Der „Club“ vom 2. Januar 2024: Ein guter Anfang im neuen Jahr, doch die Oberfläche wird nicht angetastet…

Zumindest im „Club“ vom 2. Januar 2024 am Schweizer Fernsehen SRF1 hat das neue Jahr gut begonnen. Auf hohem Niveau, sich gegenseitig aufmerksam zuhörend, ohne die gewohnten gegenseitigen Schuldzuweisungen, hat sich eine hochkarätige Gesprächsrunde mit der Fragestellung „Ist die Welt aus den Fugen?“ auseinandergesetzt.

Peter Maurer, während zehn Jahren IKRK-Präsident, stellte all jenen Statistiken, welche ein zu rosiges Bild gesellschaftlicher Fortschritte innerhalb der vergangenen Jahrzehnte zeichnen, die Tatsache entgegen, dass weltweit immer mehr Zonen zu einem Niemandsland werden, wo sich bitterste Armut und Verelendung breit machen, ohne dass dies in einer dieser Statistiken abgebildet werde. Durchschnittswerte, so meinte er, würden rein gar nichts aussagen über die tatsächliche Situation der Betroffenen, auch würden diese in offiziellen Umfragen meist gar nicht berücksichtigt. Tatsache sei, dass mindestens zwei Milliarden Menschen mit solchen Statistiken nichts zu tun hätten. Es sei unbestritten, dass weltweit die Zahl fragiler Länder und vulnerabler Gesellschaften laufend zunehme. Wichtig sei aber, so Maurer, sich von solchen Entwicklungen nicht erschlagen zu lassen, sondern Wege aufzuzeigen, auf welche Weise und mit was für Massnahmen positive Veränderungen bewirkt werden könnten.

Schwester Ariane, Nonne, Gassenarbeiterin und Gründerin des Vereins „incontro“, berichtete von ihren Erfahrungen mit Armutsbetroffenen, Obdachlosen und Flüchtlingen. Wohnungsnot, steigende Lebenskosten und fehlende Zukunftsperspektiven machten den Menschen immer mehr zu schaffen. Viele seien mit dem Ausfüllen von Formularen, nicht zuletzt infolge fehlender Deutschkenntnisse, masslos überfordert, auch den Umgang mit Computern seien viele nicht gewohnt. Dass die Aufnahme von Flüchtlingen davon abhängig gemacht werde, ob jemand einen „ökonomischen Nutzen“ bringe oder nicht, finde sie empörend und sie warf die Frage in die Runde, ob denn Menschen nur noch als „Waren“ betrachtet würden und nicht mehr als Wesen mit dem generellen Anspruch auf eine menschenwürdige Existenz. „Was ist die Schweiz?“, fragte sie, „haben wir die Vulnerablen überhaupt noch im Blick, stehen sie im Zentrum oder existieren sie nur am Rande?“ Und dann berichtete sie von einer 60jährigen Frau, welche trotz langem Suchen keine erschwingliche Wohnung gefunden hatte, sich nur noch als „Last der Gesellschaft“ fühlte und so verzweifelt war, dass sie in eine tiefe Depression fiel und eines Tages beschloss, mit Hilfe von Exit freiwillig aus dem Leben zu scheiden – nur die tatkräftige Unterstützung durch den Verein „incontro“, welcher ihr schliesslich eine kostengünstige Wohnung vermittelte, konnte sie davon abhalten.

Peter Schneider, Psychoanalytiker und Satiriker, entlarvte den Begriff der „Eigenverantwortung“ als zynische Ablenkung davon, dass sich die öffentlichen Institutionen immer mehr in Erosion befänden. Dass öffentliche Spitäler, um an Geld zu kommen, bereits so weit gingen, Charity-Bälle zu veranstalten, fände er in höchstem Ausmass erschreckend. Und dass Grossbritannien unlängst beschlossen hätte, Flüchtlinge in Ländern wie Ruanda sozusagen – fast wie Sondermüll – „zwischenzulagern“, sei für ihn Ausdruck extremster Menschenfeindlichkeit.

Katja Gentinetta, politische Philosophin, sprach von einer Überforderung vieler Menschen durch eine Flut von Krisen in kürzester Zeit, angefangen von Covid über den Ukrainekrieg bis zum aktuellen Nahostkonflikt.

Doch trotz vieler guter Gedanken und Argumente blieb die Runde bis zuletzt an der Oberfläche stecken. Die Frage nach der Wurzel aller Übel wurde von niemandem gestellt. Als wären Armut, soziale Ausgrenzung, Klimawandel und Kriege bloss so etwas wie Naturereignisse, denen wir mehr oder weniger hilflos ausgeliefert sind und auf die wir einzig und allein mit individuellen „guten Taten“ reagieren können. Dabei ist doch offensichtlich, dass alles mit allem zusammenhängt und letztlich eine Folge des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ist, in dem wir leben. Ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das sich in einem Wort mit dem Begriff des Kapitalismus benennen lässt, an das wir uns aber mittlerweile offensichtlich schon so umfassend gewöhnt und das wir so durch und durch verinnerlicht haben, dass wir vor lauter Bäumen den Wald schon gar nicht mehr sehen.

Mit seiner Ideologie, dass man mit bereits vorhandenem Geld ohne selber zu arbeiten weitaus mehr Geld verdienen kann als durch eigene ehrliche Arbeit, ist der Kapitalismus die eigentliche Ursache für die immer weiter wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Mit seiner Ideologie der grösstmöglichen Profitmaximierung ist er ebenfalls die Hauptursache dafür, dass die Güter weltweit nicht dorthin fliessen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern dorthin, wo sich damit am meisten Geld verdienen lässt. Mit seiner Ideologie eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums ist er gleichermassen die Hauptursache für die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die masslose Verschleuderung von Rohstoffen und damit auch für den Klimawandel. Und mit seiner Ideologie der territorialen Ausdehnung, um möglichst viele Menschen, Rohstoffe und Absatzmärkte in seine Gewalt zu bringen, ist der Kapitalismus auch eine der wesentlichsten Ursachen für den Krieg.

Ohne Kapitalismuskritik, das hat diese Diskussion einmal mehr in aller Deutlichkeit gezeigt, kommen wir nicht wirklich weiter und drehen uns bloss immer wieder im gleichen Kreis. Ohne Kapitalismuskritik bleibt alles trotz noch so vieler „guter Taten“ und trotz noch so schönfärberischer Statistiken grundsätzlich beim Alten. Ohne Kapitalismuskritik wird auch 2024 am Ende ein verlorenes Jahr gewesen sein.

Gegen Ende der Sendung wurde das sogenannte „Gelassenheitsgebet“ eingeblendet. Es besagt, dass man nur jene Dinge verändern solle, die sich auch tatsächlich verändern liessen. Und dass man darauf verzichten solle, Dinge verändern zu wollen, die sich nicht verändern liessen. Alle in der Runde nickten zustimmend. Aber eigentlich hätte in diesem Augenblick von irgendwoher ein Aufschrei, ein heftiger Protest kommen müssen. Denn tatsächlich gibt es nichts, was sich nicht ändern lassen würde. Und schon gar nicht eine so menschen-, natur- und zukunftsfeindliche Ideologie wie jene das Kapitalismus. „Der Kapitalismus wird nicht von selbst zusammenbrechen“, sagte der französische Philosoph Lucien Sève, „er hat noch die Kraft, uns alle mit in den Tod zu reissen, wie der lebensmüde Flugzeugpilot seine Passagiere. Wir müssen das Cockpit stürmen, um gemeinsam den Steuerknüppel herumzureissen.“

Von amerikanischen Salatfeldern bis zur „Stadt der Lerntoten“: Der schon fast vergessene Krieg gegen die Kinder

Sommer 2022 irgendwo in den USA auf einem dieser endlosen Salatfelder, wo immer häufiger auch schon Jugendliche tägliche Schwerstarbeit verrichten. Die 16jährige Mia hat soeben einen Salatkopf gepflückt, als ein Traktor von der Strasse abbiegt und geradewegs ungebremst auf sie zurast, ohne dass sie ihm rechtzeitig auszuweichen vermag. Offensichtlich hat der Fahrer, selber gejagt vom horrenden Arbeitstempo auf dem Feld, Mia übersehen und überrollt sie mit seinem Traktor vom Fuss bis zum Bauch, fährt sodann aus lauter Panik sofort zurück, schaltet falsch und überfährt sie ein zweites Mal. Mit schweren inneren Verletzungen und gebrochenen Beinen bleibt Mia auf der Erde liegen. Doch selbst nach diesem schweren Unfall geht die Arbeit auf dem Feld unvermindert weiter, nicht die kleinste Unterbrechung des Innehaltens, der Betroffenheit und der Anteilnahme können sich die Arbeiterinnen und Arbeiter, die allesamt unter dem gleichen gewaltigen Zeitdruck stehen, leisten – hier, wo sich alle gegenseitig fremd sind und bloss eine Nummer auf der Beschäftigtenliste irgendeines anonymen Arbeitgebers, gibt es sowieso schon längst nicht mehr so etwas wie persönliche oder gar freundschaftliche Beziehungen untereinander, geschweige denn so etwas wie Solidarität oder gar Widerstand gegen dermassen ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Die Ärzte im 20 Kilometer entfernten Spital können zwar Mias Leben retten, doch auch ein Jahr später hat sie immer noch heftige Schmerzen in den Beinen, mehrere Monate lang konnte sie fast nicht laufen. Die Firma, für die sie gearbeitet hat, weigert sich bis heute, Mia eine Entschädigung auszurichten.

