Was die Klimakrise und eine falsch verstandene Fortschrittsgläubigkeit miteinander zu tun haben

 

Ich habe noch von keinem einzigen Politiker, keiner einzigen Politikerin und keiner einzigen politischen Partei die Forderung gehört, Wohlstand sei abzubauen. Im Gegenteil: Alle, ob „links“, „rechts“ oder „grün“, propagieren stets nur eine Steigerung des vorhandenen Wohlstands und dass es den Menschen in Zukunft stets besser gehen solle als in der Vergangenheit und der Gegenwart. Dabei wäre doch genau dies, ein Abbau unseres im weltweiten Vergleich geradezu paradiesischen Wohlstands, das einzige mögliche Mittel, um der Klimakrise wirksam zu begegnen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich rede nicht von all jenen Menschen, die selbst mitten in den „reichen“ Ländern Europas trotz meist härtester Arbeit so wenig verdienen oder so wenig finanzielle Unterstützung bekommen, dass sie ihre Wohnungsmiete nicht bezahlen können, auf den dringend nötigen Zahnarztbesuch verzichten müssen, sich nicht einmal ein Kino- oder Theaterticket leisten können oder vielleicht sogar am Ende des Monats nicht einmal mehr zwei ausreichende Mahlzeiten pro Tag auf dem Tisch haben. Nein, ich rede von den tausenden SUVs, die tagein tagaus über vier- oder sechsspurige Autobahnen donnern. Ich rede von Ferienflügen nach Mallorca, nach Teneriffa oder auf die Malediven. Ich rede vom Fünfgangmenu im Luxushotel. Ich rede von den Skifahrern, die sich per Helikopter auf einen Gletscher fliegen lassen. Ich rede von den Passagierinnen und Passagieren eines Kreuzfahrtschiffs quer durch das Mittelmeer. Ich rede von der Zweit- oder Drittwohnung im Tessin, am Genfersee oder auf der Lenzerheide. Ich rede von den Milliarden Kleidungsstücken, die in armen Ländern zu Hungerlöhnen produziert werden und in unseren Modeketten so billig zu haben sind, dass viel zu viel davon gekauft wird und das Kleidungsstück oft schon im Müll landet, bevor es auch nur ein einziges Mal getragen wurde. Ich rede von den Lebensmitteln, die auch, wie die Kleider, so billig sind, dass wir uns den Luxus leisten können, ein Drittel des Gekauften in den Müll zu werfen. Ich rede von Computern, Laptops und Smartphones, die einem so rasanten technischen Wandel unterworfen sind, dass ein eben erst gekauftes Gerät oft schon nach nicht einmal zwei Jahren durch ein neues ersetzt wird. Ich rede von Fernsehbildschirmen, die immer grösser werden und eine immer bessere Bildqualität aufweisen, so dass auch hier laufend tausende von Geräten, die noch bestens funktionieren würden, wieder durch neue ersetzt werden. Ich rede von der Werbeindustrie, die uns immer wieder Produkte schmackhaft zu machen versucht, die wir dann kaufen, obwohl wir sie gar nicht wirklich brauchen. Jahrzehntelang benützte man, für ärmere Länder des Südens, den Begriff „unterentwickelt“. Müsste man nicht, analog dazu, für die reichen Länder des Nordens den Begriff „überentwickelt“ verwenden? Oder wäre es vielleicht noch zutreffender, von „fehlentwickelt“ zu sprechen? Vielleicht ist es das, was die Natur in Gestalt der Klimakrise uns sagen will: Ihr lebt nicht so, wie die Erde als Ganzes es lieben würde. Ihr lasst auf dieser gleichen Erde unermesslichen Reichtum und unsägliche Armut zu. Ihr verletzt tagtäglich die heiligen Gesetze des Lebens, der Würde, des Gleichgewichts, der Gerechtigkeit. Könnten wir die Sprache der Natur verstehen, dann wäre dies wohl ein milliardenfaches Klagen, Schreien und Weinen, von den brennenden Wäldern über die schmelzenden Gletscher und aus den Schlachthöfen bis hin zu den abertausenden Insekten, die schon ausgestorben oder unmittelbar davon bedroht sind. Ja, wir müssen dringend Abschied nehmen vom Irrglauben, immer mehr Wohlstand sei möglich, jeder könne auf der Leiter von Geld und Besitztum immer weiter in die Höhe steigen. Das Gegenteil muss Wirklichkeit werden: der Verzicht auf unnötigen Luxus, die Besinnung auf das, was wirklich notwendig ist für ein gutes Leben, das gleichzeitig auch ein gutes Leben ist für alle anderen Menschen, für die Tiere, die Pflanzen, die ganze Natur. Denn, wie schon Mahatma Gandhi sagte: „Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“ Nehmen wir das Ernst, würde dies nicht weniger als den Beginn einer neuen Ära in der Menschheitsgeschichte bedeuten. Die Abkehr nämlich von einer falsch verstandenen Fortschrittsgläubigkeit, von der wir immer deutlicher und immer drastischer erkennen, dass sie uns an einen Punkt gebracht hat, wo es mit den bisherigen Denkmustern und Wertvorstellungen schlicht und einfach so nicht mehr weitergehen kann. Oder, wie es Martin Luther King so treffend formulierte: „Entweder lernen wir, als Brüder und Schwestern gemeinsam zu überleben, oder wir werden miteinander als Narren untergehen.“  

Der Stadt-Land-Graben: Die SVP hat ein neues Feindbild entdeckt!

