In der Werft Meyer Turku in Finnland entsteht derzeit das grösste Kreuzfahrtschiff der Welt, die „Icon of the Seas“. Es ist 365 Meter lang und 50 Meter breit und damit fünfmal so gross wie die Titanic. Knapp 10’000 Personen haben haben darauf Platz. Das Schiff der Superlative soll 2024 in See stechen – mit 20 Sonnendecks, 16 Pools und einer Eishalle an Bord. Auf dem Oberdeck des Schiffs befindet sich ein riesiger schwimmender Wasserpark. Wie farbige Regenwürmer schlängeln sich die sechs Wasserrutschen über das Schiff. Darunter eine offene Freifallrutsche sowie eine Flossrutsche, auf der vier Personen gleichzeitig fahren können. Auf dem Bug des Kreuzfahrtschiffs hat die Reederei eine riesige Glaskuppel gebaut. Im sogenannten „Aquadome“ finden Akrobatik- und Tanzshows statt – und es gibt einen künstlichen Wasserfall. Verteilt auf den 20 Decks gibt es ein Dutzend Restaurants und Cafés. Und auch einen Minigolfplatz und einen Kletterpark. In einem heruntergekühlten Theater finden Eiskunstlauf-Shows statt. Auch die Flora darf nicht fehlen. Die Reederei betitelt die Grünanlage auf dem Schiff als „Central Park“. Dort sollen etwa 20’000 Pflanzen und etliche echte Bäume wachsen. 1,1 Milliarden Dollar soll der Bau der „Icon of the Seas“ kosten. Und bereits baut die Royal Caribbean in Finnland an ihrem nächsten schwimmenden Koloss, der „Utopia of the Seas“. Offiziell wird sie aber nur das zweitgrösste Schiff der Welt sein. (NZZ, 20. Juli 2023)
Archiv des Autors: Peter Sutter
Ferienträume
Während immer mehr Touristinnen und Touristen aus den wohlhabenden Ländern Griechenland überschwemmen, können sich immer Griechinnen und Griechen Ferien in ihrem eigenen Land nicht mehr leisten. (Radio SRF1, 19. Juli 2023)
Schweizerische Post kauft 2400 Hektaren Mischwald
Die schweizerische Post kauft 2400 Hektaren Mischwald mit Kiefern, Lärchen, Fichten und Buchen im deutschen Bundesland Thüringen. Über den Kaufpreis und die Konditionen haben die Parteien Stillschweigen vereinbart. Für die CO2-Rechnung der Post mag der Kauf des deutschen Waldes gut sein, für das Klima freilich ändert sich damit nicht viel. Der besagte deutsche Wald entzieht der Atmosphäre nicht grundlegend mehr CO2, nur weil er der Schweizer Post gehört. (Tagblatt, 26. Juli 2023)
700 Millionen Euro für einen Fussballspieler
700 Millionen Euro soll der französische Fussballspieler Kylian Mbappé angeblich erhalten, sollte er für ein Jahr nach Saudi-Arabien wechseln. Dahinter steht die saudische Staatsführung – und eine forcierte Strategie des „Sportwashing“, also der Imagepflege per Spitzensport. (Tagblatt, 27. Juli 2023)
Kobalt aus dem Kongo
Obwohl die globale Automobilindustrie, das Geschäft mit Smartphones und die Rohstoffkonzerne Milliardengewinne erzielen, ist der Kongo, von wo 73 Prozent des hierfür hauptsächlich benötigten Kobalts herkommen, eines der ärmsten Länder der Welt. (NZZ, 9.7.2023)
Und immer noch werden die gleichen Märchen über den Reichtum und die Armut von Generation zu Generation weitererzählt…
Da behauptete doch unlängst einer dieser Multimillionäre allen Ernstes, die wahren Milchkühe seien die Reichen, sie würden nämlich mit ihren hohen Steuerabgaben den Sozialstaat hauptsächlich finanzieren und deshalb verdankten wir ihnen letztlich unseren Wohlstand. Nur hat er vergessen zu erwähnen, woher denn dieses Geld, das sie angeblich so grosszügig verteilen, ursprünglich gekommen ist. Aus Erbschaften zum Beispiel – gesamtschweizerisch fast 90 Milliarden Franken jährlich. Oder aus Aktiengewinnen – die gesamtschweizerisch insgesamt eine höhere Summe ausmachen als sämtliche Einkommen aus Arbeit. Oder aus Immobilienbesitz. Oder aus überdurchschnittlich hohen Löhnen auf Kosten der weniger gut Verdienenden. Kurz: Aus lauter Quellen, wo sich Geld angesammelt hat, welches auf die eine oder andere Weise nicht von ihnen selber, sondern von unzähligen anderen Menschen erarbeitet wurde.
