Archiv des Autors: Peter Sutter

Unbezahlbar

Nein, das ist nicht das Gemälde eines berühmten Künstlers oder einer berühmten Künstlerin in einem Museum. Es ist schlicht und einfach der Blick aus meinem Bett durch das Dachfenster in den Himmel. Ein Bild, das sich in jeder neuen Sekunde neu kreiert, nie gleich ist, nie auch nur von einem einzigen Menschen auf der ganzen Welt genau so gesehen worden ist, wie ich es jetzt hier und in dieser Sekunde genau so sehe. Faszinierender als alle Bilder in allen Museen der Welt. Einzigartig. Einmalig. Unbezahlbar und doch kostenlos.

58 Prozent der Schweizer Bevölkerung für eine 13. AHV-Rente: Doch eigentlich hätten wir schon vor über 50 Jahren um einiges weiter gewesen sein können…

„Was für ein wichtiger Schritt hin zu einer sozialen Schweiz!“, schreiben die SP-Copräsidentin Mattea Meyer und der SP-Copräsident Cédric Wermuth, nachdem die Zustimmung zu einer 13. AHV-Rente durch 58 Prozent der Schweizer Bevölkerung feststeht. „Heute ist ein wirklich historischer Tag!“, frohlockt auch Gabriela Medici vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. „13. AHV-Rente sorgt für Sensation“, schwärmt das Onelinemagazin „Republik“. Und in der abendlichen Tagesschau des Fernsehens SRF1 ist von einer „Zäsur“ und gar von einer „Zeitenwende“ die Rede in Anbetracht der Tatsache, dass zum allerersten Mal eine Initiative, welche „einen Ausbau des schweizerischen Sozialstaats“ fordere, angenommen worden sei.

Doch Hand aufs Herz: Was ist denn tatsächlich geschehen? Mit einer 13. AHV-Rente wird doch bloss, und nicht einmal das vollständig, das wieder gutgemacht, was in den vergangenen Jahren an Kaufkraft verloren gegangen ist. Eine pure Selbstverständlichkeit, das absolute Minimum. Wenn eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung dieses Anliegen abgelehnt hätte, wäre das nicht nur die schlechtere von zwei möglichen Varianten gewesen, sondern nichts weniger als eine absolute Bankrotterklärung all dessen, was man als Grundverständnis einer sozialen und demokratischen Gesellschaft bezeichnen müsste. Mitnichten ist der schweizerische Sozialstaat am 3. März 2024 ausgebaut wurden, im besten Falle hat man auf dem sich laufend beschleunigenden Weg zunehmender sozialer Polarisierung und unaufhörlich wachsender Bereicherung der Reichen auf Kosten zunehmender Verarmung der Armen gerade noch das Allerschlimmste für einen kurzen Moment verhindern können. Nicht einmal ein Tropfen auf einen heissen Stein, sondern, wenn schon, eher noch weniger.

Die Euphorie an diesem Abstimmungssonntag, das Gerede von einem „Sieg“ der sozialen Gerechtigkeit, von einem „historischen Tag“ oder gar von einer „Zeitenwende“ zeigt nur, wie unglaublich bescheiden jene politischen Kräfte geworden sind, die immer noch die Vision einer wirklich sozial gerechten, zutiefst demokratischen Schweiz in ihrem Herzen tragen. So dick und fett ist das Brot am oberen Ende der kapitalistischen Klassengesellschaft schon geworden, dass an ihrem unteren Ende schon ein Freudenfest ausbricht, wenn man sich wenigstens noch den einen oder anderen der am Boden liegen gebliebenen Krümel ergattern kann. Seit 1997 wird man in der Schweiz nicht vor allem durch harte, sorgfältige und aufopfernde Arbeit reich, sondern vor allem dadurch, dass man bereits, auf welchen Wegen auch immer, um vieles reicher ist als andere – seit jenem ominösen Jahr 1997 nämlich übersteigt die Summe sämtlicher Einnahmen aus Kapitalgewinnen gesamtschweizerisch die Summe aus Arbeitseinkommen, und dieses Missverhältnis nimmt von Jahr zu Jahr weiter zu. Unaufhörlich fliesst das Geld von den Armen zu den Reichen, von der Arbeit zum Kapital. Während Lebensmittelpreise, Strompreise und Mietzinsen immer weiter in die Höhe klettern, fahren Lebensmittelkonzerne, Elektrizitätsunternehmen und Immobilienkonzerne von Jahr zu Jahr höhere Milliardengewinne ein. Während über eine Million Menschen von Armut betroffen sind und 160’000 trotz voller Erwerbsarbeit nicht einmal genug verdienen, um davon leben zu können, haben sich in den Händen der 300 Reichsten bereits über 800 Milliarden Franken angesammelt, fast so viel, wie die USA jährlich für ihre mit Abstand grösste Militärmacht der Welt ausgeben. In einigen multinationalen Konzernen verdienen die am besten Bezahlten über 300 Mal mehr als die in der gleichen Firma am schlechtesten Bezahlten. Stundenlöhnen von 10’000 Franken der Topverdiener steht der bisher vergebliche Kampf um schweizweit gesicherte Mindestlöhne gegenüber und die Behauptung von Arbeitgeberseite, gesetzlich geregelte Mindestlöhne könne sich die Schweiz aus ökonomischen Gründen nicht leisten. 90 Milliarden Franken, fast das Doppelte der jährlich ausbezahlten AHV-Renten, fliessen Jahr für Jahr in Form von Erbschaften unversteuert von einer zur nächsten Generation, ungebrauchtes, überflüssiges Geld, nur dazu da, die schon Reichen noch reicher zu machen. Nur in zwei Ländern der Welt, nämlich Singapur und Namibia, sind die Vermögensunterschiede zwischen Arm und Reich noch grösser als in der Schweiz.

Auch die Altersvorsorge ist ein totales Abbild der herrschenden kapitalistischen Klassengesellschaft, angefangen von denen, die nur über eine AHV-Rente verfügen und nicht einmal von dieser anständig leben können, über jene, die von einer guten betrieblichen Berufsvorsorge durch lebenslange volle Erwerbstätigkeit profitieren, bis zu jenen, die sich zu alledem zusätzlich sogar noch eine dritte Säule leisten können und erst noch das Privileg geniessen, sich problemlos frühzeitig pensionieren zu lassen, während andere gezwungen sind, sich buchstäblich bis zum bitteren Ende zu Tode schinden zu müssen.

Dabei wären wir sogar vor über 50 Jahren, nämlich 1972, schon um einiges weiter gewesen. Die damals von der Partei der Arbeit geforderte Einführung einer Volkspension mit existenzsichernden Altersrenten anstelle des 3-Säulen-Prinzips wurde zwar – nicht zuletzt infolge des massiven Widerstands seitens der Pensionskassen, die ihre Profite schon davonschwimmen sahen – mit 85 Prozent Neinstimmen verworfen. Selbst die SP konnte sich nicht zu einer klaren Unterstützung der Vorlage durchringen, gerade mal vier Kantonalparteien sprachen sich für die Initiative aus. Aber wenigstens wurde damals noch über die Idee einer einheitlichen staatlichen Altersvorsorge diskutiert, etwas, was wir uns heute wohl nicht einmal mehr im Traum vorzustellen wagen – obwohl es doch nichts anderes wäre als die logische Umsetzung des Artikels 41 der Schweizerischen Bundesverfassung, wonach „Jede Person gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter gesichert“ sein soll. Ein Vergleich zwischen 1972 und 2024 zeigt, wie stark sich der gesellschaftspolitische Diskurs innerhalb dieser 52 Jahre verschoben hat: Gab es zu jener Zeit am linken Rand des politischen Spektrums noch eine Partei der Arbeit als Stachel im Fleisch der kapitalistischen Klassengesellschaft, so ist heute an dieser Stelle nur noch ein Vakuum, während sich dafür am anderen Ende des Spektrums immer stärker die SVP als bestimmende politische Kraft herausgebildet hat. Auch die Zeiten, da sich die SP die Überwindung des Kapitalismus ins Parteiprogramm geschrieben hat, sind längst vorbei, heute wäre dies vermutlich nicht mehr möglich. Das ist es, was man tatsächlich als „Zeitenwende“ bezeichnen könnte. Nicht irgendeine Abstimmung oder die Wahl irgendeines kantonalen Parlaments oder einer Regierungsbehörde am Tag X, sondern die allmählich schleichende Transformation über längere Zeiträume hinweg in immer so kleinen Schritten, dass jeder einzelne davon gerade noch verdaubar ist, man sich immer mehr daran gewöhnt und noch so Absurdes und Widersprüchliches dabei nach und nach zur Normalität wird. Genau so wie in einer Geschichte des irischen Wirtschafts- und Sozialphilosophen Charles B. Handy, in der ein alter Mann folgendes Experiment durchführte: Er nahm einen Frosch und warf ihn in einen Topf mit kochendem Wasser, der Frosch machte einen entsetzten Sprung, sprang aus der Hütte und verschwand im Gestrüpp. Dann nahm er einen anderen Frosch und legte ihn, weil dieses Mal kein kochendes Wasser bereit stand, in einen Topf mit kaltem Wasser und stellte ihn auf den Ofen, dann machte er Feuer. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sich der Frosch im Topf ruhig verhielt. Das Wasser wurde immer wärmer, schliesslich heiss und dann begann es zu kochen. Doch der Frosch blieb selbst im heissesten Wasser ruhig und machte keinerlei Anstalten, der bedrohlichen Situation entkommen zu wollen. Bis er starb. Der alte Mann freute sich über das unerwartete Abendmahl und dachte über den Sinn des Lebens nach, während er mit Genuss seine Froschsuppe schlürfte.

Erfreulich ist immerhin, dass die traditionelle bürgerliche Einschüchterungspolitik und Angstmacherei für einmal im Leeren verpuffte, jenes Instrument nämlich, das bisher stets so einwandfrei funktionierte und selbst vernünftigste und bestens begründete Volksbegehren wie etwa längere Ferien, die Einführung von Erbschafts- und Kapitalgewinnsteuern, die Einführung einer Einheitskrankenkasse oder das Recht auf bezahlbare Wohnungen immer und immer wieder zu Fall zu bringen vermochte – selbst wenn diese Begehren in den Meinungsumfragen zunächst mehrheitlich Unterstützung gefunden hatten – „Abstimmungserfolge“ nicht zuletzt auch mithilfe einer jeweils übermächtig in den Abstimmungskampf geworfenen Geldmenge. Interessant ist zudem, dass offenbar mittlerweile auch die Bürgerlichen festgestellt haben, dass die soziale Gerechtigkeit ein Thema ist, welches den Menschen zunehmend auf den Nägeln brennt. So sind sie im Abstimmungskampf um die 13. AHV-Initiative immer wieder mit dem Argument angetreten, eine solche zusätzliche Rente käme auch Menschen zugute, die es gar nicht nötig hätten, und man würde doch lieber denen helfen, die wirklich darauf angewiesen wären. Als hätten sie versucht, die Linke links zu überholen und mit ihren eigenen Argumenten zu schlagen. Doch auch dieses Spiel hat nicht funktioniert, zu fadenscheinig war es und, in Anbetracht der üblichen bürgerlichen Politik zugunsten der Reichen und Mächtigen, geradezu allzu scheinheilig, um nicht von der Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger durchschaut worden zu sein.

