Viertagewoche für Coiffeusen und Coiffeure: Doch zu welchem Preis?

 

Rudolf Minsch, Chefökonom von Economiesuisse, steht der Einführung einer 4-Tage-Woche für Coiffeusen und Coiffeure kritisch gegenüber – so berichtet der „Tagesanzeiger“ am 15. Mai 2023. Minsch begründet seine Ansicht so: „Eine Coiffeuse kann die Menge an Haarschnitten pro Tag nicht erhöhen. Eine Reduktion auf vier Tage hätte zur Konsequenz, dass sie pro Tag rund zwei Stunden mehr arbeiten müsste, um dasselbe Arbeitsvolumen zu bewältigen. Würde man aber die Löhne bei weniger Arbeit konstant halten, müssten die Preise um 20 Prozent steigen. Gerade für kleine und mittelgrosse Unternehmen würde die Rechnung nicht aufgehen.“ Womit Minsch nicht ganz Unrecht haben dürfte, wie das Beispiel der Coiffeurkette Adesso Hair Design zeigt, wo die 4-Tage-Woche bereits eingeführt worden ist. „Voraussetzung ist“, so Geschäftsführer Graziano Cappilli, „dass die Angestellte die Mindesterwartungen gemäss Gesamtarbeitsvertrag in Sachen Umsatz erfüllen kann. Sie muss demnach auf einen Kundenstamm zurückgreifen können, mit dem sie mindestens zweieinhalb mal den im Vertrag verankerten Mindestlohn von gut 4000 Franken einbringen kann. Setzt sie mehr um, beteiligt sie der Chef am Umsatz. Zur Belohnung hat sie einen Tag pro Woche mehr frei.“ Erst fünf Coiffeusen, ein Zehntel der gesamten Belegschaft, haben sich für dieses Modell entschieden. Das ist weiter nicht verwunderlich, steigert sich der Zeit- und Arbeitsdruck für jene, die sich einen zusätzlichen freien Tag „erkämpfen“ wollen, doch ganz erheblich: Die Leerzeiten, die üblicherweise 20 bis 30 Prozent der Arbeitszeit ausmachen, fallen vollständig weg, die Coiffeuse ist gezwungen, Tätigkeiten wie das Färben und Waschen an Kolleginnen zu delegieren, sodass sie bis zu drei Kundinnen oder Kunden gleichzeitig bedienen kann. Erholungszeiten wie auch die Mittagspausen, Zeiten für Austausch und womöglich auch Zeiten für Aufräumen oder sonstige Tätigkeiten werden somit auf ein Minimum reduziert. Zudem kann das alles nur funktionieren, wenn eine Coiffeuse auf einen festen Kundenstamm zurückgreifen kann, was sich vor allem für neue und jüngere Angestellte negativ auswirkt und den Konkurrenzkampf zwischen den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusätzlich beflügelt, die sich nun gegenseitig mit allen Mitteln Kundinnen und Kunden abzujagen versuchen. Ganz und gar keine Freude an diesem Modell hat daher auch die Gewerkschaft Unia: „Eine Reduktion der Arbeitszeit darf klar nicht dazu führen, dass das gleiche Pensum in weniger Zeit unter noch grösserem Druck erledigt werden muss. Es kann nicht sein, dass Angestellte für Umsatz sorgen müssen, das ist Teil des unternehmerischen Risikos des Arbeitsgebers und darf nicht auf die Angestellten abgewälzt werden.“

Das Beispiel zeigt, dass Reformen innerhalb des kapitalistischen Ausbeutungs- und Profitmaximierungssystems nur bedingt möglich sind bzw. sich für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sogar negativ auswirken können. Hauptursache dafür ist das, man kann fast schon sagen „heilige“ Konkurrenzprinzip: Demzufolge stehen sämtliche Unternehmen der jeweiligen Branche in einem permanenten, knallharten gegenseitigen Konkurrenz- und Verdrängungskampf. Sollen zusätzliche Kundinnen und Kundinnen gewonnen werden, und dies ist freilich das Ziel jedes Unternehmens, dann geht das nur in der Weise, dass man tiefere Preise als die Konkurrenz anbietet. Dies wiederum kann nur erreicht werden durch tiefere Löhne und indem man die Angestellten wie Zitronen auspresst, bis auch noch der letzte Tropfen gewonnen ist. Dass Coiffeusen und Coiffeure mit Monatslöhnen von nicht einmal 4000 Franken mit zu den am schlechtesten entlöhnten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehören, ist kein Zufall, sondern die ganz logische Folge dieses kapitalistischen Konkurrenzprinzips.

Daher kann eine effektive Lösung des Problems nur darin bestehen, dass dieses kapitalistische Konkurrenzprinzip ausgehebelt wird. Dies würde bedeuten, dass sich die einzelnen Coiffeursalons und Coiffeusenketten nicht mehr als gegenseitig ums Überleben kämpfende Raubtiere verstehen würden, sondern als Verbündete im gemeinsamen Kampf für eine qualitativ hochstehende Dienstleistung, die ihren echten Preis haben muss. Ein Preis, der höchstens nach oben, nicht aber nach unten unterboten werden dürfte, sodass auch eine Coiffeuse und ein Coiffeur einen genug hohen Lohn bekäme, um sich auch ohne knallharten Zeit- und Arbeitsdruck einen wohlverdienten dritten arbeitsfreien Tag leisten zu können. Denn die tatsächlich echte Qualität einer Arbeit darf nicht nur in der Zufriedenheit der Kundinnen und Kunden liegen, sondern vor allem auch in der Zufriedenheit jener Menschen, welche diese Leistung erbringen.

Von den „Negern“ bis zu den „Menschen mit dunklerer Hautfarbe“ – so lange wir nur die Sprache ändern, nicht aber die dahinterliegenden Macht- und Ausbeutungsverhältnisse, ist noch lange nichts gewonnen…

 

„Was darf man noch sagen?“, fragt die „Sonntagszeitung“ am 14. Mai 2023. Im folgenden Artikel werden Beispiele sogenannt „schädlicher“ Wörter aufgeführt, wie sie unter anderem von amerikanischen Eliteuniversitäten publiziert werden, weil sie eine „rassistische“, „sexistische“ oder „verletzende “ Bedeutung haben sollen. Aber auch im deutschsprachigen Raum ist noch nie so heftig wie heute über die politisch korrekte Wahl von Wörtern und Begriffen gestritten worden. Ein Beispiel: Wurde das Wort „Neger“ zunächst durch das Wort „Schwarze“ ersetzt, so war auch dies wiederum nur von kurzer Dauer. Heute spricht man von „Farbigen“ oder „Dunkelhäutigen“. Doch auch diese Bezeichnung wird wohl bald schon der Vergangenheit angehören. So soll aufgrund seiner „kolonialistischen und diskriminierenden Bedeutung“ der Begriff „dunkelhäutig“ gemäss einer neuen Richtlinie der Berliner Polizei durch „Personen mit dunklerer Hautfarbe“ abgelöst werden.