Weil das Angebot an neuen Jobsuchenden stetig abnimmt, setzen in den USA seit Jahren immer mehr Firmen auf Kinderarbeit. Die Gewerkschaften stehen wieder dort, wo sie bereits vor 140 Jahren standen und müssen noch einmal gegen etwas ankämpfen, was man längst als überwunden glaubte. Sechs der 50 Bundesstaaten haben in den letzten zwei Jahren ihre Regeln für Kinderarbeit gelockert, andere könnten bald folgen. In Iowa dürfen 14- und 15Jährige nach der Schule bis 21 Uhr arbeiten, tägliche Arbeitszeiten von bis zu sechs Stunden zusätzlich zum Schulunterricht sind zulässig, während der Ferien darf sogar bis 23 Uhr gearbeitet werden, 16- und 17Jährige dürfen gleich lange arbeiten wie Erwachsene. In Colorado dürfen Kinder schon ab 12 Jahren in der Landwirtschaft arbeiten. Und auch von gefährlichsten Arbeiten, zum Beispiel auf hohen Baugerüsten oder Dächern, bleiben sie nicht verschont, entsprechend häufig kommt es zu Verletzungen oder sogar zu Todesfällen: Hautverbrennungen in einer Chemiefabrik, Kinder, die mit ihren Händen in Maschinen geraten oder sich bei der Salaternte mit einem Messer schneiden, zwei 16Jährige, die beim Arbeiten in einem Sägewerk und einer Geflügelfabrik ums Leben kamen – dies nur einige wenige Beispiele. Allein in der Landwirtschaft erleiden täglich durchschnittlich 33 Kinder Verletzungen. „Ich erinnere mich an einen Tag im Winter“, so berichtet eine heute 21Jährige, „es schneite sehr heftig, wir haben extrem gefroren, aber wir mussten ohne Pause bis sieben Uhr abends weiterarbeiten.“ Ein anderer, heute 24 Jahre alt, erinnert sich, wie er als 14Jähriger die ganzen Sommerferien in der Karottenernte arbeitete, jeden Tag 8 bis 9 Stunden: „Oft gab es selbst an besonders heissen Tagen nicht genug zu trinken und zwischen dem Mittagessen und dem Arbeitsschluss am Abend gab es keine Pause.“ Und mit dem Klimawandel wird die Arbeit zunehmend noch anstrengender. Mehr als alle anderen sind in den USA arme Familien sowie Migrantinnen und Migranten von Kinder- und Jugendarbeit betroffen. Während die Kinder bessergestellter Familien nach Schulschluss nachhause gehen, um ihre Freizeit zu geniessen, müssen die ärmeren Kinder zur Arbeit aufs Feld, in die Fabrik oder in eine Imbissbude. „Um 16 Uhr war die Schule fertig“, erzählt ein heute 26Jähriger, „dann gings aufs Feld, ich war immer todmüde und meine Hände und Füsse taten weh.“ Immer zahlreicher kommt es auch zu Verstössen gegen geltende Arbeitsgesetze, so zum Beispiel in Form besonders gefährlicher Jobs – so ist die Zahl der entdeckten Verstösse seit 2015 um 280 Prozent gestiegen. Fälle wie jene von zwei Zehnjährigen, die noch um Mitternacht in einem Fastfoodladen arbeiten mussten, sind keine Seltenheit. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn längst nicht alle Verstösse werden aufgedeckt, gibt es doch auf 200’000 Arbeitskräfte nur gerade mal einen einzigen Kontrolleur. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind nicht nur gezwungen, ihre Kindheit und ihre Jugendzeit zu opfern, sie müssen auch ihre eigene Zukunft opfern, denn, wie ein Grundschullehrer berichtet: „Immer wieder schlafen meine Schülerinnen und Schüler im Unterricht fast ein. Das hat Auswirkungen auf die Noten, viele fallen so weit zurück, dass sie gar keinen Schulabschluss schaffen.“

Doch Kinder und Jugendliche leiden unter Verletzungen oder sterben nicht nur auf Salatfeldern, in Schlachthöfen und auf gefährlichen Baustellen der USA, sondern auch in zahllosen anderen Ländern weltweit überall dort, wo der ökonomische Druck so gross ist, dass Familien gar nicht existieren könnten, wenn nicht auch ihre Kinder von klein auf einen Teil zum Familieneinkommen beitragen würden. 160 Millionen Kinder und Jugendliche zwischen fünf und 17 Jahren sind weltweit von Kinderarbeit betroffen, jedes Jahr sterben 22’000 Kinder und Jugendliche infolge von Arbeitsunfällen. Besonders schlimm ist die Situation in der Landwirtschaft, wo Kinder oft ganz besonders gefährlichen Situationen ausgesetzt sind: Sie müssen viel zu schwere Lasten tragen, kommen mit gesundheitsschädlichen Chemikalien, tödlichen Insekten und scharfen Werkzeugen in Kontakt und müssen oft über viele Stunden unter extremen Wetterbedingungen arbeiten. Nicht besser ergeht es jenen rund 150 Millionen Mädchen und rund 73 Millionen Jungen unter 18 Jahren – wobei von einer signifikant höheren Dunkelziffer auszugehen ist -, welche weltweit von Kinderprostitution betroffen sind und brutalsten Menschenhändlern über alle Grenzen hinweg hilflos ausgeliefert sind.

Und das ist längst noch nicht alles. Weltweit sterben jeden Tag rund 10’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs, weil sie nicht genug zu essen haben. Daran haben wir uns offensichtlich schon so sehr gewöhnt, dass nie in irgendeiner Zeitung, am Radio und am Fernsehen, wo selbst über drei oder vier Opfer irgendeines verrückten Amokläufers in Japan oder Schweden des Langen und Breiten berichtet wird, auch nur das Geringste zu hören ist. Und dies, obwohl die Ursache für dieses tägliche zehntausendfache Sterben ja nicht darin liegt, dass insgesamt auf der ganzen Welt zu wenige Nahrungsmittel vorhanden wären, sondern einzig und allein nur darin, dass die Profitinteressen multinationaler Konzerne und die unter den Grossen und Mächtigen abgeschlossenen internationalen Handelsabkommen ein so viel höheres Gewicht haben als das Recht aller Kinder über alle Grenzen hinweg auf ein menschenwürdiges Leben.

Über 5000 Kinder sind bereits den israelischen Bombardierungen im Gazastreifen, dem laut Unicef derzeit „gefährlichsten Ort der Welt“, zum Opfer gefallen, dazu kommen Zehntausende Verletzte: Kinder mit entsetzlichen Verbrennungen, Verwundungen durch Mörserangriffe, verlorenen Gliedmassen, ohne Zugang zu Krankenhäusern, Nahrungsmitteln, Wasser, Strom und Medikamenten. Im Sudan sind infolge des seit fünf Monaten tobenden Bürgerkriegs insgesamt 3,4 Millionen Babys und Kleinkinder akut unterernährt. In Jemen, seit fast neun Jahren im Kriegszustand, sind schon weit über zehntausend Kinder gestorben, mehr als 9 Millionen Kinder haben keinen Zugang zu sicherer Wasser-, Sanitär-, Gesundheits- und Hygieneversorgung. „In jedem Krieg“, sagte UNICEF-Sprecher James Elder am 13. Oktober 2023, „sind es die Kinder, die am meisten leiden.“ Und die am wenigsten Schuld tragen an allen diesen kriegerischen Konflikten, die ausnahmslos von machtgierigen, skrupellosen, profitsüchtigen, fanatischen und extremistischen männlichen Stammes- und Staatsführen angezettelt worden sind.

Doch Kinder und Jugendliche sind nicht nur die hauptsächlichsten Opfer von Kriegen, Armut, Hunger, Prostitution und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen. An anderen Orten der Welt sind sie auch Opfer eines gnadenlosen, auf unerbittlichen gegenseitigen Konkurrenzkampf ausgerichteten Bildungssystems. Die 18jährige Saloni Awand ist eine von über 70 Millionen indischen Jugendlichen, die jedes Jahr von ihren Eltern für Kursprogramme angemeldet werden, an denen von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern während sechs, oft sieben Tagen pro Woche und bis zu 18 Stunden täglich – sechs Stunden Unterricht und bis zu zwölf Stunden Hausaufgaben – geradezu Unmenschliches abverlangt wird. Am begehrtesten ist ein Ausbildungsplatz in der Stadt Kota, wo sich jährlich rund 300’000 Jugendliche gegenseitig bis aufs Blut bekämpfen, um in den Genuss eines der 700 Plätze an der Eliteuniversität AIIMS zu gelangen, wo ein kostenloses Medizinstudium angeboten wird. Der Druck, der auf den Prüflingen lastet, ist dermassen gross, dass nur etwa ein Zehntel sämtlicher Schülerinnen und Schüler in Kota nicht von psychischen Problemen wie Magersucht, Vereinsamung oder Depressionen betroffen sind. Viele sind sogar so verzweifelt, dass sie ihrem Leben ein Ende setzen: Allein in Kota wurden innerhalb von fünf Jahren 77 Suizide von Jugendlichen registriert, weshalb Kota auch oft als «Stadt der Lerntoten» bezeichnet wird. Wenn die Gescheiterten ohne jegliche Zukunftsperspektive in ihre Dörfer zurückkehren, werden sie nicht selten zur Strafe verprügelt oder von ihrer Familie ausgeschlossen, haben doch ihre Eltern ihr sämtliches Erspartes für den in ihr Kind projizierten Zukunftstraum ausgegeben.