Doch kaum ist die Abstimmung vorüber, wird von der Gegnerschaft der Vorlage schon die Frage in den Raum gestellt, wer das Ganze nun finanzieren solle. Als ob dies ein ernsthaftes Problem wäre. Selbst SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider verweist auf die Frage nach der Finanzierung der 13. AHV-Rente nur auf eine Erhöhung der Lohnabzüge oder der Mehrwertsteuer, nicht aber zum Beispiel auf die Möglichkeit der Erhöhung bzw. Einführung einer Erbschafts- oder Kapitalgewinnsteuer oder einer intensiveren Bekämpfung der Steuerhinterziehung, welche einen jährlichen Verlust an Steuereinnahmen von immerhin 14 bis 20 Milliarden Franken zur Folge hat, womit man sogar locker noch eine 14., 15. und 16. AHV-Rente bezahlen könnte. Bürgerliche Politiker rufen zudem bereits nach Sparmassnahmen der öffentlichen Hand, um die zusätzlichen Ausgaben für die AHV zu finanzieren. Die Gefahr ist gross, dass die heisse Kartoffel, bevor sie überhaupt gegessen wurde, erneut wieder an die noch Schwächeren und bereits genug Ausgepressten weitergereicht wird statt an jene, die in immer grösseren Geldmengen schwimmen, ohne hierfür auch nur die geringste Eigenleistung erbringen zu müssen.

Natürlich habe auch ich mich über das Abstimmungsergebnis des 3. März 2024 gefreut, aber das grosse Jubelfest scheint mir doch allzu früh angestimmt worden zu sein. Noch ist es ein weiter Weg bis zu einer tatsächlichen „Zeitenwende“. Wenn es tausend Schritte bis zur Verwirklichung tatsächlicher sozialer Gerechtigkeit braucht, dann war dies vielleicht der erste, dem aber die weiteren 999 erst noch folgen müssen. Sich gegenseitig zuzuprosten und sich dann behaglich zurückzulehnen, wäre wohl die falsche Schlussfolgerung. Der Kampf ist nicht zu Ende. Er hat gerade erst begonnen.

Von A wie Assange bis Z wie Zensur: Sie kommen nicht mehr mit Uniformen, im Stechschritt und mit Hitlergruss…

Folgende Beobachtungen beziehen sich auf die Printausgabe des schweizerischen „Tagesanzeigers“, mit täglich etwa 320’000 Leserinnen und Lesern immerhin eine der grössten und einflussreichsten Tageszeitungen des Landes. Ich gehe davon aus, dass es bei den meisten anderen westlichen Mainstreammedien nicht viel anders aussieht.

17. Februar 2024: Grosses Bild von Alexei Nawalny auf der Frontseite, „Putin-Widersacher Nawalny ist tot.“ Kommentar auf der ersten Seite: „Der Tod Nawalnys hat weltweit Erschütterung ausgelöst.“ Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hätte die Nachricht als sehr bedrückend empfunden und für den US-Präsidenten Joe Biden sei sogleich klar gewesen, dass einzig und allein der russische Präsident Wladimir Putin für diesen Tod verantwortlich sei. Über den Tod Nawalnys wird auf zwei weiteren vollen Seiten ausführlich berichtet, unter anderem mit folgenden Worten: „Nawalny konnte bis zuletzt Menschenmassen bewegen wie kein anderer Kremlkritiker. Einst war er von ganz unten gekommen, trat in den 2000er-Jahren als völlig neuer Politikertyp auf den Plan, ein moderner Blogger, der das Internet zu seiner mächtigsten Waffe machte, ein frecher junger Mann, der in Russland schnell beliebt wurde und es immer wieder schaffte, die russische Führung blosszustellen und ihr das Leben schwer zu machen.“ Auf Seite drei ein Kommentar der Redaktion: „Putin ist schuld an Nawalnys Tod. Putin hat ihn getötet.“ Schlagzeilen zu einem Zeitpunkt, an dem die forensischen Untersuchungen der Todesursache noch nicht einmal begonnen haben.

18. Februar: Ich schicke einen Leserbrief folgenden Inhalts an den „Tagesanzeiger“.

„Putin ist der Mörder“ – Diese Schlagzeile ging im Zusammenhang mit dem Tod von Alexei Nawalny blitzschnell durch alle westlichen Medien. Und dies, bevor die forensische Untersuchung der Todesursache überhaupt erst begonnen hatte. Nichts zu lesen war aber darüber, dass Nawalny ein extremer Nationalist und Rassist war. So bezeichnete er Bürgerrechtler als „quasiliberale Wichser“ und Homosexuelle als „Schwuchteln, die weggesperrt gehören“. Die Tschetschenen verglich er mit „Kakerlaken“ und forderte die Bombardierung von Tiflis mit Marschflugkörpern. „Volksgruppen aus dem Kaukasus und Arbeitsmigranten aus südlichen Nachbarländern“, sagte er, „alles, was uns stört, muss man unbeirrt per Deportation entfernen.“ Wegen solcher und ähnlicher Aussagen wurde er denn auch im Jahre 2007 aus der demokratisch-liberalen Jabloko-Partei ausgeschlossen. Zudem wurde ihm 2021 von Amnesty International der Status eines „gewaltlosen politischen Gefangenen“ aberkannt, mit der Begründung, er sei ein „rassistischer und gewalttätiger Schläger“. Zwar widerrief Amnesty International diese Aberkennung später wieder, aber nur unter massivem Druck westlicher Regierungen. Nawalny mag dem Westen bestens als Opfer des russischen Machtsystems und seines Präsidenten Putin dienen. Alles andere aber war er als ein lupenreiner Kämpfer für Freiheit und Demokratie, als den ihn die westlichen Medien darzustellen versuchen. Diese würden sich besser bei der eigenen Nase nehmen und „demokratisch“, nämlich ausgewogen, auch über die Schattenseiten des vermeintlichen Freiheitskämpfers berichten.

19. Februar: Münchner Sicherheitskonferenz mit rund 50 Staatschefinnen und Staatschefs und etwa 100 Ministerinnen und Ministern, dazu Expertinnen und Experten aus aller Welt. „Die Solidarität mit der Ukraine“, schreibt der „Tagesanzeiger“, „verstärkte sich durch die Nachricht vom Tod Nawalnys. Teilnehmende auf den Podien und in kleineren Gesprächsgruppen reagierten bestürzt. Kaum Zweifel gab es daran, dass sich Kremlchef Putin seines Kritikers entledigt und der Welt einmal mehr seine Skrupellosigkeit zur Schau gestellt hatte.“ Weiter ist zu lesen, dass die Gefahr einer Ausweitung des Ukrainekriegs durchaus bestehe und es höchste Zeit sei, die bestehende Gefahr zu realisieren. Besser kann es nicht zusammenpassen: Der Heldentod Nawalnys, Putin als Mörder und einen Tag später die Münchner Sicherheitskonferenz mit der Forderung nach weiterer massiver militärischer Aufrüstung des Westens, und dies, obwohl die NATO inklusive USA bereits heute für ihre Armeen 14 Mal mehr ausgibt als Russland und selbst ohne die USA noch das Vierfache.

20. Februar: Für einmal befasst sich der „Tagesanzeiger“ heute mit dem Wikileaks-Gründer Julian Assange, über dessen weiteres Schicksal – mögliche Auslieferung an die USA – ein Londoner Gericht in den nächsten Tagen entscheiden wird. Sollte er an die USA ausgeliefert werden, droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu 175 Jahren. Doch eine Überstellung in ein US-Hochsicherheitsgefängnis würde ihr Mann nicht überleben, befürchtet Assanges Frau Stella. Schon die fünf Jahre Haft in London hätten Julian schwer zugesetzt, mit seiner Gesundheit sei es rapid abwärts gegangen, physisch wie psychisch. Deshalb hatte auch schon vor drei Jahren eine Londoner Richterin die Auslieferung Assanges an die USA unter Hinweis auf die depressive Verfassung des Häftlings verweigert. Es sei zu befürchten, dass er sich in den USA das Leben nehmen würde. Assange, der in den USA als „Terrorist“ gilt, hatte 90’000 Berichte geheimer und höchst sensitiver Natur über den US-Krieg in Afghanistan und 400’000 über den Krieg im Irak, 800’000 Berichte über Guantánomo-Gefangene sowie zahlreiche Videos und vertrauliche Depeschen von US-Diplomaten aus aller Welt an die Öffentlichkeit gebracht, die Washington verzweifelt geheim zu halten versucht hatte.

Die Art und Weise, wie der „Tagesanzeiger“ die beiden Fälle Assange und Nawalny kommentiert, könnte die Willkür und die Einseitigkeit westlicher Berichterstattung gar nicht drastischer aufzeigen, und dies in einem „demokratischen“ und „neutralen“, sich zu Meinungs-, Presse- und Gedankenfreiheit bekennenden Land wie der Schweiz. Wurde Putin augenblicklich nach Nawalnys Tod als Mörder bezeichnet, sucht man eine vergleichbare Bezeichnung für die Hauptverantwortlichen der Inhaftierung Assanges vergeblich und wird eine solche Benennung höchstwahrscheinlich auch dann niemals verwendet werden, sollte sich Assange nach der Auslieferung an die USA tatsächlich das Leben nehmen. Und wird Nawalnys Tod als Folge eines skrupellosen, von Putin angeführten Staats- und Machtsystems dargestellt, das vor keiner noch so bestialischen Unmenschlichkeit zurückschreckt, werden auf der anderen Seite die von den USA begangenen und von Assange aufgedeckten Kriegsverbrechen, der völkerrechtswidrige Angriff auf Afghanistan und den Irak mit Hunderttausenden unschuldigen Opfern und die an Grausamkeit kaum zu überbietenden Folterpraktiken in den US-Militärgefängnissen auch nicht im Entferntesten so klar und unmissverständlich angeprangert wie der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022.

20. Februar: Gleichentags mit dem Artikel über Julian Assange ist dann natürlich im „Tagesanzeiger“ ebenfalls ein weiterer ganzseitiger Bericht über Nawalny mit dem Titel „Er wird Russland schmerzlich fehlen“ zu finden, verfasst von Viktor Jerofejew, der gemäss biografischer Notiz als der „grösste lebende russische Schriftsteller“ gelten soll. Darin wird Nawalny als „mächtige historische Figur“ beschrieben, „zu deren Ehren man mit der Zeit Strassen, Prospekte, Universitäten, vielleicht sogar Städte benennen wird. So eine sprühende, energische Persönlichkeit, die dem ganzen System staatlicher Macht praktisch allein Paroli bietet. Ein schöner junger Mann, Ehemann einer der gemeinsamen Sache treu ergebenen schönen Frau, Vater zweier schöner Kinder, voll von originellen Einfällen und Sinn für Humor.“

21. Februar: Da mein Leserbrief im „Tagesanzeiger“ bis heute nicht veröffentlicht wurde und auch kein einziger anderer, der sich mit Nawalny und der von seinem Tod ausgelösten westlichen Kriegseuphorie kritisch auseinandergesetzt hätte – dafür jede Menge Leserbriefe über die Initiative für eine 13. AHV-Initiative, Toilettenanlagen im Zürcher Stadtzentrum, Pistenverlängerung auf dem Flughafen Kloten, öffentliche Zugänglichkeit von Flussufern oder Rückgang der Anzahl Studierender im Fach Geschichte an den Universitäten -, schreibe ich folgende Email an die Redaktion der Leserbriefseite des „Tagesanzeigers“.

Die bisherige Berichterstattung zum Thema Nawalny befasst sich ausschliesslich mit der Rolle Nawalnys als Widersacher von Putin. Mit keiner Silbe ist bisher über die „dunkle“ Vergangenheit Nawalnys berichtet worden. Im Sinne einer ausgewogenen Informationspolitik würde ich es sehr begrüssen, wenn Sie meinen Leserbrief oder einen anderen, der diese Thematik aufwirft, so bald wie möglich veröffentlichen würden. Die Meinungsbildung ist nämlich in vollem Gang.

