Der Flugpassagier und das Kabinenpersonal, das eines Tages einfach keine Lust mehr hatte, „lustvoll“ zu arbeiten…

 

M.G. berichtet am 20. August 2021 in „20minuten“ von seinem Flug von Dubai nach Zürich. Der Sitz sei dreckig gewesen, am Boden seien Abfälle herumgelegen und: „Das Personal hatte nicht besonders Bock zu arbeiten und auch keine grosse Lust, den Müll zu entsorgen.“ Aha! Da stellt man immer weniger Personal während immer längerer Arbeitszeiten zu immer kleinerem Lohn an und dann erwarten die Kundinnen und Kunden trotzdem, dass die „mit Lust“ ihren Abfall wegräumen. Auch die Gäste im Speiserestaurant erwarten, dass sie „lustvoll“ bedient werden, auch wenn die Füsse der Serviceangestellten vom vielen Herumlaufen und Tragen der Tablette noch so brennen. Gewiss erwarten sie auch, dass das Essen „lustvoll“ zubereitet wurde – auch wenn das Arbeit in der Küche bei 40 Grad und mit Gesichtsmaske die reine Hölle ist. Auch die Zimmermädchen in den Hotels sollen das Zimmer „lustvoll“ herrichten, auch wenn sie unter ständigem Zeitdruck stehen und ekligste Rückstände der Gäste entsorgen müssen. Auch die Krankenpflegerinnen, Friseusen, Verkäuferinnen und die Arbeiter in der Kanalisation, in Baugruben und Tunnels sollen „lustvoll“ arbeiten. Manchmal frage ich mich, wie viel es wohl noch braucht, bis sie alle, die unter miesesten Bedingungen schwerste Arbeit verrichten und dennoch stets freundlich, fleissig und „lustvoll“ sein sollen, ihre Besen, Schaufeln und Pfannen weit von sich werfen und sagen: Jetzt ist genug. Verhindert wird dies wohl nur dadurch, dass über alledem ein riesiger Trugschluss, eine riesige Lüge liegt, welche sowohl die Arbeitenden wie auch jene, die von dieser Arbeit profitieren, so sehr in sich aufgesogen haben, dass sie sich etwas grundlegend anderes schon gar nicht mehr vorstellen können. Die Lüge nämlich, dass Arbeiterinnen und Arbeiter „froh“ und „dankbar“ sein müssten, überhaupt eine Arbeitsstelle zu haben, um sich ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. Und dass sie deswegen auch bereit sein müssten, noch so miese Arbeitsbedingungen in Kauf zu nehmen, sich von noch so ekligen Kundinnen und Kunden schikanieren zu lassen und auch dann noch „lustvoll“ zu arbeiten, wenn sie übelste, anstrengendste und beschwerlichste Tätigkeiten verrichten müssen. Eigentlich müsste man alles umdrehen: Nicht die „Arbeitnehmenden“ müssten dankbar sein dafür, arbeiten zu „dürfen“. Nein, die „Arbeitgebenden“, müssten dankbar sein für die Leistung, welche die „Arbeitnehmenden“ ihnen zur Verfügung stellen. So gesehen müsste man konsequenterweise auch die Begriffe des „Arbeitgebers“ und des „Arbeitnehmers“ umkehren. Die Arbeitenden sind es ja, welche ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, während die „Arbeitgeber“ tatsächlich bloss jene sind, welche diese Arbeitskraft in Anspruch nehmen. Das höchste Gut ist eben nur vermeintlich das Kapital in den Händen des „Arbeitgebers“. Tatsächlich aber ist das höchste Gut die Leistungsbereitschaft, die Intelligenz, die körperlichen Kräfte, das manuelle Geschick, die Phantasie und die Kreativität der so genannt „Arbeitnehmenden“. Wäre all das nicht abrufbar, dann würde sich auch die beste Firma mit  dem grössten Kapital von einer Sekunde zur andern in Luft auflösen und der Passagier, der sich im Flug von Dubai nach Zürich über einen dreckigen Sitz und herumliegende Abfälle ereifert hat, könnte seinen Dreck selber wegräumen…

Eine Vision: Die Universitäten als Brennpunkte gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Zukunftsgestaltung

 

