Die Welt nach der Coronapandemie: Garten oder Wüste?

 

Mit grösster Wahrscheinlichkeit wird die Welt nach der Coronapandemie nicht mehr die gleiche sein wie zuvor. Entweder ist sie ein blühender Garten, in dem das gute Leben für alle Menschen Wirklichkeit geworden ist. Oder eine Wüste, in der sich irgendwann die letzten Menschen auf der Suche nach der letzten Nahrung gegenseitig umbringen. Garten oder Wüste – es liegt an uns…

Dringend nötiger Politikwechsel: Gemeinsame Wahrheitssuche statt Kampffeld gegenseitiger Beschuldigungen

 

Er sei dümmlich, ein Wortverdreher, ein Lügner, ein Mann ohne Visionen und es gehe ihm bloss um die Macht – so tönt es beim linksgrünen Lager und seinen Anhängerinnen und Anhängern, wenn vom CDU-Bundeskanzlerkandidaten Armin Laschet die Rede ist. Sie sei eine Hochstaplerin, eine Schwätzerin und habe grosse Teile ihres eben veröffentlichten Buches gar nicht selber geschrieben – so kontern das bürgerliche Lager und seine Anhängerinnen und Anhänger, wenn von der grünen Bundeskanzlerkandidatin Analena Baerbock die Rede ist. Streiten und Debattieren gehören zweifellos zu jedem Wahlkampf. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied. Nämlich, ob die Sache im Mittelpunkt steht oder ob es bloss darum geht, den politischen „Gegner“, die politische „Gegnerin“ mit allen Mitteln fertigzumachen. Die Sache wäre wichtig genug, ihr alle Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit zukommen zu lassen. Die Sache, das ist die Zukunft, in der wir in fünf, zehn oder zwanzig Jahren leben werden. Ob ein Überleben auf diesem Planeten in dieser Zeit für die Menschen überhaupt noch möglich ist. Späteren Generationen wird es vollkommen egal sein, ob die deutsche Bundeskanzlerkandidatin des Jahres 2021 beim Schreiben eines Buches geschummelt hat oder nicht. Es wird ihnen höchstwahrscheinlich auch völlig egal sein, wie viele Male ein Bundeskanzlerkandidat des Jahres 2021 gelogen und wie viele Noten seiner früheren Schülerinnen und Schüler er gefälscht hat. Es wird ihnen aber nicht egal sein, was die Politiker und Politikerinnen des Jahres 2021 getan haben, um den Klimawandel zu stoppen und sich für eine Welt einzusetzen, in der alle Menschen über alle Grenzen hinweg ein gutes Leben haben. Es kommt mir vor wie das Bild vom Wald, den man vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Die Bäume, das sind die einzelnen Menschen, die Ökonomen, die Expertinnen, die Konzernchefs, die Politikerinnen und Politiker. Der Wald, das ist das übergeordnete System des Kapitalismus, in dem wir leben, agieren und unsere jeweilige spezifische Rolle spielen. Wer einen einzelnen Baum fällt, hat nichts gewonnen, unzählige andere wachsen kann. Es geht um den Wald als Ganzes. Es geht um die grosse Frage, ob der Kapitalismus mit seinen zerstörerischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen auf diesem Planeten überhaupt noch eine Zukunft hat. Darüber müsste gestritten und debattiert werden. Weg von den Bäumen. Hin zum Wald. Das würde bedeuten, dass die politische Diskussion zugleich sanfter und radikaler würde. Sanfter, indem man den einzelnen Menschen mit viel grösserem Respekt begegnen und davon ablassen würde, jedem möglichst viele Fehler und Unzulänglichkeiten unter die Nase zu reiben. Denn dann würde man erkennen, dass sowohl Analena Baerbock wie auch Armin Laschet und alle ihre Kontrahentinnen und Kontrahenten nicht in zwei verschiedenen Booten sitzen, sondern im grossen gleichen Schiff, das nur einen gemeinsamen Untergang kennt oder ein gemeinsames Überleben. Radikaler aber würde die Debatte dadurch, dass es dann eben nicht mehr um individuelle Banalitäten wie geschummelte Bücher oder gefälschte Noten ginge, sondern eben um die Kernfrage des gemeinsamen Überlebens. Denn wir haben mit dieser Frage und ihren Lösungen mehr als genug zu tun und es ist schlicht und einfach eine Verschwendung von Zeit und Energie, uns stattdessen die Köpfe gegenseitig einzuschlagen. Was für eine Vision: Politische „Gegner“ und „Gegnerinnen“ sitzen sich nicht mehr in Feindesstellung gegenüber, um gegenseitig möglichst viele giftige Pfeile abzuschiessen. Nein, sie sitzen gemeinsam an runden Tischen, wo auch die „einfachen“ und „gewöhnlichen“ Leute aus dem Volk ihren Platz haben. Und sie versuchen, indem sie einander ernstnehmen, einander zuhören, einander ihre Fehler verzeihen, gemeinsam die Wahrheit zu suchen. Denn, wie schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Asylpolitik der SVP: Scheinheiliger geht es nicht…

