Syrien: Jubeln und Frohlocken, dass wieder Krieg ist?

Der durch die westliche Welt gehende Jubel über den Vormarsch eines islamistischen Rebellenbündnisses gegen Syriens Regierung unter Bashar al-Assad befremdet schon sehr.

Erstens ist der Zeitpunkt des Angriffs unmittelbar nach dem Sieg der israelischen Armee über die Hisbollah im Libanon und den massiven Bombardierungen von Stellungen der Hisbollah und der iranischen Revolutionsgarden in Syrien sowie syrischer Regierungstruppen durch die israelische Luftwaffe wohl alles anderes als ein Zufall. Man scheint die Gunst der Stunde nutzen zu wollen, das bereits geschwächte Assad-Regime weiter zu schwächen oder ihm gar den Garaus zu machen, was auch in den Worten des türkischen Präsidenten Erdogan zum Ausdruck kommt, wenn er davon spricht, der Marsch der Rebellen müsse „bis Damaskus“ gehen.

Zweitens werden durch die Wiederankurbelung des Kriegs nach einer längeren Phase relativer Ruhe und Stabilität wiederum Zehntausende von Syrierinnen und Syriern in die Flucht geschlagen und unsägliches Kriegselend angerichtet. Drittens gibt Erdogan offen zu, mit der Unterstützung der Rebellen auch die kurdischen SDF-Verbände zurückdrängen zu wollen.

Viertens mutet es schon mehr als seltsam an, wenn ausgerechnet die islamistische Gruppe HTS, die von den USA als Terrororganisation eingestuft und auf deren Anführer Abu Mohammed al-Julani ein Kopfgeld von 10 Millionen Dollar ausgesetzt wurde, nun vom Westen im Kampf gegen Assad dermassen hochgejubelt wird, obwohl die reale Gefahr besteht, dass die HTS, sollte sie diesen Kampf gewinnen und ihre Macht konsolidieren, in Syrien ein Kalifat nach dem Vorbild der Taliban aufbauen könnte.

Und fünftens wird aller Voraussicht nach auch der vom Westen sonst so geächtete Islamische Staat IS von dieser Machtverschiebung erneut profitieren. Jubeln kann da wohl nur, wer an machtpolitischem Eigennutz ein weitaus grösseres Interesse hat als an der friedlichen Zukunft eines schon mehr als genug leidgeprüften Landes.   

(„Die letzten Tage eines Diktators“, lese ich auf der Titelseite der „NZZ am Sonntag“ vom 8. Dezember 2024. Meine syrischen Freunde aber sagen, sie hätten bis 2024, vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs, ein gutes und friedliches Leben gehabt. Und da war Assad immerhin bereits 14 Jahre lang an der Macht. So grausam und blutrünstig, wie er nun vom Westen dargestellt wird, kann er wohl nicht gewesen sein.)

(„Das Drama der Christen im Nahen Osten“, so titelt die „Sonntagszeitung“ vom 8. Dezember 2024, und weiter unten spricht sie von Assad als „brutalem Machthaber und Kriegsverbrecher“. Die Verknüpfung der beiden Aussagen im gleichen Artikel könnte den Schluss nahe legen, Assad sei an der Vertreibung der christlichen Bevölkerung mitschuldig oder sogar dafür hauptverantwortlich. Tatsache ist aber, dass Aleppo bis zum Beginn des Bürgerkriegs 2011 eine christliche Hochburg war – und da befand sich Assad bereits elf Jahre an der Macht. Vom Vorwurf der Christenverfolgung müsste man ihn also mindestens freisprechen. Dies im Gegensatz zur HTS, welche den jetzigen Angriff auf das Assad-Regime anführt und selbst von den USA als Terrororganisation eingestuft wurde, deren erklärtes Ziel es sein, in Syrien ein Kalifat analog zu den Taliban in Afghanistan einzurichten. Oder ist Assad sowieso gar nicht dieser „grausame Diktator“, als welcher er nun vom Westen gebrandmarkt wird? Meine syrischen Freunde jedenfalls lebten in ihrem Land bis 2014 friedlich und gut, wie sie heute noch schwärmen. Und da war Assad immerhin bereits 14 Jahre lang an der Macht…)