Ein Corona-Todesfall – 26 Todesfälle durch übermässigen Zigarettenkonsum

220 neu mit Corona Infizierte in der Schweiz innerhalb von 24 Stunden – was kommt noch alles auf uns zu? Und doch: Von diesen 220 Personen mussten gerade mal acht hospitalisiert werden. Und innerhalb der letzten 24 Stunden ist gerade mal eine einzige Person am Coronavirus verstorben. Im gleichen Zeitraum starben rund 26 Menschen an der Folge übermässigen Zigarettenkonsums. Vielleicht ist sogar eine dieser 26 Personen das mutmassliche Covid-19-Opfer. Keinesfalls darf und soll man das Coronavirus verharmlosen. Und selbstverständlich sollen alle Regeln, die zu einer Eindämmung des Virus beitragen können, unter allen Umständen eingehalten werden. Dennoch sollte man bei alledem nicht jegliches Augenmass und jeglichen gesunden Menschenverstand verlieren.

Zunahme von Stress und Druck: Die Arbeitswelt als Rennbahn sich gegenseitig konkurrenzierender Unternehmen

Trotz weniger Stunden pro Woche und mehr Ferien, so der „Tagesanzeiger“ am 30. Juli 2020, steigt in der Schweiz die Zahl der Personen, die den Arbeitsplatz als Belastung empfinden. Jeder Fünfte gab 2017 bei der letzten Gesundheitsbefragung an, „immer oder meistens“ im Job Stress zu erleben, auf weitere 45 Prozent trifft das „manchmal“ zu. Beide Anteile haben gegenüber 2012 zugenommen. Ein Grund für den Anstieg ist der Zeitdruck, dem viele regelmässig ausgesetzt sind. Die Hälfte gibt an, mindestens drei Viertel der Arbeitszeit in hohem Tempo oder unter Termindruck arbeiten zu müssen. Als positiv wird hingegen von einer bedeutenden Mehrheit empfunden, dass sie von der Hilfe und Unterstützung ihrer Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit profitieren könnten: 2017 gaben mehr als 71 Prozent an, „meistens“ oder „immer“ darauf zählen zu können.

Als ginge ein tiefer Graben durch die Arbeitswelt: Der Mitarbeiter im eigenen Betrieb ist mein Freund und Helfer, die Mitarbeiter aller anderen Firmen sind meine Feinde. Denn die gesamte Arbeitswelt gleicht einer riesigen Rennbahn, auf der sich jede Firma in einem ständigen Wettlauf mit allen anderen Firmen befindet, in einem permanenten gegenseitigen Überlebenskampf, aus dem nur die Besten und Schnellsten als Sieger hervorgehen und all jene, die das Tempo nicht mitzuhalten vermögen, früher oder später auf der Strecke bleiben. Dabei nehmen, genau gleich wie beim Hochleistungssport, der Druck und das Tempo zwangsläufig immer mehr zu, denn jeder Vorsprung, den sich eine einzelne Firma herausgeholt hat, zwingt alle anderen dazu, ihr eigenes Tempo noch weiter zu verschärfen, um diesen Vorsprung wieder einzuholen und nicht abgehängt zu werden. Dies erklärt die zunehmende Zahl von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die ihren Arbeitsplatz als Belastung erleben und unter häufigem oder permanentem Stress leiden. Ewig kann das nicht so weitergehen, sonst gelangen wir früher oder später an den Punkt, an dem die Menschen physisch oder psychisch schlicht und einfach nicht mehr in der Lage sein werden, die von ihnen geforderte Leistung zu erbringen – etwas, was wir heute im Spitzensport mit seiner zunehmenden Zahl an Verletzungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits überaus drastisch erleben.

Wir brauchen eine Arbeitswelt, in der das Verhältnis zwischen den Firmen nicht von einem gegenseitigen Wett- und Verdrängungskampf bestimmt ist, sondern von gegenseitiger Unterstützung und Kooperation. Damit nicht nur der Arbeitskollege im eigenen Betrieb mein Freund und Helfer ist, sondern auch der Mitarbeiter und die Mitarbeiterin aller anderen Firmen und Unternehmen, und dies nicht nur innerhalb des gleichen Landes, sondern weltweit.

