Mittagsnachrichten vom 25. Mai 2025 am Schweizer Radio SRF: Zwei Bilder suchen den Weg in die Köpfe der Menschen, das eine führt in den Krieg, das andere in den Frieden…

Hätte noch jemand die Illusion gehabt, wenigstens die offiziellen Schweizer Medien würden einigermassen objektiv und ausgewogen über das aktuelle Tagesgeschehen berichten, müsste sich diese Illusion spätestens heute, am 25. Mai 2025, in Nichts aufgelöst haben…

Denn das bekamen an diesem Tag die Hörerinnen und Hörer der Mittagsnachrichten auf Radio SRF zu hören:

Die Ukraine hat einen der grössten Angriffe seit Beginn des russischen Angriffskriegs hinter sich. Russland griff die Ukraine die zweite Nacht in Folge aus der Luft an. Der ukrainische Präsident Selenski spricht von Terror. Aus Kiew berichtet Peter Sowitzki von der ARD: „Wieder hat Russland die Ukraine massiv aus der Luft angegriffen. Die Attacken mit etwa 300 Drohnen sowie 70 Raketen und Marschflugkörpern forderten mindestens zwölf Todesopfer, über 60 Personen wurden verletzt. Unter den Toten sind mindestens drei Kinder. Im Zuge der Luftangriffe gab es ebenso Schäden an Gebäuden, darunter ein Studentenwohnheim in Kiew. Der ukrainische Präsident Selenski rief einmal mehr zu einem härteren Vorgehen gegen Russland auf. Ohne starken internationalen Druck, vor allem der USA und Europas, könne die russische Führung nicht gestoppt werden, schrieb Selenski in seinem Telegramkanal. Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas zeigt sich erschüttert über die neuesten Angriffe und dass dabei auch Kinder gestorben seien. Dies zeige, dass Russland weiteres Leid und die Vernichtung der Ukraine anstrebe. Es brauche den stärksten internationalen Druck auf Russland, um den Krieg zu beenden.“

Und ausserdem noch das:

Das israelische Militär hat nach eigenen Angaben eine Rakete abgefangen, die aus dem Jemen abgefeuert worden war. Zuvor hatte es in mehreren Teilen Israels Luftalarm gegeben, etwa in Jerusalem. Seit Beginn des Gazakriegs feuern jemenitische Huthi-Rebellen immer wieder Raketen auf Israel. Die Rebellen bezeichnen dies als Solidaritätsbekundung für die Hamas im Gazastreifen. Zum neuesten Raketenbeschuss äussern sich die Huthis nicht. Die israelische Luftabwehr hat bisher die meisten Huthi-Raketen abgefangen oder sie im Meer versenkt, bevor sie Israel erreichten.

Mehr gab es weder zum Ukrainekonflikt noch zur Lage im Nahen Osten zu hören, noch zum übrigen Weltgeschehen.

Doch in dieser gleichen Nacht vom 24. auf den 25. Mai 2025, da in der Ukraine zwölf Menschen durch russische Drohnenangriffe getötet wurden, verloren im Gazastreifen gemäss unterschiedlicher Schätzungen 300 bis 500 Menschen, davon mehrheitlich Frauen und Kinder, ihr Leben infolge der erneut intensivierten Bombardierungen durch die israelische Luftwaffe nach dem einseitigen und unbegründeten Abbruch der Waffenruhe durch die israelische Regierung vor wenigen Tagen, inmitten unabsehbarer Trümmerfelder, in denen kaum mehr ein Stein auf dem andern steht, selbst fast alle Spitäler dem Erdboden gleichgemacht wurden und Zehntausende von Kindern unter unvorstellbaren Schmerzen von unmittelbarem Hungertod bedroht sind. In der gleichen Nacht vom 24. auf den 25. Mai geschah eine weitere unvorstellbare Tragödie: Es trafen rund 4000 Menschen, die aus der vom Krieg total verwüsteten sudanesischen Region Zamzam geflüchtet waren, nach einem mehrtägigen Gewaltmarsch in der Ortschaft Tawila ein, besser gesagt jene, welche die Flucht überlebt hatten und nicht auf dem Weg dorthin liegen geblieben waren, weil ihre Kraft nicht mehr ausgereicht hatte, um auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen – die in Tawila Angekommenen hatten tagelang weder etwas gegessen noch etwas getrunken, befanden sich zum allergrössten Teil in einem lebensgefährlichen Zustand von Dehydrierung und Erschöpfung, konnten sich teils nur noch auf dem Boden kriechend fortbewegen und es war ihnen nichts geblieben ausser den Kleidern an ihrem Leib, oft nicht einmal das. In der gleichen Nacht vom 24. auf den 25. Mai 2025 wurden zudem, wie seit Monaten auch in allen anderen Nächten zuvor, erneut Dutzende von Flüchtlingen, darunter auch Frauen und Kinder, in Kleinbussen, eng aneinander gepfercht, von Tunesien aus an die Grenze zur libyschen Wüste gekarrt, dort angelangt durch bis an die Zähne bewaffnete Frontex-Sicherheitsleute aus den Bussen gerissen und in ein bitterkaltes und tiefdunkles Niemandsland hinausgeprügelt, aus welchem die wenigsten von ihnen jemals wieder lebendig zurückkehren würden – ein mit EU-Geldern in Millionenhöhe gesponsertes „Sicherheitsprogramm“, von dem die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei seiner Lancierung vor zwei Jahren geschwärmt hatte, dass es sich um eine ganz besonders „humane“ Massnahme handle, um Europa von einer zu grossen Anzahl von aus Afghanistan, Syrien, dem Irak und afrikanischen Ländern Geflüchteten zu verschonen. Und in der gleichen Nacht vom 24. auf den 25. Mai 2025 starben, zusätzlich zu den unzähligen Opfern in den derzeit rund 60 Kriegsgebieten von der Westsahara über den Ostkongo bis nach Myanmar, wie an jedem einzelnen auch aller anderen Tage, erneut weltweit rund 7’000 Kinder vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs unter unvorstellbaren Qualen, weil sie in ihrem ganzen bisherigen, viel zu kurzen Leben auch nicht einen einzigen Tag lang genug zu essen bekommen hatten.