Doch wir müssen gar nicht bis Indien gehen. Auch eine im Herbst 2023 durchgeführte Befragung bei 14Jährigen im schweizerischen Kanton Zürich ergab, dass sich die Hälfte der Mädchen – bei den Knaben lagen die Zahlen ein wenig tiefer – durch die Schule «sehr» oder «ziemlich» gestresst fühlen – sechs Jahre früher waren es noch halb so viele gewesen. Viel Kopfzerbrechen bereiten die Hausaufgaben, für welche die Mädchen bis zu zwei Stunden oder noch mehr pro Tag aufwenden müssen. Die Hälfte der Mädchen hat mindestens einmal pro Woche Kopfschmerzen. Ebenfalls im Vergleich zu früheren Befragungen haben Bauch-,  Rücken- und andere Schmerzen zugenommen. Jedes dritte Mädchen zeigt Hinweise auf eine Angststörung, zahlreiche Befragte fügen sich aus seelischer Not auch Schmerzen zu, beispielsweise mit Ritzen, und rund vier Prozent aller Befragten haben auch schon versucht, sich das Leben zu nehmen.

Spätestens jetzt muss klar geworden sein: Wir sind mitten im Krieg. Es ist der Krieg einer globalen Machtelite gegen die Kinder und gegen die Jugendlichen, gegen die Schwächsten, gegen die, welche sich am wenigsten wehren können und ihrem Schicksal hilflos ausgeliefert sind. Krieg ist nicht nur in Gaza, Jemen oder dem Sudan. Nicht nur in den vergessenen Hungergebieten Afrikas und auf den Strassen Lateinamerikas, wo schon Neunjährige ihre Körper für ein paar wenige Pesos feilbieten. Krieg ist auch auf amerikanischen Salatfeldern, an indischen Eliteschulen, im immer härteren gegenseitigen Konkurrenzkampf um die gesellschaftlichen Sonnenplätze, in der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich und einer immer drastischeren Zunahme von Kinderarmut, die nicht einmal vor den reichsten Ländern der Welt Halt macht. Krieg ist auch die Vernichtung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen durch eine rücksichtslose Wirtschaftspolitik endloser Profitmaximierung und gnadenloser Ausbeutung von Mensch und Natur durch die heute Herrschenden und Mächtigen.

Dabei sind es doch gerade die Kinder und die Jugendlichen, die, obwohl sie am allermeisten unter Gewalt, Missachtung elementarster Menschenrechte und Kriegen zu leiden haben, dennoch gleichzeitig immer noch die tiefste Sehnsucht nach einer Welt voller Gerechtigkeit, Frieden und Liebe in sich tragen, einer Sehnsucht, die auf so unermesslich grausame Weise weltweit jeden Tag aufs Neue mit Füssen getreten wird. „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben“, so der italienische Dichter Dante Alighieri, „Kinder, Blumen und Sterne.“ Der Frieden wird nicht an dem Tag beginnen, an dem die letzte Kanone abgefeuert sein wird. Der Frieden wird erst dann beginnen, wenn dieses von den Kindern erträumte Paradies über alle Grenzen hinweg Wirklichkeit geworden sein wird.

Weihnachten 2023: Als wäre es das letzte Mal…

Als wäre es das letzte Mal. Als ginge es darum, noch einmal alles bis auf die Spitze zu treiben, auch noch das Letzte aus allem herauszupressen, alles Bisherige zu übertrumpfen. Nacht für Nacht mussten in fernen Ländern Arbeiterinnen bis zur Erschöpfung Überstunden leisten und wurden, wenn sie sich kaum mehr aufrecht halten konnten, von ihren Aufsehern brutal wachgeprügelt, Textilarbeiterinnen in Bangladesch, Spielzeugfabrikantinnen in China, Chipherstellerinnen in Taiwan, Männer und Frauen auf endlosen Kakao- und Kaffeeplantagen in Brasilien, Vietnam und Äthiopien, Kinder im Kongo, in Tansania und Niger, die mit aufgeschürften Armen und Beinen aus immer grösserer Tiefe und unter immer gefährlicheren Bedingungen so kostbare Stoffe wie Kupfer, Kobalt und Lithium aus dem Boden schürfen, ohne die kein einziges der Handys, der Laptops und der Computer, die schon bald neben Abertausenden Barbiepuppen, Pralinenschachteln, Videospielen und Schmuckstücken unter dem Weihnachtsbaum liegen werden, auch nur einen einzigen Tag lang funktionieren würde. Auch in der Metzgerei auf der gegenüberliegenden Strassenseite brennt schon seit zwei Uhr nachts das Licht, am nächsten Morgen fahren die Autos im Sekundentakt vor, doch im Glitzerkugelflimmer am Eingang und auf der Theke ist das Schreien der in der vorangegangenen Nacht geschlachteten Tiere schon längst verstummt. Paketboten hetzen seit Tagen mit immer grösseren und schwereren Schachteln durch die Strassen, bis ihnen fast der Rücken zerbricht. Laufend werden am Radio Verkehrsunfälle vermeldet, Buchungen für Flugreisen und Kreuzfahrten laufen heisser denn je, auch die Reservationslisten von Restaurants und Hotels sind randvoll, Köche, die morgens um sieben mit der Arbeit angefangen haben, stehen um elf Uhr nachts immer noch am Kochherd, Zimmermädchen und Serviceangestellte laufen sich die Füsse wund, Verkäuferinnen umwickeln mit zunehmend schmerzenden Händen am Laufmeter Pakete, in denen all jene Dinge stecken, die man in letzter Sekunde verzweifelt noch gefunden hat, obwohl doch niemand mehr weiss, was er überhaupt noch schenken soll, wo doch eh alle schon alles haben. Ausser jene, die von alledem ausgeschlossen sind und selbst im reichsten Land der Welt nicht einmal genug Geld haben, um ein Weihnachtsbäumchen zu kaufen, geschweige denn das so lange gewünschte Dreirad für das eigene Kind oder ein so richtig prächtiges, reichhaltiges Weihnachtsessen.

Längst bevor die christliche Lehre das mittlere und nördlichere Europa erreichte, wurde an Weihnachten jenes Datum gefeiert, an dem die Tage nach langer Dunkelheit endlich wieder länger zu werden beginnen, herbstliche und winterliche Erstarrung sich nach und nach wieder in die Vorfreude auf einen neuen Frühling zu verwandeln beginnt und der immergrüne Tannenbaum als Symbol für die unbesiegbare Kraft der Natur die Herzen der Menschen erfreut. Dann kam das Christentum und der Weihnachtsbaum wurde zum Christbaum, die Geschichte von Jesus zur neuen Erzählung von Lebensfreude, Nächstenliebe und von der Botschaft, dass es nichts Wichtigeres im Leben geben soll, als dass jene, denen es gut geht, sich um die anderen, denen es weniger gut geht, kümmern sollen.

Heute ist Weihnachten schon längst nicht mehr das Fest der Wintersonnenwende und schon gar nicht das Fest der Nächstenliebe. Heute ist der 24. Dezember der höchste Feiertag im kapitalistischen Kalenderjahr unendlicher Profitmaximierung, unendlicher Anhäufung von Reichtum in den Händen einer privilegierten Minderheit auf Kosten einer Mehrheit Beraubter und in Armut Versunkener. Zwischen dem Anfang und dem Ende dieses Tages werden, wie auch an jedem anderen Tag des Jahres, weltweit rund 10’000 Kinder unter fünf Jahren verhungert sein, nicht weil insgesamt zu wenig Nahrungsmittel zur Verfügung stehen, sondern nur deshalb, weil im globalen kapitalistischen Wirtschafts- und Ausbeutungssystem die Güter nicht dorthin fliessen, wo sie die Menschen tatsächlich brauchen, sondern dorthin, wo am meisten Geld vorhanden ist, damit alle diese Güter möglichst gewinnbringend verkauft werden können. Weihnachten ist der Tag, an dem mehr als an allen anderen Tagen des Jahres die Reichen ihren Reichtum zur Schau stellen und sich an all dem freuen, was sie anderen in derart überbordendem Ausmass weggenommen haben, dass ihre Tische unter der Last viel zu vieler Köstlichkeiten fast zerbrechen, am Ende des Tages tonnenweise zu viel Gekauftes liegen bleibt, fortgeschmissen wird und sich dann im Januar als neues Geschäftsfeld all jene extravaganten Diätkuren eröffnen, um das über die Feiertage angefressene Fett wieder loszuwerden.

Ich glaube fast, an diesem Tag haben sie, nachdem sie es tausendmal vergeblich versucht hatten, das Christkind endgültig und für immer vergraben.