Vom Einfamilienhaus mit Swimmingpool bis zum fensterlosen Bretterverschlag in einem indischen Slum: In was für einer Welt leben wir eigentlich?

„Bleiben Sie zuhause!“ – das war die Devise während des Lockdowns und könnte sie schon bald wieder sein, wenn die Fallzahlen weiter so ansteigen wie in den letzten Tagen. Doch was heisst eigentlich „Zuhause“? Für nicht wenige ist das ein grossräumiges Einfamilienhaus mit je einem Zimmer für jedes Kind, mit einem Garten, Spielgeräten, einer Werkstatt und vielleicht sogar einem eigenen Swimmingpool. Für nicht wenige andere ist es bloss eine enge Wohnung in einem Mehrfamilienhaus, wo sich mehrere Kinder ein Zimmer teilen müssen, wo es keinen Garten gibt, keine Werkstatt und schon gar nicht einen Swimmingpool und vielleicht nicht einmal einen Balkon. Und für wieder Millionen andere in den Slums von Rio oder Mumbai ist es vielleicht bloss ein fensterloser Bretterverschlag, ohne Wasser, ohne Toilette, ohne Elektrizität.

Selten sind die sozialen Unterschiede zwischen Arm und Reich so drastisch zutage getreten wie in der Coronazeit. Als glitte ein überstarker Scheinwerfer über eine Landschaft voller Gräben, die zuvor auch schon da gewesen waren, deren Tiefe man aber noch nie so deutlich gesehen hatte. Dieses Bild, diese Gräben, diese unsägliche Ungerechtigkeit dürfen wir nie mehr vergessen, auch dann nicht, wenn das Coronavirus eines Tages besiegt werden kann und wir wieder zur „Normalität“ zurückkehren werden. Diese „Normalität“ ist nämlich alles andere als normal. Normal wäre, wenn alle Güter, die Erfüllung aller Bedürfnisse, die Lebensqualität und damit auch die Art und Weise des Wohnens gerecht auf alle Menschen, egal ob hierzulande oder weltweit, gleichmässig, gleichberechtigt und gerecht verteilt wären.

Um dies zu verwirklichen, brauchen wir kompromisslos weltweite soziale Gerechtigkeit, die Überwindung jeglicher Form von Klassengesellschaft, anders geht das nicht. Und dann würden sich nicht mehr die einen in ihren Swimmingpools vergnügen und die anderen in einem fensterlosen Brettervorschlag dahinvegetieren, sondern jeder Mensch, ob Schwede oder Pakistani, ob Arzt oder Lastenträger, ob Hochschuldozentin oder Krankenpflegerin, lebte mit ihrer Familie in einem kleinen, schmucken Reihenhäuschen mit keinem Luxus, aber mit allem Lebensnotwendigen und vielleicht, vielleicht sogar einem winzigen Garten. Denn so wie Wasser, Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung und Bildung gehört auch das Wohnen zu den Grundrechten des Menschen und es gibt keinen einzigen stichhaltigen Grund dafür, dass die einen mehr davon haben sollen als die anderen.

Wie sich öffentliches Geld in privates Gold verwandelt…

Zur Entwicklung eines Corona-Impfstoffs haben die deutsche Biotech-Firma BioNTech und der US-Pharmariese Pfizer staatliche Subventionen in der Höhe von 1,95 Milliarden Dollar erhalten. Angesichts der Hoffnung auf einen baldigen Durchbruch sind nicht nur bei BioNTech und Pfizer, sondern auch bei einem weiteren Dutzend Firmen die Aktienpreise derart in die Höhe geschnellt, dass Aktionäre bereits insgesamt eine Milliarde Dollar Gewinn einfahren konnten. So etwa erhielten Management und Belegschaft der Firma Novavax Optionen im Wert von über 100 Millionen Dollar. Ein weiteres Beispiel ist die Firma Vaxart, deren Aktie um bis zu 3600 Prozent kletterte.