23. Februar: Die „Weltwoche“ berichtet, dass aufgrund einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie 72 Prozent der ukrainischen Bevölkerung den Krieg gegenüber Russland durch Verhandlungen zu einem Ende bringen möchten. Eine Meldung, die ich im „Tagesanzeiger“ vergeblich suche. Vermutlich passt sie zu wenig in die scheinbar geschlossene und übereinstimmende Meinung der westlichen Regierungen, die Ukraine müsse diesen Krieg um jeden Preis „gewinnen“. Stattdessen erfahren wir im heutigen „Tagesanzeiger“, dass Nawalny bei einem Besuch in der Schweiz im Spätherbst 2020 zur Verblüffung des 81jährigen Franz Stadelmann bewiesen hätte, dass er sogar jodeln könne. Weiter erfahren wir, dass dieser Franz Stadelmann sogar mit Nawalny Wildschweine jagen gegangen sei, doch die Polizisten, welche die beiden begleiteten, hätten beim Durchkämmen des Waldes sämtliche Wildschweine verscheucht.

26. Februar: Die „Berliner Zeitung“ vermeldet erste Ergebnisse der forensischen Untersuchungen zur Todesursache Nawalnys und zitiert Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, mit folgenden Worten: „Es tut mir leid, aber alles, was wir wissen, ist, dass Alexej Nawalny infolge eines Blutgerinnsels eines natürlichen Todes gestorben ist.“ Auch diese Meldung findet nicht den Weg bis zum „Tagesanzeiger“, würde sie doch höchstwahrscheinlich die bisher aufgebaute Geschichte allzu sehr ins Wanken bringen.

28. Februar: Die „New York Times“ berichtet, dass der US-Geheimdienst CIA seit 2014 in der Ukraine zwölf geheime Spionagebasen entlang der russischen Grenze aufgebaut hätte, die als „Nervenzentrum“ der ukrainischen Militärs agieren. Diese Basisstationen seien in der Lage, russische Spionagesatelliten aufzuspüren und die Kommunikation zwischen russischen Kommandeuren zu belauschen. Zudem sei enthüllt worden, dass die CIA über acht Jahre hinweg in unterirdischen Bunkern, tief verborgen in ukrainischen Wäldern, ukrainische Geheimdienstoffiziere ausgebildet und ausgerüstet hat. Dass auch diese Nachricht nicht im „Tagesanzeiger“ erscheint, verwundert nun nach allem anderen freilich überhaupt nicht mehr. Dafür lesen wir in der heutigen Ausgabe des „Tagesanzeigers“, dass der französische Präsident Emmanuel Macron anlässlich eines „Ukrainegipfels“ in Paris sagte, es gäbe zurzeit innerhalb der NATO-Staaten noch keinen Konsens über die Entsendung von westlichen Bodentruppen in die Ukraine, aber in Zukunft könne man „nichts ausschliessen“.

2. März: Der „Tagesanzeiger“ veröffentlicht ein ganzseitiges Interview mit John Bolton, dem früheren Sicherheitsberater Donald Trumps, in dem dieser der Schweiz nahelegt, ihre Neutralität zu überdenken, nachdem nun auch Schweden und Finnland der NATO beigetreten seien. Die Schweiz habe lange Erfolg gehabt, doch die Zeiten hätten sich geändert. Alle europäischen Länder müssten sich der Bedrohung durch Russland bewusst werden und mehr in die Sicherheit investieren. Er gratuliere allen, die bereits zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts für ihr Verteidigungsbudget ausgäben, aber es dürfte auch gerne „doppelt so viel sein.“

2. März: Bis heute ist mein Leserbrief, den ich vor zwei Wochen an den „Tagesanzeiger“ schickte, nicht erschienen. Und auch kein einziger anderer, der sich mit diesem Thema kritisch auseinandergesetzt hätte. Nichts über die dunklen Seiten Nawalnys. Nichts über die Blindheit gegenüber der westlichen Macht-, Droh- und Aufrüstungspolitik. Nichts darüber, dass Putin in seinem zweistündigen Interview mit Tucker Carlson eine Friedensvision für die Ukraine und Russland in Aussicht gestellt hatte. Nichts darüber, dass man, wenn man den politischen Gegner immer mehr in die Ecke zu drängen versucht, ihn mit der Zeit so sehr provozieren könnte, dass ein gefährlicher Gegenschlag immer wahrscheinlicher wird. Nichts darüber, dass man Kriege förmlich herbeireden kann, wenn man von gar nichts anderem mehr spricht. Nichts darüber, dass künstlich aufgebauschte und geschürte Feindbilder meist nichts anderes sind als Projektionen der eigenen Machtgier auf den vermeintlichen politischen Gegner. Nichts darüber, dass Frieden nie durch Gewalt oder Krieg, sondern nur durch gegenseitiges Vertrauen geschaffen werden kann. Nichts darüber, dass das, was die Menschen weltweit miteinander verbindet, so viel grösser ist als alles, was sie voneinander trennt. Nichts darüber, dass Kriege grundsätzlich nicht gewinnbar sind und am Ende auf beiden Seiten immer nur Verlierer zurückbleiben. Nichts über die Verflechtungen zwischen Regierungen und der Rüstungsindustrie und nichts darüber, dass US-Aussenminister Blinken unlängst sagte, der Ukrainekrieg sei gut für die USA, weil er so viele Arbeitsplätze schaffe. Nichts darüber, was man mit den 2,2 Billionen Dollar, die jährlich weltweit völlig sinnlos für militärische Aufrüstung verschleudert werden, soviel Sinnvolleres und Nützlicheres anstellen könnte. Nichts darüber, dass nicht der Pazifismus aus der Zeit gefallen ist, sondern einzig und allein der ewiggestrige Irrglaube, Konflikte zwischen Ländern oder Völkern liessen sich auch nur im Entferntesten mit militärischer Gewalt sinnvoll lösen. Ja, und auch auf meine Email an die Redaktion der Leserbriefseite des „Tagesanzeigers“ habe ich bis heute keine Antwort bekommen.

„Die moderne Diktatur“, sagte Gore Vidal, ein US-amerikanischer Schriftsteller, „kommt nicht mit braunen und schwarzen Uniformen daher. Wir machen das mit Unterhaltung, mit Fernsehen, mit Spass und Unterhaltung.“ Und auch der italienische Wissenschaftler und Schriftsteller Umberto Eco erkannte, dass der „Faschismus von heute“ äusserlich „nichts zu tun hat mit dem aus der Vergangenheit. Keine Uniformen, kein Stechschritt und kein erhobener Gruss. Nein, er ist modern, raffiniert verpackt und wird mit viel Propaganda verkauft. Aber der Geist, der dahinter steckt, die totale Kontrolle und Ausbeutung, die Zensur, die Mediengleichschaltung und die Unterdrückung der freien Meinungsäusserung sind immer noch dieselben.“ Mit anderen Worten: Die moderne Diktatur kommt in der Art und Weise daher, dass wir meinen, es sei eine Demokratie…

Aufnahmeprüfung ans Gymnasium: Wenn vor lauter Lernen die Freude am Lernen verlorengeht…

„Wie viel sie büffeln, ist an der Prüfung egal“ – so der Titel eines Artikels im „Tagesanzeiger“ vom 24. Februar 2024 zum Thema der Aufnahmeprüfungen ans Gymnasium im Kanton Zürich. Und der Titel nimmt schon die ganze Absurdität dieses „Auswahlverfahrens“ vorweg: Tatsächlich könnten die Prüfungskandidatinnen und Prüfungskandidaten so viel Wissensstoff in sich hineinstopfen wie nur irgend menschenmöglich, sie könnten noch so teure Vorbereitungskurse für Tausende von Franken besuchen, sie könnten über Wochen bis um zwei Uhr nachts über den Büchern sitzen, ihren Schlaf auch mithilfe von Medikamenten oder Aufputschmitteln auf das absolute Minimum reduzieren oder überhaupt nicht mehr schlafen und auch noch die letzte geliebte Freizeitbeschäftigung aufgeben – am Ende kommt es immer auf das Gleiche heraus: Die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten wird die Prüfung bestehen, die andere Hälfte nicht. Und weil das gegenseitige Gerangel naturgemäss immer heftiger wird, indem alle gezwungen sind, sich dem Tempo jener ganz vorne an der Spitze anzupassen bzw. dieses noch zu übertreffen, und sich dadurch immer alles mehr beschleunigt und der gegenseitige Konkurrenzkampf immer härter wird, nehmen auch alle damit verbundenen Leiden Abertausender Jugendlicher, die dadurch ausgerechnet in einer Lebensphase höchster Sensibilität dem vielleicht schlimmsten Härtetest ihres Lebens ausgeliefert sind, immer weiter und weiter zu.

Und dies mit den schlimmsten nur vorstellbaren Folgen für die betroffenen Jugendlichen: In Zeiten solcher Überbelastungen über viele Wochen oder gar Monate hinweg nehmen erfahrungsgemäss psychische Leiden und Erkrankungen massiv zu, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Rücken-, Kopf- und Bauchschmerzen, Depressionen, Angststörungen, Panikattacken, Verlust jeglicher Lebensfreude, Abbruch sozialer Kontakte, Isolation, Selbstverletzungen bis hin zu Suizidgedanken. Sämtliche Studien, Befragungen und Statistiken belegen es und es wird von Jahr zu Jahr immer schlimmer. Schon gibt es erste Fälle von Suiziden, 14- oder 15Jährige, die sich aus lauter Angst vor der Aufnahmeprüfung ans Gymnasium das Leben genommen haben. Aber nicht einmal das scheint zu genügen, um all jene, die Jahr für Jahr diesen Wahnsinn organisieren und mitmachen, zur Besinnung zu bringen – nicht die Eltern, die zu einem überwiegenden Teil den gesellschaftlichen Druck unabgefedert an ihre Kinder weitergeben, nicht die Lehrkräfte, die das zerstörerische Spiel mitmachen, nicht die privaten Lerninstitute, die immer höhere Gewinne verbuchen, und nicht einmal die unzähligen Beratungsstellen, Schulpsychologinnen und psychiatrischen Einrichtungen, welche sogar indirekt noch davon profitieren, indem sie eine wachsende Zahl von Arbeitsplätzen ausschliesslich für diesen Zweck anbieten und finanzieren können. Das herrschende System einer so gnadenlosen „Selektion“ auf dem Buckel von Kindern und Jugendlichen scheint ihnen allen so heilig zu sein, dass selbst Todesopfer, und dies aller Voraussicht nach in wachsender Zahl, in Kauf genommen werden. Im Gegenteil: Auf eine kritische Anfrage aus der Partei der Grünen im Zürcher Kantonsrat in Bezug auf das herrschende Übertrittsverfahren ans Gymnasium gab der zuständige Regierungsrat zur Antwort, das Zürcher Verfahren habe sich „wissenschaftlich gesehen als besonders effizient und fair erwiesen“.

