «Jeder hat das Recht darauf, nach Glück zu streben.»

China: Jagd auf die Armen als Volkssport

China betritt mit einem Schuldenpranger über das Smartphone neue Dimensionen: Eine App zeigt auf einer Karte Menschen mit ausstehenden Schulden an. Die Handy-Nutzer werden zum Spitzeln aufgefordert. Die App, die das Provinzgericht der nordchinesischen Provinz Hebei vorstellte, zeigt auf einer Karte an, wo sich im Umkreis von 500 Metern Menschen mit ausstehenden Schulden befinden. Gemäss der Zeitung «Chinadaily» wurden die Smartphone-Nutzer dazu aufgefordert, sich als Spitzel zu betätigen. Der Pranger soll dem Staat helfen, verschuldete Personen anzuzeigen, die eigentlich Geld hätten. Die Bürgerspitzel sind aufgefordert, eine Meldung zu machen, wenn ein Schuldner etwa teure Möbel anschafft oder luxuriös essen geht. Damit das «Verpfeifen» einfacher sei, könnten Informationen über die Schuldner auf der App eingesehen werden, schreibt die Zeitung weiter. «Diese App ist als eine unserer Massnahmen zu sehen, um ein sozial glaubwürdiges Umfeld zu schaffen», lässt sich ein Sprecher des Provinzgerichts zitieren. Der chinesische Überwachungsstaat machte bereits letztes Jahr mit Schuldenprangern Schlagzeilen. Die Provinz Anhui forderte etwa dazu auf, Fotos von Schuldnern ins Internet zu stellen.

Jede kapitalistische Gesellschaft – ob in der Schweiz oder in China – produziert Arme und Reiche, Verlierer und Gewinner. Fragt man sich, woher der Reichtum der Reichen kommt, dann gelangt man, auf welchem Weg auch immer, zum gleichen Schluss: Das Geld der Reichen ist gestohlenes Geld. In einer gerechten Gesellschaft wären nämlich alle Menschen gleich reich bzw. gleich arm. Wenn nun ein Teil der Gesellschaft reicher ist als der Durchschnitt, dann ist diese Differenz schlicht und einfach das, was auf der anderen, der ärmeren Seite des Durchschnitts fehlt. Zur Rechtfertigung ihres überdurchschnittlichen Reichtums ist den Reichen jede noch so weit hergeholte Lüge recht: Zum Beispiel, vier-, fünf- oder zehnfach höhere Löhne als der Durchschnittslohn seien durch «längere Ausbildung», «höhere Qualifikation» oder «grössere Verantwortung» zu rechtfertigen. Oder, geerbtes Geld sei genau so legitim wie durch Arbeit erwirtschaftetes Geld. Oder: Zinsen auf Kapital, Aktien oder Obligationen sei etwas Gottgegebenes. Tatsächlich also sässen die Reichen auf der Anklagebank. Um Gerechtigkeit zu schaffen, müssten sie alles Geld, das über dem durchschnittlichen Einkommen und Vermögen liegt, der Gesellschaft bzw. den Ärmeren zurückgeben. Die kapitalistische Gesellschaft aber verkehrt alles ins Gegenteil: Beobachtet, verfolgt, registriert, gejagt, angeklagt werden nicht die Reichen, sondern die Armen. Das ist nichts weniger als eine Form von Krieg. Krieg der Reichen gegen die Armen. Krieg der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten. Diese werden gleich dreifach bestraft und gedemütigt: Zuerst, indem man ihnen unterdurchschnittlich tiefe Löhne zahlt, obwohl sie zum aller grössten Teil schwerste und verantwortungsvollste Arbeit leisten. Zweitens, indem sie folglich kein Vermögen bilden, kaum erben und nirgends Geld gewinnbringend anlegen können. Drittens, indem sie zu potenziellen Betrügern gestempelt und durch Behörden und Gesellschaft beobachtet, verfolgt und gejagt werden. In China wird das mittlerweile auf die Spitze getrieben. Aber wer verspricht, das Beispiel Chinas könnte nicht bald schon weltweit Schule machen? Mit der Zulassung von Sozialdetektiven ist ja auch die Schweiz schon auf dem besten Wege dazu…

Jeder Nachbar oder Mitpassagier kann sich in der chinesischen Provinz Hebei als Spitzel betätigen.

Der Messenger-Dienst WeChat ist die meistgenutzte Handy-App Chinas.

