Archiv des Autors: Peter Sutter

Radio- und Fernsehgebühren halbieren?

Am 9. Oktober 2023 wird über die sozialen Medien ein Video verbreitet, in dem eine Kundgebung der Hamas in Zürich zu sehen ist. Die Empörung im Netz ist gross, auf den sozialen Medien wird das Video über eine Million Mal aufgerufen. Bis eine Recherche von SRF Investigativ ergibt, dass das Video gefälscht ist. Im Video ist eine Kundgebung zu sehen, die vor zwei Jahren in Zürich stattfand und nichts mit dem aktuellen Überfall der Hamas auf Israel zu tun hat. Entlarvt wurde das Video, weil die Uhrzeit auf dem Kirchturm nicht stimmt und die Länge des Schattenwurfs von Personen nicht der Jahreszeit entspricht. Ob wohl die Million Menschen, die das Video aufgerufen haben und ihrem Ärger über die Hamas freien Lauf liessen, in der Zwischenzeit erfahren haben, dass sie einer Falschinformation auf den Leim gegangen sind?

Am 10. Oktober berichtet der „Kassensturz“ über eine Firma, die auf ihrer Webseite mit Fake-Bildern für ihre Angebote Werbung macht. Wer sich von der Firma eine Offerte machen lässt, bekommt kurz darauf, auch wenn er das Angebot nicht in Anspruch nimmt, eine Rechnung von 120 Franken für Bearbeitungsgebühren. Der „Kassensturz“ interveniert: Eine Verrechnung von Bearbeitungsgebühren in dieser Höhe darf nicht bloss in den AGB erwähnt werden, sondern muss deutlich sichtbar auf der Webseite vermerkt sein. Die Intervention des „Kassensturz“ hat sich gelohnt: Die Firma verzichtet zukünftig auf die Verrechnung von Bearbeitungsgebühren und hat die Fake-Bilder vom Netz genommen.

Ebenfalls am 10. Oktober berichtet der „Kassensturz“ über die Firma PMEDA. Diese hat über Jahre schludrige und fehlerhafte IV-Gutachten erstellt. So erklärte die Firma Personen, welche von ihrem Hausarzt als zu 100 Prozent arbeitsunfähig beurteilt wurden, als zu 80 bis 100 Prozent erwerbstauglich. Viele Klagen gegen PMEDA sind inzwischen verjährt. Dank hartnäckigen Recherchen des „Kassensturz“ hat das Bundesamt für Sozialversicherungen nun zukünftige Aufträge an die PMEDA gestoppt.

Ebenfalls am 10. Oktober, aber auch an zahlreichen anderen Abenden informiere ich mich mit der Sendung „Echo der Zeit“ über das aktuelle Zeitgeschehen. Immer wieder bin ich erstaunt über die hohe Qualität der Information, insbesondere auch über die wertvollen Beiträge von Auslandskorrespondentinnen und Auslandskorrespondenten.

Vier Beispiele für das, was Radio und Fernsehen SRF Tag für Tag leistet. Viele, die mit der sogenannten „Halbierungsinitiative“, welche die SRG-Jahresgebühr von 335 auf 200 Franken senken will, liebäugeln, scheinen sich dessen nicht bewusst zu sein. Ein starkes, mit genügend finanziellen Mitteln ausgestattetes öffentlich-rechtliches Radio und Fernsehen ist weitaus mehr als eine von zahlreichen Informationsquellen. Es ist ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Demokratie, dies umso mehr, als seriöse und umfassende Berichterstattung, die auch grössere Zusammenhänge und Hintergründe mit einbezieht, in Zukunft eher noch einen höheren Stellenwert erhalten wird – in einer Zeit voller kurzlebiger, oberflächlicher – und eben nicht selten auch gefälschter, aus dem Zusammenhang gerissener und aus fragwürdigen Quellen stammender – „Kurzfutterinfos“, die einen immer grösseren Teil unserer Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen versuchen. Wenn ich daran denke, dass ich für das Jahresabo meiner Tageszeitung über 500 Franken bezahle, und das mit dem vergleiche, was mir von Radio und Fernsehen rund um die Uhr angeboten wird, dann erscheint mir die aktuelle Jahresgebühr von 335 Franken geradezu spottbillig zu sein. Ich wäre sogar bereit, dafür noch ein bisschen mehr zu bezahlen. Aber sicher nicht weniger.