Wie eine Krake hat sich dieser Wahnsinn mittlerweile schon über den ganzen Erdball ausgebreitet. Je nach den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wirken sich dann Selektionsverfahren an höhere Schulen unterschiedlich verheerend auf die betroffenen Kinder und Jugendlichen aus. Ein besonders krasses Beispiel ist die indische Stadt Kota, auch „Stadt der Lerntoten“ genannt. In Kota bereiten sich 16- bis 18Jährige, oft an sieben Tagen pro Woche und während bis zu 18 Stunden täglich, auf Prüfungen vor, die darüber entscheiden, ob sie an eine der Eliteuniversitäten zugelassen werden, die ein kostenloses Medizinstudium anbieten. Die Teenager, die hierherkommen, haben ihr gesamtes bisheriges Leben aufgegeben, die reguläre Schule geschmissen und büffeln nun in jeder wachen Stunde für die knallharten Aufnahmeprüfungen der Elite-Universitäten. Um einen solchen Ausbildungsplatz zu ergattern, geben die Eltern bis zu zwölf Prozent ihres Budgets aus. Jedoch stehen die Chancen der Kandidatinnen und Kandidaten, die in Kota pauken, von Anfang an schlecht: Rund 300‘000 Schülerinnen und Schülern stehen nur etwa 700 Plätze an den Eliteuniversitäten gegenüber, was einer Aufnahmequote von 0,25 Prozent entspricht. Diejenigen, die es nicht schaffen, stehen mit 18 Jahren vor den Scherben ihrer Träume und kehren völlig entmutigt, verzweifelt und ohne jegliches Selbstwertgefühl nach Hause zurück. Oft werden sie von ihren Eltern beschimpft, nicht selten auch brutal verprügelt, sind die Eltern doch mit der Tatsache konfrontiert, das viele Geld vergebens zum Fenster hinausgeworfen zu haben und haben ihre Kinder in Kota nichts gelernt, was ihnen in anderen, nicht akademischen Berufen von Nutzen sein könnte. Der Druck auf die Jugendlichen in Kota ist so gross, dass fast alle von ihnen unter Isolation, Magersucht und Depressionen leiden und sich allein im Verlaufe der vergangenen fünf Jahre 77 von ihnen das Leben genommen haben.

Wer behauptet, dies alles hätte auch nur im Entferntesten etwas mit Pädagogik, Bildung oder sinnvollem Lernen zu tun, muss schon sehr blind sein. Wenn Kinder gezwungen werden, gegenseitig so erbittert um ihre Zukunftschancen zu kämpfen, ist dies so ziemlich das extremste Gegenteil jenes zutiefst pädagogischen Anspruchs, jedes Kind und alle Jugendlichen auf ihren Wegen selbstbestimmten Lernens und individueller Persönlichkeitsentwicklung möglichst hilfreich zu unterstützen, so wie es der berühmte Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi schon vor über 250 Jahren gefordert hat: „Vergleiche nie ein Kind mit dem andern, sondern stets nur jedes mit sich selber.“ Es widerspricht auch jeglicher lernpsychologischer Erkenntnis, wenn man von so etwas wie einem unbegrenzten Speichervermögen des menschlichen Gehirns ausgeht. Wenn ein Akku voll ist, kann man ihn auch nicht überladen. Wer schon am Limit ist, kann nicht mehr darüber hinauswachsen, im Gegenteil, wenn er dies versucht, erschöpfen sich seine Kräfte mit der Zeit dermassen, dass selbst das zuvor Gelernte und Gespeicherte wieder brüchig zu werden droht. Dies erklärt auch, weshalb auf Grund von vergleichenden Studien festgestellt werden konnte, dass Jugendliche, die sich zum Beispiel ausschliesslich zuhause mit einem älteren Bruder auf die Prüfung vorbereitet hatten, an der Prüfung in etwa gleich erfolgreich waren wie jene aus den Paukerkursen. Fast das Schlimmste aber ist, dass 99 Prozent dieser Prüfungsstoffe mit den Anforderungen der Lebenswelt und den Kompetenzen in Bezug auf eine spätere Berufsausbildung auch nicht das Geringste zu tun haben, sondern einzig und allein dem Zweck der Selektion im Hinblick auf den Übertritt an die höheren Schulen dienen, was nichts anderes heisst, als dass das auswendiggelernte Wissen mangels praktischer Anwendung sehr bald, wenn die Prüfung vorüber ist, auch schon wieder vergessen wird und somit all die dafür aufgebrachte Zeit und Energie sozusagen verschwendete und vergeudete, einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung geraubte Zeit und Energie gewesen war.

Besonders schlimm ist es für jene Hälfte aller Kandidatinnen und Kandidaten, welche die Prüfung nicht bestehen. Wie die Jugendlichen in Kota, die es nicht geschafft haben, stehen auch sie von einem Tag auf den andern vor einem riesigen Scherbenhaufen. All die Zeit, all die schlaflosen Nächte, all die Ängste, all die Hoffnungen – alles war vergebens gewesen, ein halbes Jahr oder länger, das nichts gebracht hat, das man geradezu auch hätte auslöschen können. Zwar werden die gescheiterten Jugendlichen in Zürich, Basel oder Genf, wenn sie wieder nachhause kommen, nicht so wie die Jugendlichen in Bombay oder Kalkutta von ihren Eltern verprügelt, aber die meisten der betroffenen Eltern werden doch mit ernsten Gesichtern ihre Enttäuschung kaum gänzlich verbergen können und auch das wird sich auf das Selbstwertgefühl und die Voraussetzungen im Hinblick auf möglichst erfolgreiches zukünftiges Lernen kaum sehr positiv auswirken. Und auch für die anderen, die „Erfolgreichen“, ist der Leidensweg ja noch längst nicht am Ende. Kaum ist die Prüfung bestanden, beginnt schon die Probezeit, erneut viele Prüfungen jede Woche, erneut stundenlange Hausaufgaben, erneut eine Unmenge an Wissensstoff, der mit dem Leben nur wenig zu tun hat, erneut der tägliche Kampf ums Überleben.

Eigentlich erstaunlich, dass sich sämtliche Anstrengungen, die Jugendlichen vor allzu grossen Belastungen im Hinblick auf die Übertrittsverfahren an höhere Schulen zu verschonen, trotz aller dieser negativen Erfahrungen bisher fast ausschliesslich auf reine Symptombekämpfung beschränkt und nicht das System als Ganzes radikal in Frage gestellt wird. Denn heute kann ja bereits jeder beliebige Beruf auch über den Weg einer Berufslehre mit entsprechender Weiterbildung erlernt werden – mit dem grossen Vorteil, dass eine Berufslehre im Gegensatz zum Gymnasium praktisches und theoretisches Lernen permanent sinnvoll miteinander verknüpft -, wodurch das klassische Gymnasium eigentlich schon längst überflüssig geworden und nur noch ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert ist, mit dem die Oberschicht ein Instrument in der Hand hatte, ihre eigenen Privilegien an die nächste Generation weiterzugeben. Dass dies heute immer noch so funktioniert, zeigt sich etwa darin, dass die Chance eines Kindes aus einer Arbeiterfamilie auf einen späteren akademischen Berufsweg nach wie vor sieben Mal kleiner ist als jene eines Kindes aus einer Akademikerfamilie. So ist nachvollziehbar, dass eine immer noch weitgehend privilegierte Oberschicht mithilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Einflussmöglichen und Machtmittel durchaus kein Interesse hat, dass sich am bestehenden, auf Selektion ausgerichteten Schulsystem grundsätzlich etwas ändert. Lieber setzen sie ihre Kinder einem brutalen gegenseitigen Konkurrenzkampf um Prüfungen, Noten, Zeugnisse und Zukunftschancen aus, selbst wenn sie dabei ihre Gesundheit und im äussersten Falle sogar ihr Leben aufs Spiel setzen müssen, statt sie einer Welt anzuvertrauen, in der alle Kinder und alle Jugendlichen die gleichen Chancen haben und alle mit der gleichen Freude und Begeisterung erfolgreich lernen können.

Zu behaupten, dass man in einer so einseitig auf Selektion und gesellschaftliche Auslese ausgerichteten Schule nichts lerne, wäre falsch. Aber entgegen der weit verbreiteten Vorstellung, Kinder und Jugendliche lernten in der Schule vor allem rechnen, schreiben, lesen, viele weitere nützliche Fertigkeiten und ein grosses Wissen über die Geschichte, die Natur und viele andere Geheimnisse der Welt, lernen sie tatsächlich in erster Linie, dass man, um selber erfolgreich zu sein, vor allem hart und rücksichtslos gegen andere kämpfen und sich nicht allzu sehr um jene kümmern darf, die dabei auf der Strecke bleiben. Sie lernen, dass Egoismus belohnt wird. Sie lernen, dass es für jeden, der sich an die Spitze kämpft, einen anderen braucht, dessen Zukunftsträume früher oder später zerbrechen. Und so wächst nach und nach jede Generation in die Fussstapfen der vorangegangenen und alles bleibt so, wie es immer schon so war…

Ist es Genozid oder nicht? – Wenn sich „Experten“ über Wörter streiten statt über Menschenleben…

„Verübt Israel Genozid?“, fragt das schweizerische Gratisblatt „20minuten“ vom 23. Februar 2024. Und berichtet dann über „Antworten auf schwierige Fragen“, gegeben von den beiden „Nahostexperten“ Andreas Böhm und Reinhard Schulze. Unten auf der gleichen Zeitungsseite ein etwas kürzerer Text mit dem Titel „So sieht Gaza nach viereinhalb Monaten Krieg aus“. Hier ist zu erfahren, dass der israelische Angriff auf den Gazastreifen bisher fast 30’000 Menschen getötet hat, 70 Prozent von ihnen Frauen und Kinder. 175’000 bis 207’000 Gebäude wurden beschädigt oder zerstört, das sind zwischen 60 und 71 Prozent aller Gebäude. Hunderttausende sind vom Hungertod bedroht, 90 Prozent der Bevölkerung haben laut der UNO keinen ausreichenden Zugang zu Nahrungsmitteln, von 36 Spitälern können laut WHO nur noch neun arbeiten, und auch das nur teilweise.

Doch zurück zum Interview mit den beiden „Nahostexperten“, die sich darüber auslassen, ob es sich bei alledem um einen Genozid handelt oder nicht. Einleitend schreibt die Zeitung, es sei „schwierig, objektiv über den Krieg zu schreiben, denn verlässliche Informationen sind rar, auf wichtige Fragen gibt es keine eindeutigen Antworten.“ – Habe ich richtig gelesen? Sind nicht auf der gleichen Zeitungsseite sämtliche Opferzahlen, Zahlen über zerstörte Gebäude und von Hunger Betroffene akribisch aufgelistet? Und da behauptet die gleiche Zeitung, verlässliche Informationen seien „rar“? Wo, bitte, ist das Problem?

Auf die Frage, ob Israel Hamasangehörige töten dürfe, antwortet Böhm, man dürfe Angehörige der Hamas nicht „einfach so“ töten, sondern nur „im Gefecht“. – Doch wie sollte man das unterscheiden? Und weshalb überhaupt soll man Menschen töten dürfen? Übernimmt der „Experte“ hier nicht unbesehen die Rhetorik der einen der beiden Kriegsparteien, ohne sie auch nur ansatzweise zu hinterfragen?

Weiter sagt Böhm, „gezielte Tötungen“ seien nur dann „rechtmässig“, wenn es sich um „Kämpfer“ handle. – Kann so etwas wie eine „gezielte Tötung“ denn tatsächlich „rechtmässig“ sein? Und wer bitte, soll das in jedem einzelnen Fall entscheiden können und auf Grund von was für Kriterien?

Schulze meint, die „aussergerichtlichen Tötungen“ erfolgten „aus israelischer Sicht“ als „Notwehr gegen erfolgte oder drohende Gewalt“. – Aha, wiederum wird die Rhetorik der einen Kriegspartei fraglos übernommen und damit indirekt das Töten von 30’000 Menschen als „Notwehr“ gerechtfertigt. Selbst „drohende Gewalt“, so Schulze, sei schon ein Grund, Menschenleben sozusagen „präventiv“ auszulöschen – was für ein Freipass für ein grenzenloses Gemetzel, würden doch nicht wenige oder vielleicht sogar die meisten Israelis behaupten, Gewalt drohe ihnen von Seiten des gesamten palästinensischen Volks, also weshalb dann nicht gleich alle zusammen „präventiv“ umbringen? Und nicht mit einem einzigen Wort wird im gesamten Interview weder von Böhm noch von Schulze an die von Israel an Palästinenserinnen und Palästinensern begangene Gewalt im Verlaufe einer jahrzehntelangen Geschichte von Vertreibungen und Diskriminierung erinnert.