Die Bevölkerung in China ist aufgefordert, dem Staat beim Schuldenpranger mitzuhelfen.

Auf dem der Smartphone-App werden Schuldner im Umkreis von 500 Metern angezeigt.

Esslieferdienste: Der halsbrecherische Wettbewerb um die Kundschaft

Wachstum steht über allem bei den Lieferdiensten, die den Konsumenten zu mehr Take-away verführen wollen und sich gegenseitig einen halsbrecherischen Wettbewerb liefern. Die Kosten lassen sich umso besser amortisieren, je mehr Kunden man hat. Es wird deshalb enorm viel Geld in Marketing und Vertrieb gesteckt – in der Hoffnung, dass das Ganze später einmal Gewinne abwirft. Dieses Vorgehen lässt sich gut bei der in Berlin ansässigen Firma Delivery Hero beobachten. Bei einem erwarteten Umsatz von 1,1 Mrd. € wird 2019 ein Betriebsverlust von rund 300 Mio. € erwartet. Zu jedem Euro Umsatz macht Delivery Hero somit mehr als 25 Cent Verlust. Die Idee ist, dass dafür der Umsatz ab 2020 jedes Jahr um 80 Mio. € höher liegt als ohne diese Ausgaben. Derzeit beruht vieles auf dem Prinzip Hoffnung…

(www.nzz.ch)

 

Halsbrecherischer Wettbewerb. Mörderischer Preiskampf. Alle gegen alle. Fressen und gefressen werden. Verluste in Kauf nehmen, um später einmal Gewinne schreiben zu können. Hoffen, dass die Konkurrenten nicht mithalten können und irgendwann aufgeben. Esslieferdienste, Wo wir auch hinblicken in die kapitalistische Wirtschaft, überall das gleiche gnadenlose Konkurrenzprinzip, der Kampf aller gegen alle. Entweder man zerstört die anderen oder man zerstört sich selber. Wie lange kann das noch gutgehen?

«Nur» Verkäuferin?

Es ist Samstagabend, 19 Uhr, H & M. Ohne Unterbruch hängen die Verkäuferinnen Blusen zurück an die Stange, stapeln Kappen, ordnen Pullover nach Grösse und Farbe. Bis der nächste Kunde, die nächste Kundin den untersten Pullover hervorzerrt. Eine Arbeit ohne Ende. «Eigentlich», sagt S.K., «sind wir keine Menschen. Nur Inventar. Ich habe inzwischen fast eine Art Menschenhass entwickelt. Vielleicht ist das zu hart formuliert, aber ja, man wird abschätzig behandelt. Die Leute haben keinen Respekt. Uns gegenüber, den Kleidern gegenüber. Viele Kundinnen und Kunden lassen Berge von Kleidern in den Kabinen zurück, treten vielleicht doch drauf rum. Bittet man sie, die Kleider herauszureichen, sagen sie, das sei mein Job. Ich habe schon gehört, dass ein Kunde zum anderen sagte: Schau, dass du eine gute Ausbildung bekommst. Nicht, dass du als Verkäuferin endest. Und ich stand daneben. Nach der Schule hätte ich Optikerin werden wollen, aber meine Noten waren zu schlecht. Der Berufsberater fragte meine Mutter: Stört es Sie nicht, wenn Ihre Tochter nur Verkäuferin wird? Dieser Satz ist mir geblieben. Meine Kinder sollen etwas Besseres lernen. Mit mehr Anerkennung, mehr Lohn.»

(Tages-Anzeiger, 20. Dezember 2018)

«Nur» Verkäuferin? «Nur» Servicefachangestellte? «Nur» Fabrikarbeiter? «Nur» Kehrichtmann? «Nur» Coiffeuse? Das Verrückte daran ist, dass es hier allesamt um gesellschaftlich und wirtschaftlich überaus wichtige Tätigkeiten handelt. Wäre niemand bereit, sie auszuüben, würden ganze Wirtschaftssegmente wie Kartenhäuser in sich zusammenbrechen. Dennoch mangelt es ihnen an gesellschaftlicher Anerkennung und, damit verbunden, einem fairen Lohn. Wahrscheinlich könnte das tatsächlich nur durch die Einführung eines Einheitslohns – verbunden mit einer gleichwertigen gesellschaftlichen Wertschätzung sämtlicher beruflicher Tätigkeiten – nachhaltig geändert werden.