 

Gemäss „Sonntagszeitung“ vom 11. Juli 2021 fordert die SVP einen „grundlegenden Systemwechsel in der Asylpolitik“: Asylbewerberinnen und Asylbewerber sollen künftig nicht mehr in die Schweiz kommen, sondern ihr Asylverfahren in einem Drittland ausserhalb Europas durchlaufen. Hierfür müssten in einzelnen Ländern entsprechende Asylzentren geschaffen werden. „Durch eine solche Auslagerung“, so SVP-Nationalrätin Martina Bircher, „hätten wir weniger Kriminalität und wir könnten viel Geld sparen, weil unser Sozialsystem nicht mehr unterwandert würde. Ausserdem könnten wir die Überfremdung stoppen.“ Es ist gut vorstellbar, dass die SVP mit dieser Idee bei einem grossen Teil der Bevölkerung punktet. Denn wer will sich schon mit kriminellen Asylsuchenden herumschlagen, auch wenn es sich dabei nur um eine verschwindend kleine Minderheit sämtlicher Asylsuchender handelt. Wer möchte schon für Asylverfahren, Unterkünfte und finanzielle Unterstützung aufkommen. Und wer wünscht sich schon eine zunehmende „Überfremdung“ des Landes – auch wenn diese Angst noch so übertrieben ist. Doch gäbe es für all dies eine viel einfachere Lösung. So nämlich, dass Asylsuchende weder in „unser“ Land kämen, noch in Asylzentren ausserhalb Europas Zuflucht nehmen müssten. Sondern so, dass es weltweit überhaupt gar keine Asylsuchenden mehr gäbe, sondern alle Menschen dort, wo sie geboren wurden, ein menschenwürdiges Leben hätten, und niemand mehr gezwungen wäre, seine Heimat zu verlassen. Eine Lösung, die ja ganz auf der Linie der SVP liegen müsste. Doch ob die SVP auch Hand bieten würde, eine solche Lösung zu verwirklichen? Würde sie das tun, dann müsste sie nämlich unverzüglich ein weltweites Waffenverbot fordern und sich auf allen Ebenen für diplomatische Lösungen von Konflikten einsetzen – denn Kriege sind eine der wichtigsten Fluchtursachen. Sie müsste sich auch dafür einsetzen, dass Rohstoffe und Nahrungsmittel, die in armen Ländern produziert werden, einen fairen Preis erhielten und man einen weltweiten Mindestlohn einführen würde – denn Armut ist ebenfalls eine der wichtigsten Fluchtursachen. Und sie müsste an vorderster Front die Menschen in den reichen Ländern des Nordens dazu aufrufen, kein Fleisch mehr zu essen – denn Land, auf dem Futtermittel für die Fleischproduktion angebaut wird, steht nicht mehr zur Verfügung für die Versorgung der ansässigen Bevölkerung mit lebensnotwendigen Grundnahrungsmitteln. Und schliesslich müsste die SVP alles, aber auch alles Erdenkliche tun, um Massnahmen gegen den Klimawandel zu unterstützen – denn Dürren, Hungersnöte und Überschwemmungen als Folge des Klimawandels sind nicht nur jetzt schon, sondern werden in Zukunft erst recht eine der wesentlichsten Ursachen dafür sein, dass Menschen ihre Heimat verlassen auf der Suche nach einem besseren, menschenwürdigen Leben. Doch höchstwahrscheinlich wird die SVP keine einzige dieser Forderungen unterstützen. Aber dann müsste man wenigstens die Scheinheiligkeit einer Politik, die bloss auf dem Unsichtbarmachen von Problemen besteht, ohne zu deren Lösung auch nur das Geringste beizutragen, in aller Schonungslosigkeit aufdecken…

