Das private Automobil: Wie ein Dinosaurier zu gross, zu fett, vom Aussterben bedroht…

„Das Ansehen von Elektroautos leidet in der Schweiz“, titelt der „Tagesanzeiger“ vom 15. September 2025. Nur noch die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer nähmen E-Autos als positiv wahr. Vor einem Jahr hätte der Wert noch bei 60 Prozent gelegen. Der Branchenverbot Auto Schweiz sei alarmiert und mache sich Gedanken, wie man die Akzeptanz von Elektroautos erhöhen könnte.

Aber vielleicht wäre es an der Zeit, sich eine viel grundsätzlichere Frage zu stellen. Nämlich nicht nur, ob man mit Benzinautos oder mit E-Mobilen herumfahren sollte. Sondern, ob man überhaupt noch mit privaten Autos herumfahren sollte.

Wie Dinosaurier zu gross, zu fett, vom Aussterben bedroht: Eigentlich ist es nicht nur ein ökologischer, sondern auch ein ökonomischer Unsinn, zwei Tonnen Metall in Bewegung zu setzen, bloss um 80 Kilo Mensch von A nach B zu transportieren, vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Privatauto durchschnittlich nur 50 Minuten pro Tag gebraucht wird und während der übrigen Zeit nutzlos herumsteht. Alle reden vom „Dichtestress“ durch eine ständig wachsende Bevölkerung, aber niemand spricht davon, dass schweizweit die Gesamtheit der für den Verkehr benützten Flächen bereits jene der von Häusern bebauten Fläche übersteigt. Zudem brauchen auch E-Mobile sowohl für die Herstellung wie auch für den Betrieb Unmengen an Rohstoffen und Energie. Und gar so umweltfreundlich ist wohl auch das E-Mobil nicht wirklich, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel in Spanien zurzeit gerade riesige Wälder abgeholzt werden, bloss um das für die Akkus benötigte Lithium zu beschaffen.

Die Alternative wäre ein möglichst gut ausgebauter öffentlicher Verkehr, verstärkt durch ein bis in die äussersten Winkel des Landes verästeltes Taxinetz, womit sich das Privatauto bald einmal als überflüssig erweisen würde. Es wäre ein Segen für die Natur, für alle heute so sehr von Verkehrslärm geplagten Menschen, für die Förderung zwischenmenschlicher Begegnungen, für die Kinder, die wieder mehr Platz zum Spielen hätten, und nicht zuletzt für die von der zunehmenden Klimaerwärmung betroffenen zukünftigen Generationen.

Am Anfang war es „Putins zweite Front“, am Ende waren es ein paar behelfsmässig zusammengeschraubte Sperrholzplatten…

Was war da schon wieder, mit den russischen Drohnen, die am 10. September 2025 in den polnischen Luftraum eindrangen? Ich lese nach, im „Tagesanzeiger“, einer der grössten Schweizer Tageszeitungen…

11.9., Seite 1: RUSSISCHE DROHNEN IN POLEN: NATO UND EU SIND ALARMIERT… Nach dem Eindringen mehrerer Flugobjekte aus Russland in Polens Luftraum sitzt der Schock bei NATO-Verbündeten tief. In der EU sieht man die Luftraumverletzung als „Gamechanger“. Moskau dementiert…

So wie der Artikel beginnt und schon die Schlagzeile suggeriert, scheint der Fall klar zu sein: Es handelt sich um eine Verletzung des polnischen Luftraums durch russische Drohnen. Dass Russland dementiert, wird zwar erwähnt, nicht aber näher darauf eingegangen. Und schon sind wir mittendrin in einer höchst tendenziösen Berichterstattung, wie wir sie seit dem Februar 2022 auf Schritt und Tritt verfolgen können: Wenn eine westliche Regierung oder der ukrainische Präsident Selenski etwas sagt, wird es stets für bare Münze genommen, wenn die russische Regierung etwas sagt, wird dies unverzüglich, ohne dies näher zu begründen, als „Propaganda“ oder gar „Lüge“ abgetan…

…Die Flugobjekte aus Russland sind nach EU-Angaben als Drohnen vom iranischen Bautyp Shehed identifiziert worden…

Dieser Befund wird sich später zwar als Falschaussage entpuppen, aber egal, man kann es ja mal behaupten, es ist ja die EU, die es sagt, und die wird wohl nichts anderes sagen als die Wahrheit. Und es ist immer wirkungsvoll, eine Verbindung zwischen Russland und dem Iran herzustellen, gehört doch auch der Iran aus westlicher Sicht zu den „Bösen“…

…EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Luftraumverletzung als rücksichtslos und beispiellos. Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas sieht das mutmasslich absichtliche Eindringen als „Gamechanger“ in Russlands Krieg gegen die Ukraine und droht mit „starken Sanktionen“…

Aha. Kaja Kallas gibt zwar ehrlicherweise zu, dass es sich nur „mutmasslich“ um ein absichtliches Eindringen der Drohnen und also mit anderen Worten auch bloss um eine technische Panne gehandelt haben könnte, doch egal: Für sie steht jetzt schon fest, dass es sich um einen „Gamechanger“ in der russischen Kriegsgefahr handelt, der unverzüglich mit möglichst „starken Sanktionen“ beantwortet werden müsse. Dass Ursula van der Leyen mit ihrer Aussage, wonach es sich um eine besonders „rücksichtslose und beispiellose Luftraumverletzung“ gehandelt habe, ins genau gleiche Horn bläst, ist freilich alles andere als verwunderlich. Jetzt kann man nicht auf Beweise, detaillierte Analysen oder genauere Befunde warten, jetzt muss man handeln…

…NATO-Generalsekretär Mark Rutte will die Luftraumverletzungen noch nicht bewerten...

Interessant. Selbst der nicht gerade als „Weichei“ gegenüber Russland bekannte Rutte scheint noch nicht ganz davon überzeugt zu sein, dass der Angriff bewusst geplant worden sei.

11.9., Seiten 2 und 3: DAS IST NICHT UNSER KRIEG. DAS IST EINE KONFRONTATION, DIE RUSSLAND DER GANZEN WELT GEMACHT HAT

Eigentlich weiss man über die Hintergründe des Drohnenangriffs immer noch nichts, was man aber weiss, ist, dass Russland damit sozusagen der ganzen Welt den Krieg erklärt hat…

Es ist das erste Mal, dass russische Drohnen über NATO-Luftraum abgeschossen wurden…

Ein höchst aufschlussreicher Satz. Denn es ist in der Tat nicht das erste Mal, dass Drohnen im polnischen Luftraum gesichtet wurden, das kommt nämlich seit dem Kriegsbeginn fast täglich vor und wurde offensichtlich bisher ohne grössere Empörung hingenommen. Es ist nur das erste Mal, dass sie von polnischen Luftabwehrraketen abgeschossen wurden. Hoppla, wie war das schon wieder mit dem „Gamechanger“?

Fotos der polnischen Nachrichtenagentur PAP zeigen ein völlig zerstörtes Dach in der Ortschaft Wyriki ganz im Osten Polens. Verletzt wurde niemand…

Dieses Bild füllt denn auch tatsächlich mindestens einen Drittel der Seite 2 im „Tagesanzeiger“ aus. Und wie man weiss: Bilder verfehlen ihre Wirkung nie. Auch wenn tatsächlich niemand verletzt wurde. Egal, jetzt darf man nicht vorschnell die Behauptung, Russland habe soeben der ganzen Welt den Krieg erklärt, gleich schon wieder relativieren. Kurz halte ich die Luft an: Wenn Russland mit 19 Drohnen der Welt den Krieg erklärt haben soll, die niemanden verletzt haben, wie vielen Planeten hat dann wohl Israel den Krieg erklärt, mit über 100’000 getöteten Kindern, Frauen und Männern in Gaza? Und dies nicht mutmasslich, sondern ohne jeglichen Zweifel.

Polens Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz sprach von einem „präzedenzlosen Vorfall“ und einer „Provokation grossen Ausmasses“. Der Einsatz der polnischen Streitkräfte, um die Drohnen abzuschiessen, dauerte bis etwa 7.40 Uhr. Beteiligt waren auch NATO-Verbündete aus den Niederlanden und den USA, die mit F-35-Kampfflugzeugen halfen, den polnischen Luftraum zu sichern…

Stopp. Was genau war bei alledem „präzedenzlos“ und eine „Provokation grossen Ausmasses“? Wohl kaum das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum, denn das ist, wie erwähnt, seit Kriegsbeginn im Februar 2022 noch nie anders gewesen. Präzedenzlos, erstmalig und eine Provokation grossen Ausmasses war wohl viel eher die völlig überrissene Reaktion der NATO…

Die Armee teilte mit, es handle sich um einen „Akt der Aggression, der eine reale Gefahr für die Sicherheit unserer Bürger“ darstelle. Auch die Verteidigungsminister der anderen vier Länder aus den sogenannten Big Five, also Grossbritannien, Frankreich, Italien und Deutschland, wurden informiert. Am Morgen berief Polens Präsident Karol Nawrocki eine Besprechung im nationalen Sicherheitsbüro ein. Er nannte die Reaktion und das koordinierte Vorgehen aller Dienste „modellhaft“, alle Beteiligten stünden im engen Austausch…

Zwar weiss immer noch niemand, ob das Eindringen der russischen Drohnen in den polnischen Luftraum nicht bloss eine technische Panne gewesen war, aber das hat der flüchtige Leser und die flüchtige Leserin, wenn sie denn überhaupt den ganzen Text und nicht bloss die Schlagzeilen lesen, wahrscheinlich schon längst vergessen. Ist auch nicht wichtig. Wichtig ist nur: Der Westen ist „modellhaft“ stark. Und Polen schafft es sogar, mithilfe von vier weiteren NATO-Ländern 19 russische Drohnen – zwei Stunden vorher hatte der polnische Ministerpräsident Donald Tusk noch von einer „enormen Anzahl“ von Drohnen gesprochen – vom Himmel herunterzuholen – Applaus!. Später werden wir zwar erfahren, dass es tatsächlich nur vier von insgesamt 19 Drohnen gewesen waren, die man abschiessen konnte, aber das tut der heldenhaften Verteidigung des Westens nun wirklich keinen Abbruch…

Die Situation sei sehr ernst zu nehmen, betonte Tusk, denn: „Wir haben es höchstwahrscheinlich mit einer gross angelegten Provokation zu tun.“…

Aha. „Höchstwahrscheinlich“. Es könnte also, selbst Tusk gesteht das ein, alles auch ganz anders gewesen sein. Aber egal. Hand aufs Herz: Wenn es dazu diente, dass der Westen seine Muskeln zeigen konnte, dann spielt es doch wirklich keine Rolle, ob alles echt war oder alles nur vorgetäuscht oder alles nur erfunden oder alles nur gelogen oder vielleicht sogar von eigener Hand inszeniert…

Es werde nun, so Tusk, Artikel 4 des NATO-Vertrags in Kraft gesetzt. Das bedeutet, es soll Konsultationen der Verbündeten geben, die sich mit der Verletzung des Staatsgebiets eines der Mitglieder befassen… Niemand, so Tusk, werde die „vereinten Polen“ besiegen, denn, wie es auch in der polnischen Nationalhymne heisse: „Noch ist Polen nicht verloren“…

Habe ich etwas verpasst? Bin ich der Einzige, der sich an dieser Stelle fragt, wer da eigentlich wen provoziert und wer tatsächlich die allgemeine Eskalation vorantreibt?

Auch der ukrainische Präsident Selenski spricht im Zusammenhang mit „acht auf Polen gerichteten Angriffsdrohnen“ von einem „weiteren Eskalationsschritt“ Russlands..

Gerade gut scheinen sich die westlichen Politiker nicht miteinander abgesprochen zu haben. Waren es nun 19 oder acht Drohnen? Oder vielleicht sogar noch weniger? Oder war es vielleicht gar so, wie es vom ARD-Nachrichtensprecher am folgenden Abend zu hören war, der da sagte: „Die russischen Drohnen drangen offenbar nicht bis in den polnischen Luftraum vor.“ Verwirrung total. Doch was solls. Man wird ja nicht wegen aller dieser Nebensächlichkeiten von der These abrücken wollen, Russland habe soeben der ganzen Welt den Krieg erklärt, diese These ist zu wichtig, um jetzt vorschnell von ihr abzuweichen. Es wäre ja auch eine Blamage ungeahnten Ausmasses, müsste man zugeben, dass alles ganz und gar nicht so gewesen war, wie behauptet wurde. Nur sich jetzt keine Blösse geben, das wäre noch…

Am Freitag beginnt Russland gemeinsam mit Streitkräften aus Belarus das Manöver „Sapad“ („Westen“). Es wird auf belarussischem Gebiet stattfinden, also in Grenznähe zu Polen sowie Litauen und Lettland. Es soll laut polnischen Medien einen Angriff auf die sogenannte Suwalki-Lücke simulieren, die hundert Kilometer lange Grenze zwischen Polen und Litauen. Tusk stellte explizit auch eine Verbindung zwischen der Drohnen-Attacke und diesem Militärmanöver her, an dem gegen 100’000 Soldaten beteiligt sein sollen. Tusk bezeichnete die Drohnen-Attacke als Teil eines Gesamtplans Russlands, um „Chaos, Panik und politische Unruhe in Polen zu stiften“.

Ein kurzer Blick in Wikipedia zeigt, dass Tusk mit der Zahl von 100’000 offensichtlich ganz schön übertrieben hat. Gemäss Angaben Russlands sollen an „Sapad“ 13’000 Armeeangehörige beteiligt sein, die deutsche Militärführung geht aber davon aus, dass weitere 30’000 auf russischer Seite beteiligt sein könnten, was also maximal 43’000 ausmachen würde, immerhin weniger als die Hälfte der von Tusk genannten Zahl. Gehen wir also von 43’000 aus, ist das ja nicht wenig, werden viele denken. Wie fürchterlich und kriegstreibend, dieses Russland! Nur wird vermutlich der flüchtige Leser, die flüchtige Leserin längst schon vergessen haben, dass noch viel Fürchterlicheres vor nicht allzu langer Zeit geschehen war, nämlich ein Militärmanöver mit sage und schreibe 90’000 Soldatinnen und Soldaten, nicht aber von Russland durchgeführt, sondern von der NATO, und zwar zwischen Februar und Mai 2024. Es handelte sich um das grösste NATO-Manöver seit dem Ende des Kalten Kriegs unter Teilnahme aller 32 NATO-Staaten. Trainiert wurden insbesondere die Alarmierung und Verlegung von nationalen und multinationalen Landstreitkräften, wobei sich der Übungsraum von Norwegen bis Rumänien erstreckte. In der ersten Jahreshälfte 2025 folgten weitere grosse NATO-Manöver, unter anderem „Formidable Shield“, die grössten je durchgeführten Seemanöver unter Führung der Sechsten US-Flotte. Aber nein, der eigentliche Kriegstreiber ist Russland, wer um Himmels willen denn sonst…

Seit Jahren beobachtet die NATO Drohnen im Luftraum Litauens, Polens und Rumäniens. Was in der, so Tusk, „dramatischen Nacht“ vom 10. auf den 11. September am Himmel über Polen passiert ist, hatte jedoch eine völlig andere Dimension. Zugespitzt formuliert, war es der schwerste direkte Zusammenstoss zwischen dem russischen Militär – auch wenn dieses nur unbemannte Flugobjekte einsetzte – und den Streitkräften der NATO seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine. „Dies ist das erste Mal, dass NATO-Flugzeuge in einen Kampfeinsatz gegen eine mögliche Bedrohung im Luftraum der Allianz verwickelt waren“, so das NATO-Oberkommando in Mons…

Man beachte den Indikativ: „was am Himmel über Polen passiert ist“ – der Journalist zitiert also nicht Tusk, sondern macht Tusks Aussage zu seiner eigenen, scheint sich also voll und ganz mit Tusks Behauptungen zu identifizieren. Von hier aus ist es dann nur noch ein winziger Schritt bis zur vollends totalen Verdrehung der Realität: Denn die „völlig andere Dimension“, die nun entstand, war ja nicht eine Folge der Drohnen, die ja nicht plötzlich weniger harmlos waren als schon in den drei Jahren zuvor, sondern nichts anderes als die Folge der heftigen Reaktion seitens der NATO-Flugzeuge. Es braucht wirklich nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die zuständigen NATO-Befehlshaber vermutlich bloss darauf gewartet haben, einen vergleichbar harmlosen Akt der Gegenseite als „Kriegserklärung“ hochzustilisieren, welche dann jegliche Gegenmassnahme rechtfertigen würde. Auf erschreckende Weise muss man sich an dieser Stelle an die Aussage Adolf Hitlers erinnern, wonach der angebliche Überfall auf einen deutschen Grenzposten durch polnisches Militär ihm als Anlass diente, einen Weltkrieg auszulösen.

Bei der NATO in Brüssel ist man sich der Schwere des Vorfalls bewusst. Zwar handelt es sich sicher nicht um einen „bewaffneten Angriff“ im Sinne von Artikel 5 des NATO-Vertrags, der alle Mitgliedsländer dazu verpflichten würde, Polen beizustehen. Polen hat aber Beratungen in der NATO nach Artikel 4 beantragt. Das kann ein Mitgliedland tun, wenn es eine Bedrohung für seine „territoriale Integrität, politische Unabhängigkeit oder Sicherheit“ sieht. Diplomatisch stellt dies also eine Eskalation dar..

Jetzt einfach mal tief durchatmen und diesen Abschnitt nochmals lesen und dann die Frage beantworten, wer diese sogenannte „Eskalation“, die nun zu 100 Prozent Russland in die Schuhe geschoben wird, tatsächlich vorantreibt. Ganz abgesehen davon, dass die Frage, ob alles bloss eine technische Panne gewesen sein könnte, immer noch nicht beantwortet worden ist…

In vielen Reaktionen aus NATO-Hauptstädten wurde nur eine „Verletzung des polnischen Luftraums“ beklagt, ohne auf die Details, den Urheber oder dessen Motivation einzugehen…

Dabei wäre doch genau dies das einzig wirklich Entscheidende…

Selbst NATO-Generalsekretär Mark Rutte will nicht bewerten, ob es sich um eine absichtliche Aktion oder einen Fehler gehandelt hatte: „Einerlei, beides ist gefährlich“, sagte er in Brüssel..