 

Die SVP hat ein neues Feindbild entdeckt: die Städterinnen und Städter. SVP-Präsident Marco Chiesa hat in seiner diesjährigen Rede zum schweizerischen Nationalfeiertag das Thema ins Spiel gebracht, seither wird es eifrig weitergekocht und einzelne SVP-Exponenten rufen doch sogar tatsächlich zu einem Aufstand der angeblich „benachteiligten“ Landbevölkerung gegen die angeblich „privilegierte“ Stadtbevölkerung auf. Dabei ist das Ganze doch bloss ein riesiges Ablenkungsmanöver. Der tatsächliche Graben in der Schweiz verläuft nicht zwischen Stadt- und Landbevölkerung, sondern zwischen Arm und Reich. Von dem einen Prozent der Bevölkerung, die über 43 Prozent der Vermögen verfügt, leben ebenso viele in einer Stadt wie auf dem Land. Gleichzeitig findet man alleinerziehende Verkäuferinnen, die täglich ums Überleben kämpfen müssen, Serviceangestellte und Coiffeusen, die hart am Existenzminimum leben, und Ausgesteuerte, die sich nicht einmal eine anständige Wohnung leisten können, sowohl in Basel wie auch in Klosters, in Zumikon ebenso wie in Genf, in Zürich ebenso wie in Gruyères oder in Schüpfheim. Es sind nicht die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte, die auf Kosten der Bewohnerinnen und Bewohner des Landes leben. Es sind die Reichen, die auf Kosten der Armen leben. Denn diese ungeheuren Geldsummen, die sich in den Händen der Reichen befinden und laufend weiter in den Himmel wachsen, müssen von irgendwem in harter Arbeit erwirtschaftet werden – von all jenen, die täglich schwere Arbeit verrichten und dennoch viel weniger verdienen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Zusammenhänge, die, wenn man sie aufdecken würde, das Weltbild der SVP ganz schön ins Wanken bringen würden. Da ist es doch viel einfacher, den Missmut, das Unbehagen und all die Gefühle von Benachteiligung, die das Leben in der kapitalistischen Klassengesellschaft mit sich bringen, auf ein neues Feindbild auszurichten, auch wenn dieses noch so sehr an den Haaren herbeigezogen ist. Was für ein nächstes Feindbild wird der SVP, nach den Ausländern, den Moslems, den Minaretten und nun der Stadtbevölkerung, wohl noch einfallen, um immer wieder künstliche Gräben aufzureissen, die Menschen in Freund und Feind aufzuspalten und uns davon abzulenken, endlich den tatsächlichen Problemen und Missständen unserer Zeit in die Augen zu schauen?

Kein Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer: Eines Tages wird man erkennen, dass es Apartheid gewesen ist…

 

Eine klare Mehrheit des Aargauer Kantonsparlaments, so der „Tagesanzeiger“ vom 6. September 2021, hat unlängst die Einführung des Ausländerstimmrechts auf Gemeindeebene abgelehnt. In der Debatte argumentierten die Gegner des Ausländerstimmrechts unter anderem mit der Feststellung, die „Schweiz gehöre ausschliesslich den Schweizern“. Was für eine grenzenlose Arroganz, ja geradezu Menschenverachtung! Was wäre diese Schweiz ohne ihre abertausenden ausländischen Bauarbeiter, die „unsere“ Häuser, Strassen, Brücken und Tunnels bauen? Ohne ihre abertausenden ausländischen Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger, Ärztinnen und Ärzte, die in „unseren“ Spitälern Kranke und Verletzte pflegen? Ohne die vielen ausländischen Landarbeiterinnen und Landarbeiter, die „unser“ Gemüse ernten? Ohne die unzähligen ausländischen Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeiter, die „unsere“ Maschinen, Baugeräte und Lebensmittel herstellen? Ohne die zahllosen ausländischen Putzfrauen, die „unsere“ Toiletten, Büros, Spitäler, Restaurants und Fabrikhallen sauber halten? Ohne die zehntausenden ausländischen Köche, Köchinnen, Serviceangestellte und Zimmermädchen, die Tag für Tag dafür sorgen, dass „unsere“ Hotels und Restaurants ein so hohes internationales Ansehen geniessen? Keine Sekunde lang würde „unsere“ Schweiz bestehen. Wie ein Kartenhaus würde sie augenblicklich in sich zusammenfallen, wenn die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Dienst aufgäben und „unserer“ Schweiz den Rücken kehrten. Dass ausgerechnet jenen Menschen, welche tagtäglich härteste Arbeit zum Wohle des Ganzen verrichten, dafür in der Regel vergleichsweise wenig verdienen und erst noch wenig gesellschaftliche Wertschätzung erfahren, dass ausgerechnet diesem Teil der Bevölkerung auch noch das politische Mitbestimmungsrecht verweigert wird, kann man eigentlich nicht anders bezeichnen als Apartheid. Leider rückt die Geschichte meist erst viel später die Realität ins richtige Licht. Dass Millionen von Afrikanerinnen und Afrikaner in die amerikanische Sklaverei gezwungen wurden, fand man zu jener Zeit als „normal“. Auch die Apartheid zwischen Schwarz und Weiss im damaligen Südafrika fand man „normal“. Auch dass Frauen in der Schweiz bis 1971 keine politischen Rechte hatten, fand eine Mehrheit der Bevölkerung „normal“. Und genau so ist es mit der Apartheid zwischen „inländischen“ und „ausländischen“ Menschen in der heutigen Schweiz: Sie erscheint uns als „normal“ – denn schliesslich leben wir ja in „unserer“ Schweiz, und nicht in der Schweiz von Kosovoalbanern, Türkinnen und Portugiesen. Die sollen schön brav arbeiten und sich mit wenig Lohn zufrieden geben und im Übrigen bitte einfach das Maul halten. Doch glücklicherweise beginnt sich Widerstand zu regen. Vereinzelte Kantone haben das kommunale Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer eingeführt und bestimmt wird selbst der Kanton Aargau ihnen eines Tages folgen. Zeichen der Hoffnung. Nur manchmal wünscht man sich, gesellschaftlicher Fortschritt würde ein bisschen schneller voranschreiten…