(Tages-Anzeiger, 29. Juli 2020)

Und dies alles, während sich weiterhin täglich Abertausende Menschen mit dem Coronavirus infizieren und viele von ihnen daran sterben. Verkehrte Welt. Selbst in den Zeiten grössten Elends gibt es immer noch genug Menschen, die aus dem Unglück anderer Gewinn schlagen. So eben funktioniert der Kapitalismus…

System Change – Plädoyer für ein von Grund auf neues Wirtschaftsmodell

Weite Teile der Klimabewegung haben erkannt, dass wir, um die Klimaerwärmung zu stoppen und die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu sichern, nicht darum herum kommen, unser Wirtschaftssystem von Grund auf zu erneuern. Die Forderung nach einem neuen Wirtschaftssystem gipfelt im Slogan „System Change – Not Climate Change“. Ihm liegt die Einsicht zu Grunde, dass die Grundprinzipien des kapitalistischen Wirtschaftssystems unvereinbar sind mit der Notwendigkeit eines nachhaltigen Umgangs mit unseren natürlichen Ressourcen, mit der Natur, mit der Erde, mit dem Klima. Diese kapitalistischen Grundprinzipien sind erstens das Dogma eines immerwährenden und endlos steigenden Wirtschaftswachstums, das immer mehr jener Ressourcen verbraucht, die dann zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. Zweitens die unaufhörliche Vermehrung von Reichtum und Luxus bei einer Minderheit der Weltbevölkerung, die sich dadurch nicht nur schrankenlose Mobilität – mit Flugzeug und Automobil – leisten kann, sondern auch den Konsum einer endlosen Menge an Luxusgütern, was wiederum zu einem stets wachsenden Verbrauch natürlicher Ressourcen führt und zu einer unabsehbaren Belastung der Natur mit Müll und Abfallprodukten aller Art. Drittens das Konkurrenzprinzip, dass jede Firma im Kampf ums eigene Überleben gezwungen ist, möglichst viel, möglichst schnell und möglichst billig zu produzieren – was wiederum dazu führt, dass viel mehr Güter hergestellt werden, als eigentlich notwendig sind, und erst noch zu katastrophalen sozialen und ökologischen Bedingungen. Eigentlich der Gründe genug, um uns so schnell wie möglich vom Kapitalismus zu verabschieden. Doch was im Moment gänzlich fehlt, ist eine glaubwürdige Alternative zum Kapitalismus, die Vision eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das sich nicht nur in Nuancen, sondern von Grund auf vom Kapitalismus unterscheidet. Allzu oft wird das Nachdenken und Diskutieren über solche Visionen – ohne die wir früher oder später schlicht und einfach nicht herumkommen werden – schon im Keim erstickt. Wer den Kapitalismus überwinden will, dem wird nur allzu bald der Vorwurf entgegengeschleudert, er wolle den Sozialismus oder gar den Kommunismus wieder einführen oder aber, auch dieser Vorwurf ist immer wieder zu hören, er wolle die Menschheit in die Steinzeit oder in die Zeit der Neandertaler zurück katapultieren. Dabei geht es doch nicht um unsere Vergangenheit und um all die Wirtschaftsmodelle, die gescheitert sind. Es geht um unsere Zukunft. Wenn wir alles auf die Frage Kapitalismus oder Kommunismus bzw. Sozialismus reduzieren, dann versperren wir uns den Blick darauf, dass es jenseits aller Modelle, die bereits gescheitert sind, doch immer noch die Freiheit geben muss, etwas Neues, noch nie Dagewesenes zu erfinden. Wie man dieses Neue bezeichnen möchte, ist beiläufig. Das Wesentliche liegt darin, dass dieses neue, zu erfindende Wirtschaftssystem ein gutes Leben für alle Menschen möglich machen muss, unabhängig davon, wo sie geboren wurden. Und dieses gute Leben sollen auch alle zukünftigen Generationen in Anspruch nehmen dürfen. Im Gegensatz zum Kapitalismus mit seinen unendlichen Verästelungen von Ausbeutung und Zerstörung wäre dies doch eigentlich ein sehr einfaches Programm. Was hält uns davon ab, es endlich, Schritt für Schritt, in die Tat umzusetzen.