Es sei denn, wir kämen rechtzeitig zur Besinnung. Würden erkennen, dass Weihnachten – in der ursprünglichen Bedeutung vom Eingebundensein des Menschen in den Kreislauf der Natur und von der Nächstenliebe als höchstem aller menschlichen und gesellschaftlichen Werte – heute aktueller wäre denn je. Immer mehr Menschen fordern die Aussetzung oder die Abschaffung des Weihnachtsfestes. Würde nicht das Gegenteil viel grösseren Sinn machen? Wäre nicht die Veränderung und das Umdrehen des Bisherigen in sein Gegenteil, das, was mit Jesus vor über 2000 Jahren so hoffnungsvoll in die Welt kam und dem im Laufe der Geschichte immer wieder so wunderbare Menschen wie Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela und unzählige andere zu folgen trachteten, genau jene Hoffnung, die wir heute so dringend brauchen? „Es werden“, so Papst Johannes Paul II. am Weltfriedenstag im Januar 2000, „in dem Masse Frieden und Gerechtigkeit herrschen, in dem es der ganzen Menschheit gelingt, ihre ursprüngliche Berufung wiederzuentdecken, eine einzige Familie zu sein.“

Schweizerische Bundesratswahlen am 13. Dezember 2023: Demokratie und Kapitalismus

Es ist vollbracht, der wochenlange, oft zermürbende Wahlkampf überstanden. Beat Jans, frischgewählter Schweizer Bundesrat, strahlt wie ein Maikäfer übers ganze Gesicht. Und als er während seiner Antrittsrede seine Frau und seine beiden Töchter auf der Empore erblickt, wie sie ihm begeistert zuwinken, brechen sich vollends sämtliche noch unterdrückten Emotionen ihre Bahn: Tränen kullern über sein Gesicht. Und er ist nicht der Einzige: Da und dort wird in der Schar der Anwesenden ein Taschentuch sichtbar, verstohlen werden Tränen der Freude und der Rührung weggewischt. Kurz nach 12 Uhr beginnen im Basler Rathaus die Glocken zu läuten. „Fünfzehn Minuten lang läuten sie“, wird der „Tagesanzeiger“ einen Tag später schreiben, „die Menschen in der Stadt sollen wissen, dass in diesem Moment etwas ganz Spezielles geschehen ist.“ Fast so etwas wie ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, so wunderbar passend zur prächtigen Glitzerdekoration und den in allen Farben leuchtenden Kugeln im Bundeshaus in Bern. Am Ende nicht bloss der Sieg des Kandidaten, der am meisten Stimmen erhalten hat, sondern vor allem auch ein Sieg gutschweizerischer Demokratietradition, der Gipfelpunkt eines schon fast heiligen Rituals, mit dem sich die Schweiz nun schon seit über 175 Jahren so glorreich feiert. Doch das ist nur die eine Hälfte der Wirklichkeit.

Die andere Hälfte der Wirklichkeit, das ist: Dass, gemäss neuesten Zahlen der Caritas, rund 1,2 Millionen Menschen in der Schweiz von Armut betroffen sind, mehr denn je zuvor. Dass rund 160’000 Menschen in diesem Land trotz voller Erwerbstätigkeit nicht genug verdienen, um den Lebensunterhalt ihrer Familien bestreiten zu können, und dies, obwohl seit 175 Jahren in der schweizerischen Bundesverfassung schwarz auf weiss geschrieben steht, dass volle Erwerbstätigkeit für den Lebensunterhalt einer Familie ausreichen muss. Dass sich gleichzeitig in den Händen der 300 Reichsten des Landes bereits rund 800 Milliarden Franken angesammelt haben, eine Summe, die der gesamten schweizerischen Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres entspricht und nur wenig unter dem jährlichen Militärhaushalt der USA liegt, der mit Abstand grössten Militärmacht der Welt. Dass die Kluft in Bezug auf die Vermögensverteilung nur in weltweit zwei Ländern, nämlich Singapur und Namibia, noch grösser ist als in der Schweiz. Dass es in diesem Land Unternehmen gibt, in denen die Bestverdienenden einen 300 Mal höheren Lohn erhalten als die am schlechtesten Verdienenden. Dass der Lohn einzelner Topmanager um bis zu 10’000 Franken pro Stunde beträgt, während gleichzeitig bis heute die schweizweite Durchsetzung von gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlöhnen im Bereich von 20 bis 23 Franken stets von neuem an ihrer politischen Umsetzbarkeit gescheitert ist. Dass sich im gleichen Land eine grosse Anzahl von Menschen immer kostspieligere Luxusvergnügen leisten können, während andere selbst auf einen Kinobesuch, Ferienreisen oder eine dringend notwendige Zahnoperation verzichten müssen und man somit ohne jegliche Übertreibung von der immer krasseren Herausbildung einer „sozialen Apartheid“ sprechen muss, von wachsenden Mauern zwischen den Zonen des Luxus und den Zonen der Armut, Mauern, an denen, unsichtbar, aber umso unerbittlicher, an allen Ecken und Enden Schilder hängen, auf denen geschrieben steht: Nur für Reiche! Dass die Auspressung menschlicher Arbeitskraft und der psychische Druck in der Arbeitswelt und in den Schulen stetig zunimmt und sich anlässlich einer kürzlich durchgeführten Befragung von 14Jährigen im Kanton Zürich gezeigt hat, dass sich rund die Hälfte der Mädchen – bei den Knaben liegen die Zahlen etwas tiefer – permanent gestresst fühlen, über ständige Bauch-, Kopf- und Rückenschmerzen klagen und sich die Anzahl von Suizidversuchen in dieser Altersgruppe nur allein schon in den vergangenen fünf Jahren drastisch erhöht hat. Dass die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt eine im Vergleich mit den meisten anderen Ländern weit höhere Mitschuld trägt an der Klimaerwärmung mit ihren unabsehbaren Folgen, die sich heute vor allem in den ärmeren Ländern zeigen, längerfristig aber die Lebensgrundlagen sämtlicher zukünftiger Generationen existenziell zu gefährden drohen. Dass die Schweiz immer noch zu jenen Ländern gehört, die sich auf Kosten anderer massiv bereichern und beispielsweise im Handel mit Entwicklungsländern einen 50 Mal höheren Profit erwirtschaftet, als sie diesen Ländern in Form von Entwicklungshilfe wieder zurückgibt.

Was für eine Diskrepanz. Was für eine unvorstellbare Kluft zwischen der einen und der anderen Wirklichkeit. Unwillkürlich sehe ich das Bild eines Monsters vor mir, eingepackt in ein wunderschönes, glitzerndes Geschenkpapier. Das Monster, die eine Seite der Wirklichkeit, ist das kapitalistische, unersättlich auf Profitmaximierung, Wachstum und Ausbeutung von Mensch und Natur ausgerichtete Wirtschaftssystem. Das Geschenkpapier, die andere Seite der Wirklichkeit, das ist das, was wir „Demokratie“ nennen, das, was an diesem 13. Dezember 2023 wieder einmal so glorreich gefeiert wurde, das, was uns glauben macht, es sei alles gut, das, was den Blick versperrt auf all das, was sich im Inneren des Geschenks verbirgt, das, was in allen Herzen und Träumen so wundervolle Gefühle weckt und uns in der Illusion wiegt, dieses kapitalistische System, in dem wir leben, sei die einzige, beste und durch nichts zu ersetzende Art und Weise, wie Zusammenleben, Wirtschaft und Handel sinnvoll organisiert werden können. Und obwohl das Geschenkpapier unvergleichlich viel dünner ist als sein Inhalt, beherrscht es doch nach wie vor das allgemein vorherrschende Bild in der Öffentlichkeit. Es ist die Welt der Privilegierten, derer, die sich permanent selber feiern, derer, die es geschafft haben, die an der Spitze der Gesellschaftspyramide angelangt sind und denen alle anderen, die es noch nicht geschafft haben, unter der Aufbietung aller ihrer Kräfte nacheifern, um es irgendwann dann vielleicht auch noch so weit zu bringen. All die anderen, die schon längst aufgegeben haben, sieht man nicht. Im Gegensatz zu den Freudestränen all jener, die an diesem 13. Dezember gefeiert haben, bleiben die Tränen jener, die unter viel zu grosser Arbeitslast leiden, auf viel zu vieles, was für andere selbstverständlich ist, verzichten müssen und aus lauter Angst vor der Zukunft kaum schlafen können, in der öffentlichen Wahrnehmung unsichtbar. Denn es ist eben immer noch so, wie schon Bertolt Brecht sagte: „Die im Lichte sieht man, die im Dunklen sieht man nicht.“

Der Kapitalismus und die Demokratie. Allgemein herrscht die Vorstellung vor, beides gehöre untrennbar zusammen. Tatsächlich aber ist es eine sehr einseitige Beziehung. Kapitalismus und Demokratie sind sich wesensmässig zutiefst fremd. Im Grunde benützt der Kapitalismus die Demokratie bloss dazu, um sein Unwesen sozusagen „legitim“, „demokratisch“ abgesichert, betreiben zu können. Er braucht das Geschenkpapier, damit man den Inhalt nicht sehen kann. Würden wir nämlich das Geschenk auspacken und sehen, dass dort drinnen jeden Tag weltweit rund 10’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs sterben, weil sie nicht genug zu essen haben, und würden wir weiter sehen, dass wir Menschen des reichen Nordens, die sich den Luxus leisten können, einen Drittel aller gekauften Lebensmittel ungebraucht im Müll landen zu lassen, an dem Tod dieser Kinder dadurch mitschuldig sind, dass wir dieses kapitalistische Wirtschaftssystem nicht schon längst abgeschafft haben, und wenn wir dann noch all die anderen Verbrechen zu Gesicht bekämen, die weltweit jeden Tag durch Profitmaximierung, Wachstumswahn und Ausbeutung an den Menschen und an der Natur begangen werden, würden wir dies schlicht und einfach nicht aushalten. Der Kapitalismus ist existenziell auf das Geschenkpapier angewiesen, damit sein tatsächliches Wesen, damit das Monster nicht sichtbar zu werden vermag.