Pannenserie bei der Swisscom: Alles begann bereits am 1. Januar 1998…

 

Kurz vor Mitternacht des 8. Juli 2021 bis am Vormittag des 9. Juli kurz vor acht Uhr war das schweizerische, von der Swisscom betriebene Telefonfestnetz weitgehend zusammengebrochen. Davon betroffen waren auch alle Notrufnummern. Und dies ausgerechnet in einer Nacht, in der ungewöhnlich viel Regen fiel und an vielen Orten Überschwemmungsgefahr drohte. Störungen ähnlichen Ausmasses hatte es bei der Swisscom bereits Anfang und Mitte 2020 gegeben. Da mutet es wohl wie ein schlechter Witz an, dass bis 2022 bei der Swisscom ein Sparprogramm läuft mit dem Ziel, jedes Jahr 100 Millionen Franken einzusparen – unter anderem durch den Abbau mehrerer hundert Stellen. Doch eigentlich hätte man dies alles schon am 1. Januar 1998 voraussehen können. An diesem Tag nämlich wurde der schweizerische Telekommunikationsmarkt liberalisiert, das Monopol des früheren Staatsbetriebs PTT zerschlagen und das Feld eines künftigen gegenseitigen Wettlaufs zwischen verschiedenen privaten und staatlichen Anbietern eröffnet. Was kommen musste, kam: Im gegenseitigen Konkurrenzkampf war nun jeder Anbieter darauf aus, den anderen so viele Kundinnen und Kunden abzujagen wie nur möglich, und dies mit Werbekampagnen, welche Unsummen von Geld verschlangen. Und wie anders soll zusätzliche Kundschaft gewonnen werden, wenn nicht durch möglichst tiefe Preise? Und wie können die Preise möglichst tief gehalten werden, wenn nicht durch einen möglichst niedrigen Personalbestand oder, falls nötig, durch Entlassungen? Heute sucht man bei der Swisscom nach den Schuldigen für diese verheerende Panne vom 8. und 9. Juli, doch die wahren Schuldigen, das sind weder die Chefs noch die Angestellten der Swisscom, die wohl alle ihr menschenmöglich Bestes geben. Der tatsächliche Schuldige ist die verrückte Idee, ein Dienstleistungsunternehmen, das über Jahrzehnte bestens funktioniert hatte, willentlich zu zerschlagen und den zerstörerischen Kräften des Freien Marktes zum Frass vorzuwerfen… 

Plädoyer für eine Kultur der Langsamkeit

In mehreren rot-grün regierten Schweizer Städten sind neuerdings Temporeduktionen auch auf Hauptstrassen in Planung. Längerfristig denkt man vielerorts an eine flächendeckende Einführung von Tempo 30. Gegen dieses Vorhaben erwächst nun massiver Widerstand ausgerechnet seitens der Verbände des öffentlichen Verkehrs: „Es ist klar“, so Ueli Stückelberger, Präsident des Verbandes öffentlicher Verkehr im „Tagblatt“ vom 10. Juli 2021, „dass der öffentliche Verkehr mit generell Tempo 30 auf den Hauptachsen der Städte unattraktiver wird.“ Werde der ÖV langsamer, so Stückelberger, nutzten ihn die Leute weniger. Man liefere ihnen damit einen Grund, sich wieder ans Steuer eines Autos zu setzen. Noch schlimmer sei die mögliche Einführung von Tempo 20 in Wohnquartieren: „Das wäre ein Albtraum. Wer will schon in Trams und Bussen sitzen, die langsam fahren?“