Es versteht sich von selber, dass auch das Schweizer Radio SRF, selbst wenn es sich noch so viel Mühe gäbe, in einer etwa fünfminütigen Nachrichtensendung nicht annähernd über all das berichten könnte, was sich in den 24 Stunden zuvor weltweit an Verbrechen, kriegerischen Ereignissen, Todesopfern durch Armut, Hunger oder politischer Verfolgung ereignet hat, von der schleichend zunehmenden, die gesamte Zukunft der Menschheit bedrohenden Klimaerwärmung ganz zu schweigen. Doch gäbe es ja nebst den Mittagsnachrichten um 12.30 Uhr jede halbe Stunde von früh bis spät weitere Nachrichtensendungen, in denen man jeweils wieder andere Themenschwerpunkte setzen und andere wichtige Ereignisse stichwortartig ergänzen könnte. Auch wenn nicht sämtliche Radiohörerinnen und Radiohörer alle diese Sendungen lückenlos zu Ohr bekämen, ergäbe sich auf solche Weise dennoch insgesamt ein weitaus umfassenderes, objektiveres Bild des aktuellen Tagesgeschehens, als wenn die oben zitierte Berichterstattung, in der es ausschliesslich um die russischen Drohnenangriffe auf die Ukraine und die erfolgreiche Abwehr von jemenitischen Raketen durch Israel ging, zwanzig Mal in nahezu identischer Ausführung wiederholt wird. Man könnte zwar einwenden, unterschiedlichste Themen würden sehr wohl in der grossen Palette sämtlicher Radiosendegefässe berücksichtigt, jedoch haben die offiziellen Nachrichten zu jeder halben Stunde ein ganz besonderes Gewicht: Viele, die sich nur kurz über das Allerwichtigste informieren möchten und keine Zeit haben, stundenlang am Radio zu sitzen, machen sich aufgrund dieser äusserst knapp gehaltenen Informationen ihr Bild über das, was zur Zeit gerade an wirklich „Wichtigem“ und „Wesentlichem“ abläuft. Und das ist dann schliesslich auch das, was in den meisten Köpfen über längere Zeit hinweg hängenbleibt.

Das ist die erste Erkenntnis: Dass Nachrichtensendungen in dieser Kürze nur einen winzigsten Splitter der Gesamtrealität vermitteln können und es völlig willkürlich ist, welche dieser Splitter in den Vordergrund gestellt werden und welche nicht. Wäre es an diesem 25. Mai 2025 tatsächlich darum gegangen, jenen Ereignissen am meisten Raum zu gewähren, welche die allermeisten Todesopfer und die allermeisten Zerstörungen zur Folge gehabt hatten, dann hätte die Meldung über zwölf Todesopfer infolge russischer Drohnenangriffe auf die Ukraine selbst in einer Nachrichtensendung, die hundert Stunden gedauert hätte, ohne allen Zweifel keinen Platz finden können.

Die zweite Erkenntnis aber, und diese ist fast noch erschreckender, besteht darin, auf welche Weise, mit was für Worten, Absichten, emotionalen Beeinflussungsmitteln und versteckten Botschaften Nachrichtensendungen solcher Art ausgestaltet werden. Schauen wir uns den Wortlaut und seine jeweilige Wirkung am Beispiel der Schweizer Radio-Mittagsnachrichten vom 25. Mai 2025 im Einzelnen etwas genauer an…