Eigentlich müssten sich die Polizei und die Jugendlichen nicht gegenseitig bekämpfen, sondern sich solidarisieren im Kampf für eine bessere Welt

Dieses Mal, so das St. Galler Tagblatt am 21. Juli 2020, waren es noch einmal mehr. Randalierten in Stuttgart Ende Juni noch rund 500 Jugendliche, waren es an diesem Wochenende in Frankfurt bis zu 800 junge Leute, die sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten. Auf dem Opernplatz mitten in der hessischen Finanzmetropole spielten sich in der Nacht zum Sonntag wüste Szenen ab. Zwei Gruppen gerieten aneinander, ein Jugendlicher ging dabei zu Boden. Als die Polizei einschritt und dem blutenden Jugendlichen helfen wollte, richtete sich die Gewalt plötzlich gegen sie. Die jungen Leute attackierten die Beamten, warfen Flaschen und Gegenstände. Der Polizei gelang es erst mit einem Grossaufgebot, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Es sei „sehr schlimm, was sich heute Nacht entladen hat“, sagte Frankfurts Polizeipräsident Gerhard Bereswill. Besonders schmerzlich sei, „dass die gesamte Menschenmenge johlt und Beifall klatscht, wenn unsere Kolleginnen und Kollegen von Flaschen getroffen werden“.

Die randalierenden Jugendlichen sind nicht zu beneiden. Die meisten von ihnen mussten ihre Heimat aus existenziellen Gründen veranlassen, voller Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa – doch auch diese Hoffnung hat sich für die meisten mittlerweile zerschlagen und zum zweiten Mal lösen sich alle ihre Zukunftsträume in Nichts auf. Doch nun die Polizei anzuprangern, schlecht zu machen oder gar Hass und Gewalt gegen sie auszuüben, ist der falsche Weg. Das Böse ist nicht die Polizei. Das Böse, wenn überhaupt, ist das kapitalistische Wirtschaftssystem. Ein Wirtschaftssystem, das dazu führt, dass sich in einzelnen Regionen und Ländern des Nordens Reichtum und Luxus in nie dagewesenem Ausmass anhäufen, während ganze Länder und halbe Kontinente in bitterste Armut getrieben werden und die Menschen, wollen sie ein besseres Leben, gar keinen anderen Ausweg mehr sehen, als ihre Heimat zu verlassen. Eigentlich müssten sich die Polizei und die ausländischen Jugendlichen nicht gegenseitig bekämpfen, sondern sich solidarisieren im Kampf für eine bessere, gerechtere Welt, zusammen mit möglichst vielen anderen Menschen, die ebenfalls auf die eine oder andere Weise unter der Ausbeutung, der Verelendung und den Zerstörungen, die das kapitalistische Wirtschaftssystem Tag für Tag anrichtet, leiden. Dieser Weg aber muss ein Weg ohne Hass, Gewalt und gegenseitige Zerstörung sein, denn, wie es schon der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Zukunftstaugliche Verkehrsplanung: Das Ende des privaten Automobils

In nicht allzu weit entfernter Zukunft werden wir uns wohl die Augen reiben und nicht mehr begreifen können, dass so etwas je einmal möglich war: Da steht das mit einem Riesenaufwand an Material, Technik und Geld hergestellte und gekaufte private Motorfahrzeug zwölf oder vierzehn Stunden lang vor der Haustür und wartet darauf, dass ein siebzig oder achtzig Kilo leichtes Menschenwesen darin Platz nimmt, um sodann eine halbe oder nicht selten sogar eine ganze Tonne Stahl und Blech in Bewegung zu setzen, um dieses Menschenwesen in einer vielleicht halbstündigen Fahrt von A nach B zu bringen, auf endlosen Betonpisten im Gerangel mit Abertausenden Artgenossen, um sodann wieder vier oder acht Stunden stillzustehen und dabei erneut wieder eine Fläche zu beanspruchen, die man ebenso gut für eine Wiese, einen Kinderspielplatz oder einen Gemüsegarten hätte brauchen können.