Akademische Karrieren: Wenn die Rädchen schon zurechtgeschliffen werden, bevor sie sich noch richtig zu drehen begonnen haben…

 

„Wer an einer Hochschule reüssieren will“, schreibt der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann in der „NZZ am Sonntag“ vom 29. August 2021, „tut gut daran, die Stationen der Karriere genau zu planen. In den Wirtschaftswissenschaften ist es üblich, spätestens nach dem regulären Studium an eine renommierte Universität zu wechseln, um eine Dissertation zu schreiben. Danach erfolgt ein weiterer Wechsel zu ersten Anstellung an einer anderen Universität, sofern die Publikationsernte üppig genau ausfiel. Wenige Jahre später kommt die unbefristete Professur. Das klingt dynamischer, als es ist. Die Ausbildungszeit besteht im Wesentlichen darin, dass ein Büro mit dem andern vertauscht wird. Ob ich an der Mailänder Bocconi-Universität oder an der Yale University einen Artikel über die Wirkung von Deviseninterventionen schreibe, ändert wenig daran, dass ich hüben wie drüben hauptsächlich vor dem Computer sitze, die gleichen Papers lese und mich mit den Kolleginnen und Kollegen auf Englisch austausche. Nur das Nachtleben unterscheidet sich signifikant: Mailand ist eindeutig spannender als New Haven, Connecticut.“ Dies alles erinnert mich an eine mittelalterliche Priesterkaste: Eine Vielzahl ungeschriebener Rituale legt fest, wer dazu gehört und wer nicht. Zwischen denen, die dazu gehören, und dem „gewöhnlichen“ Volk klafft ein unüberwindlicher Abgrund. Die Klasse der Elite, der Abgehobenen hat ihr eigenes Denken, ihre eigene Sprache, ihr eigenes Selbstverständnis. So generiert die kapitalistische Ökonomie ihren Nachwuchs und die Rädchen werden aufs Feinste zurechtgeschliffen, bevor sie sich noch richtig zu drehen begonnen haben. „Aussenseiter“, „Querdenker“, „Systemkritiker“ haben hier schon von allem Anfang an keinen Platz. Und die Welt wird gnadenlos zweigeteilt: Oben jene, die über ökonomische Zusammenhänge nachdenken, sie analysieren, darüber Dissertationen und Bücher schreiben und für all das meist gar nicht schlecht bezahlt werden. Unten jene, die für viel weniger Geld mit ihrer täglichen Arbeit als Krankenpflegerinnen, Bauarbeiter, Köchinnen, Putzfrauen, Buschauffeure, Hausfrauen und Verkäuferinnen an vorderster Front genau das verkörpern, was schliesslich diese Wirtschaft, über welche die „Expertinnen“ und „Experten“ nur gescheit reden und nachdenken, in ihrer Gesamtheit ausmacht. Solcherlei Expertentum und Elitedenken ist letztlich höchst undemokratisch und müsste dringendst aufgewirbelt werden, indem zukünftige „Ökonomen“ und „Ökonominnen“ über Erfahrungen in verschiedenen Berufsfeldern an der Basis der Arbeitswelt verfügen und auch Menschen mit „schrägen“, unkonventionellen Biografien Zugang zu den „höchsten“ Stufen der Wissenschaft haben müssten. Damit auch andere Denkrichtungen neben dem kapitalistischen Mainstream eine Chance hätten und die Institutionen der akademischen Welt nicht bloss Aufbewahrungs- und Konservierungsorte althergebrachter Traditionen wären, sondern Orte innovativer, kreativer Zukunftsgestaltung. Leider geht, wie Straumann in seinem Artikel ausführt, der aktuelle Trend genau in die entgegengesetzte Richtung: „Nachwuchsleute mit unkonventionellen Biografien haben es nicht nur in den Wirtschaftswissenschaften, sondern in allen Sozial- und Geisteswissenschaften zunehmend schwer. Ein neues Zeitalter des Konformismus ist angebrochen.“

99-Prozent-Initiative: Und wieder solidarisieren sich die Armen mit den Reichen

 