Das Beispiel der „Neger“, die neuestens „Personen mit dunklerer Hautfarbe“ sind, zeigt, stellvertretend für viele andere, dass es sich beim Ansinnen, diskriminierende Begriffe durch weniger diskriminierende zu ersetzen, um ein Fass ohne Boden handelt. Denn früher oder später wird garantiert wieder jemand ein Haar in der Suppe finden . Und das ist sogar ganz einfach. Etymologisch stammt das Wort „dunkel“ nämlich vom mittelhochdeutschen „tunkel“ ab, was so viel bedeutet wie „trübe“, „gedämpft“, „schwer“, „verworren“ und „schwer durchschaubar“. Wohl allzu lange wird sich also der Begriff „Personen mit dunklerer Hautfarbe“ nicht halten können. Wir dürfen wohl gespannt sein, was danach folgen wird. Vermutlich wird der neue Begriff nicht ohne eine noch längere Satzkonstruktion mit möglicherweise einem zusätzlichen oder gar mehreren Nebensätzen auskommen.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich wehre mich nicht gegen das kritische Hinterfragen bestehender Denkgewohnheiten und Verhaltensweisen. Aber man kann den Bogen auch überspannen. Die Problematik der Diskriminierung ist nicht vor allem eine Sache der Sprache, sondern der dahinterliegenden Realität. Da können alte Wörter noch so eifrig durch neue ersetzt werden – so lange sich an den Werthaltungen, die damit verbunden sind, nichts ändert, ist rein gar nichts gewonnen. Man kann eine „Person mit dunklerer Hautfarbe“ genau so erniedrigend behandeln wie einen „Neger“. Im Gegenteil, das neue Wort kann sogar von rassistischem Verhalten ablenken, es verharmlosen, beschwichtigen und als Alibi dafür dienen, dass man scheinbar – aber eben nur oberflächlich – früheres, verwerfliches Verhalten überwunden hätte. Vor allem aber lenkt die „Wortklauberei“ von den tatsächlichen diskriminierenden Machtverhältnissen ab, zum Beispiel von der kolonialistischen Ausbeutung Afrikas, die in Form höchst ungerechter Handelsbeziehungen bis zum heutigen Tag andauert. Da nützt es dann den ausgebeuteten Afrikanerinnen und Afrikanern auf den Kakaoplantagen, in den Ölfeldern und Goldminen herzlich wenig, wenn wir sie nicht mehr herablassend als „Neger“ bezeichnen, sondern, grosszügigerweise, als „Menschen mit dunklerer Hautfarbe“. Fazit: Wir müssen in erster Linie die Machtverhältnisse ändern, nicht die Sprache. Wenn sich die Machtverhältnisse ändern, dann ändert sich die Sprache ganz von selber.

Vor allem aber schafft eine übertriebene, ausufernde Wortklauberei zugunsten angeblich „politischer Korrektheit“ genau das, was sie zu überwinden verspricht: neue Formen von Diskriminierung. Diskriminiert werden nun nicht mehr „Neger“, „Indianer“ oder „Homosexuelle“, sondern jene Menschen, welche sich nicht den neuen Sprachregeln unterwerfen oder diese sogar in Frage stellen. Und so werden dort, wo man alte Gräben zuzuschütten versucht, bloss wieder neue Gräben von Missachtung und Hass aufgerissen. Ja, man sollte unbedingt traditionelle sprachliche Verhaltensweisen kritisch hinterfragen. Aber das ist nur eine halbe Sache, wenn man nicht gleichzeitig auch die dahinterliegenden Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse einer kritischen Überprüfung unterzieht. Sonst würden wir uns in der Illusion wiegen, allein schon durch das Austauschen von alten durch neue Wörter bessere Menschen geworden zu sein. 

Sechs- oder mehrspurige Autobahnen oder wie ein zeitgemässes Gesamtverkehrskonzept auch noch ganz anders aussehen könnte…

 

Der Schweizer Bundesrat hat, wie das „Tagblatt“ vom 11. Mai 2023 berichtet, eine Forderung der SVP übernommen: Die Autobahn A1 soll auf den Streckenabschnitten Bern-Zürich und Lausanne-Genf auf mindestens sechs Spuren ausgebaut werden. Gleichzeitig zeigen neueste Zahlen des Bundesamtes für Umwelt, dass der Verkehr für 30,6 Prozent aller Treibhausemissionen der Schweiz verantwortlich ist und 32 Prozent des gesamten Energieverbrauchs beansprucht. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Anzahl der immatrikulierten Personenwagen zwischen 2000 und 2022 um 33 Prozent zugenommen hat, während sich die Bevölkerungszahl im gleichen Zeitraum nur um 21 Prozent erhöht hat. Bereits ohne den geplanten Ausbau von Autobahnstrecken nimmt die Verkehrsinfrastruktur der Schweiz den im internationalen Vergleich überaus hohen Anteil von einem Drittel der gesamten Siedlungsfläche in Anspruch. 

Höchste Zeit für einen Marschhalt. Denn man braucht nicht allzu viel von Mathematik zu verstehen, um auszurechnen, wie sich alle diese Zahlen in den nächsten 10 oder 20 Jahren weiterentwickeln werden, wenn nicht grundsätzliche verkehrspolitische Weichenstellungen in eine andere Richtung erfolgen. 

Betrachten wir zunächst den Pendlerverkehr. Er ist dadurch bedingt, dass Wohnorte und Arbeitsorte zunehmend weiter voneinander entfernt sind. Arbeiten heute 71 Prozent der Berufstätigen ausserhalb ihrer Wohngemeinde, waren es 1990 erst 58 Prozent. Dazu drei Gedanken: Erstens sollte ein so grosser Anteil der Arbeitswege wie nur möglich mit dem öffentlichen Verkehr abgewickelt werden. Zweitens sollten Arbeitswege, wo immer die Distanz es zulässt, mit dem Fahrrad oder zu Fuss erfolgen, was zwar möglicherweise mehr Zeit „verschlingt“, der Umwelt wie auch vor allem der individuellen Gesundheitsförderung umso mehr zugute kommt. Voraussetzung dafür wären ein grosszügig ausgebautes Radwegnetz und möglichst sichere Fusswege. Drittens, und dies wäre wohl die wirkungsvollste Massnahme, müsste alles daran gesetzt werden, dass Arbeitsorte und Wohnorte möglichst wenig voneinander entfernt wären. Dies lässt sich freilich nur erreichen durch eine gezielte Steuer-, Boden- und Wohnbaupolitik, würde aber nicht zuletzt die Lebensqualität all jener Pendlerinnen und Pendler massiv verbessern, die dann nicht mehr gezwungen wären, bis zu einem Viertel ihres Arbeitstages in einem überfüllten Zug oder Bus oder mit dem zermürbenden Warten in einer Autoschlange zu verbringen.