Langsam oder schnell – das ist nicht nur eine Frage, welche die Gemüter von Stadtplanern, Velofahrenden, Fussgängerinnen und Politikerinnen erhitzt. Es ist auch eine Frage, mit der wir in unserem Alltag pausenlos konfrontiert sind und die uns zeigt, dass wir offensichtlich, ohne uns dessen stets bewusst zu sein, in einer Kultur einer sich laufend selber beschleunigenden Geschwindigkeit leben. Bleiben wir vorerst beim Verkehr: Messungen über Jahrzehnte hinweg haben ergeben, dass sich die Menschen in den Städten zu Fuss immer schneller fortbewegen. Auch das Fahren mit der Eisenbahn hat sich im Verlaufe des vergangenen Jahrzehnts immer mehr beschleunigt: Heute kann sich niemand mehr vorstellen, dass man früher gut schon mal eine halbe Stunde oder länger am Bahnhof auf den nächsten Anschluss warten musste, im Gegenteil, heute ist es „normal“, dass sich die Menschen beim Umsteigen auf den nächsten Zug förmlich die Beine aus dem Leib reissen müssen und ältere oder gehbehinderte Menschen schon gar keine Chance mehr haben, ein solches Tempo mitzuhalten. Auch wenn es um Millionenbeträge geht, um irgendwo wieder einen neuen Tunnel zu bauen – von keiner Seite wird ein Einwand erhoben, solange man mit dem neuen Tunnel die Fahrzeit zwischen A und B um drei, vier oder fünf Minuten verkürzen kann. „Ihr Zeitverlust beträgt 20 Minuten“ – so tönt es immer dann aus dem Autoradio, wenn sich wieder irgendwo ein Stau gebildet hat und sich das Ziel in der geplanten Zeit nicht erreichen lässt, aber niemand stellt die alles entscheidende Frage, ob man denn, ob im Auto, im Zug oder anderswo, Zeit tatsächlich überhaupt „verlieren“ kann.

Doch die Kultur der Geschwindigkeit betrifft längst nicht nur den Verkehr. Sie ist auch die unumstrittene Maxime jeglicher wirtschaftlicher Aktivität, wo in immer kürzerer Zeit eine immer höhere Leistung gefordert wird und der Zeitdruck, dem die arbeitenden Menschen unterworfen sind, immer verheerendere Auswirkungen nach sich zieht. Aber auch im privaten Alltag soll stets alles möglichst schnell gehen: Das bei Amazon bestellte Päckli soll so schnell wie möglich zuhause sein. Bestimmt wartet man auch im Restaurant nicht gerne allzu lange auf das Essen. Und das Einfamilienhaus, das man sich bauen lässt, soll so schnell wie möglich fertig sein – sogar Bauschäden, weil auch mitten im Winter weitergebaut wird, nimmt man bereitwillig in Kauf. Ganz abgesehen vom E-Bike, mit dem man nun in kürzerer Zeit doppelt so weit kommt, vom neuen Internetanschluss, mit dem sich noch weit schneller als bisher surfen lässt, und von der Tiefkühlpizza, die ungleich viel schneller zubereitet ist, als wenn man die Pizza selber zubereiten und vorerst noch alle Zutaten einkaufen müsste.

Sogar in der Erziehung scheint das Primat der Geschwindigkeit höchste Priorität zu haben: Die Kinder sollen möglichst schnell erwachsen werden und den „unfertigen“ Zustand des Kindseins hinter sich lassen. Doch spätestens hier müssten wir innehalten und eine Denkpause einlegen. Denn gerade das Kind ist das beste Beispiel dafür, dass „zeitloses“ Tun etwas vom Reichsten und Wertvollsten ist. Wer hat noch nie ein Kind gesehen, das an einem Bächlein gespielt hat, die Hände ins Wasser getaucht, aus Steinen eine kleine Staumauer gebaut, mit Gräsern eine „Suppe“ gekocht hat, stundenlang, ganz so, als hätte es die Zeit um sich herum ganz und gar vergessen. Ja, Zeit kann man nicht verlieren, man kann sie nur gewinnen. Von den Kindern lernen würde heissen: Diese Jagd nach allem und jedem mit der gnadenlosen Uhr im Rücken endlich aufgeben, denn irgendwann kann sowieso nicht alles immer noch schneller werden. Wenn wir uns heute, und vieles deutet darauf hin, an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter befinden, dann wird dieser Übergang wohl nicht zuletzt auch ein Übergang sein von einer Kultur der Geschwindigkeit hin zu einer Kultur der Langsamkeit. Und dann, ja dann, würden alle noch so gerne in Trams und Bussen sitzen, die „langsam fahren“ und jede Sekunde das Lebens zum unverzichtbaren Genuss werden lassen…