Nachdem erste Meinungsumfragen noch ein knappes Ja für die 99-Prozent-Initiative gezeigt hatten, ist die Zustimmung gemäss einer neuen Umfrage von Tamedia und „20 Minuten“ auf 40 Prozent gesunken. Was so mancher Initiative aus dem linksgrünen Lager schon in der Vergangenheit immer und immer wieder passierte, scheint sich einmal mehr zu wiederholen: Der erste Eindruck, die erste Reaktion, das erste Bauchgefühl sagt Ja – unter dem Eindruck einer meist finanzstarken Gegenpropaganda und gezielt geschürter Ängste zerbröselt die anfängliche Zustimmung immer mehr und endet meist mit einer mehr oder weniger deutlichen Ablehnung. Unglaublich: Nur ein winziger Teil der Bevölkerung, die Reichen und Reichsten, wären von dieser Initiative und der von ihr geforderten Erhöhung der Steuer auf hohe Kapitalgewinne betroffen. Alle anderen würden in Form höherer Steuergelder davon profitieren. Und doch wird aller Voraussicht nach einmal mehr die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung gegen ihre Interessen stimmen und sich in ihr eigenes Fleisch schneiden. Wie ist das zu erklären? Erstens scheint der grossen Mehrheit der Bevölkerung nicht bewusst zu sein, wie Reichtum zustande kommt. Immer noch geistert das Märchen vom Tellerwäscher herum, der es mit harter Arbeit schaffte, schliesslich Millionär zu werden. Tatsächlich aber ist der grösste Teil jenes Reichtums, der sich in den Händen der Reichen und Reichsten befindet, nicht erarbeitet, sondern geschenkt. Sei es durch Erbschaften, durch den Handel und das Vermieten von Immobilien, durch Finanz- und Rohstoffgeschäfte und durch Gewinnbeteiligungen in Form von Dividenden oder anderen Kapitalanlagen, die alle nur deshalb so lukrativ sind, weil Hunderttausende von „Büezern“ und „Büezerinnen“ für ihre tägliche Schufterei viel weniger Geld bekommen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Dass es Geschenke und nicht Früchte harter Arbeit sind, zeigt sich nur schon darin, dass ein einziges Prozent der Schweizer Bevölkerung über mehr als 40 Prozent aller Vermögenswerte verfügt – so viel kann man auch durch härteste Arbeit gar nicht wirklich verdienen. Es ist somit wohl nicht übertrieben, zu behaupten, dass das Geld in den Händen der Reichen und Reichsten nicht nur geschenktes, sondern sogar im eigentlichen Sinne geraubtes Geld ist. Noch krasser wird es, wenn wir uns das Vermögen der 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer anschauen: Diese besitzen nämlich 709 Milliarden Franken – eine Summe, die dem jährlichen Militärbudget der USA entspricht! Der so genannte Gini-Koeffizient gibt an, wie gerecht der Wohlstand in einem Land verteilt ist. Liegt er bei Null, besitzt jeder so viel wie alle anderen. Läge der Index hingegen bei eins, so gehörte einem Einzelnen alles. Die Schweiz steht bei 0,48 – im internationalen Vergleich ein schlechter Wert. Die UNO gibt für alle Länder, die über 0,4 liegen, eine Warnung betreffend zu grosse Vermögensunterschiede aus und definiert einen Wert von 0,6 als Hinweis für eine mögliche zukünftige Revolution! Zweitens stellen wir, was die Schweiz betrifft, ein auf den ersten Blick nahezu unbegreifliches Phänomen fest: Obwohl das Gesamtvermögen in so wenigen Händen konzentriert ist und sich unaufhörlich die Arbeit der Armen in das Kapital der Reichen verwandelt, solidarisieren sich in unserem Land dennoch nicht etwa die Reichen mit den Armen, sondern die Armen mit den Reichen! Nur wenige empören sich über die Hungerlöhne und die Arbeitsbedingungen auf den untersten Rängen der gesellschaftlichen Machtpyramide und die sagenhaften Reichtümer in den Händen der Reichen. Aber viele bemitleiden den Reichen, der heute schon erhebliche Steuern zahle und dem man nicht noch weitere Lasten aufbürden könne, ohne der „Wirtschaft“ erheblichen Schaden zuzufügen. Und dann ist da noch, drittens, die Abstimmungspropaganda. Eigentlich geradezu grotesk: Ausgerechnet ein Teil jenes Geldes, das von den Reichen den Armen auf unzähligen unsichtbaren Wegen abgeknöpft worden ist, wird nun dazu verwendet, gegen die 99-Prozent-Initiative Werbung zu betreiben: In der „Schweiz am Wochenende“ veröffentlichen die Jungfreisinnigen ein doppelseitiges Inserat für 114’350 Franken, in der „Sonntagszeitung“ wird ein Inserat für 67’165 Franken folgen. Von so viel (gestohlenem) Geld können die Initiantinnen und Initianten der 99-Prozent-Initiative nur träumen. Und so werden am 26. September 2021 höchstwahrscheinlich nicht nur die 99-Prozent-Initiative der Juso, sondern auch ein kleiner, aber hoffnungsvoller Schritt von ein klein wenig mehr sozialer Gerechtigkeit zu Grabe getragen und das Märchen von den Reichen, die sich ihren Reichtum hart erarbeitet haben, und von den Armen, die an ihrer Armut selber Schuld seien, wird unbeirrt weitergeträumt…