Ein weiterer grosser Anteil der Gesamtmobilität, nämlich rund 40 Prozent, geht auf das Konto des Freizeitverkehrs. Hier täte ein kritisches Hinterfragen so mancher liebgewonnener Gewohnheiten dringendst Not. Macht es wirklich Sinn, mit dem Auto zum Fitnessclub zu fahren, um dort seine Muskeln zu stärken, oder wäre es nicht gescheiter, sich seine Fitness mit täglichem Radfahren in der freien Natur aufzubauen? Liegt das Schöne immer nur in der Ferne oder gäbe es nicht auch in der nächsten Umgebung des eigenen Wohnortes noch viel Spannendes zu entdecken? Ist das Wandern oder Radfahren durch neue, unbekannte Landschaften nicht so viel erholsamer und erlebnisvoller, als wenn man bloss mit dem Auto in Windeseile alle verborgenen Schätze blindlings an sich vorbeisausen lässt?

Wir sind uns gewohnt, bei der Arbeit wie auch im Alltag, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel zu erledigen. Wenn wir für eine Strecke von A nach B mit dem Auto 20 Minuten benötigen, mit dem öffentlichen Verkehr aber eine halbe Stunde, dann nehmen wir in aller Regel das Auto. Wir könnten aber auch den Zug nehmen und in dieser „verlorenen“ Zeit ein Buch lesen und hätten die „verlorene“ Zeit schon wieder gewonnen. So oft ist Zeit, die „verloren“ zu gehen scheint, bei näherer Betrachtung Zeit, die man gewinnt. Wir brauchen, so irritierend das auf den ersten Blick klingen mag, eine neue Kultur der Langsamkeit. Der Zwang, in immer kürzerer Zeit immer mehr erledigen, verprassen und geniessen zu wollen, wird uns an einen Punkt bringen, an dem das ganze System kollabiert und es am Ende überhaupt nichts mehr zu geniessen gibt. Schon heute verbraucht die Schweiz drei Mal so viel Energie und Ressourcen, als die Erde auf natürliche Weise im gleichen Zeitraum wieder zu regenerieren vermag. Der Klimawandel, das Tier- und Pflanzensterben und der Verlust an Biodiversität bedrohen zunehmend unsere zukünftigen Lebensgrundlagen. Ob wir wollen oder nicht: Ohne ein radikales Hinterfragen unserer bisherigen Verschwendungssucht besteht wenig Aussicht darauf, dass all das, was uns heute noch selbstverständlich erscheint, auch in 10 oder 20 Jahren noch selbstverständlich sein wird.

„Was alle angeht, können nur alle lösen“, sagte Friedrich Dürrenmatt. Unsere Verkehrsgewohnheiten geben das beste Beispiel dafür ab. Das private Automobil, in grossem Stil aufgekommen nach dem Zweiten Weltkrieg, basiert auf dem Irrglauben grenzenloser Freiheit, die sich heute immer stärker als Illusion entpuppt, bedroht die „Freiheit“ der einen doch in immer stärkerem Ausmass die Freiheit aller anderen. Der öffentliche Verkehr dagegen beruht auf der genialen Idee, dass Mobilität etwas ist, was „alle angeht“ und daher auch nur „von allen gelöst“ werden kann. Dies würde voraussetzen, das öffentliche Verkehrsnetz so weit auszubauen, dass das private Automobil früher oder später überflüssig geworden sein wird bzw. nur noch für jene Zwecke gebraucht wird, wo es keine sinnvolle Alternative gibt, also zum Beispiel für Ambulanzen, Polizei, Handwerker, Bau- und Transportgeschäfte, abgelegene Berggebiete, Transport älterer oder behinderter Menschen, usw. 

Eine logische Konsequenz aller dieser Überlegungen wäre die Einführung eines Nulltarifs im öffentlichen Verkehr. Denn rechnet man all die Kosten zusammen, die heute für den Bau und Unterhalt von Strassen, für die Herstellung und den Betrieb von Automobilen sowie für Massnahmen zu Umwelt- und Klimaschutz ausgegeben werden, so müsste die Finanzierung eines kostenlosen öffentlichen Verkehrssystems nicht allzu unrealistisch erscheinen. Und das Beste ist: Eine solches radikales Gesamtverkehrskonzept müsste von niemandem als Verlust, Verzicht oder Einschränkung empfunden werden, sondern wäre ein Gewinn für alle. 

Wladimir Putins Rede zum 9. Mai: Was war zuerst, das Huhn oder das Ei?

 

Am 9. Mai feierte Russland wie jedes Jahr den Sieg über Nazideutschland. In seiner zehnminütigen Rede sagte Putin – so der „Tagesanzeiger“ vom 10. Mai 2023 -, Russland befinde sich auch heute in einem „echten Krieg“. Putin verdrehe dabei, so der „Tagesanzeiger“, einmal mehr die Wirklichkeit, indem er behaupte, dass der Westen Russland bekämpfe und sich sein Land bloss dagegen verteidige. Seit Monaten wiederhole er immer wieder die gleiche Propagandabotschaft, dass eine „westliche Elite“ Hass und Russophobie säe, Russland spalten und zerstören wolle. Ähnlich hätte es bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an einer russischen Gedenkfeier auf dem Zürcher Hörnlifriedhof getönt: „Hier feiert“, so der „Tagesanzeiger“, „eine prorussische Gemeinschaft sich selbst. Man glaubt daran, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.“

Nicht anders tönt es, wenn man sich die Rhetorik der westlichen Exponentinnen und Exponenten in Bezug auf den Krieg in der Ukraine anschaut. Auch hier ist immer wieder vom Kampf des „Guten“ gegen das „Böse“ die Rede und davon, auf der „richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen. Die Auseinandersetzung erinnert unwillkürlich an die uralte Frage, was denn zuerst gewesen sei, das Ei oder das Huhn? Ist Russland eine machtgierige, von nichts zurückschreckende Diktatur, deren Ziel es ist, längerfristig ganz Europa unter seine Gewalt zu bringen – und die Expansion der Nato und die militärische Aufrüstung der Ukraine bloss im Sinne von Selbstverteidigung das legitime Mittel, dies zu verhindern? Oder ist es genau umgekehrt: Die Nato und die militärische Aufrüstung des Westens eine lebensgefährliche Bedrohung der russischen Souveränität? Wer sich nicht blindlings auf die eine oder andere Seite schlägt, findet wohl für seine je eigene Version stets genügend stichhaltige Argumente. 