Erstens: „Einen der grössten Angriffe“ ganz zu Beginn der Meldungen suggeriert, dass es hier um etwas geht, was alles Bisherige, aber auch alles andere, was weltweit gerade geschieht, bei Weitem übertrifft, sonst würde man es ja nicht gleich am Anfang der Sendung erwähnen. Zweitens: Dass in westlichen Medien im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine nie einfach nur von einem „Krieg“ die Rede ist, sondern stets von einem „russischen Angriffskrieg“, zeigt die heimliche, nicht offen deklarierte Absicht, jeglichen Gedanken daran, dass auch der Westen eine Mitschuld am Ausbruch dieses Kriegs tragen könnte, zum Vornherein gar nicht erst aufkommen zu lassen. Drittens: Der vom ukrainischen Präsidenten Selenski im Zusammenhang mit den russischen Drohnenangriffen stets ganz bewusst und gezielt verwendete Begriff des „Terrors“ wird hier offensichtlich ganz gezielt zitiert, gibt es doch nur wenige andere Wörter, welche so starke negative Emotionen auszulösen vermögen. Wenn aber der von russischen Drohnen verursachte Tod von zwölf Menschen als „Terror“ bezeichnet wird, mit welchem Wort müsste man dann die von der israelischen Luftwaffe verübten Bombardierungen des Gazastreifens bezeichnen, welche bis zur Stunde nahezu 100’000 Menschen, grösstenteils Frauen und Kindern, das Leben gekostet hat? Und müsste man minimalster Ausgewogenheit zuliebe nicht beispielsweise auch Aussagen wie jene des ehemaligen israelischen Parlamentsmitglieds Moshe Feiglin erwähnen, der am 20. Mai 2025 auf dem israelischen TV-Sender Channel 14 Folgendes zum Besten gab: „Jedes Kind, jedes Baby in Gaza ist unser Feind. Der Feind ist nicht die Hamas. Wir müssen Gaza erobern und kolonialisieren und kein einziges Kind aus Gaza dort lassen. Es gibt keinen anderen Sieg.“ Viertens: Weshalb wird fast der gesamte Nachrichtenblock zum Thema Ukraine auf dem Schweizer Radio ausgerechnet von einem ARD-Korrespondenten bestritten, obwohl man doch wissen müsste, dass Deutschland im gegenwärtigen Spannungsfeld zwischen der Ukraine und Russland die mit Abstand härteste und kompromissloseste Haltung aller westlichen Länder einnimmt und sämtliche deutsche Mainstreammedien mit dieser einseitigen, ausschliesslich auf eine militärische Lösung fixierten Haltung mehr oder weniger gleichgeschaltet sind. Werden also auch die Schweizer Medien zusehends zu kritikfreien Sprachrohren und Echokammern deutscher und weiterer europäischer Medien? Gehören so etwas wie schweizerische Eigenständigkeit, Sorgfalt und journalistische Seriosität bereits endgültig der Vergangenheit an? Fünftens: Dass unter den Toten „mindestens drei Kinder“ gewesen seien, soll wohl als besonders schreckliche und unmenschliche Folge des russischen „Terrors“ interpretiert werden. Keine Frage, dass jedes getötete Kind eines zu viel ist. Aber was ist dann mit all den anderen Abertausenden Kindern, die weltweit während des gleichen Zeitraums durch Hunger, Krieg, Zerstörung oder andere Formen von Gewalt ihr Leben verloren haben? Was ist mit jenem Vater und jener Mutter in einem bis auf den Erdboden zerbombten Dorf im Norden des Gazastreifens, die in der gleichen Nacht, als in der Ukraine drei Kinder durch einen russischen Drohnenangriff getötet wurden, neun von ihren zehn Kindern innerhalb einer einzigen Minute durch eine israelische Bombe verloren haben? Warum werden diese neun Kinder in keiner westlichen Nachrichtensendung jemals erwähnt? Ist ein palästinensisches Leben so viel weniger wert als ein ukrainisches oder schweizerisches?

Sechstens: Dass in der Ukraine auch ein „Studentenheim“ beschädigt wurde, ist gewiss höchst verwerflich, aber was ist mit den Dutzenden von Schulen, Bibliotheken, Lebensmittelgeschäften, Kulturzentren, Moscheen und Krankenhäusern im Gazastreifen, die nicht nur beschädigt, sondern sogar komplett zerstört wurden? Siebtens: Dass Selenski aus seiner Sicht ein „härteres Vorgehen gegen Russland“ und „mehr internationalen Druck“ fordert, kann man aus seiner Sicht ja verstehen, doch lassen fast sämtliche westliche Medien vergleichbare Forderungen gegenüber dem israelischen Kabinett von Benjamin Netanyahu, was zweifellos noch weit mehr auf der Hand liegen müsste, nahezu gänzlich vermissen. Achtens: Dass die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas an dieser Stelle zitiert wird, kann wohl ebenso wenig ein Zufall sein, gilt sie doch unter den europäischen Politikerinnen und Politikern im Zusammenhang mit dem Ukrainekonflikt als eine der vehementesten und aggressivsten Hardlinerinnen. Müsste man minimaler Objektivität zuliebe dann nicht etwa auch einen Politiker wie den SPD-Mann Rolf Mützenich zitieren, der unablässig und eindringlich davor warnt, den Ukrainekonflikt ausschliesslich mit militärischen Mitteln lösen zu wollen und damit im schlimmsten Fall die Gefahr eines dritten Weltkriegs heraufzubeschwören? Weshalb werden massiv kriegstreibende Aussagen wie jene von Selenski oder Kallas einfach so im Raum stehen gelassen, ohne dass auch nur ein einziges kritisches Wort in Form eines unabhängigen redaktionellen Kommentars dazu angebracht wird? Neuntens: Dass, wie Kallas behauptet, Russland die „Vernichtung der Ukraine“ anstrebe, ist eine glatte Lüge, für die es keinen einzigen vertrauenswürdigen Beweis gibt und die einfach so unbesehen über das Schweizer Radio weiterverbreitet wird. Was Russland tatsächlich fordert, ist einzig und allein, dass die Ukraine nicht ein Mitglied der NATO werden und dass die ukrainische Regierung von Mitgliedern jener rechtsextremen Kräften befreit werden soll, unter deren rassistischer Politik, Diskriminierung, Bevormundung und gewalttätigen Ausschreitungen die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine seit mehr als zehn Jahren massiv leiden musste. Auch für die in sämtlichen Mainstreammedien, wiederum vor allem in Deutschland, aber zunehmend auch in der Schweiz und anderen europäischen Ländern im Zuge einer immer stärker geschürten Kriegseuphorie verbreiteten Behauptung, das Ziel Russlands sei die Eroberung ganz Europas, gibt es keinen einzigen glaubwürdigen Beleg, sie dient einzig und allein der Angstmacherei und der daraus resultierenden Rechtfertigung für ein nie dagewesenes Mass an militärischer Aufrüstung, welche die von Russland für seine Armee aufgebrachten Finanzen um ein Vielfaches übertrifft. Wenn es ein Land gibt, dessen Ziel es ist, eine anderes Land vollkommen auszulöschen, dann ist dies zurzeit nicht Russland, sondern Israel, dessen Regierungspolitik ganz unverblümt und „offiziell“ die vollständige Vernichtung des Gazastreifens verfolgt, inklusive der Ermordung selbst aller eben dort zur Welt gekommener Babys.