…so à la: Ob ich bei einem Verkehrsunfall umkomme oder ermordet werde, ist zwar nicht genau das Gleiche, aber beides ist gefährlich…

Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius sagte dagegen, die Drohnen seien „ganz offenkundig gezielt auf diesen Kurs gebracht“ worden…

Jeder legt sich die Wahrheit so zurecht, dass sie in sein vorgefasstes Denken passt. Und so etwas nennt man vertrauenswürdige Politiker…

Und dann kommt Nicolas Richter in seiner Kommentar- bzw. Analysespalte links auf Seite 2 des „Tagesanzeigers“ und zerstreut mit ein paar gezielten Keulenschlägen auch noch die Zweifel des kritischen Lesers. Er weiss alles, was viele andere noch längst nicht wissen. Und wenn das Feuer auch noch nicht so richtig brennt und man es vielleicht noch löschen könnte, dann giesst er jetzt in zwei Zeitungsspalten so viel Öl hinein, dass es irgendwann dann vielleicht nicht mehr zu löschen sein wird. Er ist beileibe nicht der Einzige, es gibt Tausende andere, die lieber Öl in ein Feuer giessen statt es zu löschen. Aber alle diese unzähligen Ölgiesser machen sich mitschuldig, wenn dann eines Tages das Feuer endgültig nicht mehr zu löschen sein wird. Lesen wir aus seiner „Analyse“…

Putins Provokation darf nicht unbeantwortet bleiben… Die Vorgänge gegen Polen passen ins Muster des hybriden Krieges Russlands.. Wladimir Putin will den Westen verunsichern, verwirren und spalten… und beweist damit, dass Moskau die Europäer als Gegner betrachtet, ja als Feinde.. Mit der Verletzung des polnischen Luftraums durch rund 20 Drohnen hat der Kreml diesen hybriden Krieg eskaliert. Zwar sind die Einzelheiten noch unklar, etwa, ob die Drohnen durch einen Fehler über polnisches Gebiet flogen, auch bestreitet Moskau jede Verantwortung, wobei das Regime wegen seiner dreisten Lügen berüchtigt ist… So oder so passt dieser Zwischenfall in ein Muster immer intensiverer Provokationen. Diese sind kein Zufall, sondern russische Strategie… In der Auseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen beginnt damit eine noch gefährlichere Phase… Putin scheint den Respekt vor dem Westen zunehmend zu verlieren… Wenn die NATO also eine Eskalation vermeiden will, muss sie jetzt unmissverständlich Grenzen ziehen… Russland setzt entschieden auf Drohnen, um zu spionieren und zu morden…

Eigentlich weiss ich nichts, wird sich der „Analyst“ gedacht haben. Aber ich kann ja einfach mal Dinge erfinden und behaupten und schauen, ob man mir glaubt. Wie vor 200 oder 300 Jahren. Natürlich ist das keine Hexe. Aber ich kann ja möglichst viele Gerüchte in Umlauf bringen, bis genug viele Leute daran glauben, dass es eine Hexe ist und sie früher oder später auf dem Scheiterhaufen landet.

Gibt es heute eigentlich nicht mehr so etwas wie eine „Journalistische Sorgfaltspflicht“? Oder bilde ich mir das bloss ein, dass es das früher mal gab und sich sogar die allermeisten Journalisten daran hielten?

Am nächsten Tag, wieder der „Tagesanzeiger“…

12.9., Seite 13: DIE NATO MUSS MIT WEITEREN OPERATIONEN WIE JENER GEGEN POLEN RECHNEN… Die Untersuchungen dauern noch an. Aber die öffentlichen Erklärungen der NATO-Führung lassen darauf schliessen, dass es sich um einen vorsätzlichen Angriff oder zumindest um eine rücksichtslose und eskalierende Aktion handelt und nicht um einen einfachen technischen Fehler…

Jeglicher Kommentar erübrigt sich…

Die Verletzung des Luftraums war denn auch kein direkter bewaffneter Angriff..

Aha. Aber drei Absätze weiter unten…

Der Angriff ist jedoch Teil einer umfassenderen Eskalation und nicht ein einmaliges Ereignis, das nur mit einem einzigen Manöver zusammenhängt

Ach so. Angriff oder doch nicht Angriff? Eigentlich müsste Papier aufschreien können, wenn ihm solches zugemutet wird. Es würde uns wohl allen das Gehör verschlagen…

Russland rüstet auf, um NATO-Territorium angreifen zu können…

Kein einziger westlicher Geheimdienst hat bis heute für diese Behauptung jemals einen eindeutigen Beweis gefunden, und die wissen wahrscheinlich so ziemlich alles. Aber egal, man kann es ja trotzdem immer und immer wieder behaupten, wenn man einen Grund dafür sucht, die eigene Aufrüstung in einem historisch noch nie dagewesenen Umfang voranzutreiben, zu rechtfertigen und als „Recht auf Verteidigung“ schönzureden…

Einen Tag später, wieder der „Tagesanzeiger“…

13.9., Seite 9: DIES WAR PUTINS ERSTER STREICH. DOCH DER ZWEITE… Wenn das ein Test war, dann hat die NATO versagt. 19 Drohnen fliegen an, aber nur drei oder vier werden vom Himmel geholt – eine verheerend schlechte Abschussquote. Es mag Gründe dafür geben. Wer feuert schon gern mit hochmodernen Abfangraketen, von denen jede eine oder zwei Millionen Dollar kostet, auf Drohnen aus Sperrholz, die Russland für 10’000 Dollar das Stück zusammenschraubt?

Was für ein neuer Ton. Diese Drohnen, mit denen Putin der ganzen Welt den Krieg erklären wollte, waren also bloss ein paar zusammengeschraubte Sperrholzplatten. Langsam wird es immer absurder und man beginnt sich zu fragen, wie der Westen aus dieser Schlaufe, in die er sich da hinaufgeschraubt hat, wieder auf den Boden der Realität zurückfinden kann…

Was aber einmal an Verdrehungen, Behauptungen ohne Beweise oder sogar Lügen in die Welt gesetzt wurde, wird sich nicht so schnell wieder aus dem Gedächtnis löschen lassen. Dafür war der „Tagesanzeiger“ vom 11. und 12. September ein Paradebeispiel. Und diese Zeitung ist ja nicht irgendein ein russenfeindliches Hetzblatt, sondern sozusagen die Mainstreamtageszeitung der Schweiz. Dementsprechend konnte man in fast allen anderen Medien so ziemlich genau das Gleiche lesen. Und wenn überall das Gleiche steht, ist man ja dann auch geneigt zu glauben, dass es nichts anderes ist als die pure Wahrheit. So zum Beispiel das „St. Galler Tagblatt“: „Putin provoziert Polen mit Drohnenangriff“ und „Eine neue Stufe der Eskalation“. Radio SRF: „UNO-Sicherheitsrat tagt zu russischen Drohnen in Polen.“ FAZ: „Russland greift Polen an.“ NZZ: „Russland stellt NATO auf die Probe.“ Bild: „Globales Nervenflattern.“ Die Zeit: „Putins zweite Front.“

Nur vereinzelte Medien bzw. einzelne Artikel bemühen sich einigermassen um Sachlichkeit, aber man muss sie suchen wie die Nadel im Heuhaufen. So etwa erschien im „St. Galler Tagblatt“ vom 12.9. ein Artikel mit dem Titel „Schickte Putin nur Attrappen?“…

Entgegen ersten Meldungen scheint es sich nicht um sogenannte Schhed-Drohnen iranischer Bauart gehandelt zu haben, sondern um die russische Billigvariante Gerbera. Diese Langstreckendrohnen werden für wenige tausend Euro hergestellt, bestehen oft aus billigen Materialien wie Sperrholz und Schaumstoff. Sie sind unbewaffnet und dienen lediglich dazu, die feindliche Flugabwehr zu überlasten. Es gibt auch bisher keine Meldungen, wonach diese Drohnen mit Sprengstoff bestückt seien. Viele der Drohnen seien selbständig abgestürzt und trugen nur beim Aufprall entstandene Schäden davon, Berichte über Detonationen gibt es keine…

Das mit den Drohnen und der Kriegserklärung an die ganze Welt scheint also ziemlich in die Hose gegangen zu sein. Dennoch werden die, welche nicht den Frieden suchen, sondern das Säbelrasseln und das finale militärische Kräftemessen, nicht ruhen und immer wieder neue Gründe finden, um Feindbilder zu schüren und kriegerisches Denken zu fördern. Denn so sehr sich die Drohnengeschichte in Luft aufgelöst hat, so konkret hat sie dennoch ihre gravierenden Auswirkungen, wie folgender, ebenfalls im „St. Galler Tagblatt“ erschienener Artikel zeigt…

Die NATO startet nach den mutmasslich (!) vorsätzlichen Luftraumverletzungen durch Russland eine neue Militäroperation zum Schutz (!) der Ostflanke. Angaben zufolge sollen bei der Operation mit dem Namen „Eastern Sentry“ (Wächter des Ostens) zusätzliche Überwachungs- und Flugabwehrkapazitäten zum Einsatz kommen.

Falls es, im schlimmsten Fall, tatsächlich zu einem dritten Weltkrieg kommen sollte, wird höchstwahrscheinlich noch lange in den Geschichtsbüchern, zumal in den westlichen, zu lesen sein, Russland hätte diesen Krieg angezettelt. Erst in 20 oder 50 Jahren werden, da bin ich mir fast ganz sicher, Historikerinnen und Historiker noch einmal über die Bücher gehen und höchstwahrscheinlich herausfinden, dass es eher umgekehrt gewesen war. Und dass wir das eigentlich, wenn wir unsere Medien nur ein bisschen weniger flüchtig studieren und nicht sogleich alles eben Geschehene gleich wieder vergessen würden, heute schon wissen müssten. Und damit sogar einen grösseren Krieg, bevor er noch angefangen hat, vielleicht sogar verhindern könnten. Denn man kann, wie das Beispiel der russischen Drohnen in Polen zeigt, auf jeden noch so kleinen Vorfall immer eskalierend oder aber deeskalierend reagieren. Und genau das ist das Entscheidende.

(18. September 2025: Nun hat sich endgültig alles in Luft aufgelöst, der dritte Weltkrieg wird vertagt, das in den Medien tagelang als eigentliches Hauptopfer gezeigte zerstörte Wohnhaus, das den Drittel einer ganzen Seite im „Tagesanzeiger“ gefüllt hatte, war gar nicht von einer angeblichen russischen Drohne getroffen worden, sondern, wie die polnische Zeitung „Rzeczpospolita” unter Berufung auf mehrere Quellen berichtet hat, von einer fehlgeleiteten Rakete, die von einer polnischen F-16 abgefeuert wurde. Logischerweise müsste jetzt die aufgrund des vermeintlichen russischen Drohnenangriffs anberaumte NATO-Operation „Eastern Sentry“ abgeblasen werden. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt, dass das Verhalten des Westens schon längst nicht mehr mit Logik zu tun, sondern nur noch mit den Wahnvorstellungen militärischer Wirrköpfe.)

Einer Lehrerin mit Kopftuch wird die Unterrichtserlaubnis entzogen: Wenn sich ausgerechnet Patriarchen als Kämpfer für Frauenrechte aufspielen…

Im Juni 2025 hatte sich R.M., nachdem sie Ihre Ausbildung zur Lehrerin an der Pädagogischen Hochschule erfolgreich absolviert und eine mündliche Zusicherung der Schulbehörde von Eschenbach SG zur Übernahme einer Klasse im kommenden Schuljahr bekommen hatte, bereits intensiv auf ihre zukünftige Tätigkeit als Primarlehrerin vorbereitet. Doch es kam ganz anders. Unter den Eltern ihrer zukünftigen Schülerinnen und Schüler regte sich Widerstand gegen R.M. Nicht weil ihre durchwegs hervorragenden Qualifikationen in Zweifel gezogen wurden, sondern einzig und allein aus dem Grund, dass sie als gläubige Muslimin ein Kopftuch trägt. Dieser Widerstand wurde schliesslich so stark, dass die Schulbehörde einknickte und R.M. trotz der bereits mündlich erfolgten Zusicherung eine Absage erteilte. „Als wir zum ersten Mal das Bild der Lehrerin sahen“, so eine der Mütter, die sich gegen die Anstellung von R.M. gewehrt hatte, „waren wir schon etwas schockiert. Wir sind absolut keine Rassisten. Aber es gibt nun einmal kulturelle Unterschiede, und wenn man sein kleines Kind jemandem in Obhut gibt, muss man dieser Person zu 100 Prozent vertrauen können.“ Die Lehrerin selber nahm zunächst keine Stellung, erst in einem Interview mit dem „Blick“ sagte sie, sie sei einfach nur traurig: „Das ist das einzige Gefühl. Ich habe drei Jahre studiert, um als Lehrperson arbeiten zu können. Es war ein Traum von mir seit der dritten Klasse, selbst einmal als Lehrerin vor einer Klasse zu stehen. Das Bild, das sich die Leute von mir machen, verletzt mich. Auch stimmt es nicht, dass ich ein Kopftuch trage, das bis zu den Beinen reicht, wie offenbar eine Mutter behauptet hat, ohne mich kennengelernt zu haben.“ R.M. bedauert, dass niemand mit ihr das Gespräch gesucht habe. Am Ende würden ihr die Kinder leid tun. „Aktuell sitzen sie am 11. August in einem Schulzimmer ohne Lehrperson. Ich kenne niemanden, der jetzt noch eine Stelle sucht.“

Im „St. Galler Tagblatt“ vom 27. August 2025 verteidigt Bernhard Hauser, ehemaliger Professor an der Pädagogischen Hochschule St. Gallen, SP-Kantonsrat und Schulratspräsident von Sargans, in einem längeren Gastbeitrag mit dem Titel „Kopftuch verneint offene Gesellschaft“ den Entscheid der Eschenbacher Schulbehörden. Das Kopftuch der muslimischen Frau bezeichnet er als „Symbol, das dem Grundverständnis offener Gesellschaften diametral widerspricht und deshalb auf keinen Fall auf den Kopf einer Lehrerin gehört. Denn mit dem Kopftuch trägt die Frau ihr Bekenntnis offensiv in die Klasse, als heimlichen Lehrplan des konservativen und frauenfeindlichen Islam. Gleichstellung und offene Gesellschaft sind wichtiger als die Religionsfreiheit.“

Am 30. August folgt, ebenfalls im Rahmen eines Gastbeitrags im „St. Galler Tagblatt“, eine Replik von Ann-Katrin Gässlein, katholische Theologin und ehemalige Präsidentin Runder Tisch der Religionen St. Gallen und Umgebung. „Hausers Interpretation des Kopftuchs“, schreibt sie unter anderem, „spiegelt – freilich polemisch verzerrt – mehr die traditionellen Herleitungen als die heutigen Beweggründe muslimischer Frauen in der Schweiz. Studienergebnisse, zum Beispiel vom Institut für Religionsforschung der Universität Luzern, zeigen: Es sind vielschichtige und höchst individuelle Motive, die eine Frau im Laufe ihres Lebens zum Tragen oder Ablegen eines Kopftuchs bewegen. Wer im interreligiösen Kontakt das Vertrauen der Menschen gewinnt, erfährt, welch schmerzhafter Spagat bisweilen von Menschen verlangt wird, die ihre Talente für die Bildung von Kindern einsetzen zum Wohl einer Gesellschaft, die sich für ihre individuelle Frömmigkeit nicht interessiert, aber ihnen pauschal Zustimmung zu Gleichstellung und offener Gesellschaft abspricht. Offen ist so etwas nicht.“

Es sind genau diese „vielschichtigen und höchst individuellen Motive“, welche in einer öffentlichen Debatte, wie sie nun durch den Fall Eschenbach ausgelöst wurde, total untergehen. So entsteht Raum für jegliche Art von noch so abstrusen Feindbildern und Vorurteilen über Menschen, die man persönlich gar nicht kennt, dennoch aber sich das Recht herausnimmt, genau zu wissen, wie sie denken und welche Motive ihren Einstellungen und Verhaltensweisen zugrunde liegen.

Wie sehr dabei die Vorurteile und das Feindbilddenken auf der einen Seite, die Realität auf der anderen Seite auseinanderklaffen, mögen folgende Beispiele bewusst machen. Es handelt sich um reale Personen, wie wir ihnen alle in unserem Alltag früher oder später begegnen könnten. Und wahrscheinlich kommen dem einen oder der anderen beim Lesen Menschen in den Sinn, die diesen vier im Folgenden beschriebenen Personen durchaus ziemlich nahe kommen.

Bahira ist eine Muslimin, die aus ihrer Heimat fliehen musste, als dort ein fürchterlicher Bürgerkrieg ausbrach. Sie lebt mit ihrem Mann Ahmad und ihren drei Kindern, von denen mittlerweile einer erwachsen ist, seit 13 Jahren in der Schweiz. In ihrer Heimat war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem Universitätsinstitut tätig gewesen, ihr Mann hatte als Pfleger in einem Spital gearbeitet. Bahira trägt regelmässig ein Kopftuch, auch in der eigenen Wohnung, so, wie sie sich das von klein auf gewohnt ist. Das Zusammenleben von Bahira und Ahmad ist in jeglicher Hinsicht von Respekt und gegenseitiger Achtung geprägt, alle wichtigen Entscheide, sei es für private Angelegenheiten, Stellenbewerbungen, Dialog mit der Schule oder in Bezug auf den Umgang mit Behörden, werden gemeinsam diskutiert und gemeinsam getroffen, auch unter Einbezug der Kinder. In ihrem Wohnzimmer hängt ein grosses, von einem der Kinder gemaltes Bild, auf dem sich viele Menschen unterschiedlicher Grösse und Hautfarbe und mit ganz unterschiedlichen Kleidern und Frisuren gegenseitig an den Händen halten und miteinander tanzen.

Erich ist ein Schweizer und ist bei einer grösseren Immobilienfirma als Buchhalter angestellt. Seine Frau Franziska arbeitet teilzeitmässig als Kindergärtnerin. Dass sie den allergrössten Teil der Haushaltarbeit erledigt, täglich zum Einkaufen geht, kocht, putzt, die Kleider für die ganze Familie wäscht, den Kindern bei den Hausaufgaben hilft, sämtliche privaten Einladungen, Geburtstagspartys und Familienfeste organisiert, ist für ihn selbstverständlich. Seinen politischen Ansichten, die ihr oft viel zu hart und wenig einfühlsam gegenüber weniger privilegierten Menschen erscheinen, steht sie häufig mehr oder weniger skeptisch gegenüber, kontroverse Diskussionen sind aber eher selten, da Erich sehr gut und häufig auch mit besonders lauter Stimme zu argumentieren pflegt, gerne auch der ist, der am Schluss Recht haben will, und zudem über ein immenses Wissen verfügt, was dann bei Franziska immer wieder dazu führt, dass sie ihre eigene Meinung lieber für sich selber behält und bloss noch darauf wartet, bis seine Belehrungen ein Ende finden. Am schlimmsten ist es, wenn Erich einen seiner besten Arbeitskollegen nach Hause bringt und sich die beiden dann in ihren – häufig auch krass frauenfeindlichen Sprüchen – gegenseitig bestärken.

Der kritische Leser und die kritische Leserin mögen an dieser Stelle einwenden, dies seien zwei völlig überspitzte und konstruierte Beispiele, um auf diese Weise weit verbreitete Vorurteile, in diesem Falle insbesondere gegenüber kopftuchtragenden Musliminnen, in Frage zu stellen. Die Realität ist aber: Es gibt diese Menschen tatsächlich, und nicht einmal in so geringer Zahl. Es hängt freilich auch davon ab, in welchen gesellschaftlichen Kreisen man sich bewegt, zu welchen Menschen man näheren Kontakt hat und zu welchen nicht, welche man näher kennt und welche einem fremd bleiben. Wie Bahira einmal sagte: Wenn sie am Morgen die Wohnung verlässt und ihren Nachbarn grüsst, dann schaut dieser bloss an ihr vorbei. Als würde er sie gar nicht sehen, bloss, weil sie ein Kopftuch trägt. Und als ich eine andere Nachbarin einmal fragte, ob sie mit Bahira schon einmal gesprochen hätte oder ob sie sie näher kenne, da sagte diese bloss, sie wolle diese Frau gar nicht kennenlernen.

Aber das wirklich Interessante kommt erst jetzt. Während nämlich die muslimische Lehrerin, die nun ihren Traumjob nicht ausüben darf, zunächst schweigt und sich dann dahingehend äussert, dass sie „traurig“ sei und sich „verletzt“ fühle und auch Bahira nicht wütend oder hasserfüllt, sondern nur traurig ist, wenn der Nachbar sie am Morgen nicht grüsst, ist es bei Erich so ziemlich anders. Sobald das Gespräch auf muslimische Frauen kommt, auf das Kopftuch oder ganz allgemein über den Islam, wird seine Stimme noch lauter, als sie sonst schon ist. Es ist etwas ganz anderes als Traurigkeit, sogar fast das Gegenteil: Hass. Ja, er verbreitet Hass gegen Menschen, die er gar nicht kennt und mit denen er noch nie gesprochen hat.