Wer sich dagegen die Mühe nimmt, seine ideologischen Scheuklappen abzulegen und seine eigenen vermeintlichen „Wahrheiten“ kritisch zu hinterfragen, für den wird das gängige Schwarzweissbild bald einmal zu einem Bild unterschiedlicher Grautöne. Bestand Putins Rede am 9. Mai tatsächlich aus lauter Propagandabotschaften und war sie tatsächlich so „krud“ und „irritierend“, wie ihr von westlichen Medien unterstellt wurde? Einige Zitate westlicher Politikerinnen und Politiker mögen uns rasch eines Besseren belehren. So etwa forderte Zbigniew Brzezinski, ehemaliger US-Politberater, im Jahre 1997 eine „möglichst weitreichende Osterweiterung der Nato“, um „Amerikas Vormachtstellung in Eurasien zu sichern.“ Zwölf Jahre später sprach er erneut von einer „neuen Weltordnung“, welche „gegen Russland“ errichtet werden sollte, „auf den Ruinen Russlands und auf Kosten Russlands.“ Ben Hodges, ehemaliger Befehlshaber der US-Armee in Europa, sah 2020 das Ziel der US-Militärpolitik darin, Russlands „Spaltung und Zerfall“ herbeizuführen. 2022 erklärte Douglas McGregor, ehemaliger US-Sicherheitsberater: „Acht Jahre haben wir gebraucht, diese Armee der Ukraine zu dem einzigen Zweck aufzubauen, um Russland anzugreifen.“ US-Präsident Joe Biden sprach im gleichen Jahr von einer „Schlacht, die nicht in Tagen oder Monaten geschlagen sein wird.“ Die deutsche Aussenministerin Analena Baerbock befürwortete die Wirtschaftssanktionen gegen Russland damit, sie würden „Russland ruinieren“. Und die damalige britische Premierministerin Liz Truss verstieg sich sogar zur Aussage, sie würde einen „Atomschlag gegen Russland durchführen, auch wenn das Ergebnis eine weltweite Vernichtung wäre.“ Dabei mangelte es nicht an kritischen Stimmen gegen diese aggressive Droh- und Machtpolitik gegenüber Russland. Bereits 1997 warnte der US-Historiker George F. Kennan, dass die Entscheidung, die Nato bis an die Grenzen Russlands auszudehnen, der „verhängnisvollste Fehler“ sei, der die russische Aussenpolitik „in eine Richtung zwingen könnte, die uns entschieden missfallen wird.“ Im gleichen Jahr liess der damalige US-Senator und heutiger US-Präsident Joe Biden verlauten: „Das Einzige, was Russland zu einer heftigen Reaktion provozieren kann, ist die Erweiterung der Nato auf die baltischen Staaten.“ Und die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel schien bereits 2008 künftiges Unheil vorauszusehen, als sie sagte, dass ein Beitritt der Ukraine zur Nato „aus der Perspektive Russlands als Kriegserklärung angesehen“ würde. Die wesentliche Mitschuld des Westens am Ukrainekrieg teilt auch der US-Publizist Noam Chomsky, der davon sprach, dass sich der Westen mit der Aufrüstung der Ukraine ab 2014 in einen Bereich einmischte, den „jeden russischen Führer als untragbar ansehen musste.“ Und Papst Franziskus erklärte im Mai 2022: „Vielleicht war es die Nato, die Putin dazu veranlasste, eine Invasion der Ukraine zu entfesseln. Ich glaube, dass die Haltung des Westens wesentlich zu diesem Krieg beigetragen hat.“ So ganz aus der Luft gegriffen, so propagandistisch, so krud und so irritierend, wie ihnen von den westlichen Medien unterstellt wurde, scheinen also die Erklärungen Putins in seiner Rede am 9. Mai in Moskau nicht gewesen zu sein. Dies umso weniger, als man sich einmal das Umgekehrte vorzustellen versucht, nämlich, dass Mexiko oder Kanada oder gleich alle beide einem Militärbündnis mit Russland beitreten würden – die darauf erfolgende Reaktion der USA kann man nur im Entferntesten erahnen…

Das Huhn oder das Ei. Man könnte lang hin- und herdiskutieren. Vielleicht käme man am Ende zum Schluss, dass die Wahrheit weder gänzlich auf der einen noch gänzlich auf der anderen Seite liegt, sondern irgendwo dazwischen. Doch weil die einen ebenso felsenfest davon überzeugt sind, dass Russland der Hauptschuldige sei, wie die anderen ebenso felsenfest davon überzeugt sind, dass der Westen der Hauptschuldige ist, macht dies eine Lösung des Konflikts so schwierig, ja nahezu unmöglich. Eine Lösung wird nur möglich, wenn beide Seiten von ihrer Maximalposition Abschied nehmen und bereit sind, die eigene Schuldhaftigkeit und Mitverantwortung einzugestehen. Der Friedenslogik gegenüber der Kriegslogik eine Chance zu geben. Das würde ganz simpel mit einem kleinen Schritt möglich werden, nämlich der Bereitschaft, anzuerkennen, dass, wie es der Philosoph Hans-Georg Gadamer sagte, „auch der andere Recht haben könnte.“ 

Gestern flimmerte der erste Halbfinal des Eurovision Song Contest über die TV-Bildschirme. Am Eröffnungsakt waren ein britischer Junge und ein Mädchen aus der Ukraine beteiligt, zwischen ihnen eine unsichtbare Trennwand, die sich in dem Moment auflöste, als die Kinderhände sie berührten, worauf die beiden Kinder gemeinsam ihren Weg gingen. Um wie viel bedeutungsvoller hätte diese zauberhafte Szene wohl wirken können, wenn sich nicht ein englischer Junge und ein Mädchen aus der Ukraine gefunden und befreit hätten, sondern ein Kind aus der Ukraine und eines aus Russland…

Der „Club“ diskutiert über die Sinnhaftigkeit beruflicher Tätigkeit: Die im Lichte sieht man, die im Dunklen sieht man nicht…

 

„Wer will noch arbeiten?“ – dies die Fragestellung, über die im „Club“ vom 2. Mai 2023 im Schweizer Fernsehen diskutiert wurde. Schnell war man sich in der Runde darin einig, dass Arbeit Spass machen und als sinnvoll empfunden werden sollte. Die junge Radiomoderatorin könnte sich vorstellen, so lange zu arbeiten, „bis ich tot umfalle“. Auch die Pflegefachfrau empfindet ihren Beruf als sinnstiftend, wenngleich sie die prekären Arbeitsbedingungen beklagt, welche zur Folge hätten, dass ein grosser Teil ihrer Arbeitskolleginnen ihren Job bereits nach zwei- oder dreijähriger Tätigkeit wieder aufgeben. Gegen Ende der Sendung wurde als besonders vorbildliches Beispiel der mittlerweile 92jährige Zigarrenpatron Heinrich Villiger eingeblendet, der immer noch jeden Tag bis 21 Uhr arbeitet – so viel Spass und Genugtuung verleiht ihm seine Tätigkeit.

Dieser „Club“ ist nicht die erste Sendung dieser Art, welche einen gravierenden Mangel aufweist, nämlich den, dass sie einen überwiegenden Teil der gesellschaftlichen Realität ausblendet. Es ist ja gut und schön, wenn sich die Diskussionsteilnehmerinnen und Diskussionsteilnehmer darin einig sind, dass ihr Beruf im Idealfall Spass machen und als sinnvoll empfunden werden sollte. Was aber ist mit all jenen Berufen, in denen sich dieser Spass, diese Sinnhaftigkeit und diese Genugtuung auch mit dem besten Willen nicht einstellen wollen? Was ist mit der Angestellten im Supermarkt, die während acht oder neun Stunden pro Tag nichts anderes tut, als Verkaufsregale aufzufüllen, die umgehend von der Kundschaft wieder geleert werden? Was ist mit dem Koch, der während neun oder zehn Stunden pro Tag nicht nur pausenlosem Stress, sondern auch quälender Hitze und anstrengendster Körperhaltung ausgesetzt ist? Was ist mit dem Zimmermädchen im Hotel, das im Zehnminutentakt Zimmer um Zimmer reinigen und herrichten und nicht selten ekligste Abfälle der abgereisten Gäste entsorgen muss? Was ist mit der Fabrikarbeiterin am Fliessband, die tausendmal am Tag immer wieder den gleichen Handgriff ausüben muss? Was ist mit dem Velokurier, der während seiner ganzen Arbeitszeit so grossem Zeitdruck ausgesetzt ist, dass er nicht einmal eine Toilette aufsuchen kann, sondern in eine mitgenommene Flasche pinkeln muss? Was ist mit den Kehrichtmännern, den Postboten, den Serviceangestellten, den Bauarbeitern, den Landarbeiterinnen, den Putzfrauen und dem Reinigungspersonal auf den Bahnhöfen und in den Zügen? 