Die Reichen hätten sich ihren Reichtum aus eigener Kraft verdient? Fehlanzeige. Es ist fast ausschliesslich geklautes Geld. Geld, das sich am einen Ende so gigantisch auftürmt, weil es an so vielen anderen Orten so schmerzlich fehlt. Armut und Reichtum sind die beiden unauflöslich miteinander verbundenen Kehrseiten der gleichen – kapitalistischen – Medaille. Genau so, wie es der arme Mann zum reichen in der Parabel von Bertolt Brecht sagte: „Wärst du nicht reich, dann wär ich nicht arm.“ Doch immer noch reden Politikerinnen und Politiker, Wirtschaftsleute und Verantwortliche von Sozial- und Hilfsorganisationen stets nur davon, es ginge darum, die Armut zu bekämpfen. Falsch. Es geht darum, den Reichtum zu bekämpfen. Wenn man den Reichtum bekämpft, dann verschwindet die Armut ganz von selber.
Wer behauptet, die Reichen würden den Sozialdienst und unseren Wohlstand finanzieren, hat nur insofern nicht ganz Unrecht, als tatsächlich ein progressives Steuersystem höhere Einkommen und Vermögen höher belastet. Ja, sie geben einen Teil des „Geklauten“ tatsächlich der Gesellschaft wieder zurück, aber das Allermeiste behalten sie für sich selber, denn sonst wären sie ja nicht so unglaublich reich und könnten sich nicht so unzählige Luxusvergnügen leisten wie Kreuzfahrten, das Übernachten in den besten Luxushotels der Welt oder den jährlichen Flug auf die Malediven und so vieles mehr, von dem die ärmere Hälfte der Bevölkerung nicht einmal zu träumen wagt.
Die Reichen trügen eine „Bürde“, die schwer auf ihren Schultern laste. Auch so eine aus der Luft gegriffene Behauptung. Nein, Reiche tragen keine Bürden. Wenn jemand eine Bürde trägt, dann die rund 140’000 Menschen in der Schweiz, die trotz voller Erwerbsarbeit zu wenig verdienen, um davon eine Familie ernähren zu können. Vollends absurd schliesslich die auch oft gehörte Behauptung, Reiche würden mehr bezahlen, als sie verdienen. Wenn das tatsächlich so wäre, dann müssten sie ja alle schon längst verhungert sein.
Die absurdeste Behauptung aber, um den eigenen Reichtum zu rechtfertigen, stellte der genannte Multimillionär mit der Aussage auf, Reiche seien eben ganz „besondere“ Menschen, würden sich von der Masse abheben und gezielt andere Wege gehen. Als wäre zukünftiger Reichtum bereits in den Genen angelegt und bleibe denen, die es nie zu grösserem Reichtum bringen, nichts anderes übrig, als sich mit ihrer Situation abzufinden und erst noch das Gefühl zu haben, selber daran schuld zu sein.
In solchen Momenten denke ich: Eigentlich befinden wir uns, sozialpolitisch gesehen, in dem, was man durchaus als „Entwicklungsland“ bezeichnen könnte: Elementarste wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge werden kaum je thematisiert, auch nicht – und ganz besonders nicht – von denen, die sich „Wirtschaftswissenschaftler“ und „Wissenschaftlerinnen“ nennen und von denen einer kürzlich allen Ernstes die These aufstellte, der Schweizer Bevölkerung sei es materiell noch nie so gut gegangen wie heute – ohne zu erwähnen, dass die hohen Durchschnittseinkommen und Durchschnittsvermögen nichts anderes sind als die Folge der immer weiter in die Höhe schnellenden Spitzenvermögen und Spitzeneinkommen, was all denen, die unvermindert am unteren Ende dieser Skala verharren – jener Million Menschen in der Schweiz, welche von bitterer Armut betroffen sind -, nicht einmal auch nur der schwächste Trost sein kann.