Modebranche: Zehnmal höhere klimaschädliche Emissionen als der Flugverkehr

 

Kleider und Schuhe kosten in den USA, so berichtet der „Tagesanzeiger“ am 31. August 2021, inflationsbedingt 50 Prozent weniger als 1990. Grund ist der erbitterte Preiskampf zwischen den verschiedenen Herstellern um die Gunst der Kundschaft. So etwa unterbieten sich Bohoo und Pretty Little Thing, zwei britische Billigketten, gegenseitig mit Preisen von 5 bis 6 Pfund für ein Sommerkleid. Die Folge: Es wird um ein Vielfaches mehr gekauft, als man eigentlich sinnvollerweise bräuchte. Und so landet von den weltweit 100 Milliarden Kleidungsstücken gemäss einer UBS-Studie mehr als die Hälfte innert einem Jahr auf der Müllhalde oder in einer Verbrennungsanlage. In den USA werfen Frauen sogar 60 Prozent ihrer neuen Kleider weg, ohne dass sie diese auch nur ein einziges Mal getragen haben. Das bleibt nicht ohne katastrophale Auswirkungen auf die Umwelt: Während der Flugverkehr für 2 bis 3 Prozent klimaschädlicher Emissionen verantwortlich ist, muss sich die Modebranche fast zehn Prozent anrechnen lassen. Jährlich fallen der Modeindustrie allein für Rayon- und Viscosefasern 200 Millionen Bäume zum Opfer. Zudem werden ausschliesslich für Verpackungsmaterialien 3,5 Milliarden Bäume verbraucht. Doch die Modebranche ist nur eines von zahlreichen Beispielen, die zeigen, auf wie wackligen Füssen unsere bisherigen Anstrengungen gegen den Klimawandel stehen. Eine Erhöhung der Benzinpreise, eine Flugticketabgabe oder Heizungs- und Gebäudesanierungen – alles gut gemeint, aber letztlich doch nicht mehr als ein paar Tropfen auf einen heissen und sogar immer noch heisser werdenden Stein. Dieser heisse Stein, das ist eine Weltwirtschaft, die stärker brummt denn je zuvor. Eine Wirtschaft, die uns Menschen in den reichen Ländern täglich neue „Bedürfnisse“ aufzuschwatzen sucht. Eine Wirtschaft, die Bäume am einen Ende der Welt fällt, um sie als Möbelstücke am anderen Ende der Welt zu verkaufen. Eine Wirtschaft, die in immer kürzeren Intervallen neue elektronische Kommunikationsmittel entwickelt und uns weiszumachen versucht, dass unser zwei Jahre altes Smartphone schon nicht mehr zeitgemäss sei, während die bereits unermesslich hohen Elektroschrottberge irgendwo in Afrika immer noch weiter in den Himmel wachsen. Eine Wirtschaft, die uns vorgaukelt, das Fahren mit einem SUV sei ein so grosses Vergnügen, dass niemand, der es sich leisten kann, darauf verzichten sollte. Eine Wirtschaft, die uns so viele Nahrungsmittel zu so geringen Preisen anbietet, dass wir viel zu viel kaufen und ein Drittel davon im Müll landet – während gleichzeitig eine Milliarde Menschen weltweit nicht genug zu essen haben. Wer, im Zusammenhang mit dem Klimawandel, nur an die CO2-Emissionen denkt, der denkt viel zu kurz. Es geht nicht ausschliesslich um die Klimaerwärmung. Es geht im weitesten Sinne um unsere Lebensgrundlagen als Ganzes. Es geht um die natürlichen Ressourcen, um einen nachhaltigen Umgang mit Rohstoffen, um saubere Luft, um sauberes Trinkwasser, um den Fortbestand von Wäldern, natürlichen Lebensräumen und das Weiterleben von Pflanzen und Tieren. Wer sich einbildet, ein paar punktuelle Massnahmen würden genügen und dann könnten wir wieder in alter Gewohnheit unseren verschwenderischen Lebensstil weiterführen, wird sich höchstwahrscheinlich täuschen. Es braucht mehr, viel mehr als das. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen all dem, was ausser Rand und Band geraten ist. Ein Gleichgewicht zwischen den Menschen und ihrem universellen Recht auf die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse anstelle von masslosem Reichtum auf der einen und massloser Armut auf der anderen Seite. Ein Gleichgewicht zwischen den Menschen, die hier und heute leben, und all den Generationen, die ihnen folgen werden. Ein Gleichgewicht zwischen dem, was die Menschen verbrauchen, und dem, was die Natur wieder nachwachsen lässt. Ein Gleichgewicht zwischen dem, was die Wirtschaft produziert, und dem, was die Menschen tatsächlich zur Erfüllung eines guten Lebens brauchen. Denn, wie schon Mahatma Gandhi sagte: „Die Erde hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.“

Deutsche Bundestagswahlen: Wo sind die Visionen?