„Kaum sagt man ein kluges Wort, ist man schon Kommunist.“

 

„Kaum sagt man ein kluges Wort, schon ist man Kommunist“, sagte schon der bekannte Urwalddoktor Albert Schweitzer. Tatsächlich: Wer sich gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und seinen weitläufigen gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Auswüchsen kritisch zu äussern wagt, dem wird schnell einmal zum Vorwurf gemacht, ein sozialistisches oder gar kommunistisches Gesellschaftsmodell zu verherrlichen. Messerscharf wird er an den Zusammenbruch des früheren Ostblocks und der Sowjetunion erinnert, an die Opfer des Stalinismus und an die mindestens 15 Millionen Toten im kommunistischen China zwischen 1959 und 1961. Und es wird ihm nicht selten auch empfohlen, doch mal nach Kuba, Venezuela oder Nordkorea auszuwandern, wenn man denn schon der Meinung sei, der Kapitalismus sei so etwas fürchterlich Schlimmes. Nun, wer so argumentiert, geht offensichtlich davon aus, dass auf dieser Erde nur zwei mögliche Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme denkbar und realisierbar sind: Kapitalismus oder Sozialismus, Schwarz oder Weiss, „Gut“ oder „Böse“ – je nachdem, auf welcher Seite man steht. Dass es neben diesen beiden Gesellschaftsmodellen, von denen das eine, der Sozialismus, historisch gescheitert ist, und das andere, der Kapitalismus, ebenfalls auf dem besten Wege ist, aufgrund seiner inneren Widersprüche in naher Zukunft zu scheitern, dass es neben diesen beiden Gesellschaftssystemen etwas Neues, Drittes geben könnte, das scheinen sich die meisten Menschen noch nicht wirklich vorstellen zu können. Und doch liegt es auf der Hand: Während Jahrtausenden sind Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme gekommen und gegangen – weshalb sollte ausgerechnet jetzt kein radikaler Neubeginn möglich sein und der Kapitalismus das aller letzte und nicht überwindbare Wort in der Geschichte der Menschheit bleiben? Vielleicht wäre es ja gar nicht so furchtbar kompliziert. Vielleicht müsste man bloss die Idee der Freiheit und die Idee der sozialen Gerechtigkeit miteinander verbinden, ganz so, wie das schon zur Zeit der Französischen Revolution mit ihrer Parole von „Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit“ gefordert wurde. Was für ein Traum: Statt in alten Grabenkämpfen zu verharren, statt sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, statt gegenseitig Feindbilder aufzubauen, wäre es doch endlich an der Zeit, alle Erfindungsgabe, Phantasie und Kreativität der Menschen über alle Grenzen hinweg zu mobilisieren, um das Fundament einer neuen, friedlichen und gerechten Zukunft gemeinsam aufzubauen. Denn, wie schon Martin Luther King sagte: „Entweder werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben oder als Narren miteinander untergehen.“   

Biden und Putin: Objektive und ausgewogene Berichterstattung wäre anders…

 