Im Samstagsgespräch des „Tagesanzeigers“ vom 14. August 2021 befasst sich die Ökonomin Isabel Martinez mit den wachsenden Unterschieden zwischen Arm und Reich, dem Einfluss der Bildung auf den Wohlstand und der 99-Prozent-Initiative der schweizerischen Juso. „Vermögen und Einkommen in der Schweiz“, so Martinez, “ sind seit den 90er-Jahren überproportional gewachsen, das oberste 0,01 Prozent der Bevölkerung hat in den 90er-Jahren zwischen 4,5 und 6 Prozent aller Vermögen gehalten, jetzt sind es zwischen 8 und 12 Prozent. Das Kuchenstück der Reichen hat sich also in den letzten zehn Jahren verdoppelt.“ Auf die Frage, weshalb das so sei, lacht Martinez und meint: „Wenn ich diese Frage so einfach beantworten könnte, könnte ich auf den Nobelpreis spekulieren.“ Ich staune. Ich bin zwar alles andere als ein Nobelpreisträger und meine ökonomischen Kenntnisse würde ich eher als rudimentär bezeichnen. Dennoch weiss ich, wie bald jedes Kind, dass stets Reichtum Voraussetzung ist für noch mehr Reichtum. Ich weiss, dass einmal vorhandenes Geld, genug geschickt angelegt, stets die Tendenz hat, sich selber zu vermehren. Ich weiss auch, dass ein Unternehmen dann am meisten Gewinn macht, wenn die Differenz zwischen Aufwand und Ertrag möglichst gross ist, was nichts anderes heisst, als dass Firmenbesitzer, Managerinnen und Aktionäre ihre Erträge indirekt daraus generieren, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weniger verdienen, als ihre Arbeit eigentlich Wert wäre. Ich weiss auch, dass von jedem Franken, den ich im Supermarkt ausgebe, der kleinste Teil an die Produzentinnen und Produzenten, der grösste Teil aber an die höheren Angestellten, die Firmenchefs und allfällige Kapitalbeteiligte geht. Ich weiss auch, dass man durch den Besitz von Immobilien, die man möglichst gewinnbringend vermietet, sagenhaft reich werden kann, ohne dafür einen Finger krumm machen zu müssen. Und ich weiss auch, dass die meisten Reichen nicht zuletzt deshalb so reich sind, weil sie bereits angehäuftes Kapital von der vorangegangenen Generation, die ihrerseits schon weit überdurchschnittlich reich war, erben konnten. Dass die Ökonomin dies alles nicht zu wissen scheint und die wachsenden Unterschiede zwischen Arm und Reich eher als so etwas wie ein Naturereignis betrachtet, dem man machtlos gegenübersteht, zeigt, wie sehr eben auch Ökonominnen und Ökonomen – oder zumindest die meisten unter ihnen – Teil dieses kapitalistischen Systems sind, das uns alle bis in unsere äussersten Hirnwindungen durchdringt. Ein System, das uns vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen lässt. Ein System, das wir von klein auf in uns aufgesogen haben, so dass wir uns etwas grundlegend anderes schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen. Selbst sämtliche unserer Hochschulen, wo doch angeblich die gescheitesten, neugierigsten und kritischsten Menschen sitzen müssten, verkünden das Hohe Lied des „freien Marktes“, was aber bloss ein anderes Wort für Kapitalismus ist. Wird nicht stets an allen Ecken und Enden der „freie Wettbewerb“ propagiert? Dann sollte dies aber nicht nur ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Automarken, Küchengeräten und Turnschuhen sein, sondern auch ein Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsvisionen, von denen der Kapitalismus dann nicht mehr die alleinseligmachende wäre. Dann wären Hochschulen auf einmal nicht mehr nur Vermittlerinnen von althergebrachtem Wissen, sondern Brennpunkte radikaler Zukunftsgestaltung – angesichts der heutigen sozialen, ökonomischen und ökologischen Bedrohungen dringender nötig denn je. Und dann würde eine Ökonomin, die man fragen würde, weshalb der Kapitalismus so sei wie er sei, sich kaum mehr verlegen lachend mit der Antwort abfinden, man müsste eben, um diese Frage zu beantworten, eine Nobelpreisträgerin sein.

Die Politik allein wird den Klimawandel nicht aufhalten können

 