Ja. Ein Entwicklungsland, wo immer noch, seit Generationen, die gleichen Märchen über den Reichtum und die Armut weitererzählt werden. Und das Verrückte ist: Fast alle glauben es, selbst die Armen und Bestohlenen selber. Wie lange noch?
Der namenlose Spitzenakrobat ohne Publikum
Vier Visiere, je etwa 45 Meter hoch, stehen seit ein paar Monaten auf dem Baugrund des geplanten Hochhauses, um die Ausmasse des Gebäudes zu markieren, vier Türme aus einem Stahlrohrgerüst, schmal und schwankend in die Höhe ragend, gesichert durch Drahtseile an jeder Ecke. Nun, da der Baubeginn unmittelbar bevorsteht, müssen die Visiere wieder abgebaut werden. Und als ich heute zufällig an der Stelle vorbeikomme, traue ich meinen Augen kaum…
Zuoberst auf einem der schwankenden Stahlrohrtürme steht ein Bauarbeiter und ist damit beschäftigt, die Stahlrohre von oben nach unten auseinanderzuschrauben und mithilfe eines Seils in die Tiefe zu lassen. Er balanciert auf zwei Brettern, die auf den obersten Stangen aufliegen. Eine Herkulesaufgabe in schwindelerregender Höhe, hat doch jede der Stangen, die er unter Aufbietung aller seiner Kräfte auf die jeweilige nächstuntere Stange legen muss, ein Riesengewicht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie er die zwei Bretter, sobald die oberen Stangen abgetragen sind, auf die nächstunteren Stangen zu legen vermag, die sich etwa zwei Meter unterhalb der Stelle befinden, wo er jetzt gerade steht. Muss er sich den schräg angebrachten Querstangen hinunterzuhangeln versuchen? Aber wie soll er gleichzeitig die Bretter von oben nach unten bringen können? Und wenn eines unten ist, wie holt er dann das andere? Aber noch mehr beschäftigt mich die Frage, wie er überhaupt zuoberst auf den Gerüstturm gelangen konnte. Er musste sich über 45 Meter hinauf Stange um Stange hinaufgehievt haben, um jeweils wieder die nächsten zwei Meter zur nächsthöheren Stange zu überwinden. Und die Bretter, die jetzt zuoberst liegen, zog er die gleich mit in die Höhe oder gelangten die erst ganz am Schluss auf die oberste Stelle, aber wie kam dann das Seil in die Höhe, musste er dieses mit hinauf schleppen, von Stange zu Stange in immer gefährlicherer Höhe balancierend? Und das alles in einer Hitze von weit über 30 Grad…
In keinem Zirkus habe ich jemals eine solche Nummer gesehen. Und doch gibt es da weit und breit kein Publikum, keinen Applaus, keine Standing Ovations. Der Bauarbeiter, der heute dieses Gerüst abträgt, tut schlicht und einfach seine Arbeit, an der äussersten Grenze körperlicher Belastbarkeit, tödlicher Gefahr ausgesetzt. Wie unzählige andere Arbeiterinnen und Arbeiter, hierzulande und weltweit, die Tag für Tag ohne jeglichen Applaus und ohne jegliches Publikum still und fleissig namenlos ihre Schwerstarbeit verrichten. Damit dann andere, wenn die Visiere abgetragen und das neue Hochhaus dort gebaut sein wird, mit dem Vermieten von Büros, Geschäftslokalen und Wohnungen um ein Vielhundertfaches dessen an Profiten einfahren werden, als der namenlose Spitzenakrobat dieses 16. August 2023 jemals auf seinem Lohnkonto sehen wird. Darüber, wie der Kapitalismus funktioniert, braucht man keine Bücher und keine wissenschaftlichen Arbeiten zu lesen. Es genügt, an all den Brennpunkten, wo seine Widersprüche so gnadenlos aufeinanderprallen, nicht achtlos vorüberzugehen…
Eine 19jährige verstümmelte Ukrainerin und die Hoffnung auf einen baldigen Frieden