Schulze sagt, Hamasleute könnten „in der Menge untertauchen“, deshalb gäbe es „so viele zivile Opfer“. – Aha, die zivilen Opfer gibt es also nur, weil die Hamasleute „in der Menge untertauchen“ und nicht etwa deshalb, weil Israel seit dem 7. Oktober 2023 über dem Gazastreifen bereits über 12’000 Bomben mit einem Gewicht zwischen 150 und 1000 Kilogramm abgeworfen hat, und auch nicht deshalb, weil die USA im UNO-Sicherheitsrat sämtliche Resolutionen, die einen sofortigen Waffenstillstand gefordert haben, mit ihrem Veto bisher erfolgreich abgeblockt haben.

Auf die Frage, ob Israel im Gazastreifen einen Genozid verübe, meint Schulze, das könne „so nicht bestimmt werden“, denn Genozid sei ein „juristischer Tatbestand“. Man werde erst „in einigen Jahren wissen, ob der Tatbestand erfüllt war oder nicht“. – Was soll solche Wortklauberei? Und wie anders soll denn das bezeichnet werden, was den Palästinenserinnen und Palästinensern im Gazastreifen seit dem 7. Oktober 2023 angetan worden ist? Das sieht doch jedes Kind, dafür braucht es doch keine „Juristen“ und auch keine „Nahostexperten“, die sich offensichtlich derart schwertun mit diesem Wort, weil freilich, wenn man das dann so definieren würde, dies auch ein Grund dafür wäre, gegenüber Israel mindestens so harte internationale Sanktionen zu verhängen, wie sie gegenüber Russland infolge des Angriffs auf die Ukraine verhängt wurden. Und wenn Schulze sagt, dass es noch „einige Jahre“ brauche, bis feststehen werde, ob es ein Genozid gewesen sei oder nicht, ist das doch nichts anderes als eine reine Verzögerungstaktik. Worüber werden denn die „Experten“ im Verlaufe dieser Jahre diskutieren und befinden, was werden sie noch herausfinden, was nicht längst alle schon wissen, wie viele Tote wird es noch brauchen, sind 30’000 denn noch nicht genug?

Wenn sogenannte „Nahostexperten“ – wie Böhm und Schulze in diesem Interview von „20minuten“ – lieber über juristische Spitzfindigkeiten diskutieren als über Menschenleben, wenn sie alles noch so Verbrecherische zu bemänteln und zu relativieren versuchen – während sie jegliche „Relativierungen“ des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober in aller Schärfe verurteilen -, wenn sie uns erklären wollen, unter welchen Umständen man Menschen töten „dürfe“ und unter welchen Umständen nicht, und wenn sie nicht den Mut aufbringen, das, was dem palästinensischen Volk im Gazastreifen tagtäglich angetan wird, unmissverständlich und ohne jede Einschränkung als eines der zurzeit schlimmsten Verbrechen an der Menschlichkeit anzuprangern und zu verurteilen, dann machen sie sich, zusammen mit allen anderen, die sich um Rechtfertigungen und Relativierungen noch so absurder Art bemühen oder sich in Schweigen hüllen, am Tod und am Leiden, an den Ängsten, an der Trauer, an den Schmerzen und an der Verzweiflung zehntausender Kinder, Frauen und Männer, die nichts anderes falsch gemacht haben, als zur falschen Zeit am falschen Ort zu leben, mitschuldig.

Nestlé mit 20,9 Prozent höherem Konzerngewinn und immer längere Menschenschlangen vor den Tafeln: Muss zuerst jemand verhungern?

Zwei Geschichten. Die erste ist die Geschichte von rund 1,2 Millionen von Armut betroffenen Menschen in der Schweiz. Die Geschichte einer alleinerziehenden Mutter, deren Haushaltsbudget trotz voller Erwerbsarbeit am Ende des Monats nur noch knapp ausreicht, um genügend Lebensmittel für sich und ihre beiden Kinder einkaufen zu können. Die Geschichte von den jährlich steigenden Preisen von Grundnahrungsmitteln wie Margarine, Speisefette und Öl – Preissteigerung 2023: 19.9 Prozent -, Zucker – 17 Prozent -, Butter – 12,2 Prozent -, Milch, Käse und Eier – 8,5 Prozent. Die Geschichte der zunehmenden Verschuldung vieler Menschen. Die Geschichte der bei den Tafeln anstehenden und auf kostenlose Lebensmittelpakete wartenden Menschenschlangen, die immer länger werden…

Die zweite Geschichte ist die Geschichte des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, der im Jahre 2023 einen Gewinn von 11,2 Milliarden Franken erzielte (20,9 Prozent mehr als im Vorjahr), der die Dividenden für seine Aktionärinnen und Aktionäre zum 29. aufeinanderfolgenden Mal erhöhte, der den 14 Mitgliedern des Verwaltungsrats 9,9 Millionen Franken (0,3 Millionen mehr als 2022) und der gesamten Konzernleitung 64,5 Millionen Franken (6,7 Millionen mehr als 2022) auszahlte und dessen Konzernchef Mark Schneider einen Jahreslohn von 11,2 Millionen Franken erhielt, 9 Prozent mehr als im Vorjahr.

Für gewöhnlich werden diese beiden Geschichten gänzlich unabhängig voneinander erzählt, die eine vielleicht in den Mittagsnachrichten am Radio, die andere in der Tagesschau am Abend, die eine in einem Wirtschaftsmagazin, die andere in einer Politdiskussion zum Thema wachsender Armut, die eine findet man in der Tageszeitung auf der Wirtschaftsseite, die andere, wenn überhaupt, im Lokalteil der Zeitung. Ganz so, als hätte die eine Geschichte mit der anderen rein gar nichts zu tun.

Dabei braucht man doch nur über ein paar ganz rudimentäre mathematische Kenntnisse zu verfügen, um ausrechnen zu können, dass das Geld, welches in der einen Geschichte immer kleiner wird, vermutlich doch genau jenes Geld sein könnte, welches in der anderen Geschichte immer grösser wird. Geld fällt ja nicht einfach vom Himmel. Es wächst auch nicht auf Bäumen. Es wurde wohl auch noch nie in irgendwelchen Muscheln auf dem Meeresgrund gefunden. Wenn es am einen Ort so schmerzlich fehlt, muss es an einem anderen Ort in umso absurdere Höhen klettern. „Geld“, sagte dereinst der deutsche CDU-Politiker Heiner Geissler, „ist vorhanden wie Dreck. Nur haben es die falschen Leute.“

Es wäre sozusagen das ökonomische ABC. Zu wissen, dass jegliches Geld, das sich bei den Reichen und Mächtigen ansammelt, früher oder später aus der Armut und der Arbeit all jener Menschen stammt, welche für die wundersame Vermehrung dieser Früchte immer grössere Opfer erbringen und gleichzeitig vom Genuss dieser Früchte immer mehr ausgeschlossen werden. Aber alles lernt man in den Schulen und über alles wird in aller Breite öffentlich diskutiert, debattiert und gestritten, nur über das Grundlegendste nicht, nämlich, wie das kapitalistische Wirtschaftssystem im Grunde funktioniert. Die erste und die zweite Geschichte, man kann sie nicht unabhängig voneinander erzählen. Es sind zwei Puzzlestücke, die haargenau ineinander passen.

Und es soll niemand behaupten, das sei nur gerade bei den Lebensmittelpreisen oder beim Nahrungsmittelkonzern Nestlé so. Auch die Strompreise wachsen jährlich, allein im Jahre 2023 in der Grundversorgung für die Schweizer Haushalte um 5,77 auf 26,95 Rappen pro Kilowattstunde, was einer Zunahme von sage und schreibe 27 Prozent entspricht. Im Jahre 2024 soll es zu einer weiteren Preiserhöhung um 18 Prozent kommen. Und auch hier muss man nicht lange suchen, um das geklaute Geld wieder zu finden, nämlich bei den Stromkonzernen, von denen zum Beispiel allein die Berner Unternehmen BKW und Axpo im Jahre 2022 einen Gewinn von 574 Millionen Franken einfuhren, 247 Millionen mehr als im Vorjahr, allein die Axpo im ersten Halbjahr 2023 wiederum einen Rekordgewinn von 2,2 Milliarden Franken erzielte, die Berner Kraftwerke ihren Gewinn um 60 Prozent auf 304 Millionen Franken steigern konnten und der Stromkonzern Alpiq seinen Reingewinn 2023 sage und schreibe sogar um das Fünffache steigerte – gemäss Alpiq-Chefin Antje Kanngiesser die „besten Zahlern in der Geschichte von Alpiq“. Wenn dann beispielsweise die Berner Kraftwerke fast entschuldigend mitteilen, es gehe dabei nicht darum, die Konsumentinnen und Konsumenten zu schröpfen, sondern diese Gewinne seien bloss das Resultat des „Grosshandelsmarkts an der Börse“, zeigt nur, wie verlogen das Ganze ist. Den tatsächlich immer mehr geschröpften Konsumentinnen und Konsumenten ist es nämlich so ziemlich egal, ob diese ganze Absurdität in den Köpfen irgendwelcher habgieriger und nimmersatter Manager entstanden ist oder an irgendwelchen, schon längst nicht mehr durchschaubaren „Mechanismen“ von „Weltmarktbörsen“, die offensichtlich niemand mehr so richtig im Griff zu haben scheint: Tatsache ist, dass auch in diesem Bereich das Geld in immer wachsendem Ausmass und mit immer schnellerem Tempo von denen, die viel zu wenig davon haben, zu denen fliesst, die sowieso schon viel zu viel davon haben.

Wie auch auf dem Immobilienmarkt, auf dem sich die Wohnungsmieten zwischen 1980 und 2022 um sagenhafte 145 Prozent erhöht haben, jährlich durchschnittlich um 2,15 Prozent, und wo nach Mietzinserhöhungen im Jahre 2023 bereits auf das laufende Jahr erneut weitere Erhöhungen angekündigt werden. Und auch hier muss man nicht lange suchen: So erhöhte der Immobilienkonzern Zug Estates seinen Betriebsertrag im Jahre 2023 um 5,8 Prozent auf 84,8 Millionen Franken und Swiss Prime Site erzielte 2022 einen Reingewinn von über 404 Millionen Franken, was unter anderem zu einer weiteren Dividendenerhöhung Anlass gab. Kein Wunder, konnte bei so viel Klauerei der Online-Ratgeber von Moneyland am 16. Oktober 2023 stolz verkünden: „Schweizer Immobilien haben in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an Wert gewonnen. Auch wenn sich die zukünftige Entwicklung nicht mit Gewissheit voraussagen lässt, waren Schweizer Immobilien in der Vergangenheit eine relativ sichere Anlage mit stetigem Wachstumspotenzial.“ Ja, und auch einen grossen Teil des Ertrags aus den jährlich wachsenden Krankenkassenprämien, welche immer mehr Menschen schlaflose Nächte bereiten, würde man, ohne allzu lange suchen zu müssen, bei den gut verdienenden Kadern, den Managern und den Aktionärinnen und Aktionären jener 55 privaten Krankenkassen wiederfinden, die schon wissen, weshalb sie sich so erbittert gegen die Einführung einer staatlichen Einheitskrankenkasse mit einkommensabhängigen Prämien zur Wehr setzen.