Wenn die Lösung der Klimakrise nur von fähigen oder unfähigen Politikerinnen und Politikern abhängen würde, dann wäre es einfach. Doch nicht nur Politikerinnen und Politiker, sondern auch Konzernchefs und Finanzspekulanten, Arbeiterinnen und Arbeiter, Bürgerinnen und Bürger, ich und du – wir alle sitzen im gleichen goldenen Käfig des Kapitalismus. In diesem Käfig, dessen oberstes Gesetz der Wettbewerb ist: Auf Teufel komm raus schneller, produktiver, gewinnbringender zu sein als die Konkurrenz. Die kapitalistischen Wirtschaftsmächte vom kleinen Unternehmen bis zum multinationalen Konzern sind nicht darauf ausgerichtet, weltweit den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Sie sind darauf ausgerichtet, aus Geld noch mehr Geld zu machen, möglichst billige Rohstoffe in möglichst teure Endprodukte umzuwandeln und endlos neue Bedürfnisse zu schaffen – für all jene, die sich das leisten können, während alle anderen selbst auf das Allernotwendigste verzichten müssen. Und dies alles, damit das Wachstum, diese heiligste der heiligen Kühe des Kapitalismus, nur ja nie an ein Ende gelangt. Bei alledem befinden sich nicht nur die einzelnen kapitalistischen Betriebe des jeweiligen Landes, sondern auch die kapitalistischen Volkswirtschaften jeder einzelnen Nation weltweit in einem permanenten, sich gegenseitig immer mehr aufschaukelnden und beschleunigenden Konkurrenzkampf. Würde ein einzelnes Land das Pariser Abkommen buchstabengetreu erfüllen, dann wäre das für alle anderen Länder ein gefundenes Fressen und sie wären einen ihrer Konkurrenten los. Wie bei einem Wettlauf: Stolpert einer der Konkurrenten, dann steigt die Chance der übrigen auf den Sieg umso mehr. Daher kann die Politik alleine den Klimawandel nicht aufhalten. Auch ein Land alleine kann es nicht schaffen. Eine weltweite Abkehr von der kapitalistischen Wachstums- und Konkurrenzwirtschaft ist unabdingbar, hin zu einer global vernetzten Wirtschaft, deren oberstes Ziel nicht mehr Wachstum und Profitmaximierung ist, sondern die Erfüllung eines guten Lebens für alle, im Einklang mit der Natur und mit den Lebensbedürfnissen zukünftiger Generationen. „Entweder werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben, oder als Narren miteinander untergehen“ – so der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King. Es ist, als hätte er die Zeit, in der wir heute leben, auf prophetische Weise vorausgesehen…

Ein falsch verstandener Freiheitsbegriff und seine katastrophalen Folgen

 

Gegnerinnen und Gegner einschneidender Klimaschutzmassnahmen berufen sich gerne auf das „Recht auf Freiheit“. Das Recht darauf, so viele nötige oder auch unnötige Dinge zu kaufen, wie es das Haushaltsbudget nun einmal zulässt. Das Recht darauf, ein bärenstarkes Auto zu kaufen und damit so lange und so schnell und so weit zu fahren wie nur möglich. Das Recht darauf, den Urlaub auf Mallorca oder auf den Malediven zu verbringen. Das Recht darauf, täglich ein dickes Stück Fleisch auf dem Teller zu haben. Bei alledem geht leicht vergessen, dass Freiheit nie nur etwas Privates, sondern immer auch etwas Gesellschaftliches ist. Freiheiten, die ich nur deshalb ausüben kann, weil andere gleichzeitig darauf verzichten müssen, sind nicht echte Freiheiten, sondern bloss Privilegien auf Kosten anderer. Und diese anderen, das sind die zukünftigen Generationen. Je mehr unnötige Dinge wir konsumieren, je häufiger wir uns mit Auto oder Flugzeug fortbewegen, je mehr Fleisch wir essen – umso weniger wird von alledem denen übrig bleiben, die in 20 oder 50 Jahren auf diesem Planeten leben werden. Der äusserste Rahmen allen individuellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Tuns sollte daher nicht die „Freiheit“ – in der Gestalt von Privilegien auf Kosten anderer – sein, sondern die Gerechtigkeit. Nicht umsonst lautete die Parole der Französischen Revolution 1789: „Freiheit, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit“. Diese drei Werte sind unauflöslich miteinander verbunden, niemals lässt sich einer unabhängig von den anderen verwirklichen. Mehr denn müssten uns in diesen Tagen all die apokalyptischen Bilder und Meldungen sich weltweit jagender Katastrophen die Augen dafür öffnen, auf manch Liebgewonnenes zu verzichten. Nicht um die Freiheit zu verlieren, sondern im Gegenteil, um sie zu gewinnen für uns selber wie auch für alle Menschen weltweit hier und heute und für die nachfolgenden Generationen. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Kapitalismus schaffe Reichtum und Wohlstand? Schön wäre es…

 