Eine 19jährige Ukrainerin in einem kurzen, blumigen Sommerkleid, doch an der Stelle des einen Beines eine Prothese, das Bein weggerissen, als sie auf eine Mine mit Splittermunition trat. Ein ukrainischer Soldat, beide Beine weggerissen, ein Auge verloren, trotzdem will er weiterkämpfen. Die Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Und erst recht, was man nicht sieht: Die erlittenen Ängste, als sie auf die Minenfelder getrieben wurden, die alle Vorstellungskraft sprengenden Schmerzen, während sie immerhin noch das Glück hatten, von Kameraden, tief zu Boden gedrückt im Kugelhagel, aus der Gefahrenzone fortgeschleift worden zu sein, während so viele andere rundherum hilflos verbluteten. Allein an diesem Tag fast hundert Gefallene, so eine nackte Zahl, die wenig aussagt, hinter der sich aber ebenso viele Einzelschicksale unendlichen Leidens verbergen…
Und gleichzeitig feiert die reiche ukrainische Oberschicht Party auf Mallorca. Gleichzeitig kurven Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich eine frühe Flucht aus ihrem Land leisten konnten, mit ihren SUVs durch europäische Grossstädte. Gleichzeitig verbreitet der Präsident des Landes, sicher geschützt durch eine Heerschar von Sicherheitspersonal, auf allen Bildschirmen des internationalen Parketts seine Durchhalteparolen und lobt den Mut und die Kampfbereitschaft „seiner“ Soldatinnen und Soldaten. Gleichzeitig schwelgen russische Oligarchen, fernab von den todbringenden Schlachtfeldern, in nie dagewesenem Reichtum. Gleichzeitig verbreiten die Medien hüben und drüben der Front Nachrichten über „vom Feind befreite Dörfer“, in denen das Einzige, was sich noch bewegt, die siegreich aufgepflanzte russische oder ukrainische Flagge ist…
Wie konnte es so weit kommen. Wie ist es möglich, dass sich Menschen von anderen Menschen dermassen instrumentalisieren lassen und ihren Lügen zum Opfer fallen. Wie ist es möglich, dass all die Mythen und Irrlehren, die von den Mächtigen immer und immer wieder verbreitet werden, von all den wunderbaren, ganz „gewöhnlichen“ Menschen, deren einzige Sehnsucht ein Leben in Sicherheit, ohne Angst, in minimalstem Wohlstand und in Würde wäre, immer wieder geglaubt werden, bis sie es gar noch als Ehre ansehen, auf einem alles an unvorstellbarer Grausamkeit übertreffenden Schlachtfeld ihr Leben aufs Spiel zu setzen. „Stets dachte ich“, so der deutsche Schriftsteller Erich Maria Remarque zur Zeit des Ersten Weltkriegs, „dass alle Menschen gegen den Krieg sind. Bis ich herausfand, dass es auch solche gibt, die dafür sind. Aber nur die, welche selber nicht hingehen müssen.“
Doch es wird und muss eine Zeit kommen, da immer mehr Menschen dieses grausame Spiel durchschauen und sich weigern werden, es weiter mitzumachen. Schon ist von hunderten Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten der Front die Rede, welche sich in immer grösserer Zahl dem „Feind“ ergeben. Noch gehen die Meldungen darüber im Getöse blinder Siegeseuphorie der Mächtigen unter. Doch ewig wird sich die Vernunft nicht aufhalten lassen. Irgendwann, eines Tages, wird alles kippen. Das ist die grosse Hoffnung inmitten einer fürchterlichen Zeit, in der sich die Kräfte des Alten noch einmal, und hoffentlich ein letztes Mal, in all ihrer grenzenlosen Gewalttätigkeit aufbäumen. Für die verstümmelte 19Jährige, ihre Abertausenden Leidensgenossinnen und Leidensgenossen sowie auch für alle anderen, welche diese Hölle nicht überleben werden, wird diese neue Zeit leider viel zu spät beginnen und zurückbleiben wird irgendwann nur noch die dunkelste Erinnerung an eine Zeit, in der auf so unfassbare Weise all das zerstört wurde, wonach sich ein jedes Kind schon im Augenblick seiner Geburt so unendlich sehnt: eine Welt voller Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und einem guten Leben für alle…
Wie viele Opfer wird es noch brauchen, bis sowohl die ukrainische wie auch die russische Führung einsehen werden, dass sie ihre Kriegsziele niemals erreichen können?