 

Erste öffentliche TV-Debatte auf RTL am 29. August 2021 zwischen Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet. Doch wer genau hingehört hat, dem muss aufgefallen sein: Nur auf den ersten Blick ging es dabei um unterschiedliche politische Positionen und Programme zwischen den drei Parteien und den drei Kanzlerkandidaten. Denn im Kern waren sich alle einig: Der Kapitalismus bleibt als herrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung unangetastet, die Frage nach einer „Systemänderung“ ein Tabu, an dem nicht gerüttelt wird, nicht einmal von den „Linken“, die am „Kanzlergipfel“ infolge ihrer tiefen Umfragewerte schon gar nicht einmal vertreten waren. Somit gaukeln die verschiedenen Parteien eigentlich nur eine demokratische Vielfalt vor, während sie tatsächlich nichts anderes sind als die Fraktionen einer grossen kapitalistischen Einheitspartei. Dabei wäre die Frage nach einer Systemänderung, nach einer Überwindung des Kapitalismus drängender, ja geradezu lebensnotwendiger denn je. 500 Jahre Kapitalismus haben unseren Planeten an den Abgrund gefahren: Während er einer kleinen Minderheit der Weltbevölkerung sagenhaften Reichtum beschert hat, wurden ganze Länder und halbe Kontinente ins Elend gestürzt. Auch in den „reichen“ Ländern sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich grösser denn je und nehmen laufend noch zu. Zudem haben die Unersättlichkeit und Profitgier des kapitalistischen Wachstumsprinzips dazu geführt, dass schon weite, früher fruchtbare Lebensräume unbewohnbar geworden sind und der fortschreitende Klimawandel das Überleben ganzer zukünftiger Generationen in Frage stellt. Wie wenn das alles noch nicht genug wäre, haben der weltweite kapitalistische Konkurrenzkampf um Märkte und Rohstoffe und das damit verbundene Wettrüsten dazu geführt, dass heute weltweit Waffenarsenale zur Verfügung stehen, welche die Menschheit gleich mehrfach vernichten könnten. Noch ist es nicht ganz so weit, doch wir stehen unmittelbar davor: Es kommt der Punkt, da gibt es keine Kompromisse mehr, keine Kompromisse mit der Natur, keine Kompromisse mit der Gerechtigkeit, keine Kompromisse mit dem Frieden, nur noch ein Scheideweg, der auf der einen Seite in den Abgrund führt, auf der anderen in ein von Grund auf neues Zeitalter. Der Schritt in dieses neue Zeitalter wird nicht gehen ohne ein neues Denken, eine neue Sprache, eine neue Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Sanftmut und Liebe. Die Jugendlichen der Klimabewegung leben es uns vor: Da ist etwas Neues in die Welt gekommen, noch zaghaft, aber unbeirrt und voller Lebenskraft. Eine neue Zeit, in der nicht mehr wohlgeschliffene Politiker mit ihren jahrhundertealten Worthülsen das Sagen haben, sondern Philosophen und Poetinnen, die uns eine neue Geschichte erzählen, Kinder und Jugendliche, die von einer Welt in Frieden und Gerechtigkeit träumen. Als die DDR 1989 kollabierte und das sozialistische Schiff unterging, gab es ein zweites Schiff, auf das sich die Menschen retten konnten, das kapitalistische Schiff der „Freien Marktwirtschaft“. Heute ist es schwieriger. Jetzt, wo auch das kapitalistische Schiff in tödliches Schlingern geraten ist, steht kein drittes Schiff zur Verfügung, welches uns retten könnte. So braucht es unsere ganze Phantasie, unsere ganze Erfindungsgabe, um ein drittes Schiff zu bauen, das uns in die Zukunft tragen kann. Ob nicht auch Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet, ja wir alle diesen Traum insgeheim tief in unseren Herzen tragen, jenen Traum von einer friedlichen und gerechten Welt, der für jedes Kind schon bei seiner Geburt lebendig ist, ein Traum, der uns alle gegenseitige Rechthaberei, jedes gegenseitige Machtgebaren und alle gegenseitigen Schuldzuweisungen vergessen machen und uns Menschen weltweit miteinander verbinden könnte? Ganz so, wie es schon vor über 50 Jahren der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King vorausgesehen hatte, als er sagte: „Entweder lernen wir, als Brüder und Schwester gemeinsam zu überleben, oder wir gehen als Narren miteinander unter.“

Höchste Zeit für eine neue Kultur der Bescheidenheit und der Sanftheit

 