Cheri Renfro berichtet im Podcast „Working People“ von ihrer Arbeit bei Frito-Lay im US-Bundesstaat Kansas. Frito-Lay ist einer der grössten US-Hersteller von Kartoffel- und Maischips. Die bereits vor der Coronapandemie äusserst anstrengende Arbeit sei infolge Corona noch viel schlimmer geworden, da die Pandemie einen Boom im Chipsgeschäft ausgelöst hätte. In den Warenhäusern von Frito-Lay herrschen im Sommer Temperaturen von über 37 Grad, die Arbeit sei körperlich anstrengend, dazu komme die Maskenpflicht. Mit einer Maske auf Leitern zu steigen und Kisten zu stapeln, so Renfro, sei bei so hohen Temperaturen kaum in gewohntem Tempo machbar. Selbst ohne Masken sei es bei solchen Temperaturen schon zu Todesfällen gekommen. Und jetzt habe man, weil viele Angestellte krankheitshalber ausgefallen seien, die Schichten sogar noch von 8 auf 12 Stunden verlängert und die Sechstagewoche sei immer mehr zur Regel geworden. Zeitweise seien daraus über Monate sogar sieben Tage geworden. Am meisten gehasst werde die „Selbstmordschicht““, bei der an eine Achtstundenschicht vier Stunden Überzeit angehängt würden und die darauffolgende Schicht dann vier Stunden früher beginne. So schlimm die Arbeitsbedingungen für die Angestellten, so hoch der Profit des Unternehmens. Der Umsatz, so Renfro, habe im letzten Jahr mehr als eine Milliarde Dollar über den Prognosen gelegen. Die Löhne dagegen seien nach wie vor tief. Auch in den Amazon-Warenhäusern, so Gabriel Mac, seien die Arbeitsbedingungen haarsträubend: Die Angestellten sind gezwungen, im Laufschritt durch das Warenhaus zu hetzen, denn die Zeit, die man benötigen darf, um einen Artikel auszusortieren, sei von einem elektronischen Taktgeber auf die Sekunde vorgeschrieben. Hunderte Male hätte Mac wegen der elektronischen Aufladung der Regale Stromschläge bekommen, doch die Firmenleitung hätte nichts dagegen unternommen. Die Arbeitszeit sei so eng getaktet, dass die Angestellten nur in kurzen Worten miteinander reden könnten. Selbst ein Schluck Wasser koste wertvolle Sekunden. Jede Sekunde, die jemand zu spät käme oder die Pause überziehe, hätte Strafpunkte zur Folge. Doch trotz der unmenschlichen Arbeitsbedingungen könnten sich, so Mac, die Angestellten immer weniger leisten. Selbst eine Zweizimmerwohnung zu marktüblichen Preisen sei für Angestellte im Niedrigstlohnsektor nicht mehr bezahlbar. Und auch eine Einzimmerwohnung könnten sich nur die allerwenigsten leisten. Bei diesen Schilderungen, die ich dem Online-Magazin „Infosperber“ vom 3. August 2021 entnommen habe, muss ich unwillkürlich an die Aussage eines allzu kapitalismusfreundlichen Zeitgenossen denken, der behauptete, kein Wirtschaftssystem hätte jemals so viel Reichtum und Wohlstand geschaffen wie der Kapitalismus. Ja, ganz Unrecht hatte er ja nicht, er vergass bloss hinzuzufügen, dass dieser Reichtum und dieser Wohlstand höchst ungleich verteilt sind. Fito-Lay und Amazon, zwei von Millionen und Abermillionen kapitalistischer Unternehmen weltweit, in denen sich Tag für Tag der Schweiss, das Blut und die Tränen der arbeitenden Menschen in den Luxus und den Reichtum der Reichen und Reichsten verwandeln. Wie viel Leid braucht es noch, bis das Märchen von der Menschenfreundlichkeit des Kapitalismus endgültig als Lüge entlarvt sein wird und die Zeit gekommen sein wird für ein von Grund auf neues Wirtschaftssystem, in dem nicht mehr Wachstum und Profitmaximierung, sondern die soziale Gerechtigkeit und das gute Leben für alle an oberster Stelle stehen werden…

Die Irrungen und Wirrungen der Freien Marktwirtschaft: Bald Flugzeuge ohne Passagierinnen und Passagiere in der Luft?

 