„Wärst du nicht reich“, sagt der arme zum reichen Mann in der Parabel von Bertolt Brecht, „dann wäre ich nicht arm.“ Die Verbreitung dieser simpelsten aller simplen Wahrheiten über die Funktionsweise des kapitalistischen Wirtschaftssystems werden jedoch all jene, die von diesem System profitieren und nicht wollen, dass sich etwas ändert, zweifellos mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bis zuletzt bekämpfen. Und so greifen sie auch noch zu den absurdesten Ausflüchten und schieben als Gründe für dieses wachsende Missverhältnis die „Inflation“, die „Coronapandemie“, den „Ukrainekrieg“, die „unsichere Weltlage“, den „Fachkräftemangel“ und vieles mehr in den Vordergrund, bloss um zu verhindern, dass die tatsächlichen Ursachen ans Licht gelangen. Denn wenn dies geschähe, wäre wohl so etwas wie eine Revolution, in was für einer Form auch immer, unausweichlich. Auch die Französische Revolution 1789 wurde durch einen extremen Anstieg des Brotpreises ausgelöst, während der König und seine Höflinge auf dem Schloss von Versailles immer noch ihre ausgelassensten Fressgelage feierten. Der Unterschied ist: Damals hatte es schon Hungertote gegeben. Ob es wohl auch bei uns noch so weit kommen muss, bis einer genügend grossen Zahl von Menschen die Augen aufgehen?

Kaffee: Die Geschichte eines der rentabelsten Kolonialprodukte

Dies ist das 4. Kapitel aus meinem Buch PRO MEMORIA – EINE ANDERE GESCHICHTE DES KAPITALISMUS, das voraussichtlich anfangs 2025 erscheinen wird. Eine Geschichte der Schattenseiten des Kapitalismus und der Opfer eines Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, das trotz allem immer noch von vielen als die einzige mögliche und alternativlose Art und Weise angesehen wird, wie das Zusammenleben der Menschen auf diesem Planeten organisiert werden kann.

Wenn du in der Suchfunktion PRO MEMORIA eingibst, findest du die weiteren bereits publizierten Kapitel des Buches.

«Kaffee», schreiben Toni Keppeler, Laura Nadolski und Cecibel Romero in der Einleitung zu ihrem im Jahre 2023 erschienen Buch «Eine Geschichte von Genuss und Gewalt», «hatte von Anfang an ein fast symbiotisches Verhältnis mit dem Kapitalismus, als globalisiertes, höchst lukratives Profitgeschäft für Grossgrundbesitzer und multinationale Konzerne, verbunden mit der gnadenlosen Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern, mit Sklaverei und der wirtschaftlichen und ökologischen Zerstörung ganzer Regionen, aber auch als Mittel, um Konzentrations- und Leistungsfähigkeit zu verbessern, die ideale Droge für eine moderne Industriegesellschaft». Folgende Ausführungen beruhen im Wesentlichen auf den in diesem Buch vermittelten Recherchen.

Wie eine Krake frass sich der Kaffeestrauch nach und nach durch die von Europäern eroberten und kolonialisierten Gebiete des Südens, zunächst in Zentral- und Südamerika, später auch in Äthiopien und in Südostasien, auf Ceylon, Java und in Vietnam. Überall wurde Land, das zuvor der Versorgung mit Nahrungsmitteln für die einheimische Bevölkerung gedient hatte, für den Anbau des so gewinnträchtigen Exportprodukts in Beschlag genommen. Hunger und Elend waren die Folge, riesige Wälder wurden abgeholzt, allein in Brasilien verschwand Regenwald in der Grösse fast des heute noch verbliebenen Amazonasurwalds und auf Ceylon wurden, nachdem die Briten nach vierjährigem Krieg zwischen 1814 und 1818 die ganze Insel erobert hatten, Wälder bis weit ins Hochland hinauf vernichtet. Auch in Guatemala kam es zu militärischer Gewalt gegen die ansässige Bevölkerung. Denn um 1850 gerieten Vulkanhänge an der Pazifikseite des Landes, die zuvor als mehr oder weniger unfruchtbar gegolten hatten,  aufgrund optimaler Voraussetzungen für den Kaffeeanbau zunehmend ins Visier der herrschenden Oligarchie. Weil dort aber Mayavölker in kleinen Streusiedlungen lebten und das Land zwecks Eigenversorgung mit Mais und Bohnen bebaut hatten, setzte die guatemaltekische Regierung kurzerhand ein Gesetz in Kraft, wonach alle Flächen, die kein Weideland waren und nicht mit Kaffee, Zucker oder Baumwolle bestanden waren, zu Brachland in Staatsbesitz erklärt und an die Meistbietenden verkauft wurden. Da die Maya aber kein Geld hatten, um das Land zu kaufen, blieb ihnen, als Alternative zur Zwangsarbeit, nichts anderes übrig, als noch höher in die Berge oder ins benachbarte Mexiko zu fliehen. Um dies zu verhindern, liess die Regierung die Armee massiv ausbauen und schuf zusätzliche Milizen, Guatemala wurde für die Maya zu einem einzigen grossen Arbeitslager und jeglicher Versuch weiterer Rebellionen wurde mit massivem Einsatz von militärischer Gewalt und regelrechten Massakern niedergeschlagen.

Je brutaler die Gewalt gegen Menschen und gegen die Natur, umso sagenhafter die Profite. In der Mitte des 17. Jahrhunderts war Kaffee das mit Abstand rentabelste Kolonialprodukt, der in den Abnehmerländern erzielte Verkaufserlös belief sich zeitweise auf bis das Sechsfache der Kosten für die Produktion und den Transport. Weil Kaffee beinahe ausschliesslich in Monokulturen angepflanzt wurde, kam es rasch zur Auslaugung der Böden, sodass eine Plantage jeweils nach durchschnittlich 20 Jahren aufgegeben werden musste, zurück blieben verwüstete, unbrauchbar gewordene Landschaften und immer mehr neues Land musste gerodet werden. Gleichzeitig wurden die Exportmengen immer weiter in die Höhe getrieben, auf Ceylon stieg der jährliche Export zwischen 1849 und 1868 von 16‘700 auf 50‘800 Tonnen, 1906 exportierte Brasilien in einem einzigen Jahr so viel wie zuvor in zehn Jahren und die Exportmenge von guatemaltekischem Kaffee wuchs nach der Niederschlagung der Mayaaufstände von 14‘000 Tonnen im Jahr 1873 auf 69‘000 Tonnen 1895 und über 100‘000 Tonnen 1909.

Die Grausamkeit, mit der indigene Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sowie die afrikanischen Sklavinnen und Sklaven auf den Kaffeepantagen behandelt wurden, ist nahezu unbeschreiblich. Nirgendwo war das Regime der Sklavenhalter so brutal wie auf Saint-Dominique, dem heutigen Haiti, jedes Jahr starben zwischen fünf und zehn Prozent der Sklavinnen und Sklaven an Hunger, Überarbeitung, Krankheiten und Folter. Körperstrafen waren alltäglich, Peitschen die ständigen Begleiter der Aufseher auf den Plantagen. Diebstahl wurde mit der Amputation einer Hand, eines Arms oder eines Beins bestraft. Oft machten sich die Aufseher einen Spass daraus, widerspenstigen Sklaven Schwarzpulver in den After zu pressen und dieses dann zu entzünden, was sie «einen Neger hüpfen» nannten. Andere Sklaven, die zu wenig Gehorsam zeigten, wurden lebendigen Leibes in Backöfen geworfen oder bis zum Kopf eingegraben und der sengenden Sonne, den Moskitos und den Ameisen überlassen. Besonders schlimm erging es jenen, die dieser Hölle zu entfliehen versuchten und dann, gejagt von Bluthunden, wieder eingefangen wurden, sie wurden auf bestialischste Weise öffentlich zu Tode gefoltert, zur Abschreckung und Einschüchterung aller anderen. Immer wieder kam es vor, dass Sklavinnen und Sklaven Neugeborene ertränkten, um ihnen das Schicksal ihrer Eltern zu ersparen, oder sich selber das Leben nahmen.

In Brasilien wurden schon Kinder ab neun Jahren auf die Plantagen geschickt. Ein Arbeitstag dauerte normalerweise von fünf Uhr morgens bis 21 Uhr, auch hier überlebten die meisten nicht viel mehr als die ersten sieben Jahre.

In El Salvador kaufte der berüchtigte britische Kaffeekönig James Hill zuhauf bankrotte Plantagen auf, die für ihn arbeitenden Frauen erhielten nur die Hälfte des Lohnes der Männer. Als Arbeiterinnen, die beim Düngen ungelöschten Kalk ausbringen mussten und sich dabei schwere Verbrennungen an den nackten Füssen zuzogen, fünf statt zehn Cent Lohn pro Tag forderten, wurden sie von Hill einfach entlassen und dieser setzte an ihrer Stelle Kinder ein, welche die Arbeit für zehn Cent erledigten. Es war verboten, von den Früchten der Schattenbäume zu pflücken, wer trotzdem dabei erwischt wurde, bekam eine Tracht Prügel. Auf einer von Hills Plantagen wurde ein Arbeiter erschossen, weil er zwei Büschel Bananen stehlen wollte, ein anderer, als er beim Pflücken von Orangen ertappt wurde. Sah Hill jemanden, der während der Arbeit redete oder lachte, musste dieser wegen der verloren gegangenen Arbeitszeit für den gleichen Lohn länger arbeiten.

Um 1925 war El Salvador, das kleinste Land Zentralamerikas, der grösste Kaffeeproduzent der Region. Der Verkauf der Bohnen brachte über neunzig Prozent der Exporteinnahmen. Davon profitierten fast ausschliesslich etwa fünfzig Familien. Sie lebten in Saus und Braus, in eleganten Wohnvierteln oder auf grossen Landgütern. Einzelne Häuser hatten bis zu dreissig Zimmer, die üppig dekoriert und mit den feinsten Möbeln ausgestattet waren. Die Kinder wurden auf Schulen in England, der Schweiz oder Frankreich geschickt. Schätzungsweise verfügte ein halbes Prozent der Bevölkerung über neunzig Prozent des gesamten Reichtums des Landes, ein durchschnittlicher Grossgrundbesitzer verdiente etwa gleich viel wie dreitausend Landarbeiter. Und als der US-amerikanische Wirtschaftsberater Frederic W. Taylor dem diktatorisch regierenden Präsidenten Jorge Meléndez empfahl, zusätzlich zum Kaffee auch noch Baumwolle anzubauen, war das Schicksal der verbliebenen Kleinbauern endgültig besiegelt, sie wurden gewaltsam vertrieben und ihre Felder und Hütten wurden niedergebrannt. So gut wie alles, was im Land produziert wurde, war nun für den Export bestimmt, für die Grundnahrungsmittel der Armen wie Mais, Reis und Bohnen gab es keinen Platz mehr.

Doch schliesslich war ein wachsender Teil der verarmten Landbevölkerung nicht mehr bereit, diese Zustände noch länger widerstandslos zu ertragen. Erste Gewerkschaften wurden gegründet, nachts wurden heimliche Treffen abgehalten, man sang Revolutions- und Volkslieder. 1930 wurde die Kommunistische Partei El Salvadors gegründet. Bald kam es zu ersten Streiks. Auf einer Kaffeeplantage in Zaragoza legten am 23. September 1931 zweihundert Landarbeiter die Arbeit nieder. Der Besitzer rief die Nationalgarde, diese eröffnete mit Maschinenpistolen das Feuer auf die versammelten Streikenden, vierzehn Menschen wurden getötet, 24 verletzt. Es folgten weitere Streiks in anderen Regionen des Landes, worauf in Turin Soldaten in eine Menge von rund vierhundert Streikenden schossen, mehrere Dutzend wurden getötet. In den darauffolgenden Tagen brannte die Armee in der Gegend Hütten ab und ermordete weitere sechzig Landarbeiter, einzelne Quellen sprechen von bis zu 400 Toten.