Sie alle, die Ausgeschlossenen und Ausgeblendeten, die in dieser und in so vielen anderen Diskussionssendungen und öffentlichen Veranstaltungen oder Fachreferaten nicht vorkommen, können vom Luxus, über die Sinnhaftigkeit beruflicher Arbeit nachzudenken, nur träumen. Aber noch schlimmer: Während Besserverdienende die Möglichkeit haben, ihr Arbeitspensum zu reduzieren, um die tägliche Arbeitsbelastung erträglicher zu machen, ist den Schlechterverdienenden auch noch diese Möglichkeit verwehrt, da sie sich dies aus finanziellen Gründen gar nicht leisten könnten. Im Gegenteil. Sie verdienen oft selbst mit einem Beschäftigungsgrad von 100 Prozent so wenig, dass sie gezwungen sind, nebst ihrer hauptberuflichen Tätigkeit einer zweiten oder gar dritten Beschäftigung nachzugehen, frühmorgens Zeitungen auszutragen, am Wochenende in einem Restaurant auszuhelfen oder spätabends Büroräumlichkeiten oder Fabrikhallen zu putzen.

Zwei Welten im gleichen Land. Die einen schwärmen von der Sinnhaftigkeit beruflicher Tätigkeit. Die anderen schuften sich zu Tode und können sich dennoch oft kaum das Nötigste für den täglichen Lebensunterhalt leisten. Oder, wie Bertolt Brecht so treffend sagte: „Die im Lichte sieht man, die im Dunklen sieht man nicht.“ 

Was jetzt folgt, ist eine Zukunftsvision in zwei Teilen. Der erste Teil besteht in der These, dass es nicht so etwas wie „wichtige“ und „unwichtige“ Berufe gibt, sondern jede berufliche Tätigkeit für das Funktionieren von Wirtschaft, Gesellschaft und allgemeinem Wohlergehen gleichermassen unentbehrlich ist. Wenn aber alle beruflichen Tätigkeiten den gleichen gesellschaftlichen Stellenwert haben, dann müssten sie logischerweise auch die gleiche Wertschätzung geniessen, die gleiche „Sinnhaftigkeit“ haben und mit dem gleichen Lohn entschädigt werden.

Der zweite Teil meiner Zukunftsvision besteht in der These, dass es nun einmal naturgemäss berufliche Tätigkeiten gibt, in denen sich Menschen voll und ganz verwirklichen und in denen sie einen lebenserfüllenden Sinn finden können, während es auf der anderen Seite ebenso naturgemäss zahlreiche berufliche Tätigkeiten gibt, denen eine solche Sinnhaftigkeit mit bestem Willen nicht abzugewinnen ist, die aber trotzdem von irgendwem verrichtet werden müssen, damit Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes funktionieren können. Ist es nun gerecht, einen Teil der Bevölkerung mit „sinnhaften“ beruflichen Tätigkeiten zu privilegieren und den übrig bleibenden Rest „unliebsamer“, mühsamer und routinehafter Tätigkeit dem anderen Teil der Bevölkerung aufzubürden? Wäre es nicht viel gerechter, beides unter alle fair zu verteilen? Das könnte dann zum Beispiel so aussehen, dass sämtliche Berufstätige an drei Tagen pro Woche in ihrem „sinnerfüllten“ Traumberuf arbeiten könnten und  während der übrigen zwei Tage einen „Knochenjob“ in einem jener Bereiche übernehmen würden, welche für die Aufrechterhaltung von Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar sind. So wäre alles auf alle Schultern gerecht verteilt, niemand müsste sich ausgenützt oder benachteiligt fühlen, der soziale Zusammenhalt würde enorm gestärkt und die heute herrschende „Klassengesellschaft“, an deren oberem Ende ein paar hunderte Male höhere Löhne und ein Vielfaches mehr an Wertschätzung sprudeln als am unteren Ende, würde endgültig der Vergangenheit angehören.

Eine Zukunftsvision, die sich freilich nicht von heute auf morgen verwirklichen lässt, aber doch den Blick dafür öffnen könnte, wie die Arbeitswelt in Zukunft organisiert werden könnte, damit Arbeit, die mit Spass, Freude und Genugtuung verbunden ist, nicht mehr das Privileg Einzelner wäre, sondern für alle Berufstätigen zur Selbstverständlichkeit würde. Damit sich nicht nur eine junge Radiomoderatorin und ein 92jähriger Tabakunternehmer, sondern sämtliche Menschen vorstellen könnten, so lange zu arbeiten, bis sie „tot umfallen.“

Ohne Wut wird sich nichts ändern, aber handeln müssen wir aus Zärtlichkeit…

 

Geht es nur mir so oder empfinden das andere gleich? Allenthalben scheint in politischen Auseinandersetzungen ein immer rauerer Ton zu herrschen, immer härtere gegenseitige Beschuldigungen, immer weniger Bereitschaft sich gegenseitig zuzuhören, immer mehr Hass. Angefangen hatte es wohl schon lange vor dem Beginn der Coronapandemie, hatte aber wohl in dieser Zeit deutlich zugenommen, sich in Zeiten sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen und des drohenden Klimawandels weiter zugespitzt und mit dem Ukrainekonflikt eine weitere drastische Verschärfung angenommen. Dabei dringt buchstäblich die hässlichste Seite des Menschen immer stärker an die Oberfläche: der Hass. Längst scheint es in vielen Auseinandersetzungen nicht mehr um die Sache zu gehen und darum, gemeinsame Lösungen zu finden, sondern bloss noch darum, den „Gegner“ fertigzumachen, indem man ihm seine eigenen Worte im Munde umdreht, ihn einer zuvor bestimmten „Hasskategorie“ zuordnet und sich selber als das „Gute“ und den anderen als das „Böse“ darstellt.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich sage nicht, dass man nicht kritisch sein soll. Ich sage auch nicht, dass man nicht kämpfen soll. Ich sage nur, dass man nicht hassen sollte. Denn Hass löst nie ein Problem. Hass reisst nur Gräben auf, schafft Fronten, entzweit die Menschen voneinander, führt stets zu Verhärtungen und bringt nie echten Fortschritt. Hass ist die Fortsetzung des Kriegs mit weniger tödlichen, aber dennoch zerstörerischen Folgen, Krieg im Kleinen.