Ich bin kein Psychologe, aber ich glaube, das ist ziemlich einfach zu erklären und ist schon seit Jahrhunderten so: Fühlt man sich mit eigenen Widersprüchen konfrontiert, ist man mit sich selber nicht im Reinen und auch nicht bereit, sich selber kritisch zu hinterfragen, dann ist es am einfachsten, das eigene Ungenügen oder das eigene Unvermögen auf jemand anderen abzuwälzen bzw. zu projizieren, und hierfür eignet sich nun mal am besten eine bereits stigmatisierte Gruppe von Menschen, in diesem Falle kopftuchtragende Musliminnen. Wie früher die Juden, denen man das Vergiften von Brunnenwasser in die Schuhe schob, oder die „Hexen“, von denen man behauptete, sie stünden mit dem Teufel in Verbindung.

Die eigentlich Unterdrückte in unserer Geschichte ist nämlich nicht Bahira, sondern Franziska. Und der eigentliche Patriarch ist nicht Ahmad, sondern Erich. In dem Augenblick aber, indem Erich das, wofür er selber gerade stehen müsste, anderen zum Vorwurf macht, muss er sich nicht mehr mit seiner eigenen Rolle auseinandersetzen, er hat sein eigenes Problem sozusagen „ausgelagert“. Und statt auf ihn zeigt man jetzt auf den „patriarchalen“ Moslem und sein vermeintliches Opfer. Das hat auch viel mit der Macht der Gewohnheit zu tun. Dass Frauen in den westlichen Kulturen immer noch weitaus länger arbeiten als Männer und dennoch weniger verdienen und erst noch weitaus weniger gesellschaftliche Wertschätzung geniessen, daran haben wir uns über Jahrhunderte so sehr gewöhnt und es so tief verinnerlicht, dass es uns schon gar nicht mehr besonders auffällt. Was uns auffällt, ist nur das Neue, das Andere, das Ungewohnte, das Fremde, eben zum Beispiel das Kopftuch. Zur Macht der Gewohnheit kommt noch die Macht der Sprache dazu, wird doch die westliche Konsumgesellschaft, auch wenn sie in vielem noch so starke und prägende patriarchale Züge aufweist, grundsätzlich – vor allem auch in Abgrenzung zu anderen Kulturen – als „offen“ bezeichnet, wie dies auch Bernhard Hauser in seinem Gastbeitrag getan hat. „Offen“ tönt zwar immer gut. Aber was bedeutet das Wort in der Realität? Offen wofür? Offen wozu? Offen für wen? Und was kann man alles in dieses Wort hineinprojizieren und auf diese Weise glorifizieren? Ist auch Fremdenhass ein Merkmal für eine „offene“ Gesellschaft?

Es ist ja dann sogar geradezu zynisch, wenn ausgerechnet extrem patriarchal eingestellte Männer aus „westlichen“ Kulturen, die sich über „extreme Frauenrechtlerinnen“ in ihrem eigenen „westlichen“ Umfeld aufregen und diese als sogenannte „Emanzen“ ins Lächerliche ziehen, sich gleichzeitig als Anwälte für die Rechte muslimischer Frauen aufspielen – so wie etwa, um das denkbar extremste Beispiel zu nennen, der israelische Ministerpräsident Netanyahu, der allen Ernstes die Bombardierung des Iran damit begründete, dass auf diese Weise die iranischen Frauen endlich von der Unterdrückung durch die dort herrschenden Mullahs und ihre Sittenwächter befreit werden könnten.

Das blockiert den gesellschaftlichen Fortschritt gleich doppelt. Auf der einen Seite werden , wie Ann-Katrin Gässlein treffend feststellt, selbst jene kopftuchtragenden muslimischen Frauen als Opfer patriarchaler Unterdrückung dargestellt, die mit einer solchen Rolle ganz und gar nichts am Hut haben, und auch jenen muslimischen Männern patriarchales und unterdrückerisches Verhalten zur Last gelegt, die ihren Frauen durchaus auf gleicher Augenhöhe begegnen. Auf der anderen Seite wird das eigentliche patriarchale Machtsystem, das sich unabhängig von einzelnen Kulturen oder Religionen über alle Länder und Kontinente hinweg zieht, kaum je einer tiefgehenden kritischen Analyse unterzogen. Alle elf Tage – Tendenz steigend – wird in der Schweiz eine Frau von ihrem eigenen Lebenspartner umgebracht. Die wenigsten der Täter sind Moslems, die wenigsten der Opfer tragen ein Kopftuch. Aber statt die tieferen Ursachen der allgemein verbreiteten Männergewalt und ihre Verknüpfungen mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem aufzudecken, hackt man lieber auf kopftuchtragenden Musliminnen herum und kann auf diese Weise bequem vom eigentlichen Grundproblem ablenken. Anderen die Schuld der Probleme in die Schuhe zu schieben, statt sich an der eigenen Nase zu nehmen, war und ist halt immer noch das Einfachste und Bequemste.

Vor allem, wenn man dann dafür noch so grossen öffentlichen Applaus erhält.

Strategien der Vergangenheit und Strategien der Zukunft: Kriegslogik und Friedenslogik…

In einem Interview mit der „Sonntagszeitung“ vom 31. August 2025 sagt der Militärhistoriker und Strategieexperte Mauro Mantovani, die Schweizer Armee könnte niemals alleine einen Grossangriff abwehren und solle deshalb ihre Luftraumverteidigung an Frankreich übertragen. Andere bemühen zurzeit sogar einen möglichst schnellen Beitritt der Schweiz zur NATO herbei, um unser Land unter einen gemeinsamen Schutzschirm zu stellen, damit es nicht eines Tages irgendeinem „Grossangriff“ schutzlos ausgeliefert sein wird.

Tatsächlich aber ist dieser „Grossangriff“ längst schon im Gange. Aber nicht in der Art und Weise, wie das in den Köpfen ewiggestriger „Kriegslogiker“ immer noch eifrig herumspukt. Dieser tatsächliche Grossangriff besteht nämlich nicht aus konventioneller Kriegsführung, sondern, beinahe unsichtbar, Tag für Tag, Stunde für Stunde, in der schrittweisen Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, in der Verödung immer grösserer Landwirtschaftsflächen infolge des Klimawandels, in der Vergiftung einst fruchtbarster Landwirtschaftsböden und in einer zunehmend gigantischen Ungleichverteilung der noch vorhandenen Güter, welche am einen Ende die Produktion einer immer grösseren Menge unnötiger Luxusprodukte zur Folge hat und am anderen Ende den Tod von weltweit täglich rund 15‘000 Kindern infolge von Unterernährung.

Ein Überleben der Menschheit wird nicht im militärischen Kampf aller gegen alle möglich sein, sondern nur durch ein neues Gemeinschaftsdenken über alle Grenzen hinweg. Die bisherige Kriegslogik muss in eine neue Friedenslogik transformiert werden. Und gerade hierzu könnte die Schweiz als neutraler Ort der Diplomatie, der Völkerverständigung und der friedlichen Konfliktlösung eine gar nicht genug hoch einzuschätzende Rolle einnehmen. Damit sich dann die sogenannten Militärhistoriker und Strategieexperten tatsächlich nur noch mit der Vergangenheit beschäftigen müssten, aber definitiv nicht mehr mit der Zukunft.

Nicht immer sind die Frauen Opfer und die Männer Täter: Bis zur endgültigen Verwirklichung einer gewaltfreien Gesellschaft brauchen wir eine tiefergehende Systemveränderung…

Wie das „St. Galler Tagblatt“ am 3. September 2025 berichtete, hat das oberste Schweizer Militärgericht kürzlich eine Kommandantin und zwölf Offiziere zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Dies aufgrund eines Vorfalls in der Kaserne Colombier NE am 6. April 2018, wo es im Zusammenhang mit der Beförderung von Militärangehörigen zu haarsträubenden Gewaltexzessen gekommen war: Armeekader nutzten die Zeremonie, um mit gröbster Gewalt auf die ihnen untergebenen Soldaten einzuprügeln. In den darauffolgenden Tagen mussten 22 Soldaten vom Truppenarzt behandelt werden. Sie hatten Schmerzen, Blutergüsse, zwei von ihnen zeigten Anzeichen von gebrochenen Rippen, einer bekam kaum Luft und ein anderer musste notfallmässig in eine Klinik eingewiesen werden. Die Schläger waren bei diesen Gewaltexzessen insbesondere von einer Kompaniekommandantin zusätzlich angefeuert worden, unter anderem mit diesen Worten: „Ich toleriere bis zu zwei gebrochene Schlüsselbeine.“ In der Gerichtsverhandlung versuchte die Kompaniekommandanten ihr Verhalten damit zu rechtfertigen, dass sie als Frau im Ausbildungsalltag habe Härte demonstrieren wollen, weil sie befürchtet hätte, als „zu nett“ oder „nicht kämpferisch genug“ zu gelten.

Weitere Fälle, bei denen sich Frauen als besonders gewalttätig erweisen, konnte man wiederholten Berichten über Trainingsmethoden bei der Förderung jugendlicher Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern in schweizerischen Ausbildungszentren entnehmen. Wiederholt war und ist dabei die Rede von Trainerinnen aus osteuropäischen Ländern, vor allem im Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Synchronschwimmen und Balletttanzen. Jugendliche, vor allem Mädchen, erleiden dabei oft über Jahre kaum zu beschreibende physische und psychische Gewalt, so etwa kommt es immer wieder vor, dass trotz schwerer Verletzungen wie Knöchelbrüchen weitertrainiert werden muss, Synchronschwimmerinnen so lange unter Wasser bleiben müssen, bis sie in Einzelfällen schon das Bewusstsein verloren haben, Turnerinnen wegen zu geringem oder zu hohem Körpergewicht erniedrigt und in Anwesenheit ihrer Teamkolleginnen aufs Gröbste beschimpft werden oder sich sogar, auch darüber wurde schon berichtet, wegen kleinster Fehler beim Trainieren vor ihren Trainerinnen nackt ausziehen und auf den Knien vor ihnen um Vergebung bitten mussten.

Die schweizerische Kompaniekommandantin sowie nicht wenige der notabene als besonders erfolgreich geltenden Sporttrainerinnen mögen zwar seltene Ausnahmen sein, aber ihr Machtgebaren und ihr gewalttätiges Verhalten gegenüber Untergebenen zeigen, dass auch Frauen sich genauso „herrisch“ verhalten können wie all jene Männer, die Frauen respektlos behandeln, erniedrigen oder ihnen auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger schwere Gewalt antun.

Selbstverständlich soll mit solchen Beispielen nicht ansatzweise all die immense Gewalt, welche von Männern gegenüber Frauen ausgeübt wird, verharmlost oder relativiert werden. Aber Männer bloss moralisierend an den Pranger zu stellen, bringt uns nicht zu einer Lösung des Problems, solange nicht auch die dahinterliegenden Machtstrukturen in aller Beharrlichkeit analysiert und offen gelegt werden.

Der Versuch einer These: Das Grundproblem ist nicht der Mann als solcher, sondern das bestehende gesellschaftliche Machtsystem, in dem die Mächtigeren weitaus häufiger Täter sind und die weniger Mächtigen in aller Regel ihre Opfer. Und da das herrschende Gesellschaftssystem so eingerichtet ist, dass Männer viel leichter und schneller Machtpositionen erlangen können als Frauen, sind Männer zweifellos in viel höherer Anzahl Täter, während Frauen in viel höherer Anzahl Opfer sind. Das ist nicht primär die Folge ihres Geschlechts, sondern die Folge einer Klassengesellschaft unterschiedlicher Rechte, Befugnisse und Privilegien sowie aller mit ihr verknüpfter und von ihr geprägter gesellschaftlicher Machtstrukturen. Der Mann wird nicht in dem Augenblick zum „Bösewicht“, da er – als Baby männlichen Geschlechts – geboren wird, sondern erst in dem Augenblick, da er in die vorgegebenen Denk-, Macht- und Verhaltensmuster hineinwächst und diese – wohl weitgehend unbewusst – nach und nach verinnerlicht.

Macht korrumpiert. Diese Aussage des Historikers Lord Acton aus dem Jahre 1887 gilt eben nicht nur für Männer, sondern gleichermassen auch für Frauen. Das mögen ein paar weitere im Folgenden ausgeführte Beispiele deutlich machen.

Erstes Beispiel: Die treibende Kraft hinter den von den USA über den Irak zwischen 1991 und 1995 verhängten Wirtschaftssanktionen war die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright. Sie liess sich von ihrem Ziel, dem Irak bleibenden Schaden zuzufügen, auch dann noch nicht abbringen, als die ersten Meldungen an die Öffentlichkeit gelangten, irakische Kinder würden infolge dieser Sanktionen in grosser Zahl sterben. Bis zuletzt hatten die Sanktionen einer halben Million irakischer Kinder das Leben gekostet. Noch Jahre später gab Albright einem TV-Reporter, der sie nach der Rechtfertigung für diese Sanktionen befragte, offensichtlich frei von jeglichem schlechtem Gewissen zur Antwort, sie würde sich wieder genau gleich verhalten, hätte sich der Tod dieser halben Million Kinder doch gelohnt, weil er dazu beigetragen hätte, die Interessen der USA gegen dem Irak möglichst wirkungsvoll durchzusetzen.

Zweites Beispiel: Es war eine Aussage der britischen Premierministerin Margret Thatcher aus dem Jahr 1987, auf die sich bis heute all jene berufen, die alles Gesellschaftliche dem freien Markt und dem freien Unternehmertum überlassen wollen und für die fast alles Staatliche des Teufels ist. Diese Aussage lautete: „Menschen sind Individuen, nur sie alleine können denken, handeln und frei sein, Das alles kann das Kollektiv nicht. Insofern gibt es keine Gesellschaften, nur Individuen.“ Heute, über 30 Jahre später, wird uns nach und nach bewusst, was für ein immenses Zerstörungspotenzial in diesen Worten einer der heftigsten Vorkämpferinnen des Neoliberalismus lag, jetzt, wo immer härter und erbarmungsloser der Egoismus überhand genommen hat im Kampf aller gegen alle und bald auch noch die letzten sozialen Netze zu zerreissen drohen. Wenn es eine typische Eigenschaft gibt, die sich, auch in grosser historischer Dimension, Frauen zuschreiben lässt, dann ist dies wohl das Soziale, die Fürsorge, die Gemeinschaft, die gegenseitige Verantwortung zwischen Stärkeren und Schwächeren. Und dann kommt ausgerechnet eine Frau und zerstört dieses Jahrtausendwerk ihrer unzähligen Vorfahrinnen innerhalb eines einzigen Tages, männlicher als der denkbar männlichste, herrschsüchtigste und machtbessenste Mann.

Drittes Beispiel: Aktuell treten sie sogar nicht nur einzeln auf, sondern geradezu reihenweise, als wollten sie der Öffentlichkeit endgültig beweisen, dass Frauen sogar noch weitaus „männlicher“ sein können als die schlimmsten Männer. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula Van der Leyen, die ihre Macht, demokratische Abläufe wo immer möglich auszuhebeln zugunsten ihrer eigenen Machtinteressen, geradezu strahlend auszukosten scheint. Die ehemalige deutsche Aussenministerin Analena Baerbock, die am liebsten ganz Russland zerstören würde. Die EU-Aussenbeauftragte Kaya Kallas, die auch von den irrwitzigsten Lügen nicht zurückschreckt, um möglichst viel Angst vor einem Angriff Russlands auf die baltischen Staaten und den Rest Europas zu schüren, damit auch niemand auf die Idee kommt, die bereits in Gang gesetzte Rüstungseuphorie der europäischen Länder in Frage zu stellen. Die sogenannte Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mit ihrem aggressiven und hasserfüllten Gehabe nur darauf zu warten scheint, mit dem Gewehr an die Ostfront geschickt zu werden, denn dort, wie sie einmal sagte, könnte man sie gewiss „gut gebrauchen“.

Die Welt ist nicht primär von herrschsüchtigen, skrupellosen und machtgierigen Männern bestimmt, sondern primär von „männlichen“ Machtstrukturen, Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen. Wer – ob als Mann oder als Frau – in dieser Gesellschaft in Bezug auf Ansehen und Karriere erfolgreich sein will, muss sich, solange diese Machtstrukturen unangetastet bleiben, ihnen so weit als nur irgendwie möglich anpassen. Dann hat man es sogar bis über den Tod hinaus geschafft. So wie Madeleine Albright: Bei ihrem Begräbnis im März 2022 war allenthalben nur von ihrem Mut, ihrer Tapferkeit, ihrer Geradlinigkeit und ihrer Hartnäckigkeit die Rede und niemand erwähnte auch nur mit einem einzigen Wort, dass eine halbe Million irakischer Kinder für die ausserordentlichen „Qualitäten“ dieser Frau ihr Leben hatten opfern mussten. Während – um ein Gegenbeispiel zu nennen – die ehemalige, frühzeitig freiwillig aus ihrem Amt geschiedene neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern nicht als Siegerin, sondern als Versagerin in eine immer noch zutiefst von „männlichem“ Erfolgsdenken geprägte Geschichte eingehen wird, nicht, weil sie über keinerlei Qualitäten für dieses Amt verfügt hätte, sondern ganz im Gegenteil deshalb, weil ihre tägliche politische Arbeit so sehr von Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeitsliebe getragen war, dass sie schliesslich an den Widerständen und Hindernissen der herrschenden Machtstrukturen scheitern musste. Machtstrukturen, die sich unter anderem in Chatrooms manifestierten, die voll waren mit beleidigenden, wütenden und drohenden Mitteilungen sowie täglichen Vergewaltigungs- und Morddrohungen und in denen Jacinda Ardern als „dämonisch“ und „böse“ dargestellt und sogar mit Adolf Hitler verglichen wurde, sodass sie auch heute noch und vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens für ihre Sicherheit besonderen Polizeischutz benötigt.

Es – aus Frauensicht – als „Erfolg“ zu feiern, wenn immer mehr Frauen machtvolle Positionen in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Forschung, an den Universitäten, auf den Chefetagen multinationaler Konzerne und ganz allgemein an möglichst vielen Schalthebeln der Macht einnehmen, ändert an den tieferliegenden Machtverhältnissen auch nicht das Geringste. Im Gegenteil: Sie werden dadurch erst recht zementiert, kann doch die Tatsache, dass, sobald die entsprechenden „Frauenquoten“ auf den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsebenen erreicht sind, zum verhängnisvollen Trugschluss führen, dass damit das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen erreicht sei und es deshalb keiner weiteren diesbezüglichen Anstrengungen mehr bedürfe. Tatsächlich aber werden die bestehenden Machtverhältnisse damit nicht überwunden, sondern höchstens verschoben, in eine andere Richtung gedrängt oder umgelagert. Denn für die Kaffeebäuerin in Kenia, die sich von früh bis spät bis an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte abrackert und dennoch kaum genug Geld verdient, um sich und ihre Kinder ausreichend zu ernähren, spielt es auch nicht die geringste Rolle, ob Frauen auf den Chefetagen von Nestlé oder anderen Lebensmittelkonzernen zu fünf, 20, 50 oder 70 Prozent vertreten sind, solange diese Frauen nur die traditionellen, bisher Männern vorbehaltenen Rollen einnehmen, sich somit zu Komplizinnen und Mittäterinnen herrschender Ausbeutungsmechanismen machen und nicht mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften für den Aufbau neuer, ausbeutungsfreier Wirtschaftsformen kämpfen.