Am 10. Januar 1932 beschloss das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, die zu diesem Zeitpunkt über etwa 500 Mitglieder verfügte, einen umfassenden Volksaufstand. In der Nacht vom 20. auf den 21. Januar erklangen in der Gegend von Ahuachapán, Sonsonate, Izalco und Santa Tecla die Muschelhörner, das Signal zum Angriff. Zwischen fünftausend und siebenztausend mit Prügeln, Äxten, Macheten und Flinten bewaffnete Männer und Frauen machten sich auf, um mehrere Militärkasernen anzugreifen. Izalco wurde am 23. Januar um neun Uhr morgens von rund 600 Aufständischen eingenommen. Am stärksten war die Aufstandsbewegung in Juayúa, das um Mitternacht zum 23. Januar von rund sechshundert Landarbeitern unter Kontrolle gebracht wurde, der frühere Bürgermeister des Städtchens wurde von der wütenden Menge erschlagen und sein Haus niedergebrannt. Abgesehen von diesem Lynchmord kam es aber weder bei der Eroberung von Juayúa, noch bei jener anderer Ortschaften in der Region zu weiteren Gräueltaten. Doch inzwischen hatte sich die Armee bereits auf den Gegenschlag vorbereitet. Es gelang ihr, Farabundo Martí, den führenden Kopf der Kommunisten, ausfindig zu machen und gefangen zu nehmen, am 1. Februar wurde er, zusammen mit zwei Studentenführern, auf einem Friedhof in San Salvador erschossen.

Bald waren Armee und Nationalgarde überall in der Offensive, eine Gemeinde nach der anderen wurde zurückerobert. Nachts verübten geflohene Aufständische noch vereinzelte Attacken, dann aber begann das, was man noch heute in El Salvador «La Matanza» nennt. Das Blutbad fand in drei Etappen statt, zuerst Massenexekutionen in den zurückeroberten Gemeinden, dann grosse Massaker an verschiedenen anderen Orten und schliesslich die systematische Ermordung aufgrund von Listen, auf denen alle verdächtigen Personen von der Regierung, unter tatkräftiger Mithilfe nicht zuletzt von katholischen Priestern, aufgeführt worden waren. Zudem wurden alle über zwölfjährigen indigenen Männer erschossen, die man in den zurückeroberten Ortschaften auffinden konnte, in einzelnen Gemeinden wurden auch Frauen und Mädchen an die Wand gestellt. Insgesamt forderte «La Matanza» zwischen 30‘000 und 40‘000 Tote, rund zehn Prozent der damaligen indigenen Bevölkerung, einer der grössten Völkermorde aller Zeiten, der aber bis heute in der westlichen Geschichtsschreibung kaum eine Rolle spielt.

Die indigene Kultur El Salvadors ist seither verschwunden. Die traditionellen Kleider werden nicht mehr getragen und es gibt nur noch ein paar wenige Alte, welche die frühere Sprache der Indigenen beherrschen. Juayúa, einer der zentralen Orte des Aufstands, ist heute ein umtriebiges Städtchen von gut 20‘000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Kein Denkmal erinnert an den Aufstand und an die Toten von 1932. Das heutige Rathaus ist von einem grossen Wandgemälde geschmückt, das die Kaffeeernte als fröhliche Idylle darstellt.

Doch die Geschichte des Kaffees ist nicht nur eine Geschichte grenzenloser Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und der Auslöschung ganzer indigener Kulturen, sondern auch die Geschichte der verheerenden Auswirkungen eines Wirtschaftsmodells, das, um aus den betroffenen Ländern die grösstmöglichen Profite herauszupressen, einzig und allein auf die Pflanzung von Monokulturen setzt. Da den Böden von Monokulturplantagen die natürliche Nährstoffzufuhr durch herabfallende Blätter und Früchte fehlt, brauchen sie viel mehr chemische Düngemittel und erschöpfen sich dadurch viel schneller. Aber sie verarmen nicht nur pflanzlich. Auch Tiere finden dort keinen Lebensraum mehr, nicht einmal Zugvögel machen in solchen Pflanzungen Rast, es fehlt ihnen an Schutz und Nahrung. Eine weitere Folge von Monokulturen ist die Bodenerosion. In natürlichen Wäldern werden wegen des schützenden Blätterdachs und der Bodenbewachsung kaum Sedimente abgetragen. Je mehr aber der Mensch in den natürlichen Pflanzenbestand eingreift, umso schneller schreitet die Erosion voran und Regenfälle schwemmen die nährstoffreiche Krume aus, die Fruchtbarkeit der Böden nimmt ab und diese verlieren zunehmend ihre Fähigkeit, Wasser zu speichern.

Was der kubanische Dichter und Nationalheld José Martí in Bezug auf den Zucker sagte, nämlich, dass «ein Volk, welches sein Wohlergehen auf ein einziges Produkt begründet, damit Selbstmord begeht», gilt gleichermassen für den Kaffee. Ist die Volkswirtschaft eines Landes so abhängig von einem einzigen Exportprodukt, dann wirken sich Schwankungen der Preise auf dem Weltmarkt umso verheerender aus. So war der Kaffeepreis an der New Yorker Börse bis 1895 mit 14 bis 18 US-Cent pro 454 Gramm relativ stabil, 1896 sank er aufgrund des Überangebots aus Brasilien auf unter 10 Cent, 1897 unter 8 Cent, worauf sich in den Lagern 5,4 Millionen Sack zu je 60 Kilogramm aufstauten. 1901 war die Überproduktion bereits auf 11,3 Millionen Sack angeschwollen und der Preis fiel auf 6 Cent und damit unter die Produktionskosten. Präsident Getúlio Vargas, ein glühender Verfechter von möglichst freiem Handel ohne staatliche Eingriffe, forderte sodann die Vernichtung der Überproduktion, 1931 gingen die ersten sieben Millionen Sack in Flammen auf, bis 1945 wurden insgesamt 90 Millionen Sack verbrannt oder im Meer versenkt. Das Dilemma besteht darin, dass die Preise bei einem zu grossen Angebot immer mehr sinken, was die produzierenden Länder dazu zwingt, die Produktion noch weiter anzukurbeln, um mit den tieferen Preisen dennoch genügend Einnahmen zu generieren. Tatsächlich aber sinken dadurch die Preise erst recht noch weiter – ein Teufelskreis und zugleich ein perfektes Beispiel dafür, wie die vielgelobte sogenannte «freie Marktwirtschaft» funktioniert: Eben gerade nicht zugunsten tatsächlicher Freiheit und tatsächlichen Wohlergehens für die Menschen, sondern höchstens zugunsten der Freiheiten und des Wohlergehens jener, die selber aus einem noch so grossen ökonomischen und ökologischen Unsinn ihre materiellen Nutzen ziehen und sich auf Kosten anderer bereichern, indem sie die verschiedenen produzierenden Länder gegeneinander ausspielen, jedes Land zu grösstmöglicher Produktion antreiben und am Ende von den dadurch verursachten Preissenkungen profitieren.

Erst ein 1965 von der internationalen Kaffeeorganisation ICO vereinbartes Abkommen, durch welches Obergrenzen von Exportquoten festgelegt wurden, sorgte für eine gewisse Preisstabilität. Doch 1989, als sich der Zusammenbruch der Sowjetunion abzuzeichnen begann, nutzten die USA als Verfechter eines möglichst ungezügelten Kapitalismus die Gelegenheit, um eine Fortführung des Kaffeeabkommens zu verweigern. Die Folgen waren verheerend, der Kaffeepreis fiel weit unter die Produktionskosten, Millionen von Kaffeebauern mussten um ihr Überleben kämpfen, Zehntausende Plantagen mussten aufgegeben werden, allein aus der Kaffeeregion im mexikanischen Bundesstaat Veracruz wanderten zwischen 1995 und 2000 rund 800‘000 Menschen aus, in den Ländern Guatemala, Honduras, El Salvador und Nicaragua gab es fast 400‘000 zusätzliche Migrantinnen und Migranten und in Kolumbien kam es zu einer deutlichen Zunahme von Gewalt und Kriminalität, heute leben dort 54,4 Prozent der Kaffeebauern unter der Armutsgrenze, 15,6 Prozent in extremer Armut.

Und erst recht die ökologischen Aspekte. So etwa der gigantische Wasserverbrauch, den die Produktion von Kaffee erfordert, jährlich nämlich weltweit rund 110 Milliarden Kubikmeter, das ist so viel, wie in eineinhalb Jahren den Rhein hinunterfliesst. Da diese Mengen fast ausschliesslich in den Kaffee produzierenden Ländern anfallen, exportieren diese also riesige Mengen ihrer natürlichen Ressource Wasser in die Konsumländer, wo wahrscheinlich den wenigstens Menschen bewusst ist, dass für jede Tasse Kaffee, die sie trinken, nicht weniger als 140 Liter Wasser aufgewendet werden mussten. Zudem ist die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Fläche eine der Hauptquellen von Treibhausgasemissionen und damit entscheidend mitverantwortlich für den Klimawandel. Doch nicht nur das. Auch die gesamte Produktions-, Liefer- und Verwertungskette von Kaffee trägt nicht unwesentlich zur Erderwärmung bei.

Zählt man alle Menschen zusammen, die weltweit in der Produktion, in der Aufarbeitung, im Handel und in der Verarbeitung von Kaffee arbeiten, kommt man, nach einer Schätzung der Weltbank, auf rund eine halbe Milliarde. Nun könnte man ja sagen, dass, wenn es das Kaffeegeschäft nicht gäbe, diese halbe Milliarde Menschen keine Arbeit mehr hätten. Zieht man aber den massiven Wasserbrauch, die Zerstörung natürlicher Ressourcen, das Auslaugen der Böden, die Abholzung riesiger Waldbestände sowie die ökologischen Folgen insgesamt in Betracht, dazu noch die tiefen Löhne der Kaffeebäuerinnen und Kaffeebauern trotz schwerster und gesundheitsschädlicher Arbeit und erst recht die Tatsache, dass es sich bei alledem im Grunde um ein letztlich unnötiges, überflüssiges Luxus-, Kult- und Lifestyleprodukt für reiche Länder und weltweite Oberschichten handelt, dann ist die Frage wohl nur allzu berechtigt, ob diese halbe Milliarde Menschen nicht auch sinnvollere, sozial und ökologisch vertretbarere und zukunftsverträglichere Arbeiten leisten könnten. Dies umso mehr, wenn man die stagnierenden oder gar sinkenden Einkommen der Kaffeebäuerinnen und Kaffeebauern den steigenden Konsumentenpreisen gegenüberstellt und es wohl nicht allzu grosser mathematischer Kenntnisse bedarf, um sich ausrechnen zu können, dass, wenn so viele so grosse Opfer bringen und so viel bezahlen, andere bei alledem dafür wohl umso mehr verdienen müssen…

Alexei Nawalny: Ein Märtyrer im Kampf für Demokratie?

„Putin ist der Mörder“ – Diese Schlagzeile ging im Zusammenhang mit dem Tod von Alexei Nawalny am 16. Februar blitzschnell durch die gesamte westliche Medienwelt. Und dies, bevor die forensische Untersuchung der Todesursache überhaupt erst begonnen hatte. Schon erstaunlich, dieses Ausmass an Empörung, wenn man es mit dem Tod von bisher rund 23‘000 Menschen, davon 16‘000 Frauen und Kindern, vergleicht, die seit dem 7. Oktober im Gazastreifen infolge der israelischen Bombardierungen ums Leben gekommen sind. Von einer Schlagzeile „Netanyahu ist der Mörder“ war jedenfalls bisher noch in keinem der wichtigsten westlichen Medien etwas zu lesen, obwohl – im Gegensatz zum Fall Nawalny, wo alles noch im Bereich von Mutmassungen liegt – einwandfrei feststeht, dass Netanyahu mit dem Krieg und der anhaltenden Verweigerung eines Waffenstillstands für den Tod dieser grösstenteils unschuldigen Zivilpersonen die Hauptverantwortung trägt.

