Das Coronavirus: die Diskrepanz zwischen gefühlter Angst und tatsächlichem Risiko

„Im Moment sind wir in der Situation, dass die meisten Diagnostizierten keine oder nur geringfügige Symptome haben. Es bringt daher nichts, nur auf die Zahlen der Infizierten zu starren und bei steigenden Zahlen in Panik zu verfallen. Gefährlich ist es nur, wenn man wirklich krank wird. Entscheidend ist nicht die Anzahl Infizierter, sondern die Anzahl der Hospitalisationen und Todesfälle, und diese sind überaus gering. Das Coronavirus ist zwar gefährlich, wir dürfen es aber auch nicht überdramatisieren. Das Wichtigste ist, dass wir jene schützen, die einen schweren Verlauf haben könnten. Da wir damit rechnen müssen, dass im schlimmsten Fall kein Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden werden kann, bleibt uns nichts anderes übrig, als das Virus in unseren Alltag zu integrieren. Die Grundregeln des Abstandhaltens, der Hygiene und, wo sinnvoll, der Masken tragen dazu bei, dass, wenn es trotzdem zu einer Infektion kommt, die Virenlast möglichst tief gehalten werden kann. Und dies ist entscheidend, denn je höher die Virenlast, umso höher die Gefahr einer schweren Erkrankung. Das psychologische Problem dieser Pandemie ist die gefühlte Angst, welche steigende Infektionszahlen bei den Menschen hervorrufen, eine gefühlte Angst, die in keinem Verhältnis steht zum tatsächlichen Risiko einer Erkrankung. Kaum zu glauben, aber wahr: In Deutschland sind zwischen Januar und August 2020 insgesamt weniger Menschen gestorben als im gleichen Zeitraum des Jahres 2019. Wer daher im Zusammenhang mit der Coronapandemie von einer drohenden Apokalypse spricht, ist meilenweit von der Realität entfernt. Wenn wir nur auf die Virologen hören würden, dann dürften wir keine Partys mehr feiern, keinen Sex haben und uns nicht mehr küssen, das würde das Leben ganz schön trist machen.“

(Hendrik Streek, Direktor am Institut für Virologie in Bonn, in der Sendung „Maischberger“, ARD, 26. August 2020)

Streeks auf Deutschland bezogene Ausführungen kann man eins zu eins auf die Schweiz übertragen. Während sich die Anzahl Infektionen über die letzten Wochen nach und nach erhöht und sich von gestern auf heute sogar von 202 auf 383 fast verdoppelt hat. gibt es täglich nur vereinzelte Hospitalisationen und Todesfälle. Gefühlte Angst und tatsächliches Risiko: Statt der Anzahl Infizierter müsste man in den Medien eigentlich besser täglich die Anzahl der jeweils neuen Hospitalisationen und Todesfälle publizieren, das würde uns wohl einiges an Ängsten und an Panik ersparen. Denn, wie Henrik Streek aufzeigt: Gefährlich ist das Coronavirus nur dann, wenn man wirklich krank wird. Eine hohe Anzahl Infizierter, die keine oder nur geringe Symptome aufweisen, hätte sogar eher einen positiven Effekt: Es bedeutet ja, dass diese Personen zumindest für eine gewisse Zeit immun bleiben bzw. im Falle einer weiteren Ansteckung mit einem höchst milden Verlauf der Krankheit rechnen und das Virus nicht mehr weiter verbreiten können. So käme man, früher oder später, zu jener viel und kontrovers diskutierten Herdenimmunität, die, falls im schlimmsten Falle kein Impfstoff gefunden werden kann, wohl der einzige Weg ist, das Coronavirus in den Griff zu bekommen.

Die deutsche Linke und jene, die sie kritisieren: Wer ist denn da rückgewärtsgewandt und wer nicht?

Die deutsche Linkspartei könnte nach der nächsten Bundestagswahl sogar mit Regierungsverantwortung betraut werden. Wer indes hoffte, die Aussicht auf einen Machtzuwachs im Bund würde die Linken geschmeidiger machen, sieht sich nun eines Besseren belehrt: Die Berliner Linken präsentierten sich auf ihrem Landesparteitag in vielerlei Hinsicht als rückwärtsgewandte und antikapitalistische Totalopposition.