Aber nicht nur das. Indem der Kapitalismus die Demokratie missbraucht, um sein Unwesen zu verbergen, zerstört er zugleich diese Demokratie. Denn eine Gesellschaft, in der die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer grösser werden und ein immer grösserer Teil der Bevölkerung ausgegrenzt, entmündigt und seiner grundlegenden Menschenrechte beraubt wird, entfernt sich immer weiter von einer wahren Demokratie gleichberechtigter, gleichermassen partizipierender Bürgerinnen und Bürger und verwandelt sich zunehmend in eine neue Form von Diktatur, einer Diktatur der Reichen gegen die Armen, der Profitierenden gegen die Ausgebeuteten, der Privilegierten gegen die Unterprivilegierten, einer Diktatur des Geldes, das jenen, die es besitzen, unvergleichlich viel mehr Macht beschert als jenen, denen es auf die eine oder andere Weise kapitalistischer Aneignung gestohlen wurde. Es gibt keine echte Demokratie ohne soziale Gerechtigkeit, und der Kapitalismus ist der natürliche Feind der sozialen Gerechtigkeit, indem die individuelle Anhäufung von Reichtum und der Konkurrenzkampf aller gegen alle seine eigentlichen heiligen Dogmen bilden.

Vielleicht kam das Feiern doch noch etwas zu früh. Vielleicht müssten wir ehrlicherweise damit noch warten, bis das Geschenkpapier doch noch eines Tages aufgerissen wird und der wahre Inhalt zum Vorschein kommt, um ein neues Zeitalter einzuläuten, in dem die uralte Sehnsucht der Menschheit nach sozialer Gerechtigkeit, gemeinsamem Wohlergeben, Fürsorglichkeit und einem Ende jeglicher Ausbeutung und Bereicherung auf Kosten anderer endlich Wirklichkeit werden kann. Damit dann die Kirchenglocken vielleicht sogar noch um einiges länger als 15 Minuten läuten werden und in allen Zeitungen zu lesen sein wird, alle Menschen müssten es wissen, dass „in diesem Moment etwas ganz Spezielles geschehen ist.“

Von illegalen Kinderadoptionen bis zum Nahostkonflikt: Und immer wieder reibe ich mir die Augen…

Gemäss einem Bericht der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), so berichtet der „Tagesanzeiger“ am 9. Dezember 2023, wurden zwischen den 70er- und den 90er-Jahren aus Bangladesch, Brasilien, Chile, Guatemala, Indien, Kolumbien, Korea, Libanon, Peru und Rumänien mehrere Tausend Kinder unrechtmässig in die Schweiz adoptiert. Es steht fest, dass die Schweizer Behörden über Hinweise auf solche illegale Praktiken verfügten. Schweizer Botschafter schickten beispielsweise Zeitungsartikel über Kinderhandel nach Bern. Ein Artikel aus dem Jahre 1987 berichtete von der Verurteilung eines brasilianischen Anwalts, der während Jahren Kinder illegal an Adoptiveltern vermittelt haben soll, darunter auch in die Schweiz. Für jedes Kind habe er 8000 Dollar erhalten. Auch Dokumentenfälschungen waren bekannt. So erbat etwa der Vizekonsul in Rio de Janeiro bereits 1970 eine Stellungnahme aus Bern wegen gefälschter Geburtsscheine. Die Behörden in Bern antworteten auf Hinweise dieser Art, die Überprüfung dieser Dokumente sei nicht Aufgabe der Schweizer Botschaften. Der Konsens sei damals gewesen, so stellt der Bericht der ZHAW fest, dass es diese Kinder „in der Schweiz besser“ hätten. Mehrere Organisationen, unter ihnen das Schweizerische Rote Kreuz, fordern nun eine umfassende historische Aufarbeitung und eine Analyse der aktuellen Adoptionspraxis.

Neun Monate vor der Veröffentlichung dieses Berichts der ZHAW, am 17. März 2023, erliess der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin, beruhend auf dem Verdacht, dass Putin für illegale Deportationen ukrainischer Kinder nach Russland verantwortlich sei. Putin und die zuständige Ministerin wiesen die Vorwürfe zurück und begründeten die Massnahme damit, dass es diese Kinder „in Russland besser“ hätten als im Kriegsgebiet, wo sie ständiger Lebensgefahr ausgesetzt seien.

Ich reibe mir die Augen. Was im einen Fall Anlass für einen internationalen Haftbefehl war und es Putin verunmöglicht, zukünftig Auslandsreisen zu unternehmen, um sich nicht der Gefahr einer Festnahme auszusetzen, versickert im anderen, durchaus vergleichbaren Fall in irgendwelchen Amtsräumen und Schubladen gutschweizerischer Bürokratie…

Doch es ist nicht das einzige Mal, dass ich mir in jüngster Zeit immer wieder die Augen reiben muss. So auch, als ich las, Sportlerinnen und Sportler aus Russland und Belarus seien gemäss einer Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) an den Olympischen Spielen 2024 in Paris zugelassen, aber nur als „Neutrale“. Athletinnen und Athleten, die dem Militär angehörten, sowie Teams aus den beiden Nationen sollen jedoch weiterhin ausgeschlossen bleiben. Während somit gerade mal elf „Neutrale“ aus Russland und drei aus Belarus an den Wettkämpfen teilnehmen werden, wird die Ukraine mit einer Delegation von 60 Sportlerinnen und Sportlern dabei sein. Gleichzeitig habe ich noch nie etwas davon gehört, dass irgendwer auf die Idee gekommen wäre, Athletinnen und Athleten Israels, das bis zur Stunde für die Ermordung von mindestens 12’000 palästinensischen Zivilpersonen verantwortlich ist, von den nächsten Olympischen Sommerspielen auszuschliessen…

Die Augen reibe ich mir auch immer wieder, wenn ich am Schweizer Fernsehen die Berichterstattung über die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten verfolge. So etwa sei die Waffenpause Ende November zwischen der „Terrororganisation Hamas“ und der „israelischen Regierung“ ausgehandelt worden. Überhaupt wird das Wort „Terror“ immer nur in Verbindung mit dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 verwendet, nie aber in Verbindung mit den Bombardierungen des Gazastreifens durch Israel, welche inzwischen bereits rund zehnmal mehr Todesopfer gefordert haben. Ich lese, israelische Zivilpersonen seien von den Hamaskämpfern „ermordet“ worden, während palästinensische Zivilpersonen durch die israelischen Luftangriffe „getötet“ worden seien. Und als die „Tagesschau“ über die 75jährige Geschichte der UNO-Menschenrechte berichtete, hiess es im Kommentar, Beschlüsse der UNO könnten per Veto von „einzelnen Ländern wie zum Beispiel Russland“ torpediert werden, obwohl ausgerechnet am selben Tag die USA mit ihrem Veto im Sicherheitsrat der ungehinderten Fortsetzung der israelischen Bombenangriffe auf den Gazastreifen zugestimmt hatten.

Grund, mir die Augen zu reiben, gibt es auch jedes Mal, wenn der „Vergeltungsschlag“ Israels gegen die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens damit gerechtfertigt wird, dass er eine legitime Reaktion auf den Überfall der Hamas vom 7. Oktober darstelle, während genau die gleichen Kreise die These, dass die Brutalität und Skrupellosigkeit der Hamas nicht zuletzt eine mögliche Folge jahrzehntelanger Verfolgung und Vertreibung des palästinensischen Volks sein könnte, in aller Vehemenz in Abrede gestellt wird – der geschichtliche Kontext ist offensichtlich nur so lange dienlich, als er in die eigene Ideologie hineinpasst.

Schliesslich habe ich mir auch gestern Abend, und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, ganz gehörig die Augen gerieben, als ich kurz in die Diskussionssendung „hart aber fair“ auf ARD hineinschaute. Jedes Mal, wenn einer der Diskussionsteilnehmer zum „Kampf“ oder zur „Zerschlagung“ der Hamas aufrief, lösten diese Wörter begeisterten Applaus des anwesenden Publikums aus, während es auf den Aufruf eines anderen Diskussionsteilnehmers, nun endlich die Waffen zu strecken, zur Vernunft zu kommen und eine „friedliche Lösung“ zu suchen, im gleichen Publikum beklemmend still blieb…

Augenblicke, in denen ich mich manchmal am liebsten aus all so unermesslichen Widersprüchlichkeiten, Absurditäten und Lügen für immer verabschieden möchte. Aber dann meldet sich sogleich auch wieder der Zorn, die Wut, das Aufbäumen gegen all die Verdrehungen, all die tägliche, lautlose, oft kaum mehr bewusst wahrgenommene Gedankenmanipulation im Dienste der Mächtigen und all jener, denen jedes Mittel recht ist, die Wahrheit so zurechtzubiegen, dass sie ihren Interessen entspricht. Nein, all die unzähligen Leisen, Fragenden, Beharrlichen, Wahrheitssuchenden dürfen sich nicht verabschieden. Sie sind wichtiger denn je. „Scheut euch nicht, eure Stimme für Ehrlichkeit und Wahrheit und Mitgefühl gegen Ungerechtigkeit und Lüge und Gier zu erheben“, sagte der amerikanische Schriftsteller William Faulkner, „wenn die Menschen auf der ganzen Welt dies täten, würde das die Erde tiefgreifend verändern.“