Zehntens: Wer nun erwartet hätte, dass in den Mittagsnachrichten des Schweizer Radios nach der Verurteilung der russischen Kriegspolitik auch die israelische Kriegspolitik und der von dieser an palästinensischen Kindern, Frauen und Männern seit dem 7. Oktober 2023 begangene Völkermord angemessen verurteilt würde, sieht sich erst recht enttäuscht. In einer grandiosen, nur schon den geringsten Anflug von Objektivität und Realitätsbezug ausschliessenden Täter-Opfer-Umkehr wird Israels Bedrohung durch aus Jemen von Huthi-Rebellen abgefeuerte Raketen, die allesamt hätten abgefangen werden können und kein einziges Todesopfer unter der israelischen Zivilbevölkerung zur Folge gehabt hätten, offenbar als so wichtig eingestuft, dass über die unbeschreiblichen Leiden, die dem palästinensischen Volk derzeit durch eben dieses dieses Israel zugefügt werden, auch nicht ein einziges Wort verloren wird. Hingegen wird festgehalten, dass die Huthis sich zum „neuesten Raketenbeschuss“ nicht einmal „geäussert haben“ – als hätte sich der israelische Ministerpräsident Netanyahu, der noch vor wenigen Tagen vom neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz in allen Ehren empfangen wurde, jemals zur Vernichtung von bald 100’000 Menschen im Gazastreifen auch nur mit einem einzigen Wort geäussert, oder wenn, dann höchstens in der Weise, dass es sich dabei um ein „legitimes Recht“ seines Landes handle, sich gegen Angriffe von aussen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen…

Zusammenfassend kann man wohl ohne jegliche Übertreibung zum Schluss gelangen, dass die Schweizer Radiozuhörerschaft am 25. Mai 2025 ebenso gut Nachrichten eines ukrainischen oder israelischen Propagandasenders hätte hören können und in etwa ziemlich genau in der gleichen Art und Weise „informiert“ worden wäre wie durch das angeblich so objektive und „wahrheitsgetreue“ Nachrichtenmedium eines scheinbar neutralen Staates wie der Schweiz. In Tat und Wahrheit ist das, was unsere scheinbar „objektiven“ Mainstreammedien betreiben, fast noch schlimmer als jede in Diktaturen verbreitete einseitige und tendenziöse Staatspropaganda. Denn während sich in Diktaturen lebende, kritisch denkende Menschen wenigstens bewusst sind, dass sie den offiziellen Berichterstattungen ihrer staatlichen Medien nicht über den Weg trauen dürfen, wiegt sich in den westlichen „Demokratien“ die Mehrheit der Bevölkerung immer noch in der Illusion, durch die eigenen Medien umfassend und wahrheitsgetreu informiert zu werden. Insbesondere Menschen mit persönlichen Kontakten und Begegnungen zu den in unseren Medien zu Inbegriffen des Bösen hochstilisierten Feindbildern weisen immer wieder eindringlich auf die Gefährlichkeit solcher extremen Schwarzweissmalerei hin, so etwa Yves Rossier, langjähriger Schweizer Botschafter in Moskau: „Wir dürfen nicht alles glauben, was uns im Westen erzählt wird.“

Dieses hier propagierte und völlig tendenziös gemalte Bild, wonach es beim grossen aktuellen Weltgeschehen vor allem um einen „Kampf“ zwischen dem vermeintlich „Guten“ und dem vermeintlich „Bösen“ handelt, beherrscht derzeit auf erschreckende Weise nahezu die gesamten europäischen Mainstreammedien. Das „Gute“ in dieser Weltsicht verkörpern dabei selbstverständlich die sogenannten westlichen „Demokratien“, welche angeblich die einzigen wirklichen Garanten für Freiheit und Menschenrechte seien, beim „Bösen“ dagegen handelt es sich um Diktaturen wie Russland oder China bzw. Autokraten wie Putin, welche diesem „Guten“ mit allen Mitteln den Garaus zu machen versuchten. Ganz so, wie es US-Präsident Joe Biden im März 2022 mit folgenden Worten unmissverständlich zum Ausdruck brachte: „Es geht um die grosse Schlacht zwischen Demokratie und Autokratie, zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen einer regelbasierten Ordnung und einer, die von brutaler Gewalt bestimmt ist. Wir müssen dabei klar sehen: Diese Schlacht wird nicht in Tagen geschlagen werden oder in Monaten. Wir müssen uns für einen langen Kampf stählen.“