Wer sich für echte, radikale Veränderungen einsetzen will, muss nicht zum Instrument des Hasses greifen, sondern zum Instrument der Liebe. Die Liebe ist unendlich viel wirkungsvoller als der Hass. „Auf der Welt gibt es nichts, was weicher und dünner ist als das Wasser“, sagte der chinesische Philosoph Laotse vor über 2500 Jahren, „doch um Hartes und Starres zu bezwingen, kommt nichts diesem gleich. Das Weichste in dieser Welt überwindet das Härteste.“ Und der deutsche Liedermacher Konstantin Wecker sagte: „Ohne Wut wird sich nichts ändern. Aber handeln müssen wir aus Zärtlichkeit.“ Ja, die Wut und die Empörung über soziale Missstände, Ungerechtigkeit, Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt sind die unentbehrlichen Antriebskräfte zu dauerhaften Veränderungen. Aber der Weg zur Veränderung darf nicht ein Weg des Hasses sein, er muss ein Weg der Liebe sein. Selbst Nelson Mandela, der 30 Jahre lang im Gefängnis sass und allen Grund zu Hass gehabt hätte, sagte: „Niemand wird geboren, um andere Menschen zu hassen. Der Hass wird den Menschen beigebracht, aber ebenso kann ihnen auch die Liebe beigebracht werden.“ 

Die Liebe stellt die Dinge auf den Kopf. Sie ist das Geheimnis, das den „Feind“ zum Freund werden und uns erkennen lässt, dass wir alle auf der gleichen Erde leben und es, wie Martin Luther King sagte, nur ein gemeinsames Überleben oder einen gemeinsamen Untergang gibt, aber nichts dazwischen. Dieser Tage, und dies war wohl auch der Auslöser meines Artikels, schickte mir eine 14jährige Schülerin eine Kurzgeschichte, die sie für ein Schreibprojekt verfasst hatte. In ihrem Text befasst sie sich mit der Liebe. Ein Junge namens Leon hatte herausgefunden, dass Liebe im Alltag mehr zu bewirken vermochte als Hass: „Leon hatte begriffen, dass Liebe etwas vom Wichtigsten auf der Welt ist. Wenn alle Menschen Liebe in sich tragen würden, gäbe es all diesen Hass, diese Verbitterung und diese Kriege gar nicht mehr. Und zum ersten Mal hatte er verstanden, dass es wirklich Sinn macht, auch seine Feinde zu lieben.“ Was die heute 14Jährige in 30 oder 40 Jahren über die heutige Zeit und all die Wirrnisse, in die wir uns verstrickt haben, wohl denken wird?  

KI – der fatale Traum milliardenfach sich replizierender Algorithmen und dass die von Menschen dominierte Geschichte an ihr Ende käme…

 

„Lernfähigkeit“, so Jürgen Schmidhuber, wirtschaftlicher Direktor des schweizerischen Forschungsinstituts IDSIA in Lugano, in der „NZZ am Sonntag“ vom 30. April 2023, „ist in der Tat das zentrale Merkmal moderner künstlicher Intelligenz. Mit KI betriebene Netzwerke werden in absehbarer Zeit in der Tat bessere allgemeine Problemlöser sein als alle Menschen. Und eines Tages wird es viele Geräte geben, von denen jedes so viel rechnen kann wie alle zehn Milliarden Menschen zusammen. Sie werden sich nicht mit dem Leben auf der Erde zufrieden geben, sondern vielmehr an den unglaublichen Möglichkeiten im Weltraum interessiert sein. Sie werden auswandern wollen und mithilfe unzähliger sich selbst replizierender Roboterfabriken im All zuerst das Sonnensystem, dann die Milchstrasse und in zig Milliarden Jahren den Rest des erreichbaren Universums umgestalten wollen. Eine phantastische Entwicklung steht bevor. Die von Menschen dominierte Geschichte könnte sich dem Ende zuneigen.“

Die KI-Netzwerke sollen bessere Problemlöser werden als alle Menschen? Eine phantastische Entwicklung soll uns bevorstehen? Die von Menschen gemachte Geschichte soll sich dem Ende zuneigen? Was Schmidhuber hier beschreibt, ist nichts anderes als die perfekte Fortschreibung des Kapitalismus mit anderen Mitteln. Wurde bis anhin der Mensch durch vielfältigste Formen von Erziehung, Manipulation und Propaganda darauf getrimmt, im kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem möglichst reibungslos und gewinnbringend zu funktionieren, so wird dieser Prozess nun mithilfe der Künstlichen Intelligenz sozusagen objektiviert, verabsolutiert, materialisiert und perfektioniert bis in die fernste Zukunft hinein, so wie eine alleinseligmachende Religion, zu der es keine Alternative gibt: Was KI denkt und tut – und uns Menschen in letzter Konsequenz überflüssig macht – kann ja nicht falsch sein, nur Menschen können Fehler machen und sich irren, nicht aber Maschinen und künstliche Denksysteme. Es ist der letzte Schritt zur Verabsolutierung und Verewigung des kapitalistischen Machtsystems und treibt alles Bisherige auf die äusserste Spitze. Die kapitalistische Ideologie des immerwährenden Wachstums und der unbegrenzten Welteroberung dehnt sich ins Unendliche aus und erobert selbst nicht nur die Milchstrasse, sondern „in zig Milliarden Jahren auch noch den ganzen Rest des erreichbaren Universums“ in einer Welt, in der sich „die von Menschen dominierte Geschichte ihrem Ende zugeneigt haben wird.“

Doch wollen wir tatsächlich eine Welt, in der wir eines Tages überflüssig geworden sein werden? Kann und soll menschliche „Intelligenz“ allen Ernstes dazu dienen, den Menschen überflüssig zu machen? Hätten wir nicht genug Probleme in unserer Zeit, die wir auch ganz ohne künstliche Intelligenz, bloss mit ein bisschen gesundem Menschenverstand, lösen könnten: Armut, soziale Ungleichheit, Hunger, Kriege, Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen? Die Verabsolutierung der künstlichen Intelligenz macht uns blind dafür, dass die wertvollsten menschlichen Eigenschaften eben gerade nicht jene sind, welche sich in Zahlen und Algorithmen ausdrücken und umrechnen lassen. Die wertvollsten menschlichen Eigenschaften, all jene, die tatsächlich zu einer Lösung all unserer drängenden Gegenwarts- und Zukunftsprobleme beitragen können, sind die soziale Empathie, das Mitleid, die Liebe, die Fürsorglichkeit, die menschliche Anteilnahme, die Phantasie, der Sinn für soziale Gerechtigkeit und der Humor, kurz: genau all das, was der künstlichen Intelligenz fehlt und sie daher so „unmenschlich“ macht. Der Grundirrtum der künstlichen „Intelligenz“ liegt nur schon in ihrer eigenen Selbstdefinition, in der Reduktion von „Intelligenz“ auf den winzigsten – und zugleich unheilvollsten – Teil jener unfassbaren Vielfalt von Begabungen, zu denen Menschen fähig sind. Träumt Schmidhuber von einer Welt, in der „unzählige sich selber replizierende Roboterfabriken den Rest des erreichbaren Universums umgestalten werden“, so träume ich von einer Welt, in der das wertvollste Gut der Menschen, die Liebe, derart milliardenfach sich selbst replizieren wird, dass die Erde endlich jenes Paradies werden kann, das sich sie Menschen schon seit Urgedenken erträumt haben. 