Die Start- und Landezeiten am Flughäfen sind – so der „Tagesanzeiger“ vom 30. Juli 2021 – fix an die einzelnen Airlines vergeben, damit diese den Flugplan gestalten und an das Netzwerk anpassen können. Normalerweise müssen mindestens 80 Prozent dieser vergebenen Startzeiten auch genutzt werden, ansonsten werden die betroffenen Slots neu vergeben. „Use it or lose it“, das ist die Regel. Interessenten für die besten Zeiten gibt es meist mehr als genügend, nicht umsonst gelten die Slots als Gold der Branche. Wer sich einmal Zeiten ergattert hat, die auch für die Fluggäste attraktiv sind, gibt diese nicht mehr freiwillig her. Nun haben freilich infolge der Coronapandemie die Flugfrequenzen massiv abgenommen. Zwar wurde die Auslastung der Slots auf 50 Prozent reduziert, doch manch eine Airline kann dennoch ihre Slots nicht mehr ausreichend sichern und droht sie an die Konkurrenz zu verlieren. Doch die Fluggesellschaften haben schon eine Lösung im Köcher: Man lässt die Flugzeuge innerhalb der vorgesehenen Slots dennoch fliegen, nur halt ohne Passagierinnen und Passagiere! Genau das könnte spätestens im kommenden Winter der Fall sein, wenn die Frequenzen der Fluggäste gegenüber den Sommermonaten deutlich tiefer sein werden. Leere Flugzeuge von A nach B und umgekehrt – in Zeiten der drohenden Klimakatastrophe genau das Richtige! Doch was auf den ersten Blick als totale Absurdität erscheint, ist nur eine von unzähligen Absurditäten, die mit dem Flugverkehr und dem „Freien Markt“, der angeblich stets alles vernünftig und aufs Beste regelt, verbunden sind. In diesem „Freien Markt“ herrscht zwischen den einzelnen Fluggesellschaften nicht Kooperation, sondern ein knallharter Konkurrenzkampf um jede einzelne Flugpassagierin, um jeden einzelnen Flugpassagier. Dies führt dazu, dass immer neue Billigairlines auf den Markt drängen, welche, um die bestehenden Fluggesellschaften auszustechen, die Fluggäste mit so tiefen Preisen anlocken, dass diese nicht einmal rentabel sind – Kampf auf der freien Wildbahn aller gegen alle: Wenn dann eines Tages der Gegner kaputtkonkurrenziert ist, kann man ja immer noch die Preise wieder anheben. So ist im gegenseitigen Kampf ums Überleben jede Airline gezwungen, möglichst tiefe Preise anzubieten. Dies wiederum hat zur Folge, dass sowohl bei der technischen Wartung wie auch beim Kabinenpersonal laufend gespart wird und die Flightattendants während längerer Arbeitszeiten zu tieferem Lohn eine grössere Anzahl von Gästen betreuen müssen als zuvor. Die tieferen Preise haben zudem zur Folge, dass man immer weiter und immer öfters ins Flugzeug steigt und die Badeferien auf den Malediven bald so selbstverständlich sind wie früher der Ausflug an den nahegelegenen Badesee am Stadtrand. Freilich hat dieser Boom infolge der Coronakrise einen erheblichen Dämpfer erlitten. Doch alles deutet darauf hin, dass es schon bald in gewohnter Weise und vielleicht in noch grösserem Umfang weitergehen wird als je zuvor, hat sich doch an den Grundstrukturen des „Freien Markts“, des Kampfs aller gegen alle, der Billigpreise und der Verlockung, in möglichst kurzer Zeit und möglichst billig die ganze Welt zu erkunden, grundsätzlich nichts geändert. Angesichts so vieler Absurditäten und der immer bedrohlicher sich abzeichnenden Gefahr eines weltweiten Klimakollapses sind mehr oder weniger radikale Lösungsvorschläge denkbar. Der radikalste wäre, das Fliegen zu reinen Ferien- und Vergnügungszwecken gänzlich abzuschaffen. Wer eine solche Idee als „extrem“ bezeichnen würde, dem sei in Erinnerung gerufen, dass es hier um Privilegien geht, von denen nur eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung profitiert, während eine Mehrheit der Weltbevölkerung, die sich niemals eine Flugreise leisten könnte, ausgerechnet umso mehr von den Folgen des Klimawandels jetzt schon existenziell betroffen ist. Der weniger radikale Lösungsvorschlag würde darin bestehen, die Fluggesellschaften zu verstaatlichen und den unsinnigen gegenseitigen Konkurrenzkampf mit allen seinen Absurditäten bis hin zu Flugzeugen, die ohne Passagiere in der Luft fliegen, ein für allemal zu beenden…

Hochleistungssport: Jetzt schicken sie schon 16jährige Mädchen in den Krieg

 