Doch in Tat und Wahrheit ist das nichts anderes als ein riesiges, künstlich aufgeblasenes Lügengebäude, das jeglichen Realitätsbezug verloren hat, denn diese sogenannten westlichen „Demokratien“ sind schon längst nicht mehr oder waren es wahrscheinlich noch gar nie echte Demokratien im ursprünglichen Sinne der Bedeutung von „Volksherrschaft“. „Demokratie“, so Jean-Jacques Rousseau, „existiert erst dort, wo niemand so reich ist, dass er den anderen kaufen kann, und niemand so arm, dass er sich verkaufen muss.“ Echte Demokratie als „Volksherrschaft“ setzt soziale Gerechtigkeit voraus. Wenn diese nicht vorhanden ist, dann verkommt die vermeintliche „Demokratie“ zur puren Diktatur der Reichen gegen die Armen, der Mächtigen gegen die Machtlosen, der Besitzenden gegen die Besitzlosen, der Ausbeuter gegen die Ausgebeuteten, der sogenannt „Gebildeten“ gegen die sogenannt „Ungebildeten“, der Einheimischen, Ansässigen und Besitzstandwahrenden gegen „Eindringlinge“, „Auswärtige“ und „Fremde“, derer, die über Krieg oder Frieden entscheiden, gegen jene, die aufs Schlachtfeld geschickt werden, um dort für die Interessen anderer ihr Leben zu lassen. Und da diese Ungleichheiten, Abhängigkeiten, Ausbeutungsverhältnisse und der damit verbundene Machtmissbrauch mit der fortschreitenden „Perfektionierung“ des kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems immer drastischer werden, die Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Demokratie immer deutlicher zutage tritt und einer stetig wachsenden Zahl der Zukurzgekommenen die Augen für alle diese Zusammenhänge immer mehr aufzugehen drohen, müssen die oben an der Spitze, um einen auch für sie selber sich katastrophal auswirkenden Zusammenbruch des gesamten Systems zu verhindern oder mindestens so lange wie möglich hinauszuschieben, alles daran setzen, den schon längst rein irrational gewordenen Kampf des „Guten“ gegen das „Böse“ bis zum bitteren Ende aufrechtzuerhalten. Und das geht eben nur, wenn alle eigenen Fehler, Missstände, Versäumnisse und Verbrechen auf einen künstlich konstruierten äusseren Feind projiziert werden, als den sich nun gerade Russland mit Putin an der Spitze optimal anbietet, anknüpfend an die bereits während des Kalten Kriegs über Jahrzehnte bediente und stets neu geschürte Definition von Russland bzw. der Sowjetunion als „Reich des Bösen“, obwohl durch Kriege, die seit 1945 von den USA und ihren Verbündeten angezettelt wurden, insgesamt weitaus mehr Menschen ums Leben gekommen sind als durch Kriege, welche von der Sowjetunion bzw. von Russland ausgelöst wurden. „Putin“, so der US-Journalist und Pulitzer-Preisträger Chris Hedges, „hat noch einen langen Weg vor sich, bevor er das Ausmass an Kriegsverbrechen erreicht, die wir in Ländern wie dem Irak, Syrien, Libyen und Afghanistan begangen haben.“

Dieses weitgehend auf Lügen aufgebaute Bild des „guten“ Westens, der sich gerade zur letzten entscheidenden Schlacht gegen alle seine „bösen“ Widersacher auf den Weg macht, kann allerdings nur aufrechterhalten werden, solange möglichst viel Druck auf das Volk ausgeübt wird, möglichst „einheitlich“ und „obrigkeitsgläubig“ zu denken. Zuwiderlaufende Meinungsäusserungen sind nicht erwünscht und werden systematisch unterdrückt, so wie wir es zurzeit vor allem in Deutschland immer drastischer erleben, wo kritische Stimmen in den Medien kaum mehr zu hören sind und sogar schon erste Berufsverbote gegen Andersdenkende verhängt wurden. „Je näher ein Land seinem Untergang kommt“, hatte schon der römische Staatsmann Cicero vor über 2000 Jahren erkannt, „desto verrückter werden seine Gesetze.“ George Orwell schrieb: „Je weiter sich eine Gesellschaft von der Wahrheit entfernt, desto mehr wird sie jene hassen, die sie aussprechen.“ Und der deutsche Autor Thomas Pfitzer schrieb schon vor vielen Jahren: „Der Aufbau von Feindbildern ist die wirksamste Methode zur Manipulation der Massen.“ Der Glauben, nicht das Wissen und die Suche nach der Wahrheit werden dergestalt zur obersten Staatsmaxime: „Wenn du die Wahrheit suchst“, so Julian Assange, „geh los und suche sie. Genau davor haben sie Angst.“ Sie bauen lieber unter dem Deckmantel der Staatsgewalt Lügen auf, um die Wahrheit in Schach zu halten, wie auch der frühere US-Präsident Thomas Jefferson es beschrieb: „Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit kann von alleine aufrecht stehen.“ Das ganze System, so brachte es auch Edward Snowden auf genau den selben Punkt, beruhe auf der „Idee, dass man der Mehrheit alles einreden kann, solange man es nur genug laut und oft wiederholt.“ Es sei „leichter, eine Lüge zu glauben“, so auch der frühere US-Präsident Abraham Lincoln, „die man tausendmal hört, als die Wahrheit, die man nur ein einziges Mal hört.“ Auf diese Weise wird, wie Franz Kafka es sagte, „die Lüge zur Weltordnung gemacht“. Und auch Albert Einstein schien geradezu prophetisch vorauszusehen, wohin sich das sogenannt „aufgeklärte“ Europa zurzeit geradezu in schwindelerregendem Tempo bewegt: „Die Minderheit der jeweils Herrschenden hat vor allem die Schulen, die Presse und meistens auch die religiösen Organisationen in ihrer Hand. Durch diese Mittel beherrscht und leitet sie die Gefühle der grossen Masse und macht diese zu ihrem willenlosen Werkzeug.“ Das beschreibt auch Hanna Arendt mit ganz ähnlichen Worten: „Und ein solches Volk, das sich seiner Macht, zu denken und zu urteilen, beraubt sieht, ist auch, ohne zu wissen und zu wollen, dem Gesetz der Lüge vollständig unterworfen. Mit einem solchen Volk kann man dann machen, was man will.“