(www.nzz.ch)

Wer glaubt denn allen Ernstes immer noch daran, der Kapitalismus habe eine Zukunft? Dieser Kapitalismus, der die Menschen unaufhörlich und immer heftiger in einen gegenseitigen Konkurrenz- und Überlebenskampf zwingt, aus dem wenige als Gewinner und viele als Verlierer hervorgehen. Dieser Kapitalismus, der zwischen Arm und Reich einen Graben aufgerissen hat, wie er tiefer noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit gewesen ist. Dieser Kapitalismus, der darauf beruht, dass ausgerechnet jene, die am härtesten arbeiten, am wenigsten von den Früchten ihrer Arbeit profitieren, während andere durch blossen Besitz von Reichtum, ohne dafür arbeiten zu müssen, immer noch reicher und noch reicher werden. Dieser Kapitalismus, der immer noch, aller Vernunft zum Trotz, am Dogma eines unaufhörlichen Wachstums festhält und damit selbst das Überleben der Menschheit in 50 oder 100 Jahren in Frage stellt. Wenn man nun politische Kräfte, welche diesen Kapitalismus grundsätzlich in Frage stellen, als „zu wenig geschmeidig“ und „rückwärtsgewandt“ bezeichnet, dann zeigt dies nur, wie tief sich der Kapitalismus über die Jahrhunderte seiner Herrschaft hinweg in unser Denken und Fühlen hineingefressen hat – so tief, dass wir uns offensichtlich eine grundsätzlich andere Wirtschafts- und Gesellschaftsform schon gar nicht mehr vorzustellen vermögen. Doch weshalb sollte der Kapitalismus die letzte Weisheit der Menschheit sein? Ist es nicht vorstellbar und ganz plausibel, dass auf die Epoche des Kapitalismus eine neue Epoche folgt, eine Epoche, in der zwischen den Menschen, zwischen den Ländern, aber auch zwischen den Menschen und der Natur, wieder Gerechtigkeit und Frieden herrschen? Ist das so schwer vorstellbar? Ist es nicht das Nächstliegende, ist es nicht der gemeinsame Traum aller Kinder im Augenblick ihrer Geburt, über alle Grenzen hinweg? Wenn etwas rückwärtsgewandt ist, dann ist es nicht die Linke, sondern all jene politischen Kräfte, die noch immer, aller besseren Einsicht zum Trotz, am Weiterbestehen des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems festhalten…

Das Aus für das Wirtschaftsmagazin „Eco“: Schaufelt sich das Schweizer Fernsehen sein eigenes Grab?

Zwischen 2013 und 2019 sank die Zuschauerzahl des Wirtschaftsmagazins „Eco“ von durchschnittlich 195’000 auf 124’000 Personen. Nun hat SRF-Direktorin Nathalie Wappler angekündigt, „Eco“ aus dem Programmangebot zu kippen und stattdessen eher auf die digitalen Kanäle zu setzen.

(Tages-Anzeiger, 22. August 2020)

Eben noch hat das Schweizer Stimmvolk in der Bilag-Abstimmung ein klares Bekenntnis zur Beibehaltung der bisherigen Radio- und Fernsehgebühren und somit zur Aufrechterhaltung des bestehenden Service public abgegeben. Und nun das: Zuerst wird Kurt Aeschbacher vor die Tür gesetzt, dann Roger Schawinski, kurz darauf „Karpi“ Karpiczenko, der Ideengeber von Dominic Deville, und nun auch noch das Wirtschaftsmagazin „Eco“, wohl eines der besten Formate von SRF1. Alles nur noch unter dem Aspekt der Einschaltquoten zu sehen, missachtet die Tatsache, dass Sendungen mit einer geringeren Einschaltquote unter Umständen sogar die weitaus grössere Qualität und vor allem auch die grössere gesellschaftspolitische Bedeutung haben können als Sendungen mit einer höheren Einschaltquote. Wer sich eine Sendung wie „Eco“ anschaut, tut dies ganz gezielt, nimmt sich dafür die notwendige Zeit und Aufmerksamkeit und tut das, was man im besten Sinne als persönliche Weiterbildung bezeichnen könnte. Und diese gerade in einer so hektischen und in vielerlei Hinsicht oberflächlichen Zeit wie der unseren so wichtige Aufklärungsarbeit hat einen unentbehrlichen gesellschaftlichen Nutzen, egal ob sich 50’000, 70’000 oder eben 124’000 Personen daran beteiligen. Der verengte Blick ausschliesslich auf die Einschaltquote führt im schlimmsten Falle dazu, dass die besten Sendungen nach und nach verschwinden, denn man muss kein Prophet sein, um voraussagen zu können, dass vermutlich schon sehr bald immer mehr Sendungen mit sinkenden Einschaltquoten zu kämpfen haben werden und sich das Fernsehen auf diese Weise früher oder später sein eigenes Grab zu schaufeln droht. Ich wünsche der Fernsehdirektorin und allen Fernsehmachern und -macherinnen den Mut, allen Schwierigkeiten zum Trotz an der bisherigen Qualität des Fernsehens festzuhalten und sich für das Überleben ihres Mediums mit allen Kräften einzusetzen. Ich bin fast ganz sicher, dass sie dabei der Unterstützung durch eine grosse Mehrheit der Bevölkerung sicher sein dürfen.