„Olympia ist kein Spass“, sagt die 24jährige US-amerikanische Kunstturnerin Simone Bailes, und: „Ich spüre das Gewicht der ganzen Welt auf meinen Schultern.“ Tatsächlich, Nicht weniger als sechs Goldmedaillen erwartet die „Welt“ an den Olympischen Spielen 2021 in Tokyo von Bailes, alles andere wäre eine bittere Enttäuschung. Doch dann passiert es: ein Patzer bei ihrem ersten Sprung. Sie hat geplant, einen Yurchenko-Sprung mit zweieinhalb Drehungen zu machen, doch sie hat „nur“ eineinhalb Drehungen geschafft, hat korrigieren müssen und ist tief gelandet. Kurz danach wird die „Welt“ Zeugin, wie Bailes an der Seite einer Trainerin die Halle verlässt, um wenig später wieder zurückzukommen, weinend und mit brüchiger Stimme und beklagend, dass sie sich noch nie vor einem Sprung so unsicher gefühlt habe, noch nie so nervös gewesen sei und noch nie so wenig Selbstvertrauen gehabt habe. Die „Welt“ ist schockiert. Ist das noch die gleiche Simone Bailes, die eben noch vor ein paar Tagen einen ganz neuen Sprung angekündigt hat – es wäre bereits das fünfte Element, das ihren Namen trägt -, einen höchst riskanten Sprung, , der alles Bisherige in den Schatten stellen würde: der „Yurchenko double pike“, bei dem man sich nach einem Vollsprint kopfüber mit den Händen vom Tisch abstösst und zweieinhalb Saltos später auf den Füssen landet – ein Sprung, bei dem, wenn nicht jeder Millimeter stimmt, höchste Verletzungsgefahr besteht. Was für ein Wahnsinn. Früher schickte man Soldaten in den Krieg. Heute schickt man schon 16jährige Mädchen in den Krieg. In einen Krieg um das Prestige und die Vormacht sich gegenseitig rivalisierender Grossmächte. In einen Krieg um Medaillen und Hundertstelpunkte in einem gegenseitigen Konkurrenzkampf, der immer absurdere Formen annimmt und in dem menschliche Körper nur noch dazu da sind, auf immer extremere Leistungen hinaufgeschraubt zu werden und sich gegenseitig zu zerstören. In einen Krieg, der jungen Menschen ihre ganze Kindheit raubt und ihnen vorgaukelt, sie könnten eines Tages, wenn sie sich nur genug anstrengten, zuoberst auf dem Podest stehen – obwohl dies am Ende nur einigen wenigen gelingt und alle anderen trotz aller Entbehrungen, Opfer und Schmerzen in Vergessenheit geraten. „Ich wollte bei den Olympischen Spielen“, so Simone Bailes, „eigentlich nur einfach Spass haben und endlich etwas für mich tun, nachdem ich immer nur für andere etwas getan habe.“ Ob die „Welt“ diese Botschaft wohl vernommen hat?

 

50:50-Arbeitsmodell: eine Alternative zum bedingungslosen Grundeinkommen?

 

Nach anfänglicher Sympathie für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens sehe ich bei einem solchen Modell nun auch vermehrt gewisse Nachteile. Das BGE müsste ja so bemessen sein, dass man davon leben könnte, auch ohne einer zusätzlichen Erwerbsarbeit nachzugehen. Nun wird seitens der BGE-Befürworterinnen und -Befürworter zwar immer wieder betont, dass kein Mensch von Natur aus „faul“ sei und man deshalb davon ausgehen könne, dass die allermeisten Menschen trotzdem einer Erwerbsarbeit nachgehen würden. Doch die Zeiten können sich ändern. Vielleicht findet die Idee, seine Lebensweise auf ein absolutes Minimum zu reduzieren, sich in seinem Garten der Lektüre philosophischer Schriften hinzugeben und sich nicht mehr länger auf einer Baustelle den Rücken kaputtzuarbeiten oder die Verantwortung für die städtische Energieversorgung zu übernehmen, gerade angesichts der Klimakrise, die uns zu einem möglichst bescheidenen und ressourcenschonenden Leben auffordert, mit der Zeit immer weitere Verbreitung. Und dann? Wer baut dann noch unsere Häuser? Wer pflegt die kranken und alten Mitmenschen? Wer betreut die Kinder in Kitas und Schulen? Wer stellt unsere Fahrräder, unsere Kleider, unsere Brillen und unser Gartenwerkzeug her? Es gibt unzählige Arbeiten, die auch nach einer Einführung des BGE und selbst wenn der allgemeine Wohlstand noch so massiv heruntergeschraubt worden wäre, trotzdem immer noch geleistet werden müssten. Damit diese Arbeit möglichst gerecht auf alle Menschen verteilt werden könnten, stelle ich mir als Alternative zum BGE ein so genanntes 50:50-Arbeitsmodell vor. Es geht davon aus, dass jeder Mensch über ganz besondere Begabungen verfügt und dass es nicht nur für sein seelisches Wohlbefinden, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes unabdingbar ist, diese Begabungen in seinem Leben auch tatsächlich zu verwirklichen. Also: Jeweils während eines halben Tages bzw. einer halben Woche würden alle Menschen jener Arbeit nachgehen, die sie aufgrund ihrer Interessen, ihrer Begabungen und ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung frei wählen könnten. Das bedeutet aber, dass ganz viele andere Arbeiten von der Kehrichtabfuhr über die Arbeit auf dem Gemüsefeld bis zur Reinigung von Büros und Fabrikhallen unerledigt blieben, wenn sich niemand darum kümmern würde. Und jetzt kommt der zweite Halbtag bzw. die zweite Wochenhälfte ins Spiel: Hier nun wird all die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die niemand aufgrund seiner individuellen Begabungen freiwillig wählen würde, auf alle Erwachsenen gleichmässig verteilt. Es wäre nun nicht mehr das Privileg Einzelner, zeitlebens einen der eigenen Begabung entsprechenden Wunschberuf ausüben zu können, während unzählige andere gezwungen sind, berufliche Tätigkeiten auszuüben, die ihnen nur wenig oder gar keine Freude bereiten, die sie krank werden lassen, in denen sie nur wenige gesellschaftliche Wertschätzung erfahren und die zu allem Überdruss auch noch vergleichsweise schlecht bezahlt werden. Wunschberuf und Dienst an der Gemeinschaft wären je zur Hälfte auf alle Menschen gleichmässig verteilt. Das 50:50-Arbeitsmodell wäre auch eine Chance, damit sich Menschen unterschiedlicher sozialer „Schichten“ und Arbeitsfelder vermehrt gegenseitig begegnen und sich gegenseitig kennenlernen könnten, als Teil einer Gesellschaft, die nicht von einem „Oben“ und „Unten“ und nicht von sozialem „Aufstieg“ und „Abstieg“ geprägt wäre, sondern von einem Miteinander und Füreinander zum gemeinsamen Wohl aller.