Es ist kein Zufall, dass parallel zum Fortschreiten gnadenloser Profitmaximierung durch immer raffiniertere Methoden der Ausbeutung von Mensch und Natur auch die Gewalt gegen Frauen und Kinder und die Anzahl der Femizide laufend zunimmt. Alles hängt mit allem zusammen, in all den unzähligen Macht-, Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Diskriminierungsverhältnissen, in denen nicht nur Frauen Opfer von Männern sind, sondern auch Männer Opfer von Frauen sein können, „ausländische“ Menschen, unter ihnen insbesondere Flüchtlinge, Opfer von „einheimischen“ bzw. „sesshaften“ Menschen sind, Kinder und Jugendliche Opfer bloss aufgrund ihres jüngeren Alters Opfer von Erwachsenen, kulturelle und ethnische Minderheiten Opfer von sich als etwas „Höheres“ und „Besseres“ fühlenden Mehrheiten, sogenannt „Ungebildete“ Opfer von sogenannt „Gebildeten“, sogenannte Laien Opfer von sogenannten „Experten“, Gelegenheitsdiebe und „Kleinkriminelle“ Opfer von all jenen, die sich ganz „legal“ auf Kosten anderer bereichern, so etwa durch den Besitz von Aktien, was ihnen ermöglicht, selber nicht mehr arbeiten zu müssen, sondern nur noch von der Arbeit anderer leben zu können. Bei allen punktuellen Bemühungen um den Abbau einzelner Macht- und Ausbildungsverhältnisse darf nicht das grosse Ganze aus den Augen verloren werden: Dass die einzelnen dieser Machtsysteme, und damit eben auch das Patriarchat, nur dann dauerhaft überwunden werden können, wenn gleichzeitig auch das heute weltweit in Form einer rigorosen Klassengesellschaft herrschende immense und weit verzweigte kapitalistische Macht- und Ausbeutungssystem überwunden wird.

Mittagsnachrichten am Schweizer Radio vom 29. August 2025: Höchst tendenziöse Berichterstattung zu Gaza…

Schweizer Medien – Radio, Fernsehen, Tageszeitungen – rühmen sich einer ganz besonders „ausgewogenen“ Berichterstattung über internationale Ereignisse und grenzen sich damit oft auch von „ausländischen“, „weniger objektiven“ oder gar „propagandistischen“ Formen der Nachrichtenvermittlung ab.

Doch entspricht diese auch von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung geteilte Sicht tatsächlich der Realität? Schauen wir uns an, wie Radio SRF in den Mittagsnachrichten vom 29. August 2025 über den Einmarsch der israelischen Armee in die grösste Stadt in Gaza, Gazastadt, berichtete…

Die israelische Armee hat Gazastadt zur Kampfzone erklärt…

Mit anderen Worten: Wenn Israel ein bestimmtes Territorium als „Kampfzone“ bezeichnet, dann findet dort logischerweise Krieg statt. Begründen muss man das ja nicht unbedingt weiter, weil es ja sozusagen ein offizieller, sogar transparenter und offensichtlich „legitimer“ Entscheid einer demokratisch gewählten Regierung ist, die schon wissen wird, wie sie zu diesem Entscheid gekommen ist.

Ab heute gäbe es dort keine taktischen Kampfpausen mehr, teilte das israelische Militär mit…

Aha. „Kampfpausen“ wären bloss ein „taktisches“ Instrument. Vielleicht, um die betroffene Bevölkerung kurz im Glauben zu lassen, die Angriffe würden aufhören, bloss um sie sodann noch viel heftiger weiterzuführen? Oder vielleicht, um den eigenen Soldaten jeweils eine kleine Verschnaufspause zu verschaffen? Oder vielleicht, um mit den zur Verfügung stehenden Waffen nicht allzu verschwenderisch umzugehen?

Gazastadt stelle eine gefährliche Kampfzone dar…

„Gefährlich“ für wen? Für Israel? Für die israelische Armee, die aus der Luft Bomben abwirft? Oder gar für die in Gazastadt lebenden Menschen, die seit Monaten Tag und Nacht in panischer Angst leben, kaum mehr etwas zu essen und zu trinken haben und schon seit Wochen auch nicht mehr über die grundlegendste medizinische Versorgung verfügen?

Bisher gab es in der grössten Stadt im Gazastreifen tagsüber Zeiten, in denen die israelische Armee ihre Kämpfe unterbrach, damit Hilfswerke die Menschen vor Ort versorgen konnten…

Wie lieb von der israelischen Armee. Also so schlimm, wie man oft hört, scheint sie nun doch nicht zu sein…

Die israelische Armee werde auch weiterhin humanitäre Bemühungen unterstützen, während sie Operationen zum Schutz von Israel durchführe…

Aha. Endlich erfahren wir, dass die israelische Armee im Grunde genommen eine humanitäre Organisation ist und ihr humanitäres Engagement auch weiterhin unbeirrt fortsetzen wird, selbst wenn die ganze übrige Welt das Gegenteil behauptet. Und dass ja alles nur zum Wohl der Menschen geschieht, zu ihrem „Schutz“, zu ihrer „Sicherheit“, und dass es gar nicht Völkermord ist, sondern nur „Operationen“ sind (und das kann ja nicht wirklich etwas Schlechtes sein), und dass man ja gar nicht wirklich tötet, sondern nur „durchführt“, was demokratisch beschlossen wurde.

Mitte August hatte Israel angekündigt, auch Gazastadt einzunehmen, um die Terrororganisation Hamas zu zerstören. Die Ankündigung sorgte international für Kritik…

„Ankündigen“ tönt in der Tat nicht schlecht, ist sogar ganz besonders rücksichtsvoll, gab man damit ja sogar den Menschen in Gazastadt die Gelegenheit, ihre Häuser rechtzeitig zu verlassen und an sicherere Orte zu gehen, auch wenn es diese schon längst gar nicht mehr gibt. Nett auch, alles so frühzeitig anzukündigen, damit die Menschen nicht den Schock erleben müssten, mitten in der Nacht von den Bomben überrascht zu werden, sondern fast zwei Wochen Zeit hatten, sich auf diesen Moment vorzubereiten. Doch abgesehen von alledem: Wenn das Ziel darin besteht, eine „Terrororganisation“ zu zerstören, dann muss man ja eigentlich alles andere gar nicht mehr rechtfertigen, denn dann sind sowieso alle Mittel recht, um das Ziel zu erreichen, ganz so, wie es der ehemalige israelische Geheimdienstchef Aharon Haliva unlängst mit diesen erschreckenden Worten formulierte: „Die Tatsache, dass es in Gaza bereits 50‘000 Tote gibt, ist notwendig und erforderlich für zukünftige Generationen. Für alles, was am 7. Oktober 2023 passiert ist, für jeden am 7. Oktober getöteten Menschen müssen 50 Palästinenser sterben. Es spielt jetzt keine Rolle, ob es sich um Kinder handelt. Sie brauchen hin und wieder eine Lehre.“ Alles klar. Denn es wäre ja auch völlig vermessen, die israelische Regierung, die inzwischen schon fast 100’000 Menschenleben auf dem Gewissen hat, auch nur im Entferntesten mit der Hamas zu vergleichen, die an jenem ominösen 7. Oktober rund 1400 Menschen tötete. Und erst recht wäre es jenseits aller „Ausgewogenheit“ und „Objektivität“, käme auch nur ein einziger Mensch auf die Idee, die israelische Regierung als „Terrororganisation“ zu bezeichnen, obwohl das Wort „Terror“ nichts anderes bedeutet als „Schrecken“ und es eigentlich nicht allzu grosser Phantasie bedarf, um sich vorzustellen zu können, dass wohl kaum ein anderes Wort dermassen genau das beschreibt, worunter die Bewohnerinnen und Bewohner von Gazastadt derzeit zu leiden haben.

Wenigstens erfolgte in den Mittagsnachrichten von Radio SRF am 29. August ganz zuletzt noch die Aussage, die Ankündigung der israelischen Regierung, Gazastadt „einzunehmen“ (im Klartext: dem Erdboden gleichzumachen), hätte international für „Kritik“ gesorgt. Mehr Untertreibung ist nun wirklich kaum mehr möglich, ist „Kritik“ doch der denkbar schwächste Ausdruck für jenen millionenfachen Schrei der Empörung, den diese „Ankündigung“, zwar nicht so sehr bei den Regierungen, aber vor allem und umso mehr bei breitesten Bevölkerungsschichten, insbesondere in den Ländern des Globalen Südens, ausgelöst hatte.

Schauen wir uns die Berichterstattung von SRF zu diesem Thema zusammenfassend noch einmal an, so müssen wir zum Schluss kommen, dass es sich hier eigentlich bloss um so etwas wie ein Pressecommuniqué der israelischen Militärführung handelt. Zitiert wird niemand ausser der israelischen Armeeführung (mit den entsprechenden „taktischen“ und „humanitären“ Ausführungen), keine einzige Stimme aus der UNO ist zu hören, keine Stimme aus einer friedenspolitischen Organisation oder einem in Gaza tätigen Hilfswerk, keine Stimme aus einer israelkritischen Regierung, keine Stimme aus der betroffenen Bevölkerung, keine einzige Stimme eines Mannes, einer Frau oder eines Kindes, das vor zwei oder drei Tagen vielleicht noch gelebt hätte und jetzt schon tot ist.

Das also ist die „Objektivität“ westlicher Berichterstattung, am Beispiel des Schweizer Radios SRF am 29. August 2025, die schon so „ausgewogen“ ist, dass sie tendenziöser gar nicht mehr sein könnte. Und erst noch vorgetragen von einer angenehm klingenden Frauenstimme, in genau derselben Tonlage, in der auch die weiteren Meldungen über die Höhe von Spenden an die einzelnen politischen Parteien der Schweiz und die anstehenden Strompreissenkungen im Kanton Zürich verlesen werden.

Was für ein Kontrast zu tatsächlicher „Objektivität“, wenn man sich, bloss um ein einziges Beispiel zu erwähnen, den Bericht eines Schweizer Arztes vor Augen führt, der vor wenigen Tagen von einem Einsatz in Gaza in die Schweiz zurückgekehrt ist: „Ich habe in den zerbombten und vom Hunger heimgesuchten Krankenhäusern gearbeitet und kann von Dingen berichten, die kein Mensch jemals sehen, geschweige denn selbst erleben sollte. Babys und Kinder, die nur noch Haut und Knochen sind, viele mit abgerissenen Gliedmassen. Mütter, die zu schwach sind, um ihre Neugeborenen zu füttern. Sogar das Krankenhauspersonal bricht vor Hunger zusammen. Schaut nicht weg. Wechselt nicht das Thema. Denn in einem anderen Leben könnten auch wir es sein, die vor Bomben fliehen, für Essensreste Schlange stehen und die Welt anflehen, etwas zu tun.“

Ich habe einen Vorschlag an die für die Berichterstattung über internationale Ereignisse Verantwortlichen von Radio SRF: Verzichtet auf „objektive“ Meldungen, die nahezu identisch sind mit Pressecommuniqués rein interessengesteuerter Staaten oder anderer Machtsysteme. Taucht hinunter zu den Menschen, die unter diesen Machtinteressen leiden und ihnen zum Opfer fallen. Ihr werdet sicher einwenden, dass es neben den offiziellen Nachrichtensendungen zur vollen und halben Stunde auch andere Sendegefässe gäbe, die vertiefter hinter die Oberfläche schauen. Und doch bilden sich viele Menschen ihre Meinung in erster Linie durch die Kurznachrichten zu den Haupttageszeiten und haben meist auch zu wenig Zeit, um sich ausführlichere Reportagen anzuhören.

Der oben zitierte Bericht des aus Gaza zurückgekehrten Schweizer Arztes mag als Beispiel dienen für einen Text, der auch im Rahmen von „Hauptnachrichten“ einen Platz finden könnte. Und dann bitte nicht von einer allzu „angenehmen“ Stimme lesen lassen, ohne jegliche Emotion. Warum sollte persönliche Betroffenheit nicht auch zum Ausdruck kommen dürfen? Warum sollte nicht auch einmal ein Moderator oder eine Moderatorin beim Lesen solcher Berichte in Tränen ausbrechen, und weshalb sollte ihr vielleicht nicht auch mal die Stimme versagen? Und wie wäre es, solche Sendungen nicht nur in sterilen Räumen ohne auch nur geringste „Nebengeräusche“ aufzunehmen, sondern wenn man stattdessen im Hintergrund den Lärm von Bombardierungen, Gewehrschüssen oder Schreien verzweifelter Menschen hören würde?

Schon eine harmlose Zirkusnummer ruft eine Moralapostelin auf den Plan…

„Die aktuelle Nummer des mexikanischen Clowns Chistirrin im neuen Programm des Circus Knie“, so lese ich in der „Sonntagszeitung“ vom 24. August 2025, „sorgt für Diskussionen. Chistirrin spielt darin einen Musicclown mit Saxofon, der erfolglos immer wieder versucht, sich einer Saxofonistin, die zusammen mit ihm auftritt, anzunähern. Dabei macht er wiederholt einen übertriebenen Kussmund in ihre Richtung und einen langen Rrrr-Zungenroller.“

Worüber sich die Zirkusbesucherinnen und Zirkusbesucher amüsieren, ist bei Agota Lavoyer, Autorin und Expertin für sexualisierte Gewalt, ganz und gar nicht gut angekommen. Sie spricht von „wiederholten, hartnäckigen Annäherungsversuchen“ gegenüber der Saxofonistin, kritisiert die „Aufdringlichkeit des Clowns gegenüber der Frau“ und findet die Nummer insbesondere darum problematisch, weil sie „übergriffiges Verhalten in einer humorvollen Verpackung präsentiert“ und weil auf diese Weise „sexuelle Belästigung als romantisches Begehren verschleiert“ werde. Dass man sich „über gewaltvolle Situationen lustig macht“, so Lavoyer, trage zur „Normalisierung der Gewalt bei“.

Wie verklemmt und humorlos wollen wir eigentlich noch werden. Werfen wir doch einen Blick ins Tierreich: Viele Vogelarten zeigen komplizierte Balzrituale wie das Trällern von Liedern oder das Präsentieren von farbenprächtigen Federn. Männliche Baumgrillen erzeugen durch Aneinanderreiben ihrer Flügel zum Anlocken von Weibchen einen besonderen Gesang und bieten ihnen als Hochzeitsgeschenk Nährstoffe aus speziellen Flügelpolstern. Hirsche schwenken ihr mächtiges Geweih, um Weibchen zu imponieren. Hasen versuchen, Weibchen mit Boxkämpfen und Verfolgungsjagden zu beeindrucken.

Zum Glück können Tiere nicht lesen, was gewisse Sittenwächter und Moralapostelinnen in Büchern und Zeitungsartikeln schreiben, und treiben ihr buntes Liebesspiel fröhlich weiter wie die beiden Clowns im Zirkus Knie, über die man so richtig herzhaft lachen kann.

Lasst euch das Leben nicht vermiesen, es ist schon schwer genug.

Der Trumpsche Zollhammer und die Schweiz: Heilsamer Schock, um über ein paar Dinge nachzudenken…

„Schock“, „Demütigung“, „Tritt in die Magengegend“ – mit solchen und ähnlichen Schlagzeilen kommentierten die Medien die von US-Präsident Donald Trump der Schweiz ausgerechnet am 1. August, ihrem Nationalfeiertag, aufgebrummten Zölle von 39 Prozent. Nur ein paar wenige Länder, unter anderem Brasilien, bedachte Trump mit noch höheren Zöllen. Niemals hätte die Schweiz, bisher eines der kapitalistischen Lieblingskinder der USA, damit gerechnet, dermassen hart bestraft zu werden. Es war wie ein jähes Erwachen aus einem jahrzehntelangen Traum, in dem fast immer nur Milch und Honig geflossen waren. Und da vermochten nicht einmal mehr zwei unmittelbar nach diesem Entscheid nach Washington ausgeflogene schweizerische Regierungsmitglieder etwas daran zu ändern. Die ganze Titelseite einer der meistgelesenen Schweizer Tageszeitungen, des „Blicks“, war von oben bis unten schwarz, darin riesengross die Zahl 39. Einige sagten sogar, es sei der schwärzeste Tag gewesen in der Geschichte unseres Landes. Etwas Vergleichbares hatte es noch nie gegeben. Nicht einmal der Untergang eines ganzen Dorfes vor wenigen Wochen unter einer gigantischen Schuttlawine hatte einen so grossen schweizweiten Schock ausgelöst…

Dabei ist, bei Lichte besehen, das, was der Schweiz durch den Trumpschen Zollhammer widerfahren ist, nur ein winziger Teil dessen, was für andere Länder oder ganze Kontinente der ganz alltägliche „Normalfall“ ist, und dies oft schon seit Jahrhunderten. Für all jene nicht oder wenig industrialisierten Länder des Globalen Südens etwa, die seit Jahrhunderten gezwungen sind, ihre wertvollen Bodenschätze und Rohstoffe für wenig Geld zu verscherbeln, um sich zu einem ungleich viel höheren Preis aus den reichen Ländern des Nordens die für ihre eigene Entwicklung notwendigen Industrieprodukte zu beschaffen, was zwangsläufig dazu führt, dass diese Länder darauf angewiesen sind, immer wieder Kredite vom IWF, von der Weltbank oder anderen Finanzinstituten aufzunehmen, die sie wiederum mit hohen Zinsen zurückzahlen müssen, worauf ihre Verschuldung noch weiter ansteigt und ihre Abhängigkeit von den jeweiligen Geldgebern noch weiter zunimmt, weil sie, um jeweils wieder weitere Kredite zu bekommen, laufend noch drastischere Sparprogramme umsetzen müssen, von welcher in erster Linie die sowieso schon am meisten benachteiligten Bevölkerungsschichten am allermeisten betroffen sind, was wiederum dazu führt, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb jedes einzelnen der davon betroffenen Länder, aber auch zwischen den Industrieländern des Nordens und den Agrarländern des Südens insgesamt immer noch weiter und weiter vertieft. Wie „erfolgreich“ die Schweiz an vorderster Front an diesem Geschäft permanenter Bereicherung der Reichen durch Verarmung der Armen beteiligt ist, zeigt sich aufgrund einer Expertise der Entwicklungsorganisation Oxfam, die ausgerechnet hat, dass die Schweiz im Handel mit sogenannten „Entwicklungsländern“ mehr als 50 Mal höhere Profite erwirtschaftet, als sie diesen Ländern in Form von „Entwicklungshilfe“ wieder zurückgibt. Da diese Zahl schon ein paar Jahre zurückliegt, dürfte sie heute, nachdem die Schweiz die Gelder für die „Entwicklungshilfe“ noch weiter reduziert hat, sogar noch um einiges höher liegen.

Doch das ist längst noch nicht alles. Ausgerechnet viele der benachteiligten und unterprivilegierten Länder des Südens sind zudem häufig Opfer von Wirtschaftssanktionen, welche an vorderster Front von den USA gegenüber missliebigen Regierungen verfügt werden und an denen sich in aller Regel auch die übrigen westlichen Länder inklusive die Schweiz beteiligen, so etwa, um nur einige wenige zu nennen, gegenüber Kuba, Venezuela, dem Iran, Syrien oder dem Irak, wo allein zwischen 1991 und 1995 als Folge US-Wirtschaftssanktionen über eine halbe Million Kinder sterben mussten, was die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright in einem Interview mit einem TV-Reporter mit einer Aussage kommentierte, die zynischer nicht sein könnte. Auf die Frage nämlich, was sie zum Tod dieser halben Million Kinder meine, sagte sie, der Tod dieser Kinder habe sich gelohnt, weil er dazu beigetragen habe, die politischen und wirtschaftlichen Ziele der US-Aussenpolitik gegenüber dem Irak erfolgreich durchzusetzen.