Wohlstand bewahren

Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten wollen nicht, wie immer wieder behauptet wird, unseren Wohlstand an die Wand fahren, sondern, ganz im Gegenteil, ihn auch noch für zukünftige Generationen bewahren.

So viel CO2 wie 126 Haushalte im Jahr

Nur schon das Training eines einfachen Sprachmodells verbraucht so viel Energie wie ein Flug von New York nach San Francisco. Das Training des grossen Sprach­modells GPT-3 (175 Milliarden Parameter), auf dem auch Chat GPT basiert, emittiert dann schon so viel CO2 wie 126 Haushalte im Jahr – dies alles abgesehen von den alltäglichen, energetischen Betriebskosten. (Republik, 11. Oktober 2023)

Kenianische Klickarbeiterinnen

Um Chat GPT weniger falsche, rassistische oder sexistische Aussagen treffen zu lassen, hat Open AI kenianische Klickarbeiterinnen angestellt, die Inhalte «moderieren» und herausfiltern sollen – für weniger als zwei Dollar pro Stunde. (Republik, 11. Oktober 2023)

Israel und die Hamas: Eine Gewaltspirale ohne Ende

„Mit dem barbarischen Terrorangriff auf Israel am Samstag“, so schreibt das „Tagblatt“ vom 9. Oktober 2023, „hat die palästinensische Hamas deutlich ihr Gesicht gezeigt. Ihr Ziel: So viel Leid unter Israelis verursachen wie nur möglich. Die Terroristen massakrierten Zivilisten, nahmen Familien mit kleinen Kindern als Geiseln und schleppten tote Frauen wie Trophäen zurück nach Gaza.“ So und ähnlich berichten die westlichen Medien seit drei Tagen über den Angriff der Hamas auf Israel, dem inzwischen bereits Hunderte von Menschen zum Opfer gefallen sind. Dementsprechend klar, eindeutig und unmissverständlich auch die öffentliche Meinung in der westlichen Welt: Mit dem Überfall auf Israel hat die Hamas einen beispiellosen kriegerischen Akt begangen, der durch nichts zu erklären und schon durch gar nichts auch nur im Entferntesten zu rechtfertigen ist.

Gewiss, Krieg ist nie zu rechtfertigen, ist immer und ohne Ausnahme ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und doch müsste man eigentlich schon längst wissen, dass noch nie ein Krieg einfach so über Nacht vom Himmel gefallen ist. Jeder Krieg hat eine Vorgeschichte. Und kein Krieg lässt sich verstehen, wenn man nicht auch diese Vorgeschichte zu verstehen versucht.

Diese Vorgeschichte, das ist der seit 75 Jahren ungelöste Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, diese historische Tragödie, dass sich die jüdische und die arabische Bevölkerung gegenseitig um den gleichen Flecken Erde streiten und es während einer so langen Zeit, trotz wiederholter Friedensbemühungen, nicht gelungen ist, entweder in Form eines gemeinsamen Staats oder in Form zweier eigenständiger Staaten eine Lösung zu finden, mit der beide Seiten leben und sich friedlich vertragen könnten.

Als „Gefängnis unter freiem Himmel“ – so die „Ärzte der Welt“ auf ihrer Internetseite – bezeichnen viele Bewohnerinnen und Bewohner des Gazastreifens ihre Heimat, denn es ist einzig und allein die israelische Regierung, die entscheidet, wer ein- und ausreisen darf. Auf nur 365 Quadratkilometern, weniger als die Hälfte Hamburgs, leben rund zwei Millionen Menschen, über die Hälfte von ihnen Kinder. In den nun mehr als 16 Jahren, seit Israel seine Blockade zu Land, See und Luft begann, hat sich die Situation kontinuierlich verschärft. Es mangelt an allem: Nahrungsmitteln, Medikamenten und Dingen des täglichen Bedarfs. Viele Menschen haben keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Trinkwasser. Strom gibt es nur an wenigen Stunden pro Tag. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist arbeitslos, mehr als 60 Prozent sind auf Hilfsgüter angewiesen. Auch medizinisches Fachpersonal ist rar und Möglichkeiten zur Weiterbildung sind kaum vorhanden. Viele Krankheiten, zum Beispiel Brustkrebs, können im Gazastreifen nicht mehr behandelt werden. Überweisungen nach Jerusalem oder Ägypten werden von den israelischen Behörden oft zu spät oder überhaupt nicht bewilligt, dies kann für die Betroffenen tödlich enden.