Propagandavideo für die Begrenzungsinitiative: So viele Ungereimtheiten innerhalb von zwei Minuten, das schafft wohl nur die SVP

So viele Ungereimtheiten in einem Film von zwei Minuten Länge – das schafft wohl nur die SVP mit ihrem Propagandavideo für die Begrenzungsinitiative. Es beginnt so richtig idyllisch, ein Mädchen streift durch eine Berglandschaft und findet, die Schweiz sei das schönste Land der Welt. Weil dann alles Weitere im Film – zu viele Strassen, zu viele Baustellen, zu viele Häuser, zu viele Ausländer – als negativ dargestellt wird, müsste man daraus den Schluss ziehen, dass das eigentliche Wunschbild der SVP eine Schweiz wäre, die nur aus Bergen, Wäldern, Flüssen und Seen bestünde – das kann die SVP ja wohl nicht im Ernst wollen. Ihr Grosspapa, so das Mädchen, habe hart gearbeitet für die Schweiz von heute. Ehrlicherweise müsste sie an dieser Stelle auch all die Hunderttausenden ausländischer „Gastarbeiter“ erwähnen, die über Jahrzehnte die meisten unserer Häuser, Strassen, Brücken und Tunnels gebaut haben. Doch darüber verliert das Mädchen freilich kein Wort. Im Gegenteil: Im Anblick einer Strassenbaustelle, wo vermutlich auch wieder hauptsächlich „ausländische“ Arbeiter am Werk sind, sagt das Mädchen, viele Menschen wollten von unserer Arbeit – der Arbeit der Schweizer – profitieren. Noch mehr kann man die Tatsachen nun wirklich nicht mehr in ihr Gegenteil verdrehen! Später beklagt sich das Mädchen über die Menschen, die am Bahnhof herumhocken, und meint damit einmal mehr die ungeliebten Ausländer. Kein einziges Wort der Dankbarkeit für all die auf Baustellen, in Restaurants, in Spitälern und Pflegeheimen, in der Landwirtschaft und in den Fabriken von Ausländerinnen und Ausländern geleistete Arbeit, ohne die unsere schöne Schweiz trotz aller Berge und Seen augenblicklich wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde. Ist die SVP nicht Verfechterin der besten Schweizer Tugenden? Und gehören Dankbarkeit und Ehrlichkeit nicht dazu? Schliesslich, Gipfel der Absurditäten, besteigt das Mädchen ein Auto, um sich sogleich über den wachsenden Verkehr und die ewigen Staus zu beklagen. Hält die SVP ihre Wählerschaft für tatsächlich so dumm, dass sie ihr allen Ernstes eine solche Fülle von Unsinn zuzutrauen wagt?

Globaler Tourismus: Nicht nur ein globales Wirtschaftssystem, sondern auch ein globales Ausbeutungssystem

Vor Corona: 700 Millionen Touristen reisen pro Jahr in der Welt herum, 320 Millionen Arbeitsplätze hängen an der Reiserei. „Der Massentourismus“, so der Ökonom und Währungsexperte Uf Lindahl in einem Bericht von SRF, „das sind nicht nur Touristen in Hotels, das ist ein ganzes Wirtschaftssystem.“ Es beginnt mit den Flugzeugbauern und ihren riesigen Wertschöpfungsketten. Die Flughäfen und ihre Zulieferketten. Die Transportmittel, die Touristen in Hotels bringen. Dazu kommen die Gastronomie und ihre Zulieferketten. Aber auch die Museen und Geschäfte, bis zu den Strassenmusikanten und Bettlern. „Alle sind in einem riesigen Netz miteinander verwoben und alle leben vom gleichen Geldfluss, der von den Touristen kommt“, so Lindahl. Es sei wie bei Moskitos, die vom selben Blut saugten. Mit den Reiseverboten und Restriktionen sei die Blutbahn infiziert worden, so Lindahl. Und deshalb würden die Verluste massiv sein für alle. Die Harvard-Professorin Carmen Reinhart spricht sogar von einem „Ende der Globalisierung“ und einem „weltweiten massiven Anstieg der Armut“.