Doch es gibt Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. Denn es gibt neben diesem einen, alles verzerrenden und weitgehend auf Lügen aufgebauten Bild eines „Endzeitkampfes“ zwischen dem „guten“ Westen und seinen „bösen“ Widersachern gleichzeitig ein zweites Bild, das diesem geradezu diametral gegenübersteht und es zutiefst widerlegt. Dieses zweite Bild ist das Bild eines über Jahrhunderte währenden, unbeschreiblichen Leidens, mit dem die sogenannte „Neuzeit“ ums Jahr 1500 eingeläutet wurde, der Anfang des Paradieses für einige wenige und der Hölle für alle anderen, angefangen mit der Auslöschung eines grossen Teils der amerikanischen Urbevölkerung und der Versklavung fast aller Überlebender durch die europäischen Kolonialherren, um dann stets in die gleiche Richtung weiterzugehen: Zweitens mit der gewaltsamen Deportation von über 15 Millionen Kindern, Frauen und Männer von Afrika nach Amerika und deren Versklavung zwecks Anhäufung der für das nunmehr explosionsartig weltweit sich ausbreitende kapitalistische Ausbeutungssystem notwendigen Finanz- und Machtmittel. Drittens mit der Ausplünderung und Beraubung des gesamten afrikanischen Kontinents und der meisten anderen Länder und Regionen des globalen Südens zwecks Schaffung eines nie dagewesenen Reichtums für die oberen und obersten Gesellschaftsschichten in den immer reicher werdenden Ländern des Nordens. Viertens mit dem Auftürmen immer grösserer Waffenarsenale in den Händen der Mächtigen zur Absicherung all des mit Gewalt angeeigneten Raubgutes, Hand in Hand mit dem Aufbauen immer höherer Mauern und immer schärferer Gesetze, um die über Jahrhunderte Beraubten mit allen Mitteln davon abzuhalten, sich wenigstens einen winzigen Teil des ihnen Geraubten wieder zurückzuholen. Fünftens mit der unerbittlich bis heute weltweit anhaltenden Instrumentalisierung, Unterjochung und Versklavung von Frauen durch Männer und der von klein auf systematisch anerzogener „Normalisierung“ patriarchalen Machtdenkens bis in die innersten Gehirnzellen nicht nur bei den Tätern, sondern auch bei den allermeisten ihrer Opfer. Fünftens mit brutalsten Feldzügen, vergleichbar der Vernichtung durch Bomben und Raketen, gegen die Schwächsten der Schwachen, die Kinder und Jugendlichen, schon von frühestem Alter an, in Form von Erniedrigung, Demütigung und Bevormundung, seelischer und körperlicher Gewalt, sexueller Ausbeutung, Obdachlosigkeit und dem Zwang zu viel zu langer und schwerer Arbeit für ihre zerbrechlichen, gerade erst zum Leben erwachten Körper. Sechstens mit der Auspressung von Arbeitskraft bis zu totaler Erschöpfung und viel zu frühem Tod aus all jenen Abermillionen Namenloser, die nichts anderes besitzen als ihren eigenen Körper, auf glühendheissen, endlosen Plantagen vom Morgengrauen bis in die tiefe Nacht, in Bergwerken tief unter der Erde, voller tödlicher Gefahren, wo schon jeder einzelne Atemzug wie ein Feuer durch den ganzen Körper brennt, in Fleischfabriken, Textilfabriken, Spielzeugfabriken, Chipfabriken, Seite an Seite aneinandergepfercht wie Häftlinge in den schlimmsten Gefängnissen, unter der ständigen Kontrolle und Überwachung durch den Vorgesetzten, der nur darauf wartet, bis es die Arbeiterin an der Nähmaschine oder am Fliessband auch mit dem besten Willen nicht mehr schafft, gegen so viel Müdigkeit ihre Augen offenzuhalten, um mit aller Kraft auf sie einzuprügeln und sich auf diese Weise zusätzliche Bonuspunkte und eine mögliche spätere Gehaltserhöhung von seinem eigenen Vorgesetzten zu ergattern und so seinen Beitrag dafür zu leisten, dass an den anderen Enden der weltweiten Ausbeutungsketten immer mehr Menschen dank der aus den Arbeiterinnen und Arbeitern weltweit herausgepressten Profite selber nicht einmal mehr einen minimalsten Anteil an produktiver Arbeit übernehmen müssen und dennoch in den schönsten Villen an den schönsten Plätzen der Welt, rund um die Uhr bedient von weiteren Dutzenden bis zum Äussersten Ausgepresster, für sich und ihre Kinder ein paradiesisches Leben in Anspruch nehmen, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres. Mit einem Bildungssystem, das den Kindern schon von klein auf ihr natürliches, schöpferisches und selbstbestimmtes Lernen austreibt, wie wenn man Blumen oder Bäumen, die gerade erst zu wachsen angefangen haben, ihre Wurzeln ausreissen würde, und dieses freie und natürliche Lernen durch eine Art von Kastenordnung ersetzt hat, in der es bloss noch darum geht, sich unter Aufbietung aller Selbstverleugnung von Stufe zu Stufe hochzuhangeln, um mit wachsender „Bildung“ wachsende Macht zu gewinnen, also eigentlich das pure Gegenteil dessen, was wahrhaftige Bildung im Sinne von Wissen, Aufklärung, Emanzipation, Selbstbestimmung und Befreiung aus jeglicher Art von Bevormundung und Fremdbestimmung eigentlich sein müsste. Mit einem beschönigend als „freie Marktwirtschaft“ bezeichnenden Wirtschaftssystem, in dem jegliche „Freiheit“ bloss in der beinahe unbegrenzten Freiheit der Reichen und Mächtigen besteht, die Armen und Machtlosen möglichst umfassend auszubeuten und auf ihre Kosten ein gutes Leben zu haben, und der „Markt“ – im Gegensatz zur ursprünglichen Idee eines gegenseitigen Warentauschs zu möglichst fairen Bedingungen – bloss noch darin besteht, alle Güter nicht etwa dorthin zu schaffen, wo sie am dringendsten gebraucht würden, sondern dorthin, wo sich mit ihrem Verkauf am meisten Geld verdienen lässt, sodass sich in einer Welt, wo sich auf der einen Seite eine Milliarde Menschen jeden Abend hungrig schlafen legen, auf der anderen Seite Lebensmittel in nie dagewesener Fülle anhäufen, dass man sich dort sogar den Luxus leisten kann, einen Drittel davon ungebraucht fortzuwerfen. Mit einem geradezu wahnwitzigen Glauben daran, alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme liessen sich früher oder später mit rein technischen Mitteln lösen, obwohl schon längst bekannt ist, dass jede rein technische „Problemlösung“ ohne grundlegende Veränderungen traditioneller Denkweisen bloss Ursachen für weitere, noch grössere Probleme sind, welche dann wiederum mit einem noch grösseren Aufwand an Technik und Ressourcenverschleiss bekämpft werden müssen. Mit der alles überragenden und kaum je in Frage gestellten Grundüberzeugung, wonach dem Menschen als „höchstem“ Wesen der Schöpfung ganz selbstverständlich das Recht zukäme, sich den Rest dieser Schöpfung untertan zu machen, innerhalb jeder einzelnen Minute weltweit mehr als 1300 Tiere zu ermorden, obwohl er sich problemlos vegetarisch ernähren könnte, und die Hauptverantwortung dafür zu tragen, dass jeden Tag 150 Tier- und Pflanzenarten für immer aussterben, und er also drauf und dran ist, diese wunderbare Schöpfung, deren „höchstes“ Wesen er angeblich sein soll, nach und nach auszulöschen. Und nicht zuletzt mit dem irrwitzigen Glauben an die Notwendigkeit eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums, welches früher oder später zu einem endgültigen Verschwinden sämtlicher natürlicher Ressourcen und – Hand in Hand mit der zunehmenden Klimaerwärmung – gar zur Zerstörung der Lebensgrundlagen sämtlicher zukünftiger Generationen führen muss.