Anlässlich des Gipfeltreffens zwischen Wladimir Putin und Joe Biden am 14. Juni 2021 in Genf forderte Putin Beweise für die von Biden erhobenen Vorwürfe betreffend Hackerangriffe Russlands gegen die USA: „Wir sind schon aller möglichen Dinge beschuldigt worden, aber nie hat man uns Beweise vorgelegt.“ Und dann sagte er noch etwas, nämlich, dass es seitens der USA gegen Russland noch viel mehr Hackerangriffe gäbe als umgekehrt. Nun, auch dafür fehlen offensichtlich die Beweise. Was aber interessant ist: Diese Aussage Putins über eine höhere Anzahl von Hackerangriffen der USA gegen Russland als umgekehrt war nur einmal ganz kurz in einem „Tagesschau“-Report zu hören und ist anschliessend zur Gänze in der Berichterstattung westlicher Medien ausgelöscht worden. In den Tageszeitungen war nie etwas davon zu lesen. Und wenn man bei Google „Hackerangriffe USA Russland“ eingibt, dann erscheinen ausschliesslich Meldungen über mutmassliche Attacken seitens Russlands gegen die USA, nie aber das Umgekehrte. Nun will ich damit nicht sagen, dass Putin Recht hat, wenn er von einer höheren Anzahl von Hackerangriffen der USA gegen Russland als umgekehrt spricht. Aber es ist doch höchst bedenkenswert, wie unterschiedlich unsere angeblich so objektiven und ausgewogenen Medien mit öffentlichen Stellungnahmen von Politikern umgehen, je nachdem ob sie von unseren „Freunden“ oder „Feinden“ geäussert werden. Wenn wir heute, wie es scheint, am Anfang eines neuen kalten Kriegs stehen, dann müssten die Medien ihre Verantwortung für eine möglichst sachliche und ausgewogene Berichterstattung umso sorgfältiger wahrnehmen, statt sich vom Fahrwasser eines einseitigen und gefährlichen Feindbilddenkens mitreissen zu lassen.

Der gegenseitige Konkurrenzkampf wird immer verbissener: Doch am Ende sind wir alle Verlierer

 

Das nördliche Kalifornien ist gegenwärtig von extremer Trockenheit und Wassermangel betroffen. Das Absurde daran sei, so der „Tages-Anzeiger“ vom 7. Juli 2021, dass Nordkalifornien an sich genug Wasser hätte, dieses aber grösstenteils nach Südkalifornien abfliesse, welches schon vor über 100 Jahren Pipelines und Kanäle gebaut habe, um sich die Wasserzufuhr zu sichern, die dem Norden jetzt fehle. So habe der Süden diesen Sommer genug Wasser, während die Farmer im Norden immer tiefere Löcher bohren müssten, um Wasser zu fördern. „Der Wettbewerb“, so Lou Preston, ein Pionier des biologischen Weinbaus, „wird immer verbissener. Man bohrt immer tiefer und gräbt den Nachbarn das Wasser ab. Am Schluss sind wir alle Verlierer.“ Ein besonders krasses Beispiel für das kapitalistische Konkurrenzprinzip, dem wir in Wirtschaft, Gesellschaft und Arbeitswelt auf Schritt und Tritt begegnen und das wir mittlerweile so sehr verinnerlicht haben, dass wir uns etwas grundsätzlich anderes schon gar nicht mehr vorstellen können. Da sind die Velokuriere, die sich in immer höllischeren Tempo durch die Autokolonnen hindurchkämpfen und in mitgenommene Flaschen pinkeln müssen, weil sie nicht einmal genug Zeit haben, um eine Toilette aufzusuchen, und dies alles nur deshalb, weil im gnadenlosen Verdrängungskampf mit der Konkurrenz jede Sekunde darüber entscheidet, ob man überleben kann oder nicht. Da sind die Möbelhersteller, die im Kampf gegen ihre Konkurrenten alles daran setzen müssen, ihre Produkte mit möglichst billigem Holz, in möglichst hohem Tempo und mit dem Einsatz möglichst wenig verdienender Arbeitskräfte herzustellen. Da sind die Spitzensportler und Spitzensportlerinnen, die sich einen immer gnadenloseren gegenseitigen Wettkampf um Sekundenbruchteile liefern müssen, um an der Spitze mitzuhalten, selbst auf Kosten ihres Wohlbefindens und ihrer Gesundheit. Da sind die Schulen weltweit, die sich immer ähnlicher werden und in denen die Kinder von klein auf dazu gezwungen werden, sich gegenseitig einen unerbittlichen Konkurrenzkampf um Noten, Zeugnisse und Zukunftschancen zu liefern. Aber es geht noch viel weiter: Auch das Verhältnis der Staaten und Volkswirtschaften untereinander ist von einem permanenten Konkurrenzkampf bestimmt bis hin zur letzten „Schlacht“ zwischen den USA und China, die darüber entscheiden soll, wer von den beiden aus dieser Auseinandersetzung als die zukünftige Weltmacht Nummer eins hervorgehen wird. Doch was der kalifornische Weinbauer sagte, das gilt für alle politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Felder, auf denen sich die Menschen im Kampf um ihr Überleben immer gnadenlosere gegenseitige Konkurrenzkämpfe liefern, gleichermassen: Am Schluss gibt es nur Verlierer. Wollen wir das vermeiden, dann werden wir nicht darum herumkommen, das kapitalistische Konkurrenzprinzip durch eine von Grund auf neue Art und Weise gemeinsamer Arbeit, fürsorglichen Wirtschaftens und auf Kooperation ausgerichteter gesellschaftlicher Beziehungen zu ersetzen, in der das Wohl der einen nicht kleiner, sondern umso grösser ist, wenn auch alle anderen davon profitieren. Denn, wie schon Martin Luther King sagte: „Entweder werden wir als Brüder und Schwestern gemeinsam überleben oder als Narren miteinander untergehen.“ 