Zukünftige Generationen werden sich an das private Automobil in ähnlicher Weise erinnern wie wir heutigen Menschen an die Dinosaurier: zu gross, zu fett, zu unbeweglich, zu gefrässig, nicht zukunftstauglich. Doch noch, aber das ist vielleicht bloss so etwas wie ein letztes Aufbäumen, ist immer noch etwas Heiliges um dieses private Glück auf vier Rädern, das nicht selten aufmerksamer und liebevoller gepflegt und gehätschelt wird als die eigenen Kinder. Noch geht ein Aufschrei durchs Land, wenn einer kommt und den Verzicht auf das eigene Privatauto fordert. Dabei wäre es doch so einfach und würde allen, sowohl denen, die heute noch ein Auto besitzen, wie auch denen, die bereits heute auf eines verzichten, unschätzbar viel mehr Vorteile als Nachteile bringen. Man stelle sich vor: Ein Land, in dem sich die Menschen ausschliesslich mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen, in einem Netz, das so stark ausgebaut, fein verästelt und mit einem Taxidienst ergänzt würde, dass man nahezu jederzeit von jedem beliebigen zu jedem anderen beliebigen Ort gelangen könnte. Ein Land, in dem alle nur erdenklichen Anstrengungen unternommen würden, um Wohn- und Arbeitsorte so nahe zusammenzubringen, dass sich die Pendlerströme in Zügen und Bussen auf ein erträgliches Mass reduzieren würden. Ein Land, in dem nur noch Handwerker, Ambulanzen, die Feuerwehr und die Polizei mit Autos unterwegs wären und selbst die grossen Überlandlastwagen immer seltener anzutreffen wären, da die Güter in immer grösserer Zahl mit der Eisenbahn transportiert würden. Ein Land, in dem Abertausende von Quadratkilometern, die heute von Strassen, Brücken und Parkplätzen beansprucht werden, wieder frei wären für Fussgänger und Velofahrerinnen, für spielende Kinder und Vergnügungspärke, für Grünflächen, Bäume und Gemüsegärten. Nicht eine verlockende Vorstellung? Alle würden etwas gewinnen, niemand würde etwas verlieren.

Und wäre die Schweiz nicht das ideale Land, um ein solches Experiment zu verwirklichen? Fast schon einmal hätte es geklappt, nämlich im Kanton Graubünden, wo der Regierungsrat im Jahre 1900 ein Verbot aller Automobile auf den Strassen des Kantons erliess, welches erst 1925 durch eine Volksabstimmung wieder rückgängig gemacht wurde. Heute, fast hundert Jahre später und fast hundert Jahre gescheiter, könnten wir doch an diesem Punkt noch einmal neu anfangen. Kaum auszudenken, was dies auch weit über die Grenzen unseres Landes hinaus bewirken würde…

Wissen und Information als Fundament der Demokratie

Eine ganze Seite ist sie lang, die Reportage über den 78jährigen israelischen Arzt Rafi Walden, der jeweils mindestens einmal pro Monat ins Westjordanland reist und dort eine mobile Klinik aufbaut, um kranke und verletzte Palästinenser und Palästinenserinnen kostenlos zu betreuen. Überaus aufschlussreich und informativ ist der Artikel, beleuchtet das schwierige Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern und Palästinenserinnen, geht auf die Auswirkungen der Caronaepidemie ein und zeigt auf eindrückliche Weise, wie viel der Mut und das Engagement eines einzelnen Menschen bewirken kann…