Die Zukunft der Menschheit, so krass muss man es wohl sagen, hängt aller Voraussicht nach höchstwahrscheinlich tatsächlich davon ab, welches dieser beiden Bilder sich stärker in den Köpfen der Menschen durchzusetzen vermag. Dasjenige eines „Endzeitkampfes“ zwischen dem vermeintlich „guten“ Westen und den vermeintlich „bösen“ Autokraten, welche diesen zu zerstören trachten, oder dasjenige einer umfassenden Aufklärung über sämtliche historische und ideologische Zusammenhänge und Hintergründe als Instrument, um aus der Vergangenheit zu lernen und daraus all jene notwendigen Einsichten zu schöpfen, die dazu verhelfen könnten, eine friedlichere und gerechtere Welt aufzubauen, die nicht mehr auf Machtverhältnissen, gegenseitiger Ausbeutung, Profitsucht, Wachstumswahnsinn und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen beruht, sondern auf der gegenseitigen Rücksichtnahme und dem Mitgefühl sowohl von Mensch zu Mensch wie auch innerhalb der gesamten Schöpfung. Führt das erste Bild, aufgebaut auf Hass, Gewalt, Machtansprüchen und Feindbildern, in letzter Konsequenz zum Krieg und zu einer möglichen Auslöschung der gesamten Menschheit, so führt das zweite Bild im Gegensatz dazu durch tiefere Erkenntnisse und ein höheres geistiges Bewusstsein, zu Ende gedacht, zu einem umfassenden und dauerhaften Frieden, den man wohl ohne Übertreibung als die Verwirklichung der schon so unendlich lange ersehnten Vision einer Verwirklichung des Paradieses auf auf der Erde bezeichnen kann. Damit dies aber geschieht, „müssen sich jene, die den Frieden lieben“, so der US-amerikanische Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King, „ebenso wirkungsvoll organisieren wie jene, die den Krieg lieben.“ Auch im „Brief an einen Studenten am 14. Juli 1941“ von Albert Einstein lesen wir : „Gegen organisierte Macht gibt es nur organisierte Gegenmacht; ich sehe kein anderes Mittel, so sehr ich es auch bedauere.“ Dies aber heisst auch, dass sich niemand dieser Verantwortung entziehen kann, denn, so der frühere UN-Generalsekretär Kofi Anan: „Alles, was das Böse braucht, um zu triumphieren, ist das Schweigen der Mehrheit.“