Wirtschaftswunder Schweiz: Auf dünnem Eis gebaut

 

Der Schweizer Armee fehlen, so berichtet die „NZZ am Sonntag“ vom 4. Juli 2021, derzeit rund 70 Küchenchefs und 150 Truppenköche. Kein Wunder: Zwischen 2010 und 2020 nahm die Anzahl der Kochlehrlinge schweizweit um ein Viertel ab, bei den Metzgerinnen und Metzgern waren es 17 Prozent und bei den Bäckerinnen und Bäckern 9 Prozent. Gleichentags berichtet die „Sonntagszeitung“, dass in chronischen Mangelberufen, bei denen in der Schweiz geborene und geschulte Jugendliche fehlen, zunehmend junge Flüchtlinge in die Lücke springen – „Ein wahrer Segen“, sagt Lehrmeister Marcel Wüest von der Chämi Metzg in Fislisbach AG, „denn wer soll sonst den Job machen?“ In der Tat: Seit 2012 hat sich der Flüchtlingsanteil bei den Fleischfachassistenten versechsfacht. Noch höher ist de Quote bei den Bäckerinnen und Bäckern (14mal mehr als 2012). Vervielfacht haben sich auch die Abschlüsse von Flüchtlingen bei den Hauswirtschaftspraktikerinnen und den Schreinerpraktikern. Längstens bekannt ist auch der hohe Anteil an ausländischen Arbeitskräften in der Gastronomie, der Hotellerie, dem Bau, der Industrie, dem Gesundheitswesen und der Landwirtschaft. Während sich immer mehr Schweizerinnen und Schweizer aus all jenen Jobs zurückziehen, bei denen man sich die Hände schmutzig machen, sich den Rücken kaputtarbeiten muss und erst noch weniger verdient als andere, werden die entstehenden Lücken noch so gerne gefüllt mit willigen, arbeitsamen und bescheidenen Ausländerinnen und Ausländern. Das mag auf den ersten Blick als Win-win-Lösung erscheinen, da die betroffenen Menschen in ihren Heimatländern viel weniger verdienen würden oder überhaupt keine Arbeit hätten. Wenn sich aber, was ja global betrachtet wünschbar wäre, die wirtschaftliche Situation in den betroffenen Herkunftsländern verbessern würde und man auf die bislang ausgewanderten Fachkräfte nicht mehr länger verzichten könnte, dann, spätestens dann, müssten wir erkennen, auf was für dünnem Eis wir diese Wirtschaft, auf die wir so stolz sind und die uns zum reichsten Land der Welt gemacht hat, aufgebaut haben. Dünnes Eis, das auf der irrigen Annahme beruht, es gäbe so etwas wie „wichtige“ und entsprechend gutbezahlte und „unwichtige“, weniger gut bezahlte Jobs. Dünnes Eis, das einem Rechtsanwalt oder einer Universitätsdozentin ungleich viel höhere gesellschaftliche Wertschätzung entgegenbringt als einem Bauarbeiter oder einer Krankenpflegerin. Dünnes Eis, das spätestens dann einbrechen wird, wenn uns alle die willkommenen ausländischen Arbeitskräfte eines Tages den Rücken kehren und wir erkennen müssen, dass auch das schönste Haus ohne gut gebautes Fundament nicht endlos in den Himmel wachsen kann.