Von einer „Informationssendung“ am Schweizer Fernsehen, dem Zementieren bestehender Feindbilder und der Frage, wie professioneller Journalismus aussehen müsste

„Rundschau“ vom 6. Dezember 2023 am Schweizer Fernsehen SRF1 zum Thema „Asylsuchende auf Diebestour“. Zwar hält die Moderatorin eingangs fest, dass sich „die ganz grosse Mehrheit der Asylsuchenden nichts zu Schulden kommen lässt“, aber der Rest der Sendung scheint voll und ganz darauf ausgerichtet zu sein, das Gegenteil zu beweisen. Zu sehen sind haufenweise Männer mit schwarzen Kapuzen, dunkle Szenen an Bahnhöfen und in Tiefgaragen, entrüstete Bewohner von Einfamilienhäusern, denen ein E-Bike gestohlen oder das Auto aufgebrochen wurde, die Aussage eines weiteren Betroffenen, man müsse „alles abschliessen“ und alles, was einem gehöre, sei „nicht mehr sicher“, ein Gemeindepräsident, der darüber berichtet, dass in seiner Gemeinde schon von der Bildung einer „Bürgerwehr“ die Rede gewesen sei, Interviews mit Polizistinnen, die von „deliktbelasteten Regionen“ und „veritablen Diebestouren“ sprechen und davon, dass es sich bei den Tätern fast ausschliesslich um „junge Männer aus Algerien, Marokko und Tunesien“ handle. Da kann dann zwar Christine Schraner, die Vorsteherin des Staatssekretariats für Migration, in einem kurzen Interview schon sagen, dass bloss zwei Prozent aller Asylsuchenden Delikte begingen – am Gesamtbild, das sich mittlerweile in den Köpfen des TV-Publikums festgezimmert hat, wird dies kaum mehr etwas ändern, die wenigen Sekunden, in denen die Moderatorin zu Beginn der Sendung und die Migrationsfachfrau im kurzen Interview das Ausmass des Gezeigten deutlich relativiert hatten, werden gegen die zwanzigminütige Flut an angsteinflössenden Bildern kaum etwas auszurichten vermögen. Zumal Bilder ohnehin die viel stärkere und nachhaltigere Wirkung ausüben als noch so fundierte, auf Tatsachen beruhende Worte.

Ich bin mir fast ganz sicher, dass bei den allermeisten, welche sich diese Sendung angeschaut haben, dieses Bild zurückbleiben wird: Da gibt es „böse“ Menschen, Menschen aus dem „Maghreb“ – ein im Verlaufe der Sendung dutzendfach in Verbindung mit den gezeigten Delikten wiederholter Begriff -, Menschen aus Algerien, Marokko und Tunesien also, „böse“ Menschen, die, obwohl sie hier nichts zu suchen haben, unrechtmässig in „unser“ Land eingedrungen sind und uns, den „guten“ Menschen, auf ganz skrupellose, unverschämte, verbrecherische Art Dinge wegzunehmen versuchen, die wir uns mit redlicher Arbeit verdient haben. Ganz so, als wäre dieser „Maghreb“ so etwas wie ein „Reich des Bösen“, im Gegensatz zur Schweiz, die dann in diesem Bild das „Reich des Guten“ verkörpern würde, als wären das von Grund auf andere Wesen als du und ich – latenter Rassismus in Reinkultur, denn, wie es einer der interviewten Asylsuchenden so treffend auf den Punkt brachte: „Es gibt überall gute und schlechte Menschen.“

Was war das Ziel dieser „Informationssendung“ am öffentlich-rechtlichen Fernsehen SRF? Mehr als das Zementieren bereits bestehender Vorurteile und Schuldzuweisungen kann ich nicht erkennen. Das Verhältnis zwischen fünf Sekunden „Aufklärung“ und zwanzig Minuten angsteinflössenden Bildern war schlicht und einfach unglaublich viel zu krass. Das pure Gegenteil von seriösem Journalismus. Wäre es nicht die Aufgabe einer Informationssendung mit so grosser Reichweite und meinungsbildender Wirkung, hinter die Oberfläche der Dinge zu schauen, Hintergründe und Zusammenhänge aufzudecken, die nicht unbedingt schon im öffentlichen Bewusstsein bekannt sind? Einer der befragten Asylsuchenden sagte: „Ich bin kein Krimineller. Ich bin nur gekommen, weil ich ein schöneres und besseres Leben haben möchte.“ Das wäre doch ein Ansatz gewesen, um in die Tiefe zu schauen und zum Beispiel folgenden Fragen auf den Grund zu gehen: Weshalb ist das Leben in der Schweiz so viel schöner als im Maghreb? Würden wir Schweizer, wenn es umgekehrt wäre, möglicherweise nicht auch versuchen, in ein „schöneres“ und „reicheres“ Land aufzubrechen, so wie das zum Beispiel im 19. Jahrhundert der Fall war, als zahllose von Armut betroffene Familien aus der Schweiz nach Amerika auswanderten? Was haben die Menschen auf dem Weg aus dem Maghreb bis in die Schweiz durchgemacht, weshalb haben sie das alles auf sich genommen, was hat ihnen die Kraft gegeben, ihre eigene Familie zu verlassen und so grosse Opfer zu bringen? Hat die Armut in Marokko, Algerien und Tunesien möglicherweise einen Zusammenhang mit dem Reichtum in Europa? Können 500 Jahre kolonialer Ausbeutung einfach ausgeblendet werden oder würde uns historisches Wissen möglicherweise helfen, die Gegenwart besser zu verstehen? Kann man über Tatsachen wie jener, dass die Schweiz im Handel mit Entwicklungsländern einen 50 Mal höheren Profit erwirtschaftet, als sie diesen Ländern dann in Form von „Entwicklungshilfe“ wieder zurückgibt, einfach hinwegsehen? Wem gehört was? Wer hat wen bestohlen? Ist das geklaute Schweizer E-Bike möglicherweise ein viel weniger schwer wiegendes Diebesgut als die über Jahrhunderte aus Afrika zu billigsten Preisen importierten Rohstoffe und Nahrungsmittel, die sich nach und nach in das Gold des reichen Nordens verwandelten? Wer leidet darunter und wer profitiert davon? Könnte es sein, dass die Asylsuchenden aus dem Süden und die Menschen im reichen Norden, die von ihnen beklaut werden und sich von ihnen bedroht fühlen, gleichermassen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass, Opfer des gleichen kapitalistischen Wirtschaftssystems sind, das nach wie vor auf endlose Profitmaximierung und unbegrenztes Wachstum ausgerichtetes ist und eine immer tiefere Kluft zwischen reichen und armen Menschen, reichen und armen Ländern schafft? Würde man, anstelle oberflächlicher gegenseitiger Schuldzuweisungen, solchen und ähnlichen Fragen auf den Grund gehen, dann wäre dies möglicherweise, im Gegensatz zu reiner Symptombekämpfung, ein wesentlicher Schritt hin zur Bekämpfung der eigentlichen Ursachen all jener Probleme, die uns heute das Leben so schwer machen, nicht nur den Menschen im einen oder anderen Land, sondern den Menschen über alle Grenzen hinweg.

Ich freue mich auf eine Informationssendung am Schweizer Fernsehen zu diesem Thema, die dann diesen Namen auch tatsächlich verdienen würde, als gutes Beispiel für seriösen und professionellen Journalismus, der vielleicht noch nie so wichtig gewesen ist wie in einer heutigen Zeit voller Krisen, die uns immer mehr über den Kopf zu wachsen drohen und die Illusion erwecken, Probleme seien mithilfe gegenseitiger Feindbilder und Schuldzuweisungen zu lösen und nicht durch konstruktive, gemeinsame Lösungsansätze. Denn, wie schon Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Claudia Goldin: Abstruse Theorien einer Nobelpreisträgerin und Forscherin über Frauen in der Arbeitswelt

„Werden Frauen beim Lohn diskriminiert? Nein, sagt die Nobelpreisträgerin“ – dies der Titel eines Artikels über die Theorien von Claudia Goldin, Harvard-Professorin und Trägerin des Nobelpreises für ihre Forschung über Frauen im Arbeitsmarkt, in der „Sonntagszeitung“ vom 3. Dezember 2023. Kurz zusammengefasst, verficht Goldin folgende These: Frauen sind selber schuld, wenn sie weniger verdienen als Männer. Weil sie nämlich weniger ehrgeizig sind, sich häufig für die Haus- und Familienarbeit entscheiden statt für ausserhäusliche Erwerbsarbeit, öfters in Teilzeitpensen tätig sind und das Feld für lukratives Karrierestreben ihren Männern überlassen. Hätte ein Mann vor 100 Jahren so etwas geschrieben, wäre es nicht besonders erstaunlich gewesen. Aber eine Frau im Jahre 2023, und erst noch eine Nobelpreisträgerin?