Der globale Tourismus ist nicht nur ein „ganzes Wirtschaftssystem“, sondern vor allem auch ein ganzes Ausbeutungssystem. Während rund zehn Prozent der Weltbevölkerung das Privileg geniesst, praktisch zu jedem beliebigen Zeitpunkt an jeden beliebigen Ort auf dem Globus reisen zu können, sind Hunderte von Millionen Menschen, die in Tourismusdestinationen leben, gezwungen, zur Befriedigung der Bedürfnisse der Reichen meist zu Hungerlöhnen härteste Arbeit zu verrichten. Sonnige Badestrände am Meer, Safaris und das Reisen mit einem Kreuzfahrtschiff, das alles ist nur die eine Seite der Medaille, die glänzende und schöne.

Die andere, die hässliche, das ist die Arbeit des Kochs bei 40 Grad und unter höllischem Zeitdruck im Bauch das Kreuzfahrtschiffs. Der Schweiss und die Schmerzen im Rücken und in den Beinen des griechischen Zimmermädchens, das im Akkord Zimmer um Zimmer herrichten muss und dabei fast nicht zum Atmen kommt. Die Last auf dem Rücken des Sherpas, der Unmenschliches leistet, damit seine europäischen oder nordamerikanischen Auftraggeber zuletzt leichten Fusses die höchsten Gipfel der Erde ersteigen können. Die brasilianische Tänzerin in einem mexikanischen Nachtclub, die stundenlang und ohne Pause tanzen muss, damit die Männer aus den reichen Ländern des Nordens auf ihre Rechnung kommen und der Barbesitzer genug Geld einkassieren kann, um sich ein noch teureres Auto leisten zu können. Die Prostituierte in Pattaya, die nicht selten schmerzvollste, erniedrigendste und gefährlichste Arbeit verrichten muss für einen Hungerlohn, von dem sie gerade mal knapp überleben kann.

Wenn, im Gefolge der Coronakrise, der globale Tourismus zusammenbricht, dann bricht auch ein globales Ausbeutungssystem zusammen. Und wäre das nicht eine Chance, den Tourismus neu zu denken, ihm ein neues Gesicht zu verleihen? Müssten das Reisen und das Ferienmachen und der Tourismus nicht ein Recht für alle statt bloss ein Privileg für einen Zehntel der Weltbevölkerung sein? Hat der indische Reisbauer oder die brasilianische Kakaoarbeiterin nicht genau das gleiche Recht auf eine regelmässige genussvolle Auszeit von ihrer Arbeit, auf das Kennenlernen anderer Regionen ihres Landes oder auf die Begegnung mit anderen Menschen ausserhalb ihres Dorfes? Vielleicht ist ja das, was heute geschieht, nämlich dass immer mehr Menschen ihre Ferien im eigenen Land verbringen, ein erster kleiner Schritt in diese Richtung…

Coronakrise: Haben nur Pflegende und Detailhandelsangestellte eine Lohnerhöhung verdient?

Lieber bestehende Arbeitsplätze erhalten, als höhere Löhne, diese Haltung vertritt der Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse und nennt als Beispiel das Gastgewerbe. Allerdings gebe es auch Branchen, in denen höhere Löhne gerechtfertigt seien. So hätten die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen und im Detailhandel stark zur Bewältigung der Coronakrise beigetragen, hier sei eine Lohnerhöhung von einem Prozent angebracht.