„Beim aktuellen ukrainischen Vorstoss“, so berichtet „20minuten“ am 28. Juli 2023, „geht es darum, durch die Minenfelder und die anderen russischen Barrieren in Richtung Süden vorzudringen und möglichst in das russisch besetzte Melitopol beim Asowschen Meer vorzudringen. Der russische Präsident hat indessen erklärt, die Versuche der ukrainischen Gegenoffensive seien gestoppt und der Feind sei mit grossen Verlusten zurückgeworfen worden.“
„Durch Minenfelder vordringen“, „mit grossen Verlusten zurückgeworfen worden sein“ – fast zynisch klingen solche Worte, leicht hingeschrieben in einem Zeitungsartikel, wenn man sich nur ein ganz klein wenig vor Augen führt, was für unermessliches Leiden sich dahinter verbirgt…
Je länger je deutlicher scheint sich abzuzeichnen, dass sich eines Tages die russische Führung wohl wird damit abfinden müssen, das Ziel einer Zerschlagung der Ukraine nicht erreichen zu können, wie sich auch die ukrainische Führung damit wird abfinden müssen, das Ziel, sämtliche russische Treiben aus den besetzten Gebieten zu vertreiben, kaum je zu erreichen, sondern sich beide Seiten ganz pragmatisch an den gleichen Tisch setzen und die Menschen in der Ostukraine ganz friedlich und demokratisch darüber abstimmen lassen müssten, ob sie lieber der Ukraine oder lieber Russland angehören oder eine eigene, unabhängige Republik bilden möchten. Alles andere sind Illusionen und führen bloss dazu, dass noch weitere tausende Menschenleben sinnlos geopfert werden. Müsste man nicht angesichts der Tatsache, dass jeder Quadratkilometer Geländegewinn sowohl von der ukrainischen wie auch von der russischen Seite nur noch mit Hunderten toten und verstümmelten Soldaten zu erreichen ist, nicht endlich von einem „eingefrorenen Konflikt“ sprechen, der sich niemals mit einer Fortsetzung des Krieges, sondern nur mit einem baldmöglichsten Waffenstillstand und Friedensverhandlungen lösen lässt?
Sie reden von Drohnen, von Algorithmen und vom „Krieg der Zukunft“. Als ob nicht das Einzige, was Zukunft hat, eine Welt ohne Krieg wäre…
Wie werden Drohnen und autonome Waffen den Krieg verändern? Dies das Thema einer Dokumentationssendung im Rahmen von NZZ-Format am Schweizer Fernsehen SRF1 vom 20. Juli 2023. Ein nahezu unfassbarer und an Zynismus und Menschenverachtung kaum zu überbietender Einblick in „moderne Kriegsführung“, ins masslose Verschleudern von Ressourcen, Geld und „Intelligenz“ mit dem einzigen und alleinigen Ziel, Kriegsführung so weit zu perfektionieren, dass dem Gegner grösstmöglicher Schaden zugefügt wird, während man selber möglichst kleine oder gar keine Opfer zu erbringen hat. Die Büchse der Pandora, die sich schon so weit geöffnet hat, dass es einem nur noch kalt über den Rücken hinunterläuft. Denn schon wird an ganzen Drohnenschwärmen geforscht, die wie fliegende Minenfelder agieren sollen. Allein durch ihre schiere Anzahl könnten sie den Gegner samt seinen Flugabwehrsystemen überwältigen. Logisch, dass jede Militärmacht dadurch, dass ihre Gegner über solche Waffen verfügen wird, gezwungen ist, entsprechende Gegensysteme aufzubauen – eine weitere weltweite Eskalation und Rüstungsspirale ist damit vorprogrammiert, die immer höhere Kosten erfordern und eine immer grössere Menge an Ressourcen verschlingen wird, und dies in einer Welt, wo über eine Milliarde Menschen unter extremer Armut leiden, sich nicht ausreichend ernähren können und von tödlichen Krankheiten betroffen sind, die mit geringstem Aufwand zu bezwingen wären.