Die deutschen Grünen: Rückfall in das alte Denken des kalten Kriegs oder eine neue Seite im Geschichtsbuch?

 

Mit der Beteiligung Deutschlands am Nato-Krieg um Kosovo in den Jahren 1999 und 2000, wesentlich mitverantwortet durch den damaligen grünen Aussenminister Joschka Fischer, seien die Grünen, so der „Tages-Anzeiger“ vom 30. Juni 2021, „aussenpolitisch erwachsen“ geworden. Offensichtlich eifert das heutige grüne Führungsduo, bestehend aus Annalena Baerbock und Robert Habeck, erneut solchen geostrategischen Machtzielen nach: Die Welt, so Baerbock und Habeck, befinde sich heute in einem „harten Wettbewerb der Systeme“, es gehe um den Kampf zwischen „liberalen Demokratien“ und „autoritären Staaten wie Russland oder China“, zwischen den beiden Lagern finde eine „Schlacht zwischen Gut und Böse“ statt. Wie kann man auf dem eigenen Auge so blind sein? Ja, tatsächlich findet gegenwärtig eine „Schlacht zwischen Gut und Böse“ statt. Aber doch nicht zwischen „liberalen Demokratien“ und „autoritären Staaten wie Russland und China“. Die tatsächliche Schlacht zwischen „Gut“ und „Böse“, die heute ausgefochten wird, ist die Schlacht zwischen dem Kapitalismus und all jener politischen Bewegungen, die sich für eine friedliche, gerechte und menschenwürdige neue Weltordnung jenseits von Kapitalismus und Kommunismus einsetzen. Die „Front“ dieser Schlacht verläuft nicht entlang von staatlichen Grenzen, sondern geht mitten durch jedes einzelne Land hindurch: Auf der einen Seite die Reichen und Mächtigen, egal ob es sich dabei um Amerikaner, Brasilianer, Deutsche, Russen oder Chinesen handelt – auf der anderen Seite all jene Menschen, die schwerste Arbeit leisten, in bitterster Armut leben und auf elementarste Lebensgrundlagen wie ausreichende Ernährung, sauberes Trinkwasser und dringend notwendige Medikamente verzichten müssen. Annalena Baerbock und Robert Habeck seien daran erinnert: Dass es weder in Russland noch in China ein so grosses Mass an Hunger und Armut gibt wie in jenen zahlreichen afrikanischen Ländern, die alles andere als „kommunistisch“ sind, sondern im Gegenteil mit den westlichen „Demokratien“ eifrig Handel treiben und diesen unaufhörlich jenen Reichtum verschaffen, den sie mit ihren eigenen Opfern überhaupt erst möglich machen. Dass die grössten Unterschiede zwischen Arm und Reich nicht in China und Russland, sondern in den westlichen „Demokratien“ wie den USA oder der Schweiz bestehen. Dass weder Russland noch China, sondern die USA weltweit pro Kopf der Bevölkerung am meisten Geld ausgeben für die militärische Aufrüstung – mehr als alle anderen Länder zusammen. Und schliesslich dass der Klimawandel, der unser aller Überleben auf diesem Planeten existenziell in Frage zu stellen droht, ausschliesslich die Folge jener kapitalistischen Wirtschaftsweise ist, die auf endloser Profitmaximierung und einem immanenten Zwang zu immerwährendem Wachstum ist. Höchst bedauerlich, dass die Grünen, die in der deutschen Politik wahre Hoffnungsträger sein könnten, nun auf einmal in das alte Denken des Kalten Kriegs zurückfallen, statt endlich eine neue Seite im Geschichtsbuch aufzuschlagen: eine neue Welt aufzubauen jenseits von gegenseitiger Ausbeutung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, eine neue Welt, in der endlich das gute Leben für alle Wirklichkeit werden kann, nicht nur für die, die heute leben, sondern auch für alle zukünftigen Generationen. Gegenseitige Feindbilder zwischen Nationen, Säbelrasseln, Machtspiele, Kampfansagen, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen, dies alles sollte endlich der Vergangenheit angehören, denn, wie es schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“