Die 99-Prozent-Initiative: Ein erster, längst fälliger Schritt in Richtung von ein klein wenig mehr Gerechtigkeit

 

Mit der 99-Prozent-Initiative, über die am 26. September 2021 abgestimmt wird, möchte die Juso, unterstützt von der SP und den Grünen, ein bisschen mehr Gerechtigkeit schaffen: Kapitaleinkommen wie Zinsen, Mieterträge oder Dividenden über 100’000 Franken sollen eineinhalbmal so stark besteuert werden wie Lohneinkommen. Eine längst fällige Reform, wenn man bedenkt, dass nur gerade mal ein Prozent der Bevölkerung über rund 43 Prozent aller Vermögensanteile verfügen, allein schon an Dividenden über 75 Milliarden Franken jährlich ausgeschüttet werden und gesamtschweizerisch die Kapitaleinkommen Jahr für Jahr höher sind als die Einkommen durch Arbeit. Anders gesagt: Reich wird man in der Schweiz nicht dadurch, dass man viel und hart arbeitet, sondern dadurch, dass man viel besitzt. Das führt zur nächsten Frage, nämlich, woher denn das viele Geld kommt, das in laufend wachsender Menge in den Taschen der Reichen und Reichsten landet. Wenn ein Unternehmen Dividenden auszahlen kann, heisst das ja nichts anderes, als dass in der betriebswirtschaftlichen Erfolgsrechnung der Gesamtgewinn genug hoch und die Lohnkosten genug tief waren, damit ein Überschuss erzielt werden konnte, der nun an die Aktionärinnen und Aktionäre weitergegeben werden kann. Mit anderen Worten: Die eigentliche Basis des Betriebs, die Arbeiterinnen und Arbeiter, haben für ihre Leistung weniger Geld bekommen, als ihre Arbeit eigentlich Wert gewesen wäre – während am anderen Ende der Skala die Aktionärinnen und Aktionäre diesen Mehrwert abgeschöpft haben, ohne dafür auch nur den kleinen Finger krümmen zu müssen. Nochmals in anderen Worten gesagt: Die Arbeiterinnen und Arbeiter haben also nicht nur für sich selber gearbeitet, sondern gleichzeitig auch für das Unternehmen sowie die Aktionärinnen und Aktionäre. Und nochmals mit anderen Worten: Eigentlich ist das nichts anderes als nackter Diebstahl, Raub an Volkseigentum und im Grunde nichts anderes als der Zehnte – der zehnte Teil aller landwirtschaftlichen Erträge -, den die Untertaninnen und Untertanen in weiten Teilen der Schweiz bis um 1800 ihren Vögten und Landesherren abzuliefern hatten, ohne dass diese eine eigene Leistung hierfür erbringen mussten. Nur weil sich heutige Ausbeutungsverhältnisse hinter dem edlen Begriff der „Freien Marktwirtschaft“ verstecken, können wir uns in der Illusion wiegen, frühere Ausbeutungsverhältnisse seien längst historisch überwunden. Das Gegenteil ist der Fall: Je länger der Kapitalismus sein Unwesen treibt, umso tiefer der Graben zwischen denen, die immer sagenhaftere Reichtümer auftürmen, und denen, die immer härter arbeiten und trotzdem von ihrer Arbeit kaum anständig leben können. Wer behauptet, die 99-Prozent-Initiative sei „extrem“, dem müsste zu bedenken gegeben werden, dass nichts so extrem ist wie die heutige Verteilung von Einkommen und Vermögen. Und dass die 99-Prozent-Initiative noch längst nicht die Lösung ist, sondern nicht mehr als ein längst fälliger kleiner Schritt in Richtung von ein klein wenig mehr Gerechtigkeit.