Während ihrer langjährigen Studien scheint es Claudia Goldin völlig entgangen zu sein, dass Coiffeusen und Serviceangestellte vier Mal weniger verdienen als Informatiker, Krankenpflegerinnen fünf Mal weniger als Chefärzte, Kitaangestellte sechs Mal weniger als Universitätsdozenten, Putzfrauen hundert Mal weniger als Topmanager. Und Hausfrauen, obwohl sie einen der anspruchsvollsten und wohl den gesamtgesellschaftlich allerwichtigsten Beruf ausüben, für ihre Arbeit nicht einen einzigen Franken Lohn bekommen. Alle selber schuld? Liegt die Schuld nicht viel mehr bei einem zutiefst patriarchalen Gesellschaftssystem, in dem typisch weibliche Berufe, obwohl sie die eigentliche Grundlage für das gesellschaftliche Wohlergehen bilden, nach wie vor systematisch abgewertet und dementsprechend weitaus geringer entlohnt werden?

Wozu streben Frauen wie Claudia Goldin nach höchstem gesellschaftlichem Ansehen, wenn sie dieses dann bloss dazu verwenden, bestehende patriarchale Machtstrukturen „wissenschaftlich“ zu legitimieren und blindlings fortzuschreiben?

Henry Kissinger: Lobeshymnen und Friedensnobelpreis für einen der grössten Kriegsverbrecher unserer Zeit

„Wer ihn Henry nennen durfte, gehörte zum Kreis der Mächtigen“ – so titelt der „Tagesanzeiger“ vom 1. Dezember 2023 aus Anlass des Todes von Henry Kissinger, ehemaligem Sicherheitsberater und Aussenminister der USA, im Alter von 100 Jahren. In der Tat scheint dieser Kreis der Mächtigen geradezu eine magische Kraft zu besitzen. Und so einhellig ist auch das Urteil über den Verstorbenen: „Kissinger“, so die EU-Vorsitzende Ursula von der Leyen, „hat die Weltpolitik im gesamten 20. Jahrhundert geprägt.“ Für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron ist Kissinger „ein Gigant der Geschichte“. Auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz ist voll des Lobes: „Henry Kissinger prägte die amerikanische Aussenpolitik wie nur wenige andere. Die Welt verliert einen besonderen Diplomaten.“ Der britische Aussenminister und frühere Premierminister David Cameron würdigt Kissinger als „grossen Staatsmann“ und „zutiefst respektierten Diplomaten“ und schreibt im Kurznachrichtendienst X: „Selbst mit 100 Jahren strahlten seine Weisheit und Nachdenklichkeit durch.“ Ex-Regierungschef Boris Johnson betrauert Kissinger als „Giganten der Diplomatie, der Strategie und der Friedensstiftung“: „Wenn es jemals einen Autor des Friedens und einen Liebhaber der Harmonie gab, dann war dieser Mann Henry Kissinger.“ Für den früheren US-Präsidenten George W. Bush hat Amerika „mit dem Tod von Henry Kissinger eine der verlässlichsten Stimmen in Fragen der Aussenpolitik verloren.“ Auch US-Aussenminister Antony Blinken pflichtet ihm bei: „Es gibt nur wenige Menschen, die die Geschichte besser studiert haben – und noch weniger Menschen, die die Geschichte mehr geprägt haben.“ Selbst Wladimir Putin ist des Lobes voll: „Kissinger war ein herausragender Diplomat, ein weiser und weitsichtiger Staatsmann, der jahrzehntelang in der ganzen Welt wohlverdientes Ansehen genoss.“ Und selbst China stimmt uneingeschränkt in die Reihe dieser Lobeshymnen ein, so sagte Xie Feng, der chinesische Botschafter in den USA: „Kissinger wird in den Herzen des chinesischen Volkes immer als ein sehr geschätzter Freund lebendig bleiben.“

An dieser Stelle muss man wohl zuerst einmal leer schlucken. Und dann ein zweites und ein drittes Mal. Zum weltweiten Kreis der Mächtigen zu gehören, scheint tatsächlich eine magische Kraft zu besitzen. Eine magische Kraft, die offensichtlich nichts weniger bewirkt als einen kollektiven Gedächtnisverlust in Bezug auf eine „Geschichte des 20. Jahrhunderts“, die anscheinend ohne die „prägende Kraft“ dieses einzigartigen „Diplomaten“ und „Friedensstifters“ so ganz anders verlaufen wäre. Ja, sie wäre wohl tatsächlich ganz anders verlaufen, bloss dass es in Tat und Wahrheit gerade umgekehrt gewesen ist…

Die einflussreichste treibende Kraft in der US-Regierung unter Präsident Nixon und damit einer der Hauptverantwortlichen für die Forcierung des Vietnamkriegs insbesondere ab 1968 war kein anderer als Henry Kissinger. Durch die von ihm vorangetriebene Kriegsausweitung kamen in den folgenden Jahren mehr als 100’000 Vietnamesinnen und Vietnamesen sowie mehr als 25’000 Angehörige der US-Armee ums Leben. Ab März 1969 wurde auch das Gebiet des neutralen Kambodschas völkerrechtswidrig bombardiert, um dortige Nachschublinien der kommunistischen Nordvietnamesen zu zerstören. Die Flächenbombardements in Kambodscha töteten über 100’000 Menschen, überwiegend Zivilpersonen, und trugen dazu bei, einen grossen Teil der Bevölkerung in die Arme der kommunistischen Widerstandsbewegung Rote Khmer zu treiben. Zwischen Januar und August 1973 warfen amerikanische B-52-Langstreckenbomber gegen die Kämpfer der Roten Khmer mehr Bomben ab als während des gesamten Zweiten Weltkriegs über Japan. Die damit verbundene Destabilisierung Kambodschas führte indirekt zum Kambodschanischen Bürgerkrieg, der 1975 die Machtübernahme der Roten Khmer zur Folge hatte, welche in der Folge bis 1979 einen Völkermord an der eigenen Bevölkerung mit 1,7 bis 2,2 Millionen Opfern begingen. Auch das benachbarte Laos geriet ins Visier der US-Armee, welche dort im Verlaufe des gesamten Vietnamkriegs mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben abwarf, alle acht Minuten eine Flugzeuglandung, neun Jahre lang. Bis heute sind viele Gebiete des Landes immer noch nicht von allen Blindgängern geräumt. Laos ist bis heute das am meisten bombardierte Land der Welt.

1971 ergriffen die USA in der Auseinandersetzung zwischen Pakistan und dem nach einer grösseren Autonomie strebenden Bangladesch einseitig Partei auf der Seite der pakistanischen Militärdiktatur. Und wieder war es Henry Kissinger, der trotz Wirtschaftssanktionen, welche vom US-Kongress über Pakistan verhängt worden waren, durchzusetzen vermochte, dass US-Waffen an das pakistanische Militär geliefert wurden – für den als „kalten Krieger“ bekannten Kissinger war Pakistan im Kampf gegen den Kommunismus der bevorzugtere Verbündete als das auf der Seite Bangladeschs stehende demokratische Indien. Es kam zum Genozid in Bangladesch mit etwa einer Million Toten sowie rund 20 Millionen Menschen, welche nach Indien fliehen mussten.

Ebenfalls eine äusserst aktive und entscheidende Rolle spielte Henry Kissinger beim von der CIA unterstützten Putsch gegen Salvador Allende, den demokratisch gewählten Präsidenten Chiles, am 11. September 1973. Bereits ab Oktober 1970 hatte sich Kissinger mit allen Kräften dafür eingesetzt, dass sich in der gesamtamerikanischen Politik eine feindselige Haltung gegenüber Allende durchsetzen konnte. In welchem Ausmass Kissinger persönlich an diesem gewaltsamen Regierungsumsturz beteiligt war, ist bis heute umstritten. Zumindest räumte er in einem Telefonat mit Präsident Nixon Folgendes ein: „Nein, wir haben es nicht getan. Aber wir halfen ihnen und sorgten für möglichst gute Bedingungen.“ An die Stelle Allendes, der kurz darauf ermordet wurde, trat General Augusto Pinochet und es begann eine der fürchterlichsten Epochen in der Geschichte Chiles: Zwischen 30’000 und 100’000 Menschen landeten aus politischen Gründen im Gefängnis, die meisten von ihnen wurden auf grausamste Weise gefoltert. Im September 2002 verklagten elf Folteropfer des Pinochet-Regimes Kissinger und die amerikanische Bundesregierung auf Schmerzensgeld, doch es kam nie zu einem Gerichtsverfahren.

1975 plante der indonesische Präsident General Suharto eine völkerrechtswidrige Invasion Osttimors, um dieses Land unter seine Gewalt zu bringen. Er wurde dabei von US-Präsident Ford sowie Henry Kissinger ausdrücklich unterstützt – wieder ging es darum, das mögliche Aufkommen linksorientierter, marxistischer Kräfte, die in Osttimor eine wichtige Rolle spielten, von Anfang an mit aller Gewalt zu verhindern. Die folgende Invasion unter Präsident Suharto sowie eine 24 Jahre lang dauernde Besetzung des eroberten Gebiets kosteten insgesamt rund 183’000 Menschen das Leben, fast einem Drittel der Bevölkerung Osttimors.