„Kriege werden in Zukunft anders geführt, Algorithmen bestimmen zunehmend, was auf dem Schlachtfeld passiert“ – so der Filmkommentar. Als wäre Krieg gottgegeben, eine Welt ohne Krieg unvorstellbar, nur dass er eben zukünftig „anders“ geführt wird. Längst schon ist nicht mehr vom „Frieden der Zukunft“ die Rede, sondern nur noch vom „Krieg der Zukunft“, als wäre das etwas Verlockendes, etwas, was sich auch nur einigermassen vernünftige Menschen im Entferntesten wünschen könnten. Man sieht im Film junge Technikerinnen und Techniker, die mit kleinen Drohnen hantieren, als wären es ihre Lieblingsspielzeuge. Man sieht „Militärexperten“ und „Militärexpertinnen“, welche die „moderne Kriegsführung“ erklären und dabei ein Lächeln im Gesicht haben, als ginge es um die Planung einer Hochzeitsfeier. Man sieht Messehallen, wo die neuesten „Errungenschaften“ modernster Waffentechnik präsentiert und zum Kauf angeboten werden, wie anderswo Autos oder Kühlschränke präsentiert und zum Kauf angeboten werden. Man sieht die potentiellen Käufer in die Halle strömen, fast nur Männer, alle in edlen Anzügen, mit Krawatte und Aktenkoffer, als wäre nicht das Töten von Menschen, das Zerstören ganzer Landschaften, die Vernichtung von Lebensträumen unzähliger namenloser Männer, Frauen und Kinder in dem von ihnen erdachten „Feindesland“ ihr eigentliches Geschäft. Aber man sieht in diesem ganzen Film nicht einen einzigen verwundeten oder getöteten Soldaten, man sieht keine einzige Frau und kein einziges Kind, das ohne seine Eltern, ohne Schutz und ohne Hilfe inmitten unvorstellbarer Verwüstung zurückgeblieben ist. Dort, wo die Drohnen ihre tödliche Last ins Ziel gebracht haben, sieht man, aus sicherer Entfernung, höchstens aufgewirbelten Staub oder ein Fadenkreuz, in dem sich eine Rauchwolke in Sekundenschnelle auf alle Seiten hin menschenleer ausbreitet.
Nur schon der Begriff „künstliche Intelligenz“. Als hätte das mit allen technischen Raffinessen vorangetriebene Töten auch nur im Entferntesten etwas zu tun mit menschlicher Intelligenz. Und selbst alle im Film gezeigten „Forscherinnen“ und „Forscher“: Ihre Forschungsgebiete sind ausschliesslich die Drohnen, die digitale Kriegsführung, die Algorithmen. Keine Einzige und kein Einziger von ihnen forscht auf dem Gebiet der Konfliktlösung, der Vertrauensbildung, der Abrüstung oder des Friedens. Das Äusserste, worauf sie sich einlassen, ist die Debatte, ob es „ethisch“ vertretbar sei, wenn nicht mehr Menschen, sondern Maschinen oder Algorithmen darüber entscheiden, wer, wann und wo getötet werden soll. Als wäre es so viel „ethischer“, wenn ein Mensch dies alles entscheidet. Der Film endet mit der erschreckenden Frage einer „Militärexpertin“, ob nicht schon bald der Zeitpunkt gekommen sein könnte, an dem das aufgebaute Waffenarsenal bereits so „intelligent“ geworden sein könnte, dass es sich aufgrund eines Missgeschicks oder einer technischen Panne blitzschnell für einen Angriff auf den einprogrammierten Gegner entscheidet und damit eine entsprechende Reaktion der Gegenseite auslösen könnte, ohne dass der Mensch, buchstäblich überflüssig geworden, dazu noch etwas zu sagen hätte…