Ja, es macht schon einen Unterschied, ob man zu den Siegern oder zu den Verlierern des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems gehört, die Welt sieht dann, je nachdem, ob man von oben nach unten schaut oder von unten nach oben, schon ganz gehörig anders aus. So gesehen könnte man den von US-Präsident Trump über die Schweiz verfügten Zollhammer auch als so etwas wie einen heilsamen Schock sehen, der die bisher so verwöhnte, sich stets auf der Seite der Sieger befindliche Schweiz ein ganz klein wenig aufwachen und spüren lassen könnte, wie sich das Leben auf der gegenüberliegenden Seite dieses Grabens anfühlen muss und wie schmerzlich es sein kann, der Machtdemonstration eines Stärkeren mehr oder weniger ohnmächtig ausgeliefert zu sein.

Ein heilsamer Schock, der Anlass dazu sein könnte, für einmal darüber nachzudenken, warum ausgerechnet die Schweiz, einer der an Bodenschätzen und Rohstoffen ärmsten Flecken der Erde, dennoch das reichste Land der Welt geworden ist. Was hat die Schweiz so reich gemacht? Zum Beispiel Schokolade. Zum Beispiel Kaffee. Zum Beispiel Baumwolle. Zum Beispiel Erdöl. Zum Beispiel Gold, Eisen, Kupfer, Lithium, Kobalt. Zum Beispiel Diamanten. Alles Rohstoffe und Bodenschätze, von denen kein einziges Gramm und kein einziger Tropfen aus Schweizer Boden stammt, mit deren Kaufen, „Veredeln“, „Transformieren“ und Weiterverkaufen aber die Schweiz bzw. hier ansässige Rohstoff- und Nahrungsmittelkonzerne grössere Gewinne erzielen als fast alle anderen Länder der Welt. Nicht harte Arbeit und übermenschlicher Fleiss ist es. Vielmehr die Kunst, aus möglichst wenig möglichst viel zu machen und so reich zu werden dadurch, dass andere im Elend versinken. Ausgerechnet Länder wie Nigeria und Libyen, aus deren Böden jährlich jene Millionen Tonnen Erdöl herausgepresst werden, welche schweizerische Geldtöpfe bis zum Bersten füllen, verwandeln sich mehr und mehr in Zonen des Todes, wo nur schon das nackte Überleben zum puren Luxus geworden ist. Von den elf Franken, die man bei Starbucks in Zürich oder Basel für einen Crème Brulée Brown Sugar Frappuccino bezahlt, bekommt die Kaffeebäuerin, die sich von früh bis spät auf irgendeiner fernen Kaffeeplantage in Costa Rica oder Äthiopien bei weit über 40 Grad in der prallen Sonne von früh bis spät fast zu Tode schuftet, bloss gerade mal, wenn es gut kommt, fünf Rappen. Allein in den ersten eineinhalb Monaten des Jahres 2025 sind im Ostkongo, wo Rebellenverbände, Söldnertruppen und Mörderbanden als Vorhut der hinter ihnen im Unsichtbaren agierenden Regierungen und Konzerne im gegenseitigen Konkurrenzkampfe um die Aneignung besonders gewinnbringender Bodenschätze gegeneinander kämpfen, rund 7000 Menschen getötet worden, 450’000 Menschen sind obdachlose Binnenflüchtlinge im eigenen Land und 2,8 Millionen Menschen haben bereits ihre ursprünglichen Wohngebiete verlassen müssen, doch kein einziger Schweizer, der sich beim Morgenkaffee die neuesten Börsenkurse zu Gemüte führt, erfährt jemals, wie viele Menschen geopfert wurden, damit er, ohne einen Finger zu rühren, über Nacht um 2000 oder 5000 Franken reicher geworden ist. Ja, wenn man sich das alles vor Augen führt und noch dazu kommt, dass die Schweiz immer noch einer der weltweit wichtigsten Finanzplätze ist und bekanntlich nichts so hilfreich ist, um Reichtum zu schaffen, als schon möglichst viel davon zu besitzen, dann verwundert es eigentlich nicht mehr besonders, dass der Genfer Soziologe und Schriftsteller Jean Ziegler schon vor vielen Jahren in einem seiner Bücher die Schweiz als das „Gehirn des kapitalistischen Monsters“ bezeichnet hat. Vielleicht verstehen viele, die damals darüber bloss den Kopf geschüttelt haben, heute immer besser, dass das nicht übertrieben war, sondern die reine Wahrheit.

Der heilsame Schock des Trumpschen Zollhammers könnte daher auch Anlass dazu sein, sich über eine andere Weltwirtschaftsordnung Gedanken zu machen, die nicht mehr auf Ausbeutung, grenzenlosem Wirtschaftswachstum und dem Recht des Stärkeren beruhen würde, sondern auf einer global fairen und gerechten Verteilung der vorhandenen Ressourcen und Güter, auf Gemeinwohl, Frieden und sozialer Gerechtigkeit, auf gegenseitigen Handelsbeziehungen, bei denen alle Beteiligten auf gleicher Augenhöhe miteinander umgehen und über die gleich langen Spiesse verfügen.

Und so weitergedacht, käme man vielleicht auf eine zunächst als ganz verrückt erscheinende Idee, die sich aber bei näherem Hinsehen als durchaus realistisch, vernünftig und zukunftsträchtig erweisen könnte. Nämlich, dass die Schweiz das Lager wechseln und als erstes europäisches Land dem Bündnis der BRICS-Länder beitreten würde. Wie zukunftsträchtig das wäre, wird schnell deutlich, wenn man sich folgende Zahlen anschaut: Betrug im Jahre 1990 der Anteil der G7-Länder am weltweit gemessenen BIP (nach Kaufkraftparität) noch 47%, jener der BRICS-Länder 16%, so lagen die beiden Zahlen zwölf Jahre später bei 43% bzw. 19% und zwanzig Jahre später, nämlich 2022, bei 30% bzw. 32%, mit anderen Worten: Der Anteil aller BRICS-Länder am weltweiten BIP liegt heute bereits über jenem der G7-Länder. Zudem leben 48% der heutigen Weltbevölkerung in BRICS-Staaten – und es werden von Jahr zu Jahr mehr -, während in den G7-Staaten gerade mal 11% der Weltbevölkerung beheimatet sind. Zukunftsträchtig aber vor allem auch deshalb, weil zwar die Wirtschaftsweise der BRICS-Staaten ebenfalls grundsätzlich eine kapitalistische ist, aber viel stärker auf gegenseitige Solidarität zwischen Starken und Schwachen ausgerichtet ist, denn diese Länder haben eine grundsätzlich andere Geschichte, einen grundsätzlich anderen Erfahrungshintergrund, gehörten sie doch während den letzten 500 Jahren kolonialistischer Ausbeutung des Südens durch den Norden – von Brasilien über Südafrika, Äthiopien, Ägypten bis zu Indien und Indonesien – nicht zu den Siegern, sondern stets zu den Verlierern der Weltgeschichte.

Auf keinen Fall, so Remo Reginold, Direktor des Swiss Institute for Global Affairs, dürfe man die BRICS-Staatengruppe unterschätzen, ganz im Gegenteil: „Ich sehe die BRICS als ein Symbol für eine Entwicklung, die ein neues weltpolitisches Zeitalter einläutet.“ Reginold sieht in den BRICS-Staaten ein Konglomerat, eine Zusammenballung verschiedener Materialien unterschiedlicher Struktur, Grösse und Eigenschaften. Ziel der BRICS-Staaten sei es, durch eine Reform der UNO, der Weltbank und des IWF die Interessen des Globalen Südens besser zu repräsentieren. Es solle eine neue Form der internationalen Zusammenarbeit geschaffen werden, die sich nicht am westlichen Regelwerk orientiere. Die Schweiz müsse, so Reginold, genau wie alle anderen Länder des Westens, ihre „westliche Brille“ abnehmen, um die BRICS zu verstehen und ihre Zeichen richtig zu lesen. Stimmen wie eine solche von Remo Reginold sind leider in der schweizerischen Öffentlichkeit kaum je zu hören.

Und ja. Die Schweiz als erstes europäisches BRICS-Mitglied. Es wäre sogar, wenn man es sich recht überlegt, so etwas wie eine Rückkehr und eine Rückbesinnung auf die urschweizerischen Grundwerte von Gemeinschaftsdenken und Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren. Es würde die vom Westen bisher konsequent auf die Spitze getriebenen Fronten zwischen den Siegern und den Verlierern aufbrechen und wäre gerade für die Schweiz eine in ihrer Bedeutung gar nicht genug hoch einzuschätzende Chance, vieles von früher begangenem Unrecht wieder gut zu machen und sich mit all ihren zur Verfügung stehenden Kräften am Aufbau einer neuen, gerechten, friedlichen und ausbeutungsfreien zukünftigen Weltwirtschaftsordnung aktiv zu beteiligen. Es mag noch verrückt klingen und vermutlich noch lange nicht mehrheitsfähig sein. Aber sind nicht gerade die verrücktesten Ideen genau jene , die – wie einst der deutsche Philosoph Schopenhauer sagte – zunächst zwar belächelt werden, eine Zeitlang vielleicht sogar bekämpft, aber früher oder später doch zu einer Selbstverständlichkeit geworden sein werden, bei der man sich nur wundern wird, weshalb man nicht schon früher darauf gekommen ist…

7. Juli 2025: Sommersalat, Heilbutt, der nächste Friedensnobelpreis und Kinder ohne Füsse, ohne Beine, ohne Hände…

Es war der 7. Juli 2025 als
auch noch das allerletzte Wort in der
Sprache der Menschen
ausgegangen war
das allerletzte Wort um gerade noch knapp das
Unaussprechliche auszusprechen
fortan
gab es
keine Worte mehr und
selbst wenn sie noch so tief unter den
Trümmern zerbombter Städte Dörfer Landschaften
vorhanden gewesen wären
selbst dann hätte man jedem einzelnen dieser Worte
tausend weitere hinzufügen müssen die in
keiner einzigen der bisher bekannten Sprachen je
zu finden sind
Wieder
als wäre nichts geschehen
sassen die längst in alle Winde verjagt Geglaubten am
gleichen Tisch wie
vor tausend Jahren
Tafelrunden auf den Burgen längst vergangener Zeiten nach
geschlagener Schlacht das Festmahl
ES WAR DIE ZEIT DER MONSTER
hatte ein italienischer Freiheitskämpfer in hellster Klarsicht
zutiefst erschaudernd ob der eigenen Erkenntnis schon
vor beinahe hundert Jahren in sein Tagebuch geschrieben
als hätte er so weit in die Zukunft blicken können
ES WAR DIE ZEIT DER MONSTER
DIE ALTE ZEIT LAG IM STERBEN
DOCH DIE NEUE ZEIT
KÄMPFTE ERST GERADE DARUM
GEBOREN ZU WERDEN
An diesem 7. Juli 2025 liess der
mächtigste Mann der Welt
im Blue Room des Weissen Hauses in Washington
zu Ehren seiner auserwählten Gäste
Sommersalat und gebratenen Heilbutt auftragen
den erlesensten Fisch und dazu die Gläser voll
köstlichsten Weins
wieder eine reine Männerrunde
als hätte es nie etwas anderes gegeben
wo sind die Frauen
wo sind die Kinder?
An diesem 7. Juli 2025 waren
in Gaza
vier Fünftel aller Blumen
aller Bäume aller
Tiere für immer
verbrannt
die Schmerzensschreie
Zehntausender Kinder unter den tonnenschweren
Trümmern aller ihrer
Kindheitsträume von einer bunten Zukunft voller
Liebe und voller Lachen und voller Lebensfreude
für immer
verstummt
An diesem 7. Juli 2025
morgens um drei
als die Mächtigsten der Mächtigen noch in
tiefstem Schlaf lagen
das Festmahl vom Vorabend schwer verdauend
hatte es angefangen
Tausende Männer Frauen Kinder mit
leergebrannten Bäuchen
staubtrockener Kehle
von hinten auf sie einschlagend bis an die
Zähne bewaffnete Soldaten
vorwärtsgeprügelt in Richtung der Ausgabestellen für ein paar
wenige Essenspakete die nur für die
Stärksten und Schnellsten von ihnen
zu ergattern waren
und von vorne das Kanonenrohr eines sich ihnen
langsam und bedrohlich nähernden Panzers
dann
auf einmal
Schreie die man eigentlich bis zum
anderen Ende der Welt hätte
hören müssen als der
Kugelregen im Dunkeln unsichtbarer
Maschinengewehre auf sie
niederprasselte
Schreie die man
eigentlich bis ans
andere Ende der
Welt hätte hören müssen
Bis zu diesem 7. Juli 2025 als
im Blue Room des Weissen Hauses in Washington
Sommersalat und gebratener Heilbutt aufgetragen wurden
waren es in den davor liegenden bloss fünf Wochen schon
über 700 Kinder Frauen Männer gewesen
mit ihren leergebrannten Bäuchen und der staubtrockenen Kehle
beim Anstehen um ein paar bitter ersehnte Essensbrocken
totgeschossen
mehr als 5000 darüber hinaus
verstümmelt
zerfetzt
von den letzten überlebenden sich kaum mehr auf den
Beinen haltenden Sanitätern zu jenen
Steinhaufen geschleppt die einst
Spitäler gewesen waren
Kinder ohne Füsse
ohne Beine
ohne Hände
Babys mit von Kopf bis Fuss verbrannter Haut notdürftig in
ein paar dreckige Lumpen gehüllt
An diesem 7. Juli 2025
500 Jahre nachdem er sie ausgesprochen hatte war die
Prophezeiung des englischen Dramatikers William Shakespeare
in nie erahnter Gründlichkeit zu Wirklichkeit geworden
DIE HÖLLE WAR LEER DENN ALLE TEUFEL WAREN JETZT AUF DER ERDE
waren jetzt auf der Erde verkleidet als
ehrenwerte Männer mit dem
göttlichen Auftrag die Welt von allem
Bösen zu befreien
ALLES WAS VON GAZA ÜBRIG GEBLIEBEN IST VERNICHTEN WIR
hatte der israelische Finanzminister keinen Monat zuvor gesagt und
ES IST UNSERE HEILIGE PFLICHT DIE MENSCHEN DORT VERHUNGERN ZU LASSEN
pflichtete ihm einer seiner Gesinnungsgenossen im israelischen Parlament bei und
WIR WERDEN NICHT EIN EINZIGES GRAMM HILFSGÜTER DORTHIN SCHICKEN BIS DIE GANZE BEVÖLKERUNG AUF DIE KNIE FÄLLT UND FLEHT – GAZA MUSS DEM ERDBODEN GLEICHGEMACHT WERDEN DENN SO ETWAS WIE UNSCHULDIGE MENSCHEN GIBT ES DORT NICHT
liess der bis vor Kurzem amtierende israelische Minister für Sicherheit verlauten und JEDES BABY IN GAZA IST UNSER FEIND
sagte auch einer seiner besten Kollegen aus der gleichen Partei der selbsternannten Gotteskämpfer
und dennoch
stand die Erde nicht still sondern
drehte sich weiter als wäre nichts geschehen
Schaut den Mann rechts auf dem Bild und
schaut den Mann links auf dem Bild
Der eine überreicht dem andern einen Briefumschlag und der andere tut so als
wüsste er nicht was darin geschrieben ist obwohl er den Brief höchstwahrscheinlich
sogar selber geschrieben hatte um als
Friedensfürst in die Geschichte einzugehen in der Galerie der Träger eines
Friedensnobelpreises ganz so
wie sein vielgerühmter Vorgänger Barack Obama der
jeden Morgen schon vor dem Frühstück mit leichtem Knopfdruck die
nichtsahnenden Opfer des
eben gerade angefangenen neuen Tages ausgewählt hatte damit die
Steuerungssysteme der Drohnen auch rechtzeitig mit allen
notwendigen Daten bestückt werden konnten um den
vermeintlichen Terroristen unweit eines Brunnens inmitten einer
winzigen Dorfgemeinschaft weitab in der afghanischen Wüste
punktgenau zu treffen und dabei halt auch
ein paar unweit davon spielende Kinder ebenfalls in den Tod zu reissen oder
wenn es sein musste auch mal eine ganze Hochzeitsgesellschaft
ICH BIN EBEN GUT IM TÖTEN
hatte Obama ganz offiziell und mit triumphierendem Blick vor gar nicht
langer Zeit verkündet doch
wer will sich in dieser sich immer schneller drehenden Welt noch daran erinnern
Denn noch feiert die Geschichte die Sieger und
nicht die Verlierer noch feiert sie die
Täter und nicht ihre
Opfer
Doch es ging an diesem 7. Juli 2025
im Blue Room des Weissen Hauses in Washington
nicht nur um
Sommersalat Heilbutt und den nächsten Friedensnobelpreis
es ging auch um den
PLAN RAFAH
um die logistische Herausforderung einer
Zwangsumsiedlung der in Gaza noch übrig gebliebenen
zwei Millionen Männer Frauen Kinder aus der Hölle des
Nordens in die Hölle der im südlichsten Teil des Landes gelegenen
Stadt Rafah wo ebenfalls jetzt schon kein Stein mehr auf dem
anderen geblieben ist
so zusammengepfercht in eine
einzige Stadt ohne jegliche Überlebenschance und hermetisch dort abgeriegelt so dass kein Fuss jemals diesen Ort wieder wird verlassen können
EIN KONZENTRATIONSLAGER FÜR ZWEI MILLIONEN TODGEWEIHTE
unter diesen Umständen also sodann
sollen diese Todgeweihten
zuletzt
so der Mann mit dem lächelnden Gesicht auf der
rechten Seite des Bildes
FREI ENTSCHEIDEN KÖNNEN
OB SIE DORT BLEIBEN WOLLEN ODER VIELLEICHT DOCH
LIEBER DIESE STADT VERLASSEN MÖCHTEN
NIEMAND WERDE SIE VON DIESEM FREIEN ENTSCHEID ABHALTEN
DENN SCHLIESSSLICH SEI DIES DAS DEMOKRATISCHE RECHT JEDES EINZELNEN
IM LANDE ISRAEL DER EINZIGEN WIRKLICHEN DEMOKRATIE IM NAHEN OSTEN
Die weitere Umsiedlung allfällig noch Lebender in
andere Länder sei
als weiterer logistischer Schritt ebenfalls bereits
INTERNATIONAL ABGESPROCHEN
und werde zweifellos
ALLEN PALÄSTINENSERN EINE BESSERE ZUKUNFT BIETEN
was doch das einzige wirkliche Ziel der Regierung Israels sei und auch vom Mann auf der linken Seite des Bildes voll und ganz bestätigt wurde mit den Worten
ETWAS GUTES WIRD PASSIEREN
Aber es müsse
rasch gehen denn die multinationalen
Konzerne der Bau- und Tourismusindustrie wollen nicht länger
unnötig warten bis sie endlich an der Stelle wo einst Gaza war die
grösste Riviera aller Zeiten mit den schönsten Badestränden und den luxuriösesten Hotels und den teuersten Restaurants für die
Reichsten der Reichen aus aller Welt
bauen können
und länger unnötig warten wollen auch nicht all die weltweit Millionen von Aktionären die sich
eben noch berauscht von ihren Milliardengewinnen aus den Exporten israelischer
Waffen und Militärtechnologie in fast alle westlichen Länder aufgrund dessen dass sich
israelische Rüstungstechnik dermassen erfolgreich bewährt hat und weiterhin bewährt im Kampf gegen Kinder und Blumen schon nach dem
nächsten grossen und vielleicht noch viel grösseren Rausch sehnen wie
Raubtiere die
je dicker sie werden
umso gefrässiger sind und
ihr Appetit nur immer noch weiter zunimmt denn je mehr die einen Reichtum schaffen indem sie ganze Länder dem Erdboden gleichmachen umso mehr Reichtum schaffen die anderen um auf den zurückgebliebenen Ruinen hernach wieder
alles neu aufzubauen
und ja
nicht die lächelnden Männer
im Blue Room des Weissen Hauses in Washington bei Sommersalat und Heilbutt
werden die Schaufeln und Presslufthämmer in die Hand nehmen und in
glühenden Steinwüsten ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen um die in den
klimatisierten Grossraumbüros internationaler Stararchitekten entworfenen Pläne der grössten Riviera aller Zeiten in die Wirklichkeit umzusetzen
Denn die edlen Herren selber werden indessen gewiss in irgendeinem Land am
anderen Ende der Welt noch ein weiteres ausgehungertes Volk finden wo der Entscheid jedes Einzelnen ob er leben oder lieber sterben möchte die Menschen dazu verdammt
auch noch die entwürdigendsten und erbärmlichsten Arbeitsbedingungen in
Kauf zu nehmen
dann
zwischen den endlosen Trümmern die zuerst einmal
beiseitegeschafft werden müssen und vielleicht ja sogar zu einer Art Vergnügungshügeln mit Seilbahnen und riesigen Rutschbahnen für die Kinder der Reichen aus Amerika Indien oder der Schweiz oder sogar Skipisten oder Biketrails aufgetürmt werden
dann
zwischen den endlosen Trümmern werden sie
vielleicht wieder
ans Tageslicht kommen
winzige
Kinderfüsse
Kinderhände vom
7. Juli 2025 und so vielen anderen Nächten zwischen drei und vier in der Zeit davor
Doch selbst ohne den Krieg in Gaza und selbst ohne alle anderen
derzeit weltweit wütenden fast 60 Kriege von Ecuador über die Westsahara Nigeria den Sudan und Myanmar bis nach Papua-Neuguinea an die man sich offensichtlich schon
so sehr gewöhnt hat dass kaum irgendwer davon noch spricht
Es wäre selbst ohne alle diese Kriege immer noch
unvorstellbar verheerend genug denn
alle drei Sekunden ein Kind
weltweit 15’000 Kinder jeden Tag erleiden vor dem Erreichen ihres fünften Lebensjahrs den erdenklich qualvollsten Tod durch Verhungern weil sie
seit ihrer Geburt nie genug zu essen bekamen
nicht weil es insgesamt auf der Erde zu wenig Nahrung gäbe sondern nur
weil die Güter nicht dorthin fliessen wo sie
am dringendsten gebraucht werden sondern dorthin wo die
Reichen und Mächtigen ihren
bereits in sinnlosem Übermass vorhandenen Reichtum immer noch
weiter und weiter ins
Unermessliche steigern
Nein
nicht in einer finsteren Höhle
hoch in den Bergen Afghanistans
nicht in einem von verzweifelten Händen geschaufelten
unterirdischen Tunnel an der Grenze zwischen Palästina und Ägypten
nicht an einem geheimen
Sammelort todesmutiger Guerrilleros irgendwo im
Dschungel Boliviens oder Ecuadors ist
das Böse
nein
Das Böse manifestiert sich ganz offen und ohne jede Scham in den
ganz offiziellen und legalen Zentren des Wohlstands an den alles entscheidenden
Schalthebeln und Zentren der
Macht und des über Jahrhunderte zusammengestohlenen Reichtums
nicht unter Kopftüchern oder Turbanen
nicht hinter finsteren Masken oder
eingehüllt in schwarze Tücher
treibt es sein Unwesen
nein
seine Zeichen sind weder Messer noch Kalaschnikows
und seine Kämpfer gehen nicht zu Fuss sondern
reisen im Privatflugzeug von Metropole zu Metropole
gierig und süchtig nach allem
was noch lebt
dezent schwarze und dunkelblaue Anzüge
Krawatten in allen Farben
Aktenkoffer sind ihre Zeichen und
flink herbeieilende Bedienstete welche die Türen zu ihren
schwarzen Staatskarrossen öffnen und schliessen
der Heilbutt im Blue Room des Weissen Hauses
meterlange Bankette mit aus aller Welt zusammengestohlenen Köstlichkeiten
die zu letzter Perfektion getriebene Kunst des Lügens
Doppelmoral und Scheinheiligkeiten und das permanente
Verdrehen der Wahrheit in ihr Gegenteil das
Auslöschen jeglicher
unangenehmer und verdächtiger Erinnerungen und Spuren der Vergangenheit
dies alles sind die Rückzugsgebiete in denen sich das Böse
in das Gute verkleidet sich vor der Wahrheit
versteckt hat und sein Unwesen treibt
wilder und ungebändigter denn je
Massenmörder im Nadelstreifenanzug
Sitzungsräume in den hell erleuchteten obersten Etagen multinationaler Konzerne wo
nicht nur die Vernichtung der Gegenwart sondern gleich auch noch die
Vernichtung jeglicher Zukunft planmässig vorangetrieben wird
DAS BÖSE VON HEUTE
schrieb der italienische Schriftsteller Umberto Eco
HAT ÄUSSERLICH NICHTS MIT DEM BÖSEN AUS DER VERGANGENHEIT ZU TUN ABER DER GEIST DER DAHINTERSTECKT DIE TOTALE KONTROLLE UND AUSBEUTUNG IST IMMER NOCH DERSELBE DAZU BRAUCHT ES WEDER UNIFORMEN NOCH STECHSCHRITT NOCH DEN EROBENEN GRUSS DENN ES IST SO MODERN UND SO RAFFINIERT VERPACKT UND WIRD MIT DERMASSEN ALLEN MITTELN DER VERFÜHRUNG DER ZENSUR UND DER LÜGEN SO ERFOLGREICH VERKAUFT DASS DIE MENSCHEN LÄNGST NICHT MEHR WAHRZUNEHMEN VERMÖGEN WELCHES SEINE TATSÄCHLICHEN TREIBENDEN KRÄFTE SIND
Und während dieses Böse immer unverschämter und
auch noch die alleräussersten Grenzen sprengend sein
Unwesen treibt
haben am gleichen 7. Juli 2025
in den reichen Ländern des Nordens die
Sommerschulferien angefangen
In Windeseile als ginge es ums nackte Überleben wurden die Koffer gepackt bis sie
fast aus den Nähten platzten
Kleider für den Strand
Kleider für das Windsurfen
Kleider für das Tête-à-Tête an der Hotelbar
Kleider für die Dinnerpartys
Kleider für den Tennisplatz für den Golfplatz für das Fitnesstraining für die Stadtbesichtigung und für das Shoppen
Liebesromane Kriminalromane Rezeptbücher und Anleitungen für mehr Lebensgenuss und
fast noch euphorischer als die Aktionäre der Waffenfabriken und der Baukonzerne werden auch in diesem Sommer wieder die
Aktionäre der Flugunternehmen der globalen Hotelketten und der in immer schnellerem Tempo aus den letzten verbliebenen Paradiesen schiessenden Tourismusdestinationen jubeln vielleicht sogar mit
Sommersalat und Heilbutt
wer weiss
DIE WELT
sagte Albert Einstein
IST VIEL ZU GEFÄHRLICH UM DARIN ZU LEBEN
NICHT NUR WEGEN DER MENSCHEN DIE BÖSES TUN
SONDERN VOR ALLEM AUCH WEGEN DER MENSCHEN DIE
DANEBEN STEHEN UND SIE
GEWÄHREN LASSEN…