Wo anders als in meiner Tageszeitung wäre ich zu diesen Informationen gelangt? Wohl kaum auf irgendeiner Internettplattform. Auch nicht irgendwo in den Social Media. Und gewiss auch nicht in der Boulevardpresse oder einem der Gratisblätter. Wenn nun allenthalben vom Zeitungssterben die Rede ist, von den massiven Einbrüchen bei den Werbeeinnahmen, den veränderten Lesegewohnheiten, dem „Gesundschrumpfen“ von Zeitungsredaktionen und dem Personalabbau bei Auslandkorrespondentinnen und Auslandkorrespondenten, dann wird vielleicht schon bald ein solcher Artikel wie der über den israelischen Arzt Rafi Walden auch in meiner Tageszeitung nicht mehr zu lesen sein.

Eine gefährliche Entwicklung. Denn wenn die Demokratie ein Haus ist, dann sind Wissen und Informationen das Fundament, auf dem dieses Haus steht. Die Beschleunigung, Verflachung und Boulevardisierung der Medienlandschaft ist Gift für die Demokratie. Man kann die Arbeit, die von gut ausgebildeten, seriös arbeitenden und eigenständig denkenden Journalisten und Journalistinnen tatgtäglich geleistet wird, gar nicht genug hoch einschätzen. Journalisten und Journalistinnen gehören, um es mit einem aktuellen Begriff zu bezeichnen, ebenso zu den „systemrelevanten“ Berufen wie Ärzte, Krankenpflegerinnen, Lastwagenchauffeure, Landwirte und Kitamitarbeiterinnen. Das, was sie erschaffen, sind nicht Luxusprodukte, sondern, wie Nahrung, Wasser und Luft, Grundnahrungsmittel für die seelische und geistige Gesundheit des Menschen. Ob man dieser Entwicklung durch entsprechende Subventionen entgegenwirken oder gleich die gesamte Medienlandschaft verstaatlichen sollte, darüber muss diskutiert werden. Aber eines steht fest: Alles bloss dem „Freien Markt“ zu überlassen, aus dem nur die Stärksten und Erfolgreichsten – was immer dies konkret bedeuten mag – als Sieger hervorgehen und alle anderen auf der Strecke bleiben, dies wäre zu verhängnisvoll und ein nicht mehr gut zu machender Stich mitten ins Herz der Demokratie.

Nähereien in England: Zustände wie in Bangladesh

Mit flinken Händen, so berichtet die „NZZ am Sonntag“ vom 12. Juli 2020, schieben sie die Stoffe durch die ratternden Nähmaschinen. Ein gebeugter Rücken reiht sich an den andern. Der Notausgang am Ende der stickigen Halle ist verbarrikadiert. Viele der gut hundert Frauen, die hier arbeiten, sehen müde aus. Gerade jetzt in Zeiten von Corona müssen sie Überstunden leisten. Selbst wer krank ist und sich mit Covid-19 infiziert hat, muss weiter schuften. Niemand lehnt sich auf, vielmehr droht jeder Arbeiterin, die sich beklagt, die Kündigung. Da viele von ihnen illegal beschäftigt sind, sind sie ihrem Arbeitgeber schutzlos ausgeliefert. Zudem gibt es weder Masken noch Abstandsregeln. Solche Szenen spielen sich nicht etwa in einer Nähfabrik in Bangladesh ab, sondern in den Sweatshops in der Stadt Leicester mitten in England. Die Frauen nähen hier für einen Hungerlohn, der nicht einmal der Hälfte des britischen Mindestlohns entspricht. Viele der tausend zum Teil illegalen Nähereien hielten auch während des landesweiten Corona-Lockdown den Betrieb aufrecht, um für Grosskunden wie die britische Textilmarke Boohoo produzieren zu können. Die tiefen Preise, mit denen Boohoo vor allem bei Teenagern Werbung macht, verlangen nach möglichst tiefen Kosten. Die Lieferanten von Boohoo treffen sich wöchentlich am Hauptsitz des Konzerns in Manchester, wo die Aufträge an die Nähfabriken vergeben werden. Den Zuschlag erhält jeweils die Näherei, die etwa einen Minijupe für 4 statt für 5 Pfund (4 Franken 75 statt 5 Franken 95) produzieren kann. Im Jargon heisst dies: die Suche nach der „billigsten Nadel“. Das sei wie auf dem Viehmarkt, hatte ein Händler einer parlamentarischen Untersuchungskommission erklärt, die ihren Bericht zu den Zuständen in der Branche Anfang vergangenen Jahres veröffentlichte.