Bescheidenheit, Grosszügigkeit, Nächstenliebe und Sanftheit sind, wie die „Wochenzeitung“ vom 26. August 2021 berichtet, die wesentlichen Elemente des Sufismus, einer islamischen Lehre, welche Afghanistan über tausend Jahre lang wesentlich prägte. Nicht ohne Grund bezeichnet man deshalb heute die Literatur, die Musik, die Kalligrafie und die Architektur dieser mystischen Bewegung  als eines der wichtigsten afghanischen Kulturerben. Der Sufismus geht davon aus, dass alle Menschen – unabhängig von Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht und Religion – einen göttlichen Funken in sich tragen, der ihnen Würde verleiht. Mit dieser Grundhaltung könnte der Sufismus im heutigen Afghanistan wesentlich dazu beitragen, die tiefgreifenden ethnischen Spaltungen und Machtkämpfe im Land zu überwinden. Doch leider hat der Sufismus im Gefolge jahrzehntelanger kriegerischer Auseinandersetzung immer mehr an Boden verloren und ist von Hass, Intoleranz, Gewalt und Krieg überrollt worden. Auch haben es die westlichen Besatzungskräfte unter der Führung der USA versäumt, beim „Nationbuilding“, dem Aufbau eines „modernen“ afghanischen Staatsgefüges, auf die so wertvolle, jahrtausendealte Tradition des Sufismus zurückzugreifen. Dabei wäre die Botschaft des Sufismus nicht nur für Afghanistan, sondern ganz allgemein in der heutigen Zeit weltweiter Spaltungen, Krisen und Bedrohungen aktueller denn je: dass jeder sich bemüht, in seinem vermeintlichen „Gegner“ jenen „göttlichen Funken“ zu sehen, der ihm Würde verleiht. Dabei müssen wir nicht einmal in die USA zu den erbitterten Machtkämpfen zwischen Republikanern und Demokraten, zum Konflikt zwischen Brexitbefürwortern und Brexitgegnern in Grossbritannien, zu den Spannungen zwischen radikalen Moslems und radikalen Hindus in Indien oder in den deutschen Bundestag schauen, wo sich die Abgeordneten der verschiedenen Parteien gegenseitig in Grund und Boden schimpfen. Wir können uns auch bei der eigenen Nase nehmen und uns die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern von Coronaschutzmassnahmen und Impfungen vor Augen führen, dies mitten in einem Land wie der Schweiz, das auf seine demokratische Tradition doch so stolz ist. Diese Gehässigkeiten haben mittlerweile ein so hohes Mass erreicht, dass Gesundheitsminister Alain Berset bei seinem heutigen TV-Auftritt in der Sendung „Arena“ sogar von einem Sonderkommando vor möglichen Tätlichkeiten geschützt werden muss. Von der sufistischen Weisheit, wonach jeder Mensch einen „göttlichen Funken“ in sich trägt, der alle Menschen miteinander verbindet, sind wir meilenweit entfernt. Dabei ist all das, was Menschen miteinander verbindet – auch wenn sie noch so zerstritten sein mögen -, doch allemal viel grösser und wesentlicher als das, was sie voneinander trennt. Nicht umsonst steht die Forderung der Feindesliebe auch im Zentrum der christlichen Überlieferung. Haben wir das alles vergessen? Erinnern wir uns an unsere christlichen Wurzeln immer nur noch dann, wenn gerade Ostern oder Weihnachten gefeiert wird? Vielleicht stehen wir ja gerade heute weltweit an einem Scheideweg, der keinen Mittelweg mehr zulässt: Entweder folgen wir dem Weg der Liebe, der Sanftheit, der Bescheidenheit. Oder dem Weg des Hasses und der Gewalt bis hin zu ihrer extremsten Form, dem Krieg. Dies hatte wohl schon der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King vor über 50 Jahren mit prophetischem Weitblick vorausgesehen, als er sagte: „Wenn wir nicht lernen, miteinander als Brüder und Schwestern zu leben, werden wir als Narren miteinander untergehen.“

Berichterstattung über die jüngsten Ereignisse in Afghanistan: Nicht einmal die halbe Wahrheit…

 

Wenn man die Berichterstattung über die jüngsten Ereignisse in Afghanistan verfolgt, dann fällt auf, dass die historische Rückschau meist erst am 11. September 2001 beginnt: Der US-amerikanische Einsatz gegen Afghanistan als „Rachefeldzug“ gegen die Drahtzieher des Terroranschlags auf das World-Trade-Center in New York mit rund 3000 Opfern. Doch das ist nicht einmal die halbe Wahrheit. Erstens war es niemand anders als die USA, welche zur Zeit der Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion (1979-1989) die gegen die Sowjets kämpfenden Rebellen der Mudschaheddin massiv ideologisch und militärisch unterstützten – genau jene aus der damaligen Sicht der USA „guten“ Mudschaheddin, welche sich dann später sozusagen über Nacht, oh Schreck, in die „bösen“ Taliban verwandeln sollten. Zweitens ist bis heute nicht eindeutig erwiesen und es gab darüber auch nie eine umfassende, breit abgestützte Untersuchung, wer tatsächlich hinter den Anschlägen auf das World-Trade-Center steckte. Sicher ist nur, dass die beteiligten Terroristen und Flugzeugentführer nicht aus Afghanistan stammten, sondern aus Saudi-Arabien. Drittens ist bekannt, dass der damalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld beim Angriff auf Afghanistan sowie zwei Jahre später beim Angriff auf den Irak als höchst unzimperlicher Kriegstreiber, der gerne auch mal die Wahrheit zu seinen Gunsten zurechtbog, eine zentrale Rolle spielte. Gut möglich, dass er schon seit Längerem mit einer Invasion Afghanistans geliebäugelt hatte und nun die Terroranschläge vom 11. September 2001 genau die ideale Gelegenheit bildeten, endlich loszuschlagen. Es gibt, man sollte es nicht vergessen, immer auch noch die These, die US-Regierung hätte den Anschlag auf das World-Trade-Center selber inszeniert, um einen Vorwand für den Einmarsch in Afghanistan zu haben. Auch wenn man diese These als Hirngespinst abtun mag, so ist doch höchst erstaunlich, dass alle diese offenen und ungeklärten Fragen rund um die Afghanistaninvasion in der aktuellen medialen Berichterstattung kaum eine Rolle spielen und der US-Angriff auf Afghanistan weiterhin als reine Vergeltung für die Anschläge vom 11. September 2001 legitimiert bleibt – und dies alles unbeschadet der Tatsache, wie viel Leiden dieses militärische Engagement der USA insbesondere unter der afghanischen Zivilbevölkerung mit insgesamt fast 50’000 Opfern über zwei Jahrzehnte hinweg angerichtet hat. Zählt man die Opfer unter den Taliban, dem afghanischen und dem Militär der Invasionstruppen dazu, kommt man gar auf rund 240’000 Tote – 80 Mal mehr, als die Anschläge auf das World-Trade-Center gefordert hatten…