Entmenschlichung und Schuldzuschreibungen als Voraussetzung für den Krieg der „Guten“ gegen die „Bösen“…

Sterben bei einem russischen Drohnenangriff zwei ukrainische Kinder, wird garantiert augenblicklich in fast allen westlichen Medien ausführlichst darüber berichtet, meist verbunden mit dem Hinweis darauf, dass nur ein so abgrundtief böser Mensch wie der russische Präsident Putin so gewissenlos sein könne, solche „Kriegsverbrechen“ anzuordnen. Sterben zur gleichen Zeit im Gazastreifen infolge eines israelischen Luftangriffs hundert oder hundertfünfzig palästinensische Kinder, sucht man eine vergleichbare Berichterstattung vergebens. Und findet man nach langem Suchen dennoch irgendwo am Rande einer Zeitungsseite einen winzigen Hinweis darauf, dann wird dort kaum je zu lesen sein, dass nur ein so abgrundtief böser und gewissenloser Mensch wie der israelische Premierminister Netanyahu fähig sein könne, für solche Verbrechen die Hauptverantwortung zu tragen.

Rational erklären lässt sich das nicht. Die Auswirkungen des Ukrainekriegs auf die dortige Zivilbevölkerung seit dem Februar 2022 lassen sich nicht im Allerentferntesten vergleichen mit der Zerstörungswut und dem menschlichen Elend, das Netanyahu im Gazastreifen innerhalb von eineinhalb Jahren angerichtet hat. An dieser Stelle irgendwelche Vergleichszahlen anführen zu wollen, wäre völlig müssig, jedes Kind kennt sie, sie übersteigen jegliches einigermassen humane Vorstellungsvermögen um ein Vielfaches. Dennoch ist der eine, Putin, aus der Sicht des Westens einer der schlimmsten Kriegsverbrecher, den man so schnell wie nur irgend möglich für immer hinter Gittern sehen möchte. Während der andere, Netanyahu, von den gleichen westlichen Regierungen mit allen Ehren empfangen wird, ihm rote Teppiche ausgerollt werden, ihm unter dem Blitzlichtgewitter Dutzender Journalisten minutenlang die Hand geschüttelt und ihm ganz offiziell dafür gedankt wird, sich unerschütterlich von seiner an „demokratischen Werten“ orientierten Regierungspolitik durch niemanden und durch nichts abbringen zu lassen.

Dass es bei alledem um nichts anderes geht als um nackte westlich-kapitalistisch-imperialistische Machtpolitik, die mit „Demokratie“ und „Menschenrechten“ nicht das Geringste zu tun hat – um dies zu erkennen, braucht es weder viel Intelligenz, noch viel Phantasie. Es müsste also, rein theoretisch, die Möglichkeit bestehen, die ganze Scheinheiligkeit und Unehrlichkeit der westlichen Machtpolitik zu entlarven und breiteste Bevölkerungsschichten dazu zu bringen, sich gegen deren Vorherrschaft aufzulehnen und sie zu Fall zu bringen, besteht doch ansonsten, wenn man sie weiterhin gewähren lässt, in letzter Konsequenz die allergrösste Gefahr eines dritten Weltkriegs, der dann, wie Bertolt Brecht dereinst so treffend schrieb, nicht nur den goldenen Wagen, auf dem die Reichen sitzen, sondern auch die den Wagen ziehenden „schwitzenden Zugtiere mit in den Abgrund reissen“ würde.

Trotz alledem scheint ein solcher Volksaufstand zurzeit noch in weiter Ferne zu liegen. Ganz im Gegenteil neigen die Menschen in den westlichen Ländern mehrheitlich immer noch dazu – und sei es nur durch ihr Schweigen und ihre Passivität -, die Politik jener mitzutragen, von denen sie täglich ausgebeutet, instrumentalisiert und über den Tisch gezogen werden. Dies deutet darauf hin, dass es etwas anderes geben muss, was stärker ist als alle Intelligenz, alle Vernunft und aller gesunde Menschenverstand. Dieses Stärkere muss so tief im Denken und Fühlen der Menschen verankert sein, dass es zum Vornherein ihre Meinungen, ihre Einstellungen, ihre Denkweise und ihr Handeln dermassen systematisch und allumfassend auf einen einzigen gangbaren Weg reduziert, dass ihnen der Zugang zu grundsätzlich anderen, davon abweichenden Wegen offensichtlich gar nicht mehr denkbar erscheint.

Was aber könnte dieses „Andere“ sein? Eine mögliche Antwort auf diese Frage erschliesst sich auf höchst erschreckende und zugleich erhellende Weise, wenn wir Aussagen westlicher und europäischer Politiker in Bezug auf das russische und das palästinensische Volk miteinander vergleichen: In Bezug auf beide Volksgruppen ist nämlich Immer wieder die Rede von „Tieren“, „Hunden“ oder anderen „nichtmenschlichen“ Kreaturen. So etwa sagte Yoaw Gallant, bis 2024 israelischer Verteidigungsminister: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend.“ Ähnliche Aussagen sind auch immer wieder von anderen israelischen Spitzenpolitikern zu hören, so etwa von Ezra Yachim, einem bekannten Armeeveteranen, der zur „Vernichtung aller Palästinenserinnen und Palästinenser“ und zur „Auslöschung sämtlicher Erinnerungen an dieses Volk“ aufrief, denn „diese Tiere dürfen nicht länger leben.“ Das Bild einer „höherwertigen“ jüdischen Kultur und Zivilisation gegenüber einem „minderwertigen“ Volk von Tieren, Barbaren oder rückständigen „Wilden“ zieht sich durch alles hindurch und gipfelt in der Aussage Netanyahus, die Juden seien das „Volk des Lichts“ und die Palästinenser das „Volk der Finsternis“ – von hier ist es nur ein winziger Schritt bis hin zur Schlussfolgerung, dass es sozusagen der göttliche Auftrag dieses „Volks des Lichtes“ sei, das „Volk der Finsternis“ für immer auszulöschen, und zwar so gründlich, dass, wie es der Likud-Abgeordnete Moshe Feiglin forderte, „nicht ein einziges Kind in Gaza übrig bleiben“ dürfe und „sämtliche Babys bereits möglichst früh nach der Geburt getötet werden müssen“.

Fast identisch tönt es, wenn sich westliche Politiker über das russische Volk äussern, wenn auch oft nur hinter vorgehaltener Hand, möchte man doch nicht des blanken Rassismus bezichtigt werden. Aber, stets ein wenig verschnörkelt und abgemildert, ist es im Grunde dennoch nichts anderes als blanker Rassismus, wenn Bilder von Russen als Horden von Vergewaltigern und potenziellen Mördern an die Wand gemalt werden, die gesamte, vom Westen mitverantwortete Vorgeschichte des Ukrainekriegs systematisch ausgeklammert und der Öffentlichkeit vorenthalten wird, oder wenn über friedliche und unschuldige russische Sportlerinnen und Künstler gnadenlos Boykotte verhängt und tausendfach hoffnungsvolle Lebensträume zerstört werden und jedes von einer russischen Drohne getötete Kind mehr Empörung und mediale Wirkung erfährt als der gleichzeitige Tod von Hunderten durch israelische Bomben oder Raketen getötete Kinder im Gazastreifen.

Würden sich die westlichen Hardliner getrauen, ganz offen das auszusprechen, was sie tatsächlich denken, dann käme wohl etwa das heraus, was der ukrainische Schriftsteller Serhij Zhadan in seinem Buch „Himmel über Charkiw“ geschrieben hat: „Brennt in der Hölle, ihr Schweine!“, schreibt er und meint damit die Russen, welche er dann im Folgenden zusätzlich auch noch als „Hunde“, „Verbrecher“, „Tiere“ und „Unrat“ bezeichnet, sowie als „Barbaren, die gekommen sind, um unsere Geschichte, unsere Kultur und unsere Bildung zu vernichten.“ Dieses Buch hat Serhij Zhadan nicht etwa eine Anklage wegen Rassismus, Verleumdung oder Volksverhetzung eingebracht, sondern – man höre und staune – den Friedenspreis 2022 des Deutschen Buchhandels! Ob sich wohl FDP-„Sicherheitspolitikerin“ Agnes Strack-Zimmermann von Zhadans Buch inspirieren liess? Oder ob sie ganz von selber auf die glorreiche Idee gekommen ist, unlängst den russischen Aussenminister Sergei Lawrov als „Hund“ zu bezeichnen, ausgerechnet ihn, einen der klügsten, erfahrensten und besonnensten Spitzenpolitiker in so wirren Zeiten.

Genau so, wie Netanyahu aus der Herabwürdigung und Verachtung des palästinensischen Volks den göttlichen Auftrag ableitet, dieses Volk von „Tieren“ auszulöschen, genau so leitet offensichtlich auch der sich als Inbegriff des „Guten“ verstehende „Wertewesten“ die Legitimation ab, Russland zu zerschlagen. Absurder und widersprüchlicher geht es nicht: Die westlichen Regierungen schüren in der Bevölkerung – ohne hierfür auch nur über die geringsten konkreten Beweise zu verfügen – mithilfe einer nunmehr fast gänzlich durchgepaukten Gleichschaltung der Medien zunehmend die Angst vor einem baldigen Angriff Russlands gegen den Westen. Tatsächlich aber sind sie es selber, die gegenüber Russland eine extrem aggressive und bedrohliche Position einnehmen und – angeblich zu „Verteidigungszwecken“ – eine militärische Aufrüstung in historisch nie dagewesenem Ausmass vorantreiben, obwohl die NATO jetzt schon rund zehn Mal mehr Geld für ihre Streitkräfte ausgibt als Russland.

Wer bedroht eigentlich wen? Wird geheimhin Russland als „böser und gefährlicher Aggressor“ hingestellt, der nicht nur Europa, sondern möglicherweise die gesamte Welt mit seinem imperialistischen Machtgehabe bedrohe, kommt man schnell zu einem gänzlich anderen Bild, wenn man sich die Aussagen namhafter westlicher Politikerinnen und Politiker im Verlaufe der vergangenen Jahrzehnte etwas genauer anschaut: „Um Amerikas Vormachtstellung in Eurasien zu sichern“, so der frühere US-Sicherheitsberater Zbignew Brzezinski, „braucht es die NATO-Osterweiterung. Eurasien ist das Schachbrett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird.“ Ebenfalls von Brzensinski stammt diese Aussage: „Die neue Weltordnung wird gegen Russland errichtet, auf den Ruinen Russlands und auf Kosten Russlands.“ Madeleine Albright, frühere US-Aussenministerin, befand bereits vor über 20 Jahren: „Russlands Bodenschätze sind zu gewaltig, als dass sie den Russen allein gehören dürfen.“ Auch für Ben Hodges, den ehemaligen Befehlshaber der US-Armee in Europa, ist klar: „Ziel der USA muss Russlands Spaltung und Zerfall sein.“ Und genau gleich tönt es von Paul Wolfowitz, dem ehemaligen US-Unterstaatssekretär und persönlichen Berater von Präsident George W. Bush: „Die USA müssen in jeder Region der Welt die militärische Vormachtstellung innehaben und den aufstrebenden regionalen Mächten entgegentreten, die eines Tages die globale oder regionale Vorherrschaft der USA herausfordern könnten, vor allem Russland und China. Zu diesem Zweck sollte das US-Militär in Hunderten von Militärstützpunkten auf der ganzen Welt in Stellung gebracht werden und die USA sollten darauf vorbereitet sein, bei Bedarf Kriege nach Wahl zu führen. “ Was die Ukraine, das angeblich unschuldige Opfer der russischen Kriegsmaschinerie, betrifft, so erfahren wir vom früheren US-Sicherheitsberater Douglas McGregor Folgendes: „Denken Sie daran, wir haben acht Jahre damit verbracht, diese Armee in der Ukraine zu dem einzigen Zweck aufzubauen, um Russland anzugreifen. Dafür wurde sie entwickelt. Deshalb haben die Russen sie angegriffen.“ Nicht anders Jens Stoltenberg, der ehemalige NATO-Generalsekretär: „Seit 2014 haben wir die Ukraine massiv mit Waffen versorgt. Das ist natürlich eine sehr bewusste, starke Provokation. Es war uns bewusst, uns in einen Bereich einzumischen, den jeder russische Führer als untragbar ansehen muss. Mit einem Bruchteil des amerikanischen Verteidigungsbudgets konnten wir die russische Armee erheblich beschädigen und degradieren. Und deshalb sollten wir damit auch weitermachen.“ Und auch die neuesten Aussagen deutscher Spitzenpolitiker sprechen genau die gleiche Sprache. „Ich hätte nicht gedacht“, so Sigmar Gabriel, ehemaliger Bundesvorsitzender der SPD und früherer deutscher Vizekanzler, „das einmal sagen zu müssen: Aber wir werden Russland noch einmal so niederringen müssen, wie wir das im Kalten Krieg mit der Sowjetunion gemacht haben.“ Der CDU-Politiker Roderick Kiesewetter fordert: „Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden. Wir müssen alles tun, damit die Ukraine in die Lage versetzt wird, nicht nur Ölraffinerien in Russland zu zerstören, sondern Ministerien, Kommandoposten, Gefechtsstände.“ Auch für Johann Wadephul, den neuen deutschen Aussenminister, ist klar: „Russland wird immer ein Feind für uns bleiben.“ Und selbst der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz erkennt keinerlei Nutzen in möglichen Friedensverhandlungen, denn: „Kriege enden nur mit militärischer Erschöpfung.“