Ob die Schlachthöfe von Tönnies in Deutschland, die Erdbeerplantagen in Spanien oder eben die Textilfabriken in England: Wer sich immer noch eingebildet hat, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gäbe es nur in Billiglohnländern wie Indien, Vietnam oder Brasilien, dem müssten spätestens jetzt die Augen aufgehen: Längst verlaufen die Grenzen zwischen Arm und Reich, zwischen Ausbeutern und Ausbeuteten nicht mehr zwischen Ländern und Kontinenten. Sie gehen mitten durch jedes kapitalistische Land hindurch und teilen in jedem dieser Länder in mehr oder weniger drastischem Ausmass die Menschen in Gewinner und Verlierer – und der Graben zwischen ihnen wird gar von Tag zu Tag noch tiefer. Glücklicherweise – und das ist das Gute daran – wird dieses unvorstellbare, grenzenlose Leiden nicht zuletzt infolge der Coronakrise offensichtlich einer immer breiteren Öffentlichkeit zunehmend bewusst. So hat eine unlängst in Grossbritannien durchgeführte Umfrage ergeben, dass 54 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass es nach der Coronakrise nicht mehr so weitergehen dürfte wie bisher, es bräuchte eine andere, gerechtere Wirtschaftsordnung und mehr Respekt gegenüber der Natur. Umfragen in Deutschland haben ein ähnliches Resultat ergeben. Darf man also, trotz all der Schreckensmeldungen, mit denen wir täglich konfrontiert sind, vielleicht doch noch ein klein wenig Hoffnung schöpfen?

Corona-Zahlen: Ein Monster, dem wir hilflos ausgeliefert sind?

Auf das neue Coronavirus positiv getestet wurden in der Schweiz bisher 32’498 Personen, 129 mehr gegenüber dem Vortag. Verstorben sind 1686 Personen.

(Mitteilung des BAG am 8. Juli 2020)

Zahlen, die Angst machen. Doch müsste man bei den 129 neu Infizierten nicht differenzieren? Wie viele von ihnen müssen tatsächlich hospitalisiert werden, welche haben einen harmlosen Krankheitsverlauf, wie viele zeigen überhaupt keine Symptome? Und vor allem: Wie viele wurden überhaupt getestet? Denn eines ist klar: Je mehr Personen getestet werden, umso mehr Infizierte wird man entdecken. Und was heisst schon „mehr gegenüber dem Vortag“? Bedeutet dies, dass es innerhalb eines einzigen Tages einen Sprung von 129 gegeben hat? Oder ist das bloss die Zahl der effektiv an diesem Tag positiv Getesteten? Schliesslich die Zahl der Verstorbenen: Was wirklich aufschlussreich wäre, das wäre ja nicht die Gesamtzahl der bisher Verstorbenen, sondern die Zahl der am jeweiligen Tag am Coronavirus Verstorbenen – eine Zahl, die in etwa im Messbereich einer gewöhnlichen Grippe liegen dürfte. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht mir nicht darum, das Ausmass der Coronakrise klein zur reden. Aber es nützt auch niemandem etwas, Zahlen und Fakten in einer Art und Weise zu präsentieren, dass wir das Coronavirus nur noch als riesiges Monster sehen, dem wir hilflos ausgeliefert sind…