Sozialpolitik und Umweltpolitik nicht gegeneinander ausspielen, sondern miteinander in Einklang bringen: Ohne soziale Gerechtigkeit ist alles nichts…

 

Politische Parteien wie die SVP in der Schweiz oder die AfD in Deutschland hetzen gegen klimapolitische Massnahmen wie Preiserhöhungen, Sparappelle oder Einschränkungen umweltschädlicher Lebensgewohnheiten mit dem Argument, all dies treffe vor allem die „unteren“, ärmeren, an sich schon benachteiligten Bevölkerungsschichten. Während diese ihren Gürtel immer enger schnallen müssten und die Kosten für Strom, Heizung oder Benzin einen immer grösseren Teil ihres sowieso schon knappen Haushaltsbudgets wegfressen würden, könnte sich der reichere Teil der Bevölkerung weiterhin teure Luxusautos, den Swimmingpool im eigenen Garten oder die Ferienreise auf einem Kreuzfahrtschiff leisten.

Diese Argumentation leuchtet auf den ersten Blick durchaus ein. Doch vermischt sie zwei Fragestellungen, die nur bedingt etwas miteinander zu tun haben. Die erste Fragestellung ist eine umweltpolitische. Hier geht es um möglichst wirkungsvolle Massnahmen gegen den Klimawandel – der Notwendigkeit solcher Massnahmen lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht wohl kaum widersprechen. Jeder noch so kleine Schritt, um den CO2-Ausstoss zu verringern, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die zweite Fragestellung ist eine sozialpolitische. Es ist in der Tat höchst stossend, dass von jeder noch so geringen Klimaschutzmassnahme stets die weniger Verdienenden ungleich viel härter betroffen sind als die besser Verdienenden. Der daraus entstehende Unmut der „Unteren“ gegen die „Oberen“ ist nur allzu verständlich und kann denn auch von den entsprechenden Parteien erfolgreich ausgeschlachtet werden – vor allem dann, wenn, wie das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist, Politikerinnen und Politiker bei jeder Gelegenheit für ihre Staatsbesuche ein Flugzeug oder eine teure Staatskarosse benützen oder wenn ein neues Bundeskanzleramt gebaut werden soll, achtmal so gross wie das Weisse Haus, auf einer Fläche von 50’000 Quadratmetern, für 770 Millionen Euro.

Dies alles macht deutlich, dass es, um wirksame Umweltpolitik, aber auch wirksame Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zu machen, einer unerlässlichen Grundvoraussetzung bedarf. Diese Grundvoraussetzung, das ist die soziale Gerechtigkeit. Nur wenn von Sparmassnahmen, höheren Kosten oder Einschränkungen von Lebensgewohnheiten alle Bevölkerungsgruppen in gleichem Masse betroffen sind, sind sie allgemein akzeptierbar und umsetzbar. Im Idealfall verfügten alle Menschen über das gleich hohe Einkommen – in Form eines Einheitslohns – und das gleich hohe Vermögen, genau im Gegensatz zur aktuellen Entwicklung, bei der die Schere zwischen ärmeren und reicheren Bevölkerungsgruppen immer weiter auseinandergeht. Soziale Gleichheit wäre nicht nur gut im Hinblick auf umweltpolitische Fragen, sondern würde fraglos auch den ganzen gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern wie auch gleiche Chancen für alle endlich nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Realität verwirklichen.

Zukunftsmusik, zweifellos. Doch die Utopien von heute können, wenn wir das wollen, die Realität von morgen werden. Umweltpolitik und Sozialpolitik lassen sich, auch wenn das die meisten „Realpolitiker“ nicht wahrhaben wollen, schlicht und einfach nicht voneinander trennen. Wir müssen nicht nur der Umwelt, der Natur und dem Klima Sorge tragen, sondern vor allem auch den Menschen, die hier und heute leben. Wenn, wie dies beispielsweise in der Schweiz der Fall ist, Hunderttausende von Menschen selbst bei voller Erwerbsarbeit so wenig verdienen, dass sie davon nicht einmal ausreichend leben können, dann ist das ein Skandal, den man eigentlich keinen einzigen weiteren Tag lang hinnehmen dürfte und mit den gleichen notrechtlichen Massnahmen, die man zur Sanierung maroder Banken ergreift, aus der Welt geschafft werden müsste. Umweltpolitik und Sozialpolitik dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, alles gehört mit allem zusammen. Genau so, wie es der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Oder, in Abwandlung jenes berühmten Zitats des früheren deutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, wonach Frieden zwar nicht alles sei, aber alles nichts sei ohne den Frieden: Auch die soziale Gerechtigkeit ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts.  

Zunehmender Fachkräftemangel: Die vom Arbeitgeberverband vorgeschlagenen Massnahmen wären reine Symptombekämpfung…

 

Wie das „Tagblatt“ am 25. April 2023 berichtet, zeichnet sich in der Schweiz ein zunehmender Fachkräftemangel ab. Bereits sind 120’000 Stellen unbesetzt und gemäss Schätzungen von Arbeitgeberseite werden bis 2030 eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen. Der Arbeitgeberverband schlägt daher verschiedene Massnahmen vor, um gegen diesen Missstand anzukämpfen. Zunächst müsse das Arbeitsvolumen erhöht werden, indem die Menschen „mehr und länger arbeiten“. Ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten „länger im Arbeitsmarkt gehalten“ werden, um „bis ins Alter von 70 Jahren oder noch länger“ berufstätig zu sein. Schliesslich fordert der Arbeitgeberverband einen „Ausbau von Drittbetreuungsplätzen“. Wobei jeder staatliche Franken, der die Kinderbetreuung subventioniere, in „zusätzliche Arbeit oder Aus- und Weiterbildung“ fliessen müsse und „nicht in Freizeit“.

Die Forderungen des Arbeitsgeberverbands suggerieren, dass die Menschen in der Schweiz generell zu wenig lange arbeiten. Immer wieder ist auch der Vorwurf zu hören, zu viele Menschen würden ihr Arbeitspensum reduzieren, um dadurch mehr Freizeit zu gewinnen. In der Tat ist der Anteil an Männern, die einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen, zwischen 2010 und 2019 von 13 auf 17 Prozent angestiegen. Doch ist es ganz und gar nicht so, dass die gewonnene Zeit vor allem dazu genutzt wird, irgendwelchen Hobbys nachzugehen. Vielmehr dient die gewonnene Zeit vor allem dazu, einen Teil der Hausarbeit und Kinderbetreuung zu übernehmen. Weil auch Frauen zunehmend einer ausserhäuslichen Erwerbsarbeit nachgehen, hat sich das Volumen der gesamten Erwerbsarbeit gegenüber früher nicht reduziert, sondern im Gegenteil erhöht, und zwar seit 2010 um ganze 3 Prozent!