(www.srf.ch)

Soll sich das Personal im Gesundheitswesen und im Detailhandel tatsächlich mit einer so lächerlichen Lohnerhöhung von gerade mal einem Prozent zufriedengeben? Bedenklich, dass selbst Gewerkschaften in ihren Forderungen derart bescheiden geworden sind. Noch viel bedenklicher aber erscheint mir die Argumentation, wonach es Branchen gäbe, die stark zur Bewältigung der Coronakrise beigetragen hätten, und andere, bei denen dies offensichtlich nicht der Fall sei. Wie könnte man denn die Coronakrise überwinden, wenn nicht Abertausende von Zimmerleuten, Maurern, Malern und Installateuren all die Spitäler gebaut hätten, in denen die Coronakranken gepflegt werden? Wer hat all die Schutzanzüge und all die Masken genäht, die zum Schutz sowohl der Kranken wie auch der Pflegenden unentbehrlich sind? Wer reinigt Betten, Räume, Toiletten und Geräte in den Spitälern, damit möglichst keine Ansteckungsgefahr besteht? Wer sorgt tagtäglich dafür, dass wir alle, ob Kranke, Gesunde, Schutzbedürftige oder Pflegende, stets ausreichend mit Lebensmitteln versorgt sind? Und wer transportiert all die Güter, die nicht nur im Kampf gegen das Coronavirus, sondern ganz allgemein zur Sicherung der Lebensqualität notwendig sind, über Tausende von Kilometern tagtäglich von Stadt zu Stadt, von Land zu Land? Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Und alle diese Tätigkeiten werden zu Löhnen verrichtet, die nicht selten noch um einiges tiefer sind als jene des Pflegepersonals und der Detailhandelsangestellten. Fairerweise müsste man auch für sie alle eine Lohnerhöhung fordern, Corona hin oder her. Denn so lange hierzulande die höchsten Einkommen rund 300 Mal höher sind als die niedrigsten, so lange es eine halbe Million Menschen gibt, die so wenig verdienen, dass sie davon nicht einmal leben können, und so lange die 300 reichsten Schweizerinnen und Schweizer ein Privatvermögen von über 700 Milliarden Franken besitzen, so lange ist das Feilschen um winzige Lohnerhöhungen einzelner schlecht gestellter Branchen reine Erbsenzählerei. Von Gerechtigkeit könnten wir erst dann sprechen, wenn all jene, die mehr verdienen und mehr besitzen als der Durchschnitt, zumindest einen Teil davon abgäben zu Gunsten all jener, die weniger verdienen und weniger besitzen als der Durchschnitt. Aber bis dahin ist wohl noch ein weiter Weg…

Eine Welt ohne Waffen und ohne Armeen: Längst fälliger Sprung in ein neues Zeitalter

Angesichts der Sorgen vor einem neuen atomaren Wettrüsten hat die Stadt Hiroshima der Opfer des Atombombenabwurfs vor 75 Jahren gedacht. Zugleich rief der Bürgermeister von Hiroshima, Kazumi Matsui, die Welt auf, „egozentrischen Nationalismus abzulehnen“. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres warnte in einer Videobotschaft vor einem erneuten atomaren Wettrüsten.

(Tages-Anzeiger, 7. August 2020)

Es wäre der längst fällige Sprung in ein neues Zeitalter. Nicht bloss eine Welt ohne Atomwaffen. Sondern eine Welt ohne Waffen jeglicher Art. Noch nie haben Waffen zur Lösung eines Konflikts zwischen Ländern oder Volksgruppen etwas Positives beigetragen. Immer haben sie nur zusätzliches Leiden und zusätzliche Zerstörungen verursacht. Ganz abgesehen von den Unsummen, die für militärische Rüstung verschleudert werden. Es gab, nach dem Zweiten Weltkrieg, weltweit pazifistische Strömungen. Es gab, mit der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, die Forderung nach einer Abschaffung der Schweizer Armee, der immerhin fast zwei Fünftel der Bevölkerung zugestimmt haben. Wo sind diese Visionen verschwunden? Weshalb ist das alles eingeschlafen? Haben wir uns so sehr an das Absurde gewöhnt, dass wir gar nicht mehr auf die Idee kommen, es könnte alles auch ganz anders sein? Ist nicht immer wieder von „Fortschritten“ in der Menschheitsgeschichte die Rede, Fortschritte bei der Digitalisierung, Fortschritte in der Medizin, Fortschritte in der Herstellung von technischen Geräten, Werkzeugen und Präzisionsinstrumenten? Weshalb fällt es uns so schwer, nun endlich auch bei der Lösung internationaler und territorialer Konflikte so grosse Fortschritte zu erzielen, dass Waffen und Armeen eines Tages überflüssig geworden sein werden?

Klimaplan der Schweizer Grünen: unrealistisch, wirtschaftsfeindlich und zu teuer?