Nawalny zu einem Kämpfer oder gar Märtyrer für Freiheit und Demokratie emporzustilisieren, ist aber auch noch aus einem anderen Grunde fragwürdig. Nawalny war nämlich nicht nur der Widersacher Putins, sondern auch ein extremer Nationalist, um nicht zu sagen Rassist. So etwa bezeichnete er auf seinem Blog Bürgerrechtler als „quasiliberale Wichser“ und Homosexuelle als „Schwuchteln, die weggesperrt gehören“. Die Tschetschenen verglich er mit „Kakerlaken“ und forderte die Bombardierung von Tiflis mit Marschflugkörpern. „Volksgruppen aus dem Kaukasus und Arbeitsmigranten aus südlichen Nachbarländern“, sagte er, „alles, was uns stört, muss man mit Vorsicht, aber unbeirrt per Deportation entfernen.“ Wegen solcher und ähnlicher Aussagen wurde er denn auch im Jahre 2007 aus der demokratisch-liberalen Jabloko-Partei ausgeschlossen. Zudem wurde ihm 2021 von Amnesty International der Status eines „gewaltlosen politischen Gefangenen“ aberkannt, mit der Begründung, er sei ein „rassistischer und gewalttätiger Schläger“. Zwar widerrief Amnesty International diese Aberkennung später wieder, aber nur unter massivem Druck westlicher Regierungen.

Nawalny mag dem Westen bestens als Opfer des russischen Machtsystems und seines Präsidenten Putin dienen. Alles andere aber war er als ein lupenreiner Kämpfer für Freiheit und Demokratie, als den ihn die westlichen Mainstreammedien gerne darzustellen versuchen. Diese würden sich besser bei der eigenen Nase nehmen und „demokratisch“, nämlich ausgewogen, auch über die Schattenseiten des vermeintlichen Freiheitskämpfers berichten.

20 Mal mehr Stimmen für die Weiterführung als für die Schliessung eines Asylzentrums: Das schweizerische Steckborn schreibt Geschichte…

Für gewöhnlich höre ich in letzter Zeit, wenn ich am Morgen das Radio einschalte, keine guten Nachrichten. Und nicht selten kommen mir die Tränen, wenn ich an das unbeschreibliche Elend denke, von dem nicht nur gerade im Gazastreifen, sondern auch weltweit so viele Menschen betroffen sind, vor allem auch Kinder, diese wunderbaren kleinen Geschöpfe, die doch alle eine so unendliche Sehnsucht nach einer Welt voller Liebe und Frieden in sich tragen. Auch heute kamen mir, als ich am Morgen das Radio einschaltete, Tränen in die Augen. Doch heute, für einmal, waren es nicht Tränen der Trauer, sondern Tränen der Freude…

Steckborn, eine Gemeinde mit rund 4000 Einwohnerinnen und Einwohnern im schweizerischen Kanton Thurgau, 15. Februar 2024: Eine einzig zu diesem Zweck einberufene Gemeindeversammlung soll darüber entscheiden, ob das örtliche Asylzentrum, wo vor allem jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan und der Türkei untergebracht sind, geschlossen werden soll oder nicht. Ausgelöst worden war die Diskussion durch den Vorstoss eines von 131 Bewohnerinnen und Bewohnern unterzeichneten Begehrens, welches die Schliessung des Zentrums fordert, weil es in letzter Zeit immer wieder zu unliebsamen Vorfällen wie Ruhestörungen und Einschleichdiebstählen rund um das Zentrum gekommen sei. Der Aufmarsch zur Gemeindeversammlung ist überwältigend, 692 Menschen sind gekommen, nicht alle haben im Saal Platz gefunden, für die anderen wird das Geschehen auf Bildschirme im Aussenbereich übermittelt. Noch nie haben auch nur annähernd so viele Bürgerinnen und Bürger Steckborns an einer Gemeindeversammlung teilgenommen. Ist das nun der grosse „Volksaufstand“, die aufgewachte „schweigende Mehrheit“, all jene Unzufriedenen, die schon lange einmal so richtig auf den „Putz“ hauen wollten und es kaum erwarten konnten, nun endlich hierfür Gelegenheit zu haben? Doch, oh Wunder, genau das Gegenteil tritt ein: Nach zweistündiger Debatte wird abgestimmt. Wellen von Händen gehen in die Höhe auf die Frage, wer sich für die Weiterführung des Zentrums aussprechen möchte. Nur gerade mal drei Dutzend Personen befürworten die Schliessung des Zentrums. Das Ergebnis ist so überwältigend eindeutig, dass auf eine Auszählung der Stimmen verzichtet wird.

Es gibt sie also doch noch, die guten Nachrichten. Vielleicht sind es sogar mehr, als wir denken. Gut möglich, denn die Medien zeigen doch viel öfters und viel lieber die schlechten als die guten Nachrichten, weil sich damit offensichtlich schneller und mehr Geld verdienen lässt. Wenn über Menschen berichtet wird, welche „Geschichte schreiben“, dann sind es meistens nur Tennisspielerinnen oder Skifahrer, die mehr Pokale gewonnen haben als alle anderen je zuvor, oder Popsängerinnen mit mehr verkauften Alben als je zuvor oder Spielfilme mit mehr Zuschauerinnen und Zuschauern als bei allen anderen Spielfilmen je zuvor. Doch eigentlich schreiben Menschen wie die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von Steckborn an diesem 15. Februar 2024 doch viel wichtigere Geschichten, Geschichten, die weitaus bedeutendere Auswirkungen haben könnten und vielleicht tatsächlich das Potenzial haben, dass man sich auch noch nach zwanzig oder dreissig Jahren an sie erinnern wird. Eigentlich müsste diese Meldung auf sämtlichen Frontseiten der Weltpresse und in sämtlichen TV-Nachrichtensendungen weltweit an vorderster Stelle erscheinen. Und eigentlich müssten auch an internationalen Konferenzen, bei denen es um wichtige Zukunftsfragen geht, immer wieder Leute aus Steckborn auftreten und von diesem denkwürdigen 15. Februar 2024 berichten. Damit sich nicht nur die schlechten, erschlagenden und ohnmächtig machenden Nachrichten wie ein Lauffeuer von Land zu Land verbreiten, sondern auch die guten, hoffnungsvollen und Mut machenden. Damit nicht nur der Hass eine Chance bekommt, sondern auch die Liebe.

Und als ich diesen Traum am heutigen Morgen ein wenig weiterzuspinnen beginne, erinnere ich mich auf einmal an ein Erlebnis, das ich bis heute nicht vergessen habe. Ich war etwa zehn Jahre alt, ein schüchterner Bub, der Schlechteste im Turnunterricht, oft von anderen ausgelacht, mit sehr wenig Selbstwertgefühl. Als ich mit meinen Eltern eines Tages zu Besuch bei einer Tante war, die ich sehr mochte, sagte sie beim Abschied zu mir: „Etwas muss ich dir noch sagen, bleib so, wie du bist!“ Mein Gefühl in diesem Moment war unbeschreiblich, zum ersten Mal empfand ich so etwas wie ein starkes Selbstwertgefühl, das Gefühl, ein „wichtiger“ und „wertvoller“ Mensch zu sein: Ich würde mich nicht mehr endlos verbiegen müssen, ich durfte so sein und so bleiben, wie ich war, und das würde schon genügen, um gut zu sein…

14 Jahre später begann ich mit der Arbeit als Oberstufenlehrer, voller Idealismus und mit dem Ziel, möglichst jedem und jeder der mir anvertrauten Jugendlichen möglichst gerecht zu werden. Doch das war nicht so einfach, war ich doch gezwungen, meine Schülerinnen und Schüler bei ihren Lernfortschritten stets miteinander zu vergleichen, zu benoten und Zeugnisse zu schreiben. Es schmerzte mich zutiefst, wenn ich erleben musste, wie die „schwächeren“ Schülerinnen und Schüler unter den schlechten Noten und Zeugnissen litten, umso mehr, als sie sich oft noch viel mehr angestrengt hatten als jene mit den guten Noten und Zeugnissen. Und mir wurde immer mehr bewusst, wie ungerecht das war und wie viele wunderbare Fähigkeiten und Begabungen alle diese „schlechteren“ und „erfolgloseren“ Schülerinnen und Schüler hatten, die niemals in einem Prüfungsresultat oder in einem Zeugnis zum Ausdruck kamen. Und so begann ich, möglichst viele Beobachtungen über Stärken und Begabungen der Jugendlichen im Verlaufe des Schuljahrs festzuhalten und aus diesen Notizen dann am Ende des Schuljahrs einen Brief zu schreiben, den ich dem Zeugnis beilegte. Es waren, da ich mich ausschliesslich auf die Stärken beschränkte, so etwas wie „Liebesbriefe“ und alle endeten mit dem Satz, den mir meine Tante 14 Jahre zuvor gesagt hatte: Bleib so, wie du bist. Und wieder geschah das Gleiche: Junge Menschen, die im Verlaufe eines ganzen Schuljahrs kaum je ein wirkliches Erfolgserlebnis gehabt hatten, fühlten sich nun auf einmal ganz gross, ganz wichtig und ganz wertvoll. So sehr, dass viele von ihnen – und das ist nun schon einige Zeit her – diese Briefe bis heute aufbewahrt haben und sie oft wieder lesen, während das Zeugnis mit all den nichtssagenden Zahlen schon längst in Vergessenheit geraten ist. Da ich im Verlaufe meiner 38jährigen Zeit als Lehrer schätzungsweise rund tausend Jugendliche unterrichtete, hat sich also die Liebe, die mir meine Tante damals geschenkt hatte, im Verlaufe vieler späterer Jahre buchstäblich vertausendfacht. So einfach ist das. So einfach kann sich Liebe weiterpflanzen, wie sich auch, leider, Hass und Gleichgültigkeit weiterpflanzen können.

Wie die Welt in zehn oder zwanzig Jahren aussehen wird, ist nicht eine Frage irgendeiner „höheren“ Macht, irgendeines Schicksals oder Naturereignisses, dem wir hilflos ausgeliefert wären. Es ist einzig und allein die Frage, in welcher Weise jeder und jede Einzelne von uns darauf Einfluss nimmt. Ob wir an den Krieg glauben oder an den Frieden. Ob wir dem Hass Raum gewähren oder der Liebe. Das Gute daran ist: Die Liebe und den Frieden müssen wir nicht erfinden, denn sie stecken schon als innerste Sehnsucht im tiefsten Inneren von uns allen, seit dem Augenblick, da wir diese Erde betreten haben. „Der Mensch ist gut und will das Gute“, sagte der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi vor über 250 Jahren, „und wenn er böse ist, so hat man ihm den Weg verrammelt, auf dem er gut sein wollte.“ Es geht nicht darum, künstlich etwas aufzubauen, sondern nur darum, das, was sowieso schon da ist, wieder zu befreien und blosszulegen, indem wir all das, womit es im Laufe der Zeit verschüttet und verbaut wurde, geduldig und beharrlich Tag für Tag ein wenig beiseite räumen, bis es wieder in voller Schönheit ans Tageslicht treten kann.

So wie an diesem 15. Februar 2024 in einer kleinen, ganz gewöhnlichen und ganz durchschnittlichen Schweizer Gemeinde. Auf dass sich Steckborn, genau so wie die „Liebesbriefe“ an meine Schülerinnen und Schüler, tausendfach fortpflanzen möge bis an die äussersten Enden der Welt….