Allerdings ist der Fachkräftemangel tatsächlich ein Problem. Aber die Massnahmen, die der Arbeitgeberverband vorschlägt, wäre reine Symptombekämpfung. Solange akademisch Ausgebildete doppelt oder drei Mal so viel verdienen wie Menschen in praktischen und handwerklichen Berufen, muss man sich nicht wundern, wenn immer mehr Jugendliche an die Gymnasien drängen und eine akademische Laufbahn anstreben. So sammeln sich „oben“, in der Welt der Akademikerinnen und Akademiker, eine immer grössere Anzahl von Menschen mit „hohen“ oder „höchsten“ Bildungsabschlüssen an, während es „unten“, an der Basis der Arbeitswelt, immer mehr am nötigen Nachwuchs fehlt. Eine verkehrte Welt. Denn während Akademikerinnen und Akademiker zu einem beträchtlichen Teil auf den höchsten Etagen der Arbeitswelt damit beschäftigt sind, wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben, immer kompliziertere und anspruchsvolle Konzepte auszuarbeiten und sich nicht selten sogar noch gegenseitig zu beschäftigen, ist es am unteren Ende der Arbeitswelt genau umgekehrt: Ob Sanitärinstallateure, Serviceangestellte, Krankenpflegerinnen, Bauarbeiter, Verkäuferinnen, Fahrradmechaniker oder Fabrikarbeiterinnen – sie alle erbringen absolut unverzichtbare Arbeitsleistungen, ohne welche die gesamte Wirtschaft und auch die Gesellschaft als Ganzes von einem Tag auf den andern in sich zusammenbrechen müssten.

Es geht darum, den Spiess umzudrehen. Nicht nur was die Arbeitsbedingungen, sondern auch was die Löhne und die gesellschaftliche Wertschätzung betrifft, sollten die handwerklichen und praktischen Berufe den genau gleichen Stellenwert geniessen wie die akademischen Berufe. Vor langer Zeit sprach man noch vom „goldenen Handwerk“. Diese Zeit ist leider längst vorbei. Nur wenn es gelingt, sie wieder Wirklichkeit werden zu lassen, kann der so sehr in Schieflage geratene Arbeitsmarkt wieder ins Gleichgewicht gelangen. Nicht, indem wir arbeiten, bis wir tot umfallen. Sondern indem wir jedem Beruf jenen Respekt und jene Achtung entgegenbringen, die er in Bezug auf seine gesellschaftliche Bedeutung auch tatsächlich verdient hat. Eine Aufgabe, die freilich weder alleine vom Arbeitgeberverband noch alleine vom Gewerkschaftsbund, sondern nur von der Gesellschaft als Ganzer bewältigt werden kann. Denn, wie schon Friedrich Dürrenmatt so weise sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ 

Ukrainekonflikt: Stimmen der Vernunft gibt es überall, man müsste nur auf sie hören…

 

Die „Budapester Zeitung“ schreibt am 7. April 2023: „Aus der moralischen und völkerrechtlichen Perspektive liegt die Schuld und Täterschaft des Ukrainekriegs allein bei Russland. Aus Sicht des geopolitischen Realismus hat jedoch der Westen durch die Infragestellung der russischen Selbstbehauptungsfähigkeit den Angriffskrieg von Russland provoziert und schwere Mitschuld in der Vorgeschichte des Kriegs aufs sich geladen.“ Dem Krieg sei ein fast zwanzigjähriger Konflikt vorausgegangen, in dem es dem Westen unter Führung der USA darum gegangen sei, die Ukraine in die westliche Einflusssphäre zu integrieren. Damit sei jene „rote Linie“ überschritten worden, die zum russischen Angriffskrieg geführt hätte. Die Hauptmotive für den russischen Angriffskrieg hätten in der Angst Russlands vor einer zunehmenden Einkreisung durch die Nato mit verkürzten Vorwarnzeiten aus der Ostukraine auf Moskau bestanden. Es sei auch kein Geheimnis, dass die Maidan-Revolution anfangs 2014 dem Sturz der demokratisch gewählten, dem Westen gegenüber aber zu wenig freundlichen ukrainischen Regierung geführt hätte. Schliesslich weist die „Budapester Zeitung“ darauf hin, dass die Ukraine, obwohl sie dem Westen als Teil der „freien Welt“ gelte, im Grunde eine Oligarchie sei, in Sachen Korruption im Bereich der meisten afrikanischen Länder. Auch entspreche die Behandlung der russischen und ungarischen Bevölkerungsminderheit und das Verbot sämtlicher Oppositionsparteien bei Kriegsausbruch nicht dem Minderheitenschutz einer rechtsstaatlichen Demokratie. Nur durch einen neutralen Status der Ukraine könne der Konflikt gelöst werden, denn „in diesem Land treffen westeuropäisch und osteuropäisch geprägte Kulturen unmittelbar aufeinander.“

Es muss schon nachdenklich stimmen, wenn eine westliche Zeitung und nicht irgendein russisches Propagandaorgan eine Meinung vertritt, die so sehr von der offiziellen Sichtweise des Westens abweicht. Nehmen das all jene westlichen Befürworter eines harten, unnachgiebigen Kurses gegen Russland nicht zur Kenntnis? Dass sie es nicht wissen, kann nicht sein, man findet, wenn man nur ein klein wenig sucht und nur ein klein wenig unvoreingenommen an die Sache herangeht, an allen Ecken und Enden Hinweise und Belege dafür, dass die „Schuld“ an diesem Krieg nicht zur Gänze einzig und allein Russland in die Schuhe geschoben werden kann. Wer dennoch nichts davon wissen will und die Augen vor all dem verschliesst, was die eigene Sicht der Dinge ins Wanken bringen könnte, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er nicht schlicht und einfach Angst haben könnte vor der Wahrheit.

Wenn Russland der Bär ist, dann haben ihn seine westlichen Widersacher so lange gereizt, bis er sich eines Tages aufgebäumt und losgeschlagen hat. Wer ist nun der „Böse“? Der Bär oder derjenige, der ihn provoziert hat? Die Antwort liegt wohl auf der Hand: Es sind beide. Und jede einseitige Schuldzuweisung, egal von welcher Seite, führt nur dazu, dass ein Frieden in immer weitere Ferne rückt. „Russland ist der Täter, der Westen der Verursacher“ – so lautet die Überschrift über dem zitierten Artikel in der „Budapester Zeitung“. Was für eine weise Einsicht! Nichts ist in der heute so aufgeladenen, kriegerischen Stimmung so wichtig wie Stimmen, die sich entschieden zwischen die Fronten stellen. Erst die Bereitschaft, die eigene Mitschuld einzugestehen, kann der Schlüssel sein, um aus diesem gegenseitigen Zerstörungskampf, in dem jede Seite unbeirrt auf ihrem Recht beharrt, auszubrechen. Zumindest Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der heute die Ukraine besucht und bei dieser Gelegenheit einen zukünftigen Beitritt der Ukraine zur Nato in Aussicht gestellt hat, scheint die „Budapester Zeitung“ vom 7. April 2023 nicht gelesen zu haben…