Lithiumabbau in der spanischen Extremadura: Gross denken oder klein denken?

 

 

„Fälle nicht den Baum, der dir Schatten spendet“ – so lautet ein
spanisches Sprichwort. Doch genau das ist, wie der „Tagesanzeiger“
vom 19. Juli 2021 berichtet, geplant, und zwar in der spanischen Extremadura,
nahe der Stadt Cáceres. Hier sollen Tausende von Steineichen gefällt werden, um
einer Lithiummine Platz zu machen, mit welcher der wachsende Hunger der
europäischen Autoindustrie nach dem unerlässlichen Rohstoff für die Herstellung
von Batterien für E-Mobile gestillt werden soll. Für zehn Millionen Autos würde
das hier vorhandene Lithium reichen, sagt der Ingenieur Cayetano Polo, der für
das australische Bergbauunternehmen Infinity Lithium arbeitet, welches die Mine
von Cáceres betreiben will. Und noch etwas sagt er: „Wer das Klima retten
will, muss gross denken.“ Gross denken? Wäre es, um das Klima zu retten,
nicht viel gescheiter, kleiner zu denken? Können Cayetano Polo und seine
Gesinnungsgenossen vom Club der unbelehrbaren Wachstumsgläubigen nicht rechnen?
1,5 Milliarden Autos sind heute weltweit unterwegs. Das in der Extremadura
geförderte Lithium würde gerade knapp reichen, um etwa ein halbes
Prozent sämtlicher Autos weltweit durch E-Mobile zu ersetzen. Und die
anderen 99,5 Prozent? Selbst wenn noch weitere Lithiumvorkommen entdeckt werden
– das Ansinnen, weltweit sämtliche Autos durch E-Mobile zu ersetzen, erweist
sich als reines Hirngespinst. Vor allem auch deshalb, weil die Anzahl Autos in
den Schwellenländern von Jahr zu Jahr rasant zunimmt und man sich nicht wundern
muss, wenn selbst in den ärmsten Ländern viele Menschen vom Erwerb eines Autos
träumen, so lange wir, die „entwickelten“ Bewohnerinnen und Bewohner
der reichen Länder, unbeirrt mit dem schlechten Beispiel vorangehen. Gross
denken heisst: Unverbesserlich bis zum letzten Tropfen und zum letzten
Staubkorn die Erde auspressen, bis sie endgültig nichts mehr hergibt. Wachstum
um jeden Preis, Profitmaximierung um jeden Preis. Klein denken würde heissen:
der Erde stets nur so viel abzuverlangen, wie auf natürliche Weise auch wieder
nachzuwachsen vermag. Eine „grüne Revolution“, die bloss mit
technischen Mitteln den verschwenderischen Lebensstil einer reichen Minderheit
der Weltbevölkerung weiterzuführen verspricht, muss sich früher oder später als
gigantische Illusion erweisen: Wenn hierzulande eine Tonne Stahl und Blech in
Bewegung gesetzt wird, um mit dem Auto zwei Kilometer weit bis zur nächsten
Bäckerei zu fahren und ein Croissant zu kaufen, während irgendwo in Afrika
ein siebenjähriges Mädchen barfuss in sengender Hitze zehn oder mehr
Kilometer weit laufen muss, um für seine Familie Wasser oder Brennholz
zu holen, dann ist das eine Welt, die aus allen Fugen geraten ist. Niemals
kann der westliche Luxus- und Konsummensch das Vorbild für den Rest der Welt
sein – ausser es wäre das Ziel der Menschheit, sich so schnell wie möglich
das eigene Grab zu schaufeln. Doch glücklicherweise gibt es da noch Menschen
wie Beatriz Martín Marín, Professorin für Pädagogik an der Universidad de
Extremadura. Wenn die Menschen kommen, um den Boden aufzureissen, wird sie sich
zusammen mit ihrem neunjährigen Sohn an einen Baum ketten. Damit schlicht und
einfach die Hoffnung nicht stirbt…