„Ich glaube, wir müssen Fidel Castro zerschmettern“, sagte Henry Kissinger im März 1976 anlässlich eines geheimen Treffens hoher Sicherheitsbeamter, an dem auch John Brown, der Stabschef der US-Streitkräfte, sowie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld teilnahm. Gegen Castro, den Kissinger als „halbe Socke“ bezeichnete, die man „früher oder später zerquetschen“ müsse, sollte gemäss dem Ansinnen Kissingers ein „begrenzter Kriegsplan“ ausgearbeitet werden, mit Bombardierungen und der Verbreitung von Minen in kubanischen Häfen, der Zerstörung militärischer und paramilitärischer Ziele sowie einer totalen Seeblockade. Erst Jimmy Carter, der im darauffolgenden Jahr zum US-Präsidenten gewählt wurde, vermochte Kissingers Kriegspläne zu stoppen.

Ab Juni 1976 traf sich der argentinische Aussenminister Guzzetti mehrmals mit Kissinger. Er forderte die Unterstützung seiner gegen die innenpolitische Opposition gerichtete nationale Sicherheitsdoktrin durch die USA. Kissinger sicherte Guzzetti – trotz Bedenken seitens des Botschafters der USA in Argentinien wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen – seine volle Unterstützung zu. Guzzetti lehnte im Folgenden die Ermahnungen der US-Botschaft ab und berief sich dabei auf Kissingers „Verständnis“ für die Haltung Guzzettis. Es folgte die rasche Umsetzung der geplanten nationalen „Sicherheitsdoktrin“, was in der Folge zur Ermordung von rund 30’000 Menschen führte, welche grösstenteils vom argentinischen Militärapparat zu „spurlosem Verschwinden“ gebracht oder lebendigen Leibes aus Flugzeugen über dem Meer abgeworfen wurden.

Es mag wie die äusserste und letzte Perversion der Geschichte anmuten, wenn nun ausgerechnet dieser Henry Kissinger 1973 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, im gleichen Jahr, in dem er massgeblich am Sturz Allendes beteiligt gewesen war und bloss, weil er mit Nordvietnam ein Abkommen zur Beendigung jenes Krieges abgeschlossen hatte, den er selber an vorderster Front vorangetrieben hatte – wobei bezeichnenderweise nur Kissinger den Preis erhielt, nicht aber sein nordvietnamesischer Verhandlungspartner Le Duc Tho, der ihn fairerweise weitaus mehr verdient hätte.

Wie ist es möglich, dass die Wahrheit in ihr pures Gegenteil umgedreht wird? Und dass selbst fast alle Medien – zumindest in der westlichen Welt – dieses Spiel mitmachen? Was ist daran noch „demokratisch“? Was ist „gerecht“? Und es ist ja nicht das erste Mal. Auch Ronald Reagan, US-Präsident von 1981 bis 1989, wurde bei seinem Tod im Jahre 2004 als „Gigant der Geschichte“ gefeiert, und dies, obwohl er, indem er die Sowjetunion stets als „Reich des Bösen“ bezeichnete, den Kalten Krieg gefährlich anheizte, zudem infolge der Unterstützung der Militärdiktatur El Salvadors in den 80er-Jahren den Tod von rund 40’000 Oppositionellen auf dem Gewissen hatte und erst noch zwischen 1981 und 1990 einen verdeckten Krieg gegen die sandinistische Regierung Nicaraguas führte, der die gesamte Wirtschaft des Landes zerstörte und insgesamt über 50’000 Menschenleben forderte. Auch für Madeleine Albright, US-Aussenministerin zwischen 1997 und 2001, gab es bei ihrer Beerdigung am 23. März 2022 nur lobende Worte, und dies, obwohl die von ihr in den Neunzigerjahren gegen den Irak verhängten Wirtschaftssanktionen zum Tod von einer halben Million Kinder führten und sie sich noch Jahre später damit brüstete, der Tod dieser Kinder sei, in Anbetracht der damit verfolgten Ziele der US-Politik, den „Preis wert gewesen“. Und auch George W. Bush, verantwortlich für den völkerrechtswidrigen und aufgrund reiner Lügenpropaganda angezettelten Krieg gegen den Irak 2003, dem mehr als eine halbe Million überwiegend unschuldiger Menschen zum Opfer fielen, läuft immer noch frei herum und geniesst sogar nach wie vor höchstes gesellschaftliches Ansehen.

Längst schon verläuft der tiefste Graben nicht mehr zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Der tiefste Graben verläuft zwischen denen, die zur grossen Familie der Mächtigen und der ewigen Sieger gehören und sich schon längst über alle Grenzen hinweg in gegenseitiger Beweihräucherung zu einer globalen „Elite“ zusammengeschlossen haben, für die geschichtliche Erinnerung offensichtlich nur noch ein Schimpfwort ist und an denen all das unermessliche von ihnen verursachte Leiden und Sterben von Millionen Namenloser, systematisch zum Schweigen gebracht, unerbittlich abprallt. Allerhöchste Zeit, die Geschichte neu zu schreiben. Aber dieses Mal nicht von oben, sondern von unten.

Gaza mitten in der Nacht: Ein dreijähriger Bub rennt um sein Leben

Mitten in der Nacht
rennt der dreijährige Bub in seinem
schwarzzerfetzten Hemd
barfuss
ohne Eltern
ohne Bruder
ohne Schwester
alle verloren
verzweifelt die
Strasse voller Leichen entlang aus dem
Norden wo jetzt
wieder Bomben fallen in den
Süden wo gleichermassen wieder
Bomben fallen werden
Hunger
Durst
Kälte
blutende Füsse ein
blutendes Herz
ein drei Jahre alter Bub ohne
alle Hoffnung
mitten in der Nacht kann ich immer noch
nicht schlafen das
Bild lässt mich nicht los und selbst
wenn ich schliefe ich sähe ihn
augenblicklich wieder im Traum die
Strasse voller Leichen entlang rennen
hilflos kritzle ich ein paar Gedanken auf ein leeres Blatt Papier
bloss um irgendetwas zu TUN
ich schaue hinaus doch alles
ist dunkel und ich frage mich
wie können die alle jetzt so
ruhig schlafen wenn doch der
kleine Palästinenserbub
und Hunderte andere Kinder
mitten in der Nacht
hungrig durstig frierend mit
blutenden Füssen
immer noch um ihr
Leben rennen
aber vielleicht steckt doch allem zum Trotz
tief in uns drinnen immer noch jene unendliche Sehnsucht nach einer
Welt voller Frieden und Gerechtigkeit
vielleicht träumen ja alle die jetzt schlafen von diesem
kleinen Buben der um sein Leben rennt auch wenn sie sich am
nächsten Morgen nicht mehr daran erinnern werden
vielleicht wird ja dieser Traum von einer
ANDEREN WELT
allem zum Trotz doch noch eines
Tages wahr
von einer Welt in der nie mehr ein dreijähriges Kind
mitten in der Nacht
ohne seine Eltern
hungrig und durstig und frierend um sein
Leben rennen muss und andere
mitten in der Nacht
hilflos ein paar Gedanken auf ein
leeres Blatt Papier kritzeln
bloss um irgendetwas zu TUN
der Traum von einer Welt in der endlich
ALLE friedlich
schlafen können.


Die Schweiz werde in den grossen Konflikten als Friedensvermittlerin keine Rolle mehr spielen – wer hat denn diese „Wahrheit“ in die Welt gesetzt und weshalb glauben schon fast alle daran?

Es sei, so Aussenminister Ignazio Cassis, nicht die Rolle der Schweiz, mit der Hamas zu verhandeln. Auch die NZZ am Sonntag vom 26. November 2023 stellt fest: „Die Schweiz spielt in den grossen Konflikten keine Rolle mehr als Vermittlerin“ und, noch deutlicher: „Die Welt braucht uns nicht mehr.“ Und auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister bläst ins gleiche Horn: „Es braucht einen realistischen Blick und das Eingeständnis, dass wir nicht die grossen Friedensstifter sind, für die wir uns halten.“ Was für ein Armutszeugnis. Weshalb soll die Schweiz nicht das schaffen können, was soeben das vier Mal kleinere Katar geschafft hat, indem es im Kontakt mit der israelischen Regierung und der Hamas eine Waffenpause und den gegenseitigen Austausch von Geiseln und Gefangenen ausgehandelt hat? Wer hat denn diese Behauptung, die Schweiz werde zukünftig nicht mehr als Vermittlerin von Friedenslösungen eine Rolle spielen, in die Welt gesetzt? Irgendeine „höhere“, unsichtbare Macht? Irgendein „Zeitgeist“? Irgendeine „Zeitenwende“?

Frieden ist doch keine Frage von Zeitgeist oder Zeitenwende. Wer immer etwas zur Aussöhnung zwischen Völkern und Staaten beitragen kann, hat doch schlicht und einfach die moralische Pflicht, dies zu tun, auch wenn es anfänglich noch so aussichtslos erscheinen mag, selbst wenn es am Ende vielleicht scheitert. Aber man muss es doch wenigstens versuchen. Nur wenige Länder hätten hierfür so optimale Voraussetzungen wie die Schweiz mit ihrer jahrhundertelangen Neutralität und humanitären Tradition. Haben wir vergessen, wie unglaublich viel beispielsweise Mahatma Gandhi oder Martin Luther King mit ihrem unerschütterlichen Glauben an die Gewaltlosigkeit und ihrem radikalen Einstehen für Frieden und Gerechtigkeit erreicht haben? Müssten wir uns nicht vermehrt wieder solche charismatische Persönlichkeiten zum Vorbild nehmen und alles daran setzen, ihren Spuren zu folgen? Denn nicht die Geschichte sollte die Menschen lenken, sondern die Menschen sollten die Geschichte lenken.