Eine derart aggressive Kriegspolitik müsste, rational betrachtet, unüberhörbares Entsetzen und eine nie dagewesene Empörung in all jenen europäischen Ländern auslösen, wo die Menschen jetzt schon bald mittels höherer Steuern, eingeschränkter Sozialleistungen, reduzierter Renten, Sparmassnahmen bei den öffentlichen Diensten und Infrastrukturen und weiteren schmerzlichen Einschnitten bei der sozialen Sicherheit auf Generationen hinaus nur deshalb so viele Opfer erbringen werden müssen, weil ihre Regierungen zurzeit einer friedlichen Konfliktlösung nicht die geringste Chance geben, sondern alles auf die Karte Krieg setzen, und sei es nur, um sich gegen einen möglichen durch ihre eigene Aggressionspolitik provozierten Militärschlag Russlands zu „verteidigen“. Etwas so zutiefst Irrationales ist nur möglich, wenn etwas anderes stärker ist als jede Vernunft: Und genau das eben ist die systematische menschliche Herabwürdigung des potenziellen „Gegners“, bis auch dem Hinterletzten klar ist: Die Welt kann nur gerettet werden, wenn man sich dieser „gefährlichen“, „brutalen“, „primitiven“ und mehr Tieren als Menschen gleichenden Völker so rasch und gründlich wie möglich für immer entledigt, seien es nun die Russen oder die Palästinenser oder irgend ein anderes „minderwertig“ Volk von „Hunden“, das früher oder später noch aufzufinden sein wird. Es ist exakt die gleiche Taktik, die bereits Hitler so erfolgreich angewendet hatte, indem er in Bezug auf die Völker des Ostens nie von etwas anderem sprach als von „Untermenschen“, „Unrat“, „Ungeziefer“, die Juden als „Judenschweine“ bezeichnete und durch diese systematische Entmenschlichung der zukünftigen Opfer den Boden dafür vorbereitete, dass deutsche Soldaten, Angehörige eines hoch gebildeten und kulturell hochstehenden europäischen Volks, scheinbar ohne schlechtes Gewissen in einen Krieg ziehen konnten gegen Menschen, die aus der Sichtweise eben dieses „Kulturvolks“ gar keine wirklichen Menschen waren. So gesehen muss man zum Schluss gelangen, dass sich, so „extrem“ diese Behauptung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, die meisten derzeitigen westlichen Regierungen, inklusive die Schweiz, ganz schön brav auf den Spuren Hitlers und dessen nationalsozialistischen Gedankenguts bewegen, gleichzeitig selber aber keine Mühe scheuen, im Sinne einer Projektions- und Ablenkungsstrategie ihre politischen Gegner als „Nazis“ zu diffamieren und sich auf diese Weise ihre eigene Weste sauber zu halten.

Die Entmenschlichung ist der Schlüsselpunkt. Man kann keine Kriege führen, ohne zuvor die potenziellen Opfer systematisch entmenschlicht zu haben. Denn der Mensch ist in seinem Innersten zu gut, als dass er gegen andere Menschen kämpfen oder sie töten möchte, das haben zahllose Experimente und Studien eindeutig bewiesen. Der Mensch ist von Natur aus ein friedfertiges Wesen. Will man Krieg, muss man ihn zur „Kriegstüchtigkeit“ systematisch erziehen. Das einfachste Mittel zu einer solchen Umerziehung besteht darin, den Menschen einzubläuen, dass sie nicht gegen andere Menschen kämpfen werden, sondern gegen Tiere, Hunde, Ratten, Kakerlaken, Ungeziefer, Unrat. Dann sind alle Hemmschwellen weg und es kann so richtig losgehen – jetzt gerade live zu verfolgen, wenn sich israelische Soldaten auf ihren Videobotschaften grölend, derbste Witze reissend, sich die Schenkel klopfend und sich gegenseitig zuprostend präsentieren, während im Hintergrund die Häuser von palästinensischen Dörfern brennen. Die Entmenschlichung der Opfer geht Hand in Hand mit der Entmenschlichung der Täter…

Das ist nichts Neues. Stets war die Entmenschlichung der erste entscheidende Schritt zur Verwirklichung der schlimmsten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit. Angefangen mit der von den europäischen Kolonialmächten sogar angeblich „wissenschaftlich“ bewiesenen These, bei der indigenen Urbevölkerung Amerikas handle es sich nicht um wirkliche Menschen, sondern eher um eine Art von Tieren, bei denen, wie es der angesehene französische Graf Buffon im ersten Jahrhundert der Kolonialisierung Amerikas durch Spanien, Portugal, England und Frankreich formulierte, „keinerlei Anzeichen von Seele“ festzustellen sei. Auch der berühmte französische Philosoph Montesquieu sprach im Zusammenhang mit den Indios von „degradierten“ Menschen. Selbst der als einer der grössten Denker in die Geschichte der westlichen Wertewelt eingegangene deutsche Philosoph Friedrich Hegel unterstellte den Indios „körperliche und geistige Impotenz“. Auch für Thomas Jefferson, US-Präsident von 1801 bis 1809, stand fest, dass die indigene Urbevölkerung Nordamerikas „auf einer früheren Stufe der Menschheitsentwicklung stehen geblieben“ sei und erst der europäische Mensch „die höchste Stufe dieser Entwicklung erreicht“ hätte. US-Aussenminister Henry Clay sagte im Jahre 1826, „vollblütige Indianer“ seien „von Natur aus minderwertig“ und ihr „Verschwinden aus der menschlichen Familie“ wäre „kein grosser Verlust für die Menschheit“.

Nicht anders erging es den afrikanischen Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern. Auch sie wurden nicht als eigentliche Menschen betrachtet, sondern im besten Falle als Arbeitstiere auf den Plantagen und in den Bergwerken der europäischen Kolonisten in Nord- und Südamerika, wo sie so gnadenlos ausgebeutet wurden, dass die meisten von ihnen schon nach wenigen Jahren durch Erschöpfung starben, oder aber, wenn nicht durch Zwangsarbeit, dann durch grausamste Folterungen bis zum Tod wegen geringsten Ungehorsams oder anderer klitzekleiner Vergehen. Alle diese an der amerikanischen und afrikanischen Urbevölkerung während rund 500 Jahren begangenen Verbrechen stiessen nur deshalb nicht einmal bei europäischen Rechtsgelehrten, Schriftstellern und Philosophen auf grösseren Widerstand, weil „Wissenschaftler“ aufgrund medizinischer Untersuchungen zum Schluss gekommen waren, das Gehirn nichtweisser Menschen sei gegenüber jenem der weissen Menschen dermassen klein und unterentwickelt, dass man die beiden Volksgruppen gar nicht der gleichen Kategorie Lebewesen zuordnen könne.

Die Geschichte der Entmenschlichungen im Laufe der Jahrhunderte ist endlos und würde zahllose Bibliotheken füllen, die aus allen Nähten platzen würden. Es soll, stellvertretend für Abertausende andere Fälle, nur kurz an zwei paar besonders krasse Beispiele erinnert werden: Etwa an das von US-amerikanischen Bomberpiloten mit „Entenjagden“ verglichene Niedermähen von Vietcongkämpfern im Vietnamkrieg oder von Heerscharen fliehender irakischer Soldaten im Krieg von 2003. Oder an die Foltermethoden im US-Gefangenenlager von Abu Greib, wo gefangene Irakis, von denen sich die allermeisten nicht des geringsten Vergehens schuldig gemacht hatten und bis heute nie rechtmässig verurteilt worden sind, gezwungen wurden, zum Ergötzen der zuschauenden US-Soldaten gefesselt und nur mit Windeln bekleidet wie Hunde am Boden herumzukriechen – hatte man diese Menschen bereits vor ihrer Festnahme zu Tieren degradiert, war es nur logisch, sie nun auch in der Gefangenschaft als Tiere zu behandeln, ganz so, wie es der frühere israelische Verteidigungsminister Gallant gesagt hat: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend.“

Auch eines der allergrössten Verbrechen in der Geschichte der Menschheit, nämlich die Machtergreifung der Männer gegen die Frauen, die weltweite Errichtung des bis zur Stunde mit allem nur erdenklichen Leiden verbundenen Patriarchats, beruht letztlich auf nichts anderem als auf Entmenschlichung. Schon der im 4. Jahrhundert vor Christus lebende griechische Philosoph Aristoteles definierte Frauen als „unvollkommene Männer“. Über Jahrtausende hinweg wurde gepredigt, Frauen seien weniger wert als Männer und deshalb dazu bestimmt, sich dem Willen der Männer unterzuordnen. Auch reiche ihre Intelligenz nicht dazu aus, sich politisch zu betätigen oder in irgendeiner anderen Weise am öffentlichen Leben teilzunehmen – ein Dogma, das selbst in einem so „fortschrittlichen“ und „aufgeklärten“ Land wie der Schweiz zur Folge hatte, dass Frauen erst im Jahre 1971 (!) das politische Stimm- und Wahlrecht zugesprochen wurde.

Seinen wohl grausamsten Höhepunkt erreichte die Entmenschlichung der Frauen und die Errichtung des Patriarchats in den sogenannten „Hexenprozessen“, denen allein zwischen 1550 und 1650 rund 50’000 Frauen auf bestialischste Weise, meist nach wochen- oder monatelanger Folterung und der anschliessenden Verbrennung auf dem Scheiterhaufen, zum Opfer fielen, und dies mitten in Europa zu einer Zeit, die in den Geschichtsbüchern bis heute als „Aufbruch in ein neues Zeitalter“ und „Beginn der Moderne“ gefeiert wird. Die Verfolgung und Vernichtung der sogenannten „Hexen“, deren einziges „Verbrechen“ darin bestand, besonders starke und mutige Frauen zu sein, zeigt auf ganz besonders drastische Weise einen zweiten Aspekt der Entmenschlichung, der über die Jahrhunderte hinweg neben der Herabwürdigung ganzer Volksgruppen aufgrund ihrer Hautfarbe, Religion oder ethnischen Herkunft eine mindestens so wichtige Rolle spielte: Die Zuschreibung des sogenannten „Bösen“. Frauen, und insbesondere starke und emanzipierte Frauen, waren aus Sicht des patriarchalen Machtsystems nicht nur, im Vergleich zum Mann, „minderwertige“ Geschöpfe, sondern zugleich auch der Inbegriff des „Teuflischen“, direkt mit Satan Verbündete, die nicht nur über die gefährliche und zerstörerische Gabe verfügten, mit ihren weiblichen Reizen Männer zu verführen und zu Ehebruch anzustiften, sondern auch unheimliche magische Kräfte besassen, um beispielsweise kleine Kinder oder die Kühe im Stall zu vergiften oder gar Blitze, Unwetter, Überschwemmungen, Brände oder andere Katastrophen herbeizuzaubern.

Und jetzt ist es perfekt. Denn wenn die Entmenschlichung in Form von blankem Rassismus und der Herabwürdigung ganzer Volks- und Menschengruppen noch nicht genug wirkungsvoll ist, um ihre Vernichtung zu rechtfertigen, dann wird wohl die Zuschreibung des „Bösen“ auch noch die letzten Zweifel aus dem Weg schaffen. Ja, „Minderwertiges“, „Unrat“, „Ungeziefer“ muss vernichtet werden, aber das „Böse“ erst recht, da steht ja schon in den heiligen Schriften und ist Pflicht jedes „guten“ Menschen, wenn er nicht selber zum Komplizen des Bösen werden will.

Und so wurden sie dann alle erfunden, über die Jahrhunderte hinweg, alle diese Märchen von den „Guten“ und von den „Bösen“, und dass das „Gute“ das „Böse“ vernichten müsse und dass das „Gute“ am Ende immer über das „Böse“ siegen werde. Das Märchen von jüdischen Ärzten in Deutschland, die unter ihren Glaubensgenossen Giftmischungen verteilt hätten, mit denen das Trinkwasser verseucht worden sei, was zum Ausbruch der grossen Pestepidemie zwischen 1347 und 1350 geführt hätte – als Rechtfertigung für die erste grosse Judenverfolgung und das Verbrennen der angeblichen „Giftmischer“ auf öffentlichen Plätzen. Das Märchen von den afrikanischen Kannibalen, die ihre eigenen Kinder aufessen – als Rechtfertigung für die Weissen, im Zuge der Eroberung und Kolonialisierung Afrikas gegenüber der dortigen Bevölkerung ebenso grausam vorzugehen wie diese angeblich gegenüber ihren eigenen Artgenossen, wohingegen längst erwiesen ist, dass „Kannibalismus“ in der Geschichte der Menschheit bis heute nur in ganz seltenen Fällen in Form des Verzehrs von Leichenteilen zu medizinischen Zwecken vorgekommen ist, und zwar nicht nur in Afrika, sondern weltweit, nicht zuletzt auch bei den Vorfahren der heutigen Europäer. Das frei erfundene Märchen eines angeblichen Angriffs nordvietnamesischer Schnellboote auf zwei US-Kriegsschiffe im Golf von Tonkin am 2. und 4. August 1964 – als Rechtfertigung für den Eintritt der USA in den Vietnamkrieg mit insgesamt über vier Millionen Todesopfern, zur Hauptsache Zivilpersonen. Das ebenfalls reiner Phantasie entsprungene und jeglicher Realität entbehrende Märchen, wonach irakische Soldaten bei der Invasion Kuweits im August 1990 Frühgeborene aus ihren Brutkästen gerissen und auf dem Boden hätten sterben lassen – als Rechtfertigung für das militärische Eingreifen der USA in den Grenzkonflikt zwischen Kuweit und dem Irak. Die ebenfalls von der US-Administration frei erfundene und bis heute nicht bewiesene Behauptung, Osama bin Laden sei der Hauptdrahtzieher hinter den Anschlägen auf das WTC-Center vom 11. September 2001 gewesen – als Rechtfertigung für die ein ganzes Land in den Abgrund stürzende US-Invasion in Afghanistan, wo sich bin Laden angeblich versteckt gehalten hätte. Das von der gleichen US-Administration nur zwei Jahre später gegenüber der Weltöffentlichkeit als – wie man heute weiss – reine Lüge aufgetischte „Beweismaterial“ für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen durch den irakischen Diktator Saddam Hussein – als Rechtfertigung für einen zweiten grossen Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak, mit insgesamt rund einer weiteren Million von Todesopfern und Millionen von Schwerverletzten. Das Märchen von den Hamaskämpfern, die beim Überfall auf grenznahe jüdische Siedlungen anfangs Oktober 2023 Babys bei lebendigem Leib die Köpfe abgeschlagen hätten, ohne dass dies jemals hatte bewiesen werden können – als Rechtfertigung dafür, dass die israelische Armee innerhalb der folgenden eineinhalb Jahr bereits rund 70’000 Menschen, etwa ein Drittel davon Kinder, im Gazastreifen ermordet hat. Das vor wenigen Wochen erneut aufgewärmte Märchen von der Entwicklung einer iranischen Atombombe – als Rechtfertigung für die Bombardierung weiter Teile des Landes durch die Luftwaffe ausgerechnet jenes Staates Israel, der selber seit Jahrzehnten über mindestens 200 Atombomben verfügt, im Bunde mit den USA, wohl nicht so sehr, um das angebliche iranische „Atomwaffenprogramm“ zu vernichten, als vielmehr zu dem einzigen und alleinigen Zweck, die militärische Vorherrschaft des Westens im Nahen Osten auf Dauer zu sichern und zu festigen, das, was der neue deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz als „Drecksarbeit“ bezeichnete, und weswegen er sich gegenüber Israel so dankbar zeigte, weil dieser Staat einen Job erfülle, den eigentlich die ganze westliche Welt erfüllen müsste, die Zeit dafür aber offensichtlich noch nicht ganz reif sei.

Dazu all die hartnäckig aufrechterhaltenen Märchen, Lügen und künstlich aufgebauten Feindbilder, wonach jeder Moslem ein potenzieller „Terrorist“ sei, Menschen aus „weniger entwickelten Ländern“ im Gegensatz zu anderen „bildungsfern“ oder „kulturlos“ seien und Flüchtlinge sowie ganz generell „Ausländerinnen“ und „Ausländer“ grundsätzlich „kriminell“ seien – man beachte, dass es analog zum Begriff der „Ausländerkriminalität“ keinen entsprechenden Begriff der „Inländerkriminalität“ gibt und auch das Wort „Männergewalt“ in den Medien höchst selten anzutreffen ist, obwohl der Anteil von Gewalttaten, die von Männern begangen werden, im Vergleich zu von Frauen begangenen Gewalttaten um ein Vielfaches höher ist als der Anteil der von „ausländischen“ Personen begangenen Gewalttaten im Vergleich zu den von Einheimischen begangenen Gewalttaten.

Besonders aufschlussreich ist auch der unter anderen vom früheren US-Präsident benutzte Begriff des „Reichs des Bösen“ in Bezug auf die Sowjetunion. Sah Reagan das „Böse“ insbesondere in der Ideologie des Kommunismus als Bedrohung des Kapitalismus, so hätte eigentlich logischerweise mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, dem Amtsantritt Putins und dessen Angebot einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsstruktur ein neues Zeitalter in der Beziehung zu einem neuen, nicht mehr kommunistisch, sondern sogar geradezu überbordend kapitalistisch ausgerichteten Russland erfolgen müssen. Tatsächlich aber gilt Russland nach wie vor in der Rhetorik der führenden westlichen Politiker als ein „Reich des Bösen“, woraus sich der Schluss ziehen lässt, dass es auch zu Zeiten Reagans und der Sowjetunion aus der Sicht des Westens augenscheinlich nicht so sehr um die Systemkonkurrenz zwischen Kommunismus und Kapitalismus ging, sondern viel mehr um diese dumpfe, unbewusste, rassistische Glorifizierung der „höherwertigen“ eigenen Kultur gegenüber „minderwertigeren“ Kulturen des Ostens oder des Südens. Besser als die „Sicherheitsexpertin“ Florence Gaub, von ihren Bewunderern auch „wunderbare wissenschaftliche Diva“ genannt, kann man diese Haltung nicht auf den Punkt bringen. Florence Gaub nämlich sagte im Rahmen einer Diskussionssendung auf ZDF anfangs April 2022 Folgendes: „Wir dürfen nicht vergessen, dass Russen, obwohl sie europäisch aussehen, keine Europäer im wahrsten Sinne des Wortes sind. Sie behandeln das Leben nämlich nicht als modernes liberales postmodernes Projekt.“

Dass sich der Westen nicht zu schade ist, immer dann, wenn es um die Diffamierung Russlands geht, selbst mit Rassisten übelster Sorte gemeinsame Sache zu machen, zeigt das Beispiel von Alexei Nawalny, der von den westlichen Regierungen während langer Zeit zu dem Verfechter von Demokratie und Menschenrechten im Kampf gegen das Regime Putins hochgejubelt und im Jahre 2021 sogar mit dem EU-Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde. Dass der gleiche Nawalny gegenüber ethnischen Minderheiten innerhalb Russlands eine extrem rassistische Haltung einnahm, Tiflis als „Hauptstadt der Nagetiere“ bezeichnete, welche „mit Marschflugkörpern zerstört werden“ müsste, und der „nordkaukasischen Gesellschaft“ zum Vorwurf machte, sie hätten „den Wunsch, wie Vieh zu leben“, weshalb man „nicht normal mit diesen Völkern koexistieren“ könne und man diese und auch „alles andere, was uns stört, unbeirrt per Deportation entfernen“ müsse, schien offensichtlich die von Russophobie angetriebenen Eliten des Westens nicht weiter zu stören, auch nicht, dass Nawalny wegen seiner rassistischen Äusserungen aus der demokratisch-oppositionellen Jabloko-Partei ausgeschlossen und ihm selbst von Amnesty International der Status eines politisch Verfolgten aberkannt worden war. Dass die Wahrheit nicht ans Licht kommen darf, habe ich selber ganz direkt erfahren, indem kein einziger meiner Leserbriefe, in der ich auf diese Doppelrolle Nawalnys hinzuweisen versuchte, jemals von irgendeiner der grösseren Schweizer Tageszeitungen veröffentlicht wurde und ich auf mehrere Nachfragen, ob es nicht im Interesse demokratischer Meinungsbildung liegen müsste, nicht nur halbe, sondern ganze Wahrheiten offenzulegen, bis heute nie eine Antwort bekommen habe.