Das Geldgefälle und die doppelte Ausbeutung der Dienenden durch die Herrschenden

 

Es ist alles eine Frage des Geldgefälles. Wer viel Geld hat, befiehlt. Wer wenig Geld hat, ist dazu verdammt, sich in den Sklavendienst des Reichen zu begeben. Wer genug Geld hat, kann zwanzig Arbeiter anstellen, die ihm ein Haus bauen, Arbeiter, von denen es sich die meisten nie werden leisten können, selber jemals in einem eigenen Haus zu wohnen. Wer genug Geld hat, kann sich ein Wohnmobil leisten, welches von Fabrikarbeiterinnen und Fabrikarbeitern hergestellt wurde, von denen sich die wenigsten jemals ein eigenes Wohnmobil leisten können. Wer genug Geld hat, kann sich im Modegeschäft ein extravagantes Abendkleid kaufen, das sich weder die Näherin des Kleides noch die Verkäuferin, welche die Kundin berät, jemals wird leisten können. Wer genug Geld hat, kann im Luxusrestaurant essen, wo Köche, Köchinnen und Serviceangestellte arbeiten, die sich ein solches Essen selber niemals leisten könnten, und er kann im Luxushotel übernachten, wo Zimmermädchen das Bett herrichten und alles saubermachen, die sich selber niemals eine Übernachtung in einem solchen Hotel leisten könnten. Aber das alles ist nur die eine Seite der Ungerechtigkeit. Die andere besteht darin, dass der Reiche ja nicht deshalb reich ist, weil er besonders viel dafür geleistet hat. Vielleicht ist ein grosser Teil seines Vermögens vererbt, vielleicht hat er ein goldenes Händchen beim Anlegen von Aktien oder anderen Kapitalanlagen, vielleicht besitzt er gewinnbringende Immobilien, vielleicht hat er auch ganz einfach Glück gehabt und sich einen Job ergattert, bei dem er locker zehn oder zwanzig mal mehr verdient als andere, ohne deswegen zehn oder zwanzig mal länger oder härter arbeiten zu müssen. Da aber Geld bekanntlich nicht auf den Bäumen wächst und bisher auch noch nie vom Himmel gefallen ist, bedeutet dies, dass jeder Franken, den der Reiche besitzt, ein Franken ist, der dem Armen fehlt. So haben wir es mit einer doppelten Ausbeutung zu tun: Zuerst beklaut der Reiche den Armen auf zahllosen verschlungenen, teils sichtbaren und teils unsichtbaren Wegen. Und dann wird der Beklaute zum Sklaven, zur Sklavin des Reichen, weil ihm ja nichts anderes übrigbleibt, als Arbeit zu verrichten, deren Früchte nun wiederum in erster Linie den Reichen zugute kommen oder ihn sogar noch reicher machen, als er schon ist. Lösen lässt sich diese doppelte Ungerechtigkeit, so utopisch dies klingen mag, nur durch die Einführung eines Einheitslohns und die Begrenzung des Vermögens auf eine Summe, an der alle, ob Bauarbeiter, Krankenpflegerin oder Rechtsanwältin, den gleich grossen Anteil haben. Damit jegliches Geldgefälle verschwunden und niemand mehr gezwungen ist, sich in den Sklavendienst eines anderen zu begeben. Alle würden miteinander auf Augenhöhe leben und arbeiten, alle würden sich gegenseitig dienen und alles wäre Tauschen und Teilen zwischen Gleichberechtigten. Dann, wenn alle die genau gleich langen Spiesse hätten, könnte sogar so etwas wie „Freie Marktwirtschaft“ funktionieren, die dann aber frei wäre von jeglicher Ausbeutung. Selbstredend, dass dies weltweit gelten müsste, denn sonst würde der Sklavendienst nur endlos weitergehen, nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch von Land zu Land. Wie oft und wie abgedroschen ist das Gerede von der „sozialen Gerechtigkeit“! Doch dies ist ein ernsthafter Begriff. Soziale Gerechtigkeit ist nicht erreicht, wenn Renten um ein paar Prozent erhöht werden oder man lächerlich niedrige Mindestlöhne einführt. Soziale Gerechtigkeit ist kein dehnbarer und relativer Begriff. Sie ist ein universelles Menschenrecht. Und sie wird erst an dem Tag Wirklichkeit geworden sein, wenn es zwischen Menschen kein Geldgefälle mehr gibt und damit auch keine wirtschaftliche Abhängigkeit und keinen Sklavendienst. Die Abschaffung der Sklaverei, zu früh gefeiert, steht uns erst noch bevor…