Den Schweizer Grünen ist das Tempo im Klimaschutz viel zu tief. Die Zielsetzung des Bundesrates, bis 2050 „klimaneutral“ zu sein, reicht ihnen nicht. Dieses Ziel soll bis 2030 erreicht sein, indem die Emissionen im Inland um 50 Prozent gesenkt und im Ausland um dieselbe Menge reduziert werden sollen. Und dann soll es in gleichem Tempo weitergehen: Ab 2040 soll das Land sogar „klimapositiv“ werden. Dann sollen mit technischer und natürlicher Hilfe der Atmosphäre zusätzlich Treibhausgase entzogen werden, so dass die Schweiz unter dem Strich eine positive CO2-Bilanz ausweisen kann. Die Zwischenetappen, um dieses Ziel zu erreichen, sind ambitioniert. So sollen ab 2030 nur noch neue Fahrzeuge zugelassen werden, die mit Strom oder Wasserstoff fahren. Gebäude dürfen in zehn Jahren kein CO2 durch Heizen mehr emittieren. Die Emissionen, die wir mit dem Import ausländischer Waren verursachen, sollen durch Mindeststandards für importierte Produkte gesenkt werden. So sieht der Klimaplan aus, den die Schweizer Grünen gestern den Medien vorgestellt haben.

(Tages-Anzeiger, 6. August 2020)

Doch kaum sind die Grünen mit ihrem neuen Aktionsplan an die Öffentlichkeit getreten, da erscheinen schon, wen wunderts, bürgerliche Politiker auf dem Plan und verwerfen die Pläne der Grünen in Bausch und Bogen: Sie seien unrealistisch, viel zu teuer und würden der Wirtschaft schaden. Doch wer hindert uns eigentlich, das Heft selber in die Hand zu nehmen? Jeder Einzelne, jede Einzelne kann ab hier und heute, ohne nennenswerte Einbusse an der Lebensqualität, auf das private Autofahren verzichten, ebenso auf das Fliegen zu reinen Vergnügungszwecken, auf den Verzehr von Fleisch, auf das unnötige Heizen sämtlicher Räume der Wohnung oder des Hauses, auf den Konsum von Billigwaren und Konsumgütern, die man nicht wirklich braucht, die unter ökologisch und sozial bedenklichen Bedingungen produziert, über tausende von Kilometern hinweg transportiert werden und oft schon nach kürzester Zeit im Müll landen. Müssen wir wirklich darauf warten, bis Gesetze uns dazu zwingen, unser Verhalten zu ändern? Weshalb genügen die Vernunft und der gesunde Menschenverstand nicht, um aus Eigeninitiative und Selbstverantwortung so zu handeln und zu leben, dass ein langfristiges Überleben der Menschheit auf diesem Planeten möglich ist? Man kann sich über „gefährliche“ oder „schädliche“ Gesetze und Massnahmen noch so sehr auslassen und sich darüber ärgern. Das beste Mittel dagegen ist, so zu leben und so zu handeln, dass sie gar nicht mehr nötig sind.

Libanon: 30 Milliardäre und 2000 Millionäre, während ihr ganzes Heimatland zusammenbricht

Gemäss St. Galler Tagblatt gibt es im Libanon über 2000 Millionäre und über 30 Milliardäre. Würden sie nur einen Drittel ihres gewaltigen Reichtums abgeben, könnte das Land saniert werden. Stattdessen hält man am System der systematischen und ausufernden Bereicherung fest und nimmt dafür sogar den Untergang des Heimatlandes billigend in Kauf.

Dass es im Libanon so viele Reiche gibt, ist kein Zufall. Das ist auch in Russland nicht anders, auch in Indien, in Brasilien, in der Schweiz, einfach gesagt: in jedem kapitalistischen Land. Denn der Kapitalismus ist jenes politische und wirtschaftliche System, welches eine permanente Umverteilung von unten nach oben legitimiert. Unten all jene, die für ihre Arbeit weniger Geld bekommen, als ihre Arbeit eigentlich wert wäre. Oben all jene, die bloss deshalb immer reicher werden, weil sie bereits zu den Reichen gehören und permanent von jenem Mehrwert profitieren, welcher bei den Ärmeren und Armen abgeschöpft wird. Somit ist das Geld der Reichen nichts anderes als gesellschaftlich gestohlenes Geld. Dass dies in guten Zeiten der Fall ist, ist schon Skandal genug. Dass aber sogar in schlechten Zeiten jene, die sich in den guten Zeiten auf Kosten anderer bereichert haben, nicht einmal daran denken, den Bestohlenes etwas von dem Raubgut zurückzugeben, grenzt an unglaublichen Egoismus und unglaubliche Menschenverachtung.