Die Zuschreibung des Bösen an andere und der systematische Aufbau von negativ besetzten Feindbildern dient nicht nur der Verunglimpfung des potenziellen aktuellen oder zukünftigen Opfers eigener Machtpolitik, sondern gleichzeitig auch dazu, permanent von den eigenen Missetaten und Verbrechen abzulenken. Im Gegensatz zu all den Märchen, Lügen und anderen erfundenen Geschichten über „nichtweisse“ oder „nichteuropäische“ Unmenschen, sind in Tat und Wahrheit die allerschlimmsten und grausamsten Verbrechen ausgerechnet von Trägern jener „Kultur“ begangen worden, die sich selber bei jeder Gelegenheit als etwas scheinbar „Höherwertiges“ definiert. Von der Behandlung irakischer Gefangener im US-Gefängnis von Abu Greib und von den jegliches menschliches Vorstellungsvermögen sprengenden Grausamkeiten, die an den sogenannten „Hexen“ begangen wurden, war schon die Rede. Zahllose weitere ähnliche Geschichten könnte man erzählen, sie würden endlose Bibliotheken füllen. An dieser Stelle nur zwei weitere, besonders drastische Beispiele, auch sie nicht aus der Kategorie der Phantasie und der Märchen, sondern einwandfrei historisch belegt. So etwa praktizierten die Sklavenhalter auf den Kaffeeplantagen Haitis noch im 19. Jahrhundert ein besonders bestialisches „Spiel“: Sie machten sich einen Spass daraus, widerspenstigen Sklaven Schwarzpulver in den After zu pressen und dieses dann zu entzünden, was sie „einen Neger hüpfen lassen“ nannten. Das zweite Beispiel betrifft das Terrorregime der Belgier im Kongo, wo auf Befehl des belgischen Königs noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts jeweils am Ende des Arbeitstags jenen Arbeitern, welche das geforderte Tagessoll an gesammeltem Kautschuk nicht erfüllt hatten, die Hände abgehackt wurden.

Gemäss der allgemein verbreiteten Ansicht, bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der von den europäischen Seefahrern und Kolonisten „entdeckten“ Länder handle es sich nicht um eigentliche Menschen, sondern eher um eine Art von Tieren, wurden auch deren Lebensgebiete durch keinen Geringeren als den Papst als höchster Instanz für „Recht“ und „Moral“ zu sogenannter „Terra nullius“ erklärt, „Niemandsland“ also, das niemandem gehörte und von den europäischen Eindringlingen ganz offiziell zu deren eigenem Staatsgebiet erklärt werden durfte. Wie sehr sich solche Denkvorstellungen über die Jahrhunderte bis in unsere Gegenwart weitergerettet haben, zeigte sich auf schockierende Weise im Februar 2025, als US-Präsident Trump allen Ernstes vorschlug, die gesamte palästinensische Bevölkerung aus dem Gazastreifen wegzuschaffen, um dort die schönste und luxuriöseste Feriendestination aller Zeiten in Form einer „Riviera“ für die Reichsten der Reichen zu bauen. Die Idee der „Terra nullius“, dass die Palästinenser, die es offiziell ja gar nicht gibt und sowieso eher Tiere als Menschen sind, kein Anrecht auf einen eigenen Staat haben sollen und nicht einmal darauf , dort zu leben, wo sie geboren wurden und aufgewachsen sind, scheint noch immer so aktuell zu sein wie zur Zeit der Kolonialisierung Amerikas, Afrikas und Südostasiens, sonst wäre der Aufschrei gegen diesen Plan in den westlichen Medien nicht dermassen zaghaft ausgefallen. Ganz im Gegenteil: Die schweizerische „Sonntagszeitung“ widmete sogar ganze zwei Seiten einem Interview mit dem niederländisch-jüdischen Schriftsteller Leo de Winter, welcher 2002 mit dem „Weltliteraturpreis“ ausgezeichnet wurde. In diesem Interview schwärmt Leo de Winter von Donald Trump als einem „Dichter“, der sogar „neue Wörter“ kreiere, in dessen „ganz grossen Träumen“ es „keine Grenzen“ mehr gäbe und der „höchst intelligent“ sei. Auf den Ruinen der zerstörten palästinensischen Wohnhäuser die „besten, schönsten und grössten Hotels, die es je auf der Welt gegeben hat“, zu bauen, findet Leo de Winter einen „schönen Gedanken“. Und dem Vorschlag Trumps, die verbliebenen Palästinenserinnen und Palästinenser nach Indonesien zu verfrachten, wo es noch „Tausende sehr schöne,  unbewohnte Inseln“ gäbe, würde er sich ebenfalls vorbehaltlos anschliessen. Dieses Interview stand einfach so Wort für Wort im grössten Schweizer Sonntagsblatt, ohne jeglichen kritischen Kommentar seitens der Redaktion. Es ist an Widersprüchlichkeit wohl kaum zu übertreffen, dass auf der einen Seite in jedem einigermassen seriösen Schulbuch kein guter Faden gelassen wird an der um 1500 vom Papst erlassenen Doktrin der „Terra nullius“, mehr als 500 Jahre später offensichtlich in breiten Kreisen westlicher „Eliten“ kaum Anstoss daran genommen wird, dass die Phantasien Trumps nichts anderes sind als eine Wiedererweckung genau dieser gänzlich menschenverachtenden Ideologie.

An dieser Stelle kommen wir nicht umhin, schliesslich auch noch die ganz grundsätzliche Frage aufzuwerfen, auf was für einem Weltbild denn eigentlich die „Logik“ beruht, dass man Menschen, wenn man sie zu „Hunden“, „Enten“ oder „Kakerlaken“ degradiert, einfacher, schneller, leichter und mit weniger schlechtem Gewissen sollte töten dürfen, als wenn es sich um „richtige“ Menschen handeln würde. Es spricht daraus nicht nur eine abgrundtiefe Verachtung und Entwürdigung der betroffenen Volksgruppen, sondern zugleich eine abgrundtiefe Verachtung und Entwürdigung der Schöpfung insgesamt, dürften doch Tiere, bloss weil sie von den „Herren der Schöpfung“ als etwas „Minderwertiges“ angeschaut werden, ebenso wenig sinnlosem Morden ausgeliefert werden wie Menschen. Was hier praktiziert wird, ist eine zutiefst respekt- und würdelose Normalisierung all dessen, was in Form von Tiertransporten unter katastrophalen Bedingungen, schmerzvollsten Tierexperimenten und Massentötungen in Tierfabriken bereits heute tagtäglich millionenfach mehr als zur Genüge erfolgt. Ein unfassbarer Rückfall in finsterste Vergangenheiten. Müsste doch, wenn sich die Menschheit nur ein ganz klein wenig in positiver Weise weiterentwickeln möchte, genau das Gegenteil stattfinden: Nicht die Entwertung von Menschen dadurch, dass man sie mit Tieren vergleicht. Sondern der Aufbau und die Heranbildung einer Haltung allumfassenden Respekts und tiefster Ehrfurcht vor all den Wundwerken der Schöpfung, mit denen wir – und an vorderster Stelle die westlich-kapitalistische „Wertewelt“ mit ihren Dogmen der Profitmaximierung um jeden Preis und eines unbegrenzten Wirtschaftswachstums mit unabsehbaren Folgen auf zukünftige Generationen – bereits so viel Schaden angerichtet haben, dass immer mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kaum mehr daran glauben, dass sich dieser ganze Schaden überhaupt jemals noch rechtzeitig wieder gut machen lässt. „Der Tag wird kommen“, sagte Leonardo da Vinci, eines der grössten Universalgenies aller Zeiten, schon vor über 500 Jahren, „an dem das Töten eines Tiers genauso als Verbrechen betrachtet wird wie das Töten eines Menschen.“

Das Einzige, was uns weiterbringen würde, wäre, aus der Geschichte zu lernen. Tragischerweise ist zurzeit genau das Gegenteil der Fall: Im Gazastreifen findet unter den Augen der Weltöffentlichkeit, Tag und Nacht über sämtliche Medien im Sekundentakt live ins Haus geliefert, ein Völkermord statt, wie es ihn seit Jahrhunderten kaum mehr gegeben hat, und kein einziger der „Koryphäen“ unter den Politikern und Wortführern der westlichen „Wertewelt“ scheint über das minimalste Mass an Empathie zu verfügen, dieses Verbrechen angesichts seiner unbeschreiblichen Ausmasse an Zerstörungskraft in aller Deutlichkeit als das zu benennen und zu verurteilen, was es ist: Ein planmässiger Völkermord, in nichts weniger grausam und verbrecherischer als der von den Nationalsozialisten begangene Völkermord an Juden, Roma, Sinti und anderen ethnischen Minderheiten, von denen heute schon gar niemand mehr spricht. Gleichzeitig rufen fast alle europäischen Regierungen blindlings zu einer immer stärker sich selber potenzierenden und sich in Richtung Unendlichkeit bewegender „Kriegstüchtigkeit“ auf, als hätte es nie einen Zweiten Weltkrieg gegeben und als hätte niemals selbst ein CSU-Politiker wie Franz Josef Strauss, der spätere langjährige Ministerpräsident Bayerns, noch im Jahre 1949 eindringlich davor gewarnt, jemals wieder die gleichen Fehler zu begehen wie in der Vergangenheit, und dies mit folgenden Worten: „Wer noch einmal eine Waffe in die Hand nimmt, dem soll die Hand abfallen.“ Weshalb gehen die tiefsten Weisheiten, die kluge Menschen schon seit Hunderten von Jahren immer wieder kund getan haben, stets wieder vergessen, und weshalb holt man an deren Stelle aus der Mottenkiste der Vergangenheit ausgerechnet immer wieder all jene Lügen, Trugschlüsse und falschen Heilsversprechen hervor, die schon tausende Male versagt haben und tausende Male gescheitert sind?

Ja, weshalb? Der Grund dürfte, und damit komme ich zum Anfang dieses Artikels zurück, eben genau darin liegen, dass irgendetwas anderes stärker sein muss als alle Vernunft und jeglicher gesunde Menschenverstand: Die gezielte und planmässige Entmenschlichung und Zuschreibung des Bösen an jene Volksgruppen, die man in Zukunft ohne jegliches schlechte Gewissen diskriminieren, bekämpfen oder sogar liquidieren möchte. Wie subtil und nahezu unbemerkt von der grossen Mehrheit der Bevölkerung dies geschieht, hat sich gerade unlängst, nämlich Ende April 2025, wieder einmal gezeigt, als die Zahlen über die im Jahre 2024 schweizweit begangenen rassistischen Vorfälle veröffentlicht wurden. In diesem Jahr gab es in der Schweiz insgesamt 1211 registrierte Vorfälle von Rassismus. 66 davon betrafen Jüdinnen und Juden, die übrigen 1145 betrafen Schwarze sowie Muslime oder Personen aus dem arabischen Raum. Dennoch weigert sich der Bundesrat, der vor etwa einem halben Jahr auf Drängen der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats eine Vollzeitstelle für einen Antisemitismus-Beauftragten geschaffen hat, bis heute, analog dazu auch Stellen für Fachpersonen zu schaffen, welche für die Bekämpfung und Aufklärung von Rassismus gegen Schwarze, Moslems und Menschen aus dem arabischen Raum zuständig wären. Was für eine schreiende Ungerechtigkeit anhand dieser offen auf dem Tisch liegenden Zahlen. Aber es scheint eben diskriminierte Minderheiten zu geben, die eine sehr starke Lobby haben bis hin zu den die öffentliche Meinung nachhaltig prägenden Medienschaffenden, und andere diskriminierte Minderheiten, welche nur eine schwache oder überhaupt keine Lobby haben. Viel weiter sind wir in den 500 Jahren seit der Entdeckung und Eroberung Amerikas, wo die europäischen Eindringlinge bloss auf Tiere stiessen, die so aussahen wie Menschen, offensichtlich nicht einmal in jenem Land gekommen, das sich der Welt so gerne als „demokratisches Musterland“ präsentiert. Und wenn sich dann jemand wie ich darüber empört und dieser Aussenpolitischen Kommission einen ganz netten Brief schreibt, um sich zu erkundigen, ob nebst dem Antisemitismusbeauftragten auch vergleichbare Stellen zum Schutz anderer Minderheiten geplant seien, funktioniert diese „Demokratie“ tatsächlich ganz „mustergültig“: Man bekommt einfach keine Antwort, nicht einmal von den Vertreterinnen und Vertretern der „linken“ und „grünen“ Parteien in der Kommission.

Neueste Meldung vom 27. Juni 2025: Mitten im feuchtheissen Sumpf der Everglades will die Regierung von Florida ein Lager für auszuweisende Immigranten bauen. „Es scheint eine Art Wettbewerb ausgebrochen zu sein unter den Heimatschützern von Donald Trump“, schreibt der „Tagesanzeiger“, „wer wohl die zynischste und sadistischste Idee hat.“ Der Name des Projekts, „Alligator Alcatraz“, soll an das ehemalige Inselgefängnis in der Bucht von San Francisco erinnern, von wo aus jeder Fluchtversuch zum Vornherein zum Scheitern verurteilt war, da ausserhalb der Gefängnismauern nichts war ausser reissenden Meeresströmungen voller Haie. Beim neu geplanten Lager für auszuweisende Immigranten werden das, was beim Inselgefängnis die Haie waren, nun Sümpfe, Boas und Krokodile sein – „Die Betreiber“, so der „Tagesanzeiger“, „sind ganz begeistert.“ Im Netz kann man sich bereits eine Animation des Projekts anschauen. Das Video ist mit wuchtigen Beats unterlegt. Gebaut werden soll an einem verlassenen Flughafen in dem Feuchtgebiet, damit Häftlinge eingeflogen werden können. In dem Clip sind auch Szenen von Festnahmen zusammengeschnitten, bei denen die Beamten der Einwanderungsbehörde ICE landesweit zu Razzien ausrücken, ihre bevorzugten Ziele sind Latinos. Viele von ihnen werden behandelt wie Schwerverbrecher, auch wenn sie sich keinerlei Vergehens schuldig gemacht haben. Selbst bestimmte Motive von Tattoos genügen schon, um sich verdächtig zu machen. Mindestens 3000 Menschen sollen jeden Tag aufgegriffen werden – die grösste Ausweisungsaktion in der Geschichte der USA, direkt angeordnet vom obersten Chef, Donald Trump, der im Zusammenhang mit „illegal“ sich in den USA aufhaltenden Immigranten – wen wunderts noch – von „Tieren“ spricht, welche „das Blut des Landes vergiften“ würden.

Eigentlich wäre es ganz einfach: Die Menschen müssten nur herausfinden, was sie im tiefsten Grunde ihres Wesens eigentlich sind: Durch und durch friedfertige, genügsame, soziale und empathische Wesen – wie es uns jedes neu geborene Kind, immer und immer wieder, weltweit vier Mal pro Sekunde, unablässig aufs Neue zu beweisen versucht, auf die Erde geschickt von einem lieben Gott, von den Engeln oder von wem auch immer, in der trotz allem immer noch nicht aufgegebenen Hoffnung darauf, dass die Menschen endlich zur Vernunft kommen. Es wäre so einfach. Wir müssten nichts Neues erfinden, sondern bloss all den über Jahrhunderte auf unseren Seelen aufgetürmten Schutt beiseite räumen, um all die Behauptungen von „guten“ und „bösen“ Menschen, von „wertvollen“ und „wertlosen“, von „höherwertigen“ und „minderwertigen“ Lebewesen als das zu entlarven, was sie tatsächlich sind: reine Lügen im Interesse jener, die sich Macht und Privilegien auf Kosten anderer angeeignet haben und, um diese Macht und diese Privilegien nicht zu verlieren, vor keinem so noch schlimmen Verbrechen zurückschrecken, ja nicht einmal davor, die gesamte Menschheit in einen alles vernichtenden Weltkrieg zu stürzen, im irren Glauben daran, dass sie selber, geschützt in bombensicheren und mit all dem über Jahrhunderte von ihnen angehäuften Raubgut angefüllten Festungen, zu keinerlei Schaden kämen. Es wäre wirklich sehr einfach, dies alles zu verstehen. Aber gerade weil es so einfach wäre, haben die Mächtigen dieser Welt so grosse Angst davor, dass die Wahrheit bald schon ans Licht kommen könnte.

All die Verrücktheiten, die wir in immer schnellerem Tempo tagtäglich erleben, all die Drohungen, Schuldzuweisungen, künstlich aufgebauten Feindbilder, die ganze Angstmacherei, das ganze Kriegsgeheul, all das, was uns in die dunkelsten Zeiten unserer Geschichte zurückzuwerfen versucht, all das ist nichts anderes als das hoffentlich letzte Aufbäumen einer Epoche in der Geschichte der Menschheit, die sich unweigerlich immer mehr ihrem Ende nähert. Es ist, wie der italienische Schriftsteller Antonio Gramsci so treffend sagte, die Zeit, „in der die alte Welt stirbt, während die neue noch darum kämpft, geboren zu werden – es ist die Zeit der Monster.“ Wenn alle, welche die Hoffnung auf den Beginn dieser neuen Zeit inzwischen aufgegeben haben, wieder zurückkehren und sich mit aller Leidenschaft am Aufbau dieser neuen Zeit beteiligen, dann ist es machbar, vielleicht viel einfacher und viel schneller, als wir uns das heute, in einer so verrückten Zeit, überhaupt vorzustellen vermögen. Doch die Kraft des Guten kann, wenn man daran glaubt, ebenso viel oder wohl noch viel mehr in Bewegung als die Kraft des Bösen. „Hoffnung“, so die deutsche Schriftstellerin Sybille Berg, „geben mir die Menschen, die Tiere und die Bäume und all die Dinge, die schön sind und zum Teil auch immer gut. Und die feste Überzeugung, dass die meisten Menschen Frieden wollen und ihre Ruhe, und dass die Kinder es gut haben und die Nachbarn auch. Vielleicht wird ja nicht alles schlimmer, sondern besser. Die Chancen sind gleich gross.“

(Ergänzung am 6. Juli 2025: Auch der argentinische Präsident Milei bedient sich der Methode der Entmenschlichung im Umgang mit seinen politischen Gegnern. Die unbequeme Journalistin Maria O’Donell bezeichnete er als „Äffin“ und alle, die mit seinen politischen Ideen nicht einverstanden seien, nannte er „dreckige Ratten“.)