Vieles – auch wenn es momentan noch nicht den Anschein macht – spricht dafür, dass sich das zweite Bild, das Bild des Friedens, nach und nach stärker durchsetzen wird. Denn die Wahrheit ist, wie der deutsche Schriftsteller Frank Thiess schreibt, „eine unzerstörbare Pflanze. Man kann sie ruhig unter einem Felsen begraben, sie stösst sich trotzdem durch, wenn es an der Zeit ist.“ Dass diese Zeit tatsächlich gekommen zu sein scheint, wird mir seit Monaten fast täglich immer deutlicher bewusst, im Gespräch mit so vielen wunderbaren Menschen, die ebenfalls dieses tiefe Gefühl verspüren, dass zurzeit tiefgehende Veränderungen, die wir wohl vorerst nur leise zu ahnen vermögen, im Gange sind. Immer mehr Menschen erzählen auch von Engeln und von täglichen Begegnungen und Erfahrungen, die kaum zufällig sein können und die man sich kaum rein rational zu erklären vermag. Auch ich mache fast täglich solche Erfahrungen, begegne Menschen, die mich auf wundersame Weise wiederum zu anderen Menschen geleiten, welche mich genau an dem Punkt weiterbringen, wo ich gerade stecken geblieben war, sei es in der Begleitung von Flüchtlingen oder von anderen Menschen am Rande unserer vermeintlichen „Wohlstandsgesellschaft“, in denen ich immer wieder aufs Neue so viel Tiefe und Reichtum entdecke, dass mir, um das alles zu beschreiben, oft richtiggehend die Worte dafür fehlen. Bisherige Oberflächlichkeiten lösen sich auf einmal auf und ich habe mit Menschen, die ich früher kaum kannte und mit denen ich kaum viel mehr als einen „Guten Morgen!“ oder „Viel Spass!“ austauschte, auf einmal stundenlange Gespräche bis tief in die Nacht. Als würde jede Tür, die sich öffnet, ganz von selber den Zugang zu vielen weiteren Türen öffnen.

Ich bin zuversichtlich. Ich glaube daran, dass eine neue Zeit im Anflug ist. Die Zeit der Engel. Doch auch wenn sie in stetig noch so wachsender Zahl herumschwirren, werden sie es alleine nicht schaffen. Sie brauchen, um ihr Werk zu vollbringen, uns Menschen. Sie oben und wir unten, nur gemeinsam können wir es schaffen.

Eine neue Zeit kommt. Aber sie kommt nicht von selber. Damit sie kommen kann, braucht es unsere Hände, unsere Phantasie, unsere ganz banalen täglichen guten Taten, unsere Aufmerksamkeit, unser Mitgefühl, unsere Lebensfreude, unseren Optimismus, unsere Begeisterungsfähigkeit, unseren Idealismus, unsere Anteilnahme am Leiden anderer, unsere Opferbereitschaft und den Verzicht auf Privilegien, die nicht erarbeitet, sondern uns bloss zuteil wurden, weil wir zur „richtigen“ Zeit am „richtigen“ Ort geboren wurden, das gegenseitige Mutmachen und unsere deutlichen, unüberhörbaren Stimmen gegen alle Formen von Machtmissbrauch, Ausbeutung und Bevormundung. „Scheut euch nicht, eure Stimme für Ehrlichkeit und Wahrheit und Mitgefühl gegen Ungerechtigkeit und Lüge und Gier zu erheben“, schrieb der US-amerikanische Schriftsteller William Faulkner, „wenn die Menschen auf der ganzen Welt dies täten, würde das die Erde tiefgreifend verändern.“

Doch an allererster Stelle braucht es unsere Liebe, das höchste aller Güter, die wirkungsvollste Kraft für gesellschaftliche Veränderungen zum Guten. Und dann, da bin ich mir fast ganz sicher, wird sich tatsächlich, auch wenn heute noch so viele Menschen daran zweifeln mögen, in den Köpfen und in den Herzen der Menschen immer stärker das zweite Bild, das Bild des Friedens, gegenüber dem ersten Bild, dem Bild des Kriegs, durchzusetzen vermögen. Ganz einfach deshalb, weil im tiefsten Inneren aller Menschen nicht das Böse liegt, sondern das Gute. „Das Böse“, sagte Hanna Arendt, „ist immer nur extrem, aber niemals radikal, es hat keine Tiefe. Es kann die ganze Welt verwüsten wie ein Pilz, der an der Oberfläche wuchert. Tief aber und radikal ist immer nur das Gute.“