Hilfsaktionen und humanitäre Spenden für Arme müssen, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, reines Flickwerk bleiben, so lange nicht das kapitalistische System mit all seinen Auswüchsen individueller Bereicherung auf Kosten von Armut und Elend von Grund auf überwunden wird. Nicht nur im Libanon, sondern auch weltweit.

Dringend nötige Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens: Damit niemand mehr am Abend an einem leeren Esstisch sitzen muss..

Nicht nur in Brasilien und Mexiko, sondern auch in Bolivien, Peru, Argentinien und Kolumbien wütet das Coronavirus wie nie zuvor. Viele Länder hatten zwar früh reagiert und entschiedene Vorsichtsmassnahmen getroffen. Aber alte Probleme der Region sind in der Pandemie zur tödlichen Bedrohung geworden. So haben Millionen Menschen in Lateinamerika keinen festen Job oder Arbeitsvertrag. Sie können sich eine Quarantäne nicht leisten, denn bleiben sie zuhause, verdienen sie nichts – und abends bleibt der Esstisch leer.

(Tages-Anzeiger, 4. August 2020)

Sich eine Quarantäne nicht leisten können, heisst nichts anderes als: es sich nicht leisten können zu überleben, sondern gezwungen sein, Lebensbedingungen zu akzeptieren, die möglicherweise zu einer schweren Erkrankung oder gar zum Tod führen können. Vogel friss oder stirb – nach dieser Devise sahen sich schon vor der Coronaepidemie weltweit Milliarden Menschen Tag für Tag vor die Wahl gestellt, entweder einer Arbeit nachzugehen, und sei sie noch anstrengend, gefährlich oder entwürdigend, oder aber keine Arbeit zu haben und am Abend an einem leeren Esstisch zu sitzen. Eigentlich eine direkte Fortsetzung der früheren Sklavenarbeit, denn diese Milliarden von Menschen hätten ja niemals freiwillig diese unmenschliche und entwürdigende Arbeit verrichtet, wenn sie nicht die einzige Alternative zu Armut, Hunger und Elend gewesen wäre. Höchste Zeit, dies zu ändern. Hierfür würde sich wohl nichts besser eignen als die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, um Leben und Arbeit zu entkoppeln und jedem Menschen, unabhängig davon, ob er einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht, ein Leben in Anstand und Würde zu garantieren, damit niemand mehr, aber wirklich niemand mehr am Abend an einem leeren Esstisch sitzen müsste. Den Gegnern eines solchen Modells bleibt meist, nachdem alle anderen Einwände entkräftet werden konnten, nur noch das Argument, ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bewohner und Bewohnerinnen dieses Planeten wäre nicht finanzierbar. Doch dieses Argument ist leicht zu entkräften: Führen wir uns nur mal vor Augen, was für astronomische Geldsummen an den Börsen und Aktienmärkten gehandelt und in Riesenblasen rund um den Globus gejagt werden. Schauen wir uns an, wie viel Geld weltweit für militärische Rüstung ausgegeben wird. Sehen wir uns die Ausgaben für die Raumfahrt an. Vergegenwärtigen wir uns, wie viel Geld in einer unendlichen Zahl von Luxusprodukten steckt, die sich ausschliesslich das reichste Fünftel der Menschheit leisten kann. Rechnen wir aus, wie viele Menschen weltweit um ein Vielfaches mehr verdienen, als für ein gutes Leben notwendig wäre. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten wir uns locker leisten, und dies weltweit. Was für ein Segen wäre das für die Menschheit! Stellen wir uns vor, jeder Mensch hätte jederzeit die freie Wahl, ob er einer Erwerbsarbeit nachgehen wollte oder nicht. Niemand wäre mehr gezwungen, einer Arbeit unter sklavenähnlichen Bedingungen nachzugehen und sich gegen seinen Willen und alle Menschlichkeit ausbeuten zu lassen. Könnten wir aus der gegenwärtigen Coronakrise mit all ihren verheerenden Auswirkungen etwas Besseres lernen als dies?