Schon eine harmlose Zirkusnummer ruft eine Moralapostelin auf den Plan…

„Die aktuelle Nummer des mexikanischen Clowns Chistirrin im neuen Programm des Circus Knie“, so lese ich in der „Sonntagszeitung“ vom 24. August 2025, „sorgt für Diskussionen. Chistirrin spielt darin einen Musicclown mit Saxofon, der erfolglos immer wieder versucht, sich einer Saxofonistin, die zusammen mit ihm auftritt, anzunähern. Dabei macht er wiederholt einen übertriebenen Kussmund in ihre Richtung und einen langen Rrrr-Zungenroller.“

Worüber sich die Zirkusbesucherinnen und Zirkusbesucher amüsieren, ist bei Agota Lavoyer, Autorin und Expertin für sexualisierte Gewalt, ganz und gar nicht gut angekommen. Sie spricht von „wiederholten, hartnäckigen Annäherungsversuchen“ gegenüber der Saxofonistin, kritisiert die „Aufdringlichkeit des Clowns gegenüber der Frau“ und findet die Nummer insbesondere darum problematisch, weil sie „übergriffiges Verhalten in einer humorvollen Verpackung präsentiert“ und weil auf diese Weise „sexuelle Belästigung als romantisches Begehren verschleiert“ werde. Dass man sich „über gewaltvolle Situationen lustig macht“, so Lavoyer, trage zur „Normalisierung der Gewalt bei“.

Wie verklemmt und humorlos wollen wir eigentlich noch werden. Werfen wir doch einen Blick ins Tierreich: Viele Vogelarten zeigen komplizierte Balzrituale wie das Trällern von Liedern oder das Präsentieren von farbenprächtigen Federn. Männliche Baumgrillen erzeugen durch Aneinanderreiben ihrer Flügel zum Anlocken von Weibchen einen besonderen Gesang und bieten ihnen als Hochzeitsgeschenk Nährstoffe aus speziellen Flügelpolstern. Hirsche schwenken ihr mächtiges Geweih, um Weibchen zu imponieren. Hasen versuchen, Weibchen mit Boxkämpfen und Verfolgungsjagden zu beeindrucken.

Zum Glück können Tiere nicht lesen, was gewisse Sittenwächter und Moralapostelinnen in Büchern und Zeitungsartikeln schreiben, und treiben ihr buntes Liebesspiel fröhlich weiter wie die beiden Clowns im Zirkus Knie, über die man so richtig herzhaft lachen kann.

Lasst euch das Leben nicht vermiesen, es ist schon schwer genug.