Der bekannte schweizerische Nahostexperte Erich Gysling sprach in einem Interview mit dem „Tagblatt“ vom 22. Mai 2021 im Zusammenhang mit dem Gazastreifen von einer „katastrophalen Situation“ und fügte hinzu: „Ohne Lösung dieses Grundproblems ist ein Frieden im Nahen Osten nicht möglich.“ Wenn das Problem nicht von Grund auf gelöst werde, würden sich die Spannungen immer wieder neu aufbauen und: „Irgendwann kommt die nächste Explosion.“ Wie Recht er hatte!

Zu Recht empört sich die Weltöffentlichkeit in diesen Tagen über die von der Hamas verübte Gewalt. Aber weshalb hat sie sich nicht ebenso vehement über die Gewalt empört, welche der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Besatzungsmacht seit 75 Jahren angetan wird, über die Enteignungen von palästinensischen Hausbesitzern in Ostjerusalem, über den völkerrechtswidrigen Ausbau jüdischer Siedlungen im palästinensischen Westjordanland und über die dem Gazastreifen aufgezwungene Blockade, unter der vor allem die Ärmsten der Armen und insbesondere die Kinder am allermeisten zu leiden haben? Dass eine Organisation wie die Hamas, die gewiss nicht über alle Zweifel erhaben ist und mit ihren politischen Gegnern alles andere als zimperlich umgeht, zu solchem Einfluss und zu solcher Macht gelangen konnte, ist ja vor allem eine Folge davon, dass sich in einer so zutiefst gedemütigten und verzweifelten Bevölkerung kaum funktionierende demokratische Strukturen aufbauen lassen.

Schon jetzt herrscht auch von Seiten der israelischen Regierung nichts anderes als die Sprache der nackten Gewalt: Dass man die Blockaden weiter verschärfen, die Nahrungsmittelzufuhr in den Gazastreifen abschneiden und den Strom abstellen werde, um den Aufstand in die Knie zu zwingen. Und die EU hat soeben beschlossen, sämtliche Zahlungen an die Palästinenser – 700 Millionen Dollar pro Jahr – auszusetzen. Einmal mehr trifft es die, denen es jetzt schon am schlechtesten geht. „Zweifellos“, so Erich Gysling am 8. Oktober 2023, „wird Israel auch diese Auseinandersetzung mit massivem Einsatz von Gewalt gewinnen. Am Ende wird man wieder dort sein, wo man bereits vor Jahrzehnten war. Eine Lösung kann es nur geben, wenn beide Seiten Zugeständnisse machen. Sonst wird sich die Gewaltspirale immer weiterdrehen.“

Wirtschaftswachstum als Religion?

Heute wird in der politischen Debatte nur diskutiert, wie man noch mehr Strom produzieren kann. Bereits verbraucht die Schweiz jährlich 60 Terrawattstunden, 2050 sollen es laut Prognosen der ETH schon 90 sein. Und noch einmal 30 oder 6o Jahre später? Weshalb stellt niemand das Wirtschaftswachstum ganz grundsätzlich in Frage? Sind wir schon so autoritätsgläubig, dass wir uns selbstständiges Denken gänzlich abgewöhnt haben?

In Hallen längst vergangener Zeiten

Still, wie Schlafwandlerinnen und Schlafwandler, nahezu andächtig, bewegen sich die Menschen durch die weiten Hallen der Bilder aus längst vergangenen Zeiten. Ihren Gesichtern ist weder Begeisterung noch Abscheu noch irgendein anderes spürbares Gefühl abzulesen. Ob Picasso, Monet oder Franz Marc: Ihre Bewunderung, ihr Staunen, ihre Ehrfurcht, alles ist, wenn überhaupt vorhanden, auf seltsame Weise unsichtbar. Nicht einmal Bilder, auf denen Menschen zu sehen sind, welche unsäglichen Schmerzen und Qualen ausgeliefert sind, scheinen so etwas wie Betroffenheit oder Mitleid in ihnen aufzuwecken. Mit der gleichen unbegreiflichen Unberührtheit sind sie schon unten, beim Eingang ins Museum, an jenem riesigen Bildschirm vorbeigewandelt, auf dem zu lesen war, welche Bilder zu welchen astronomischen Summen im Verlaufe der vergangenen Jahre ihre Besitzer wechselten. Aber nicht einmal diese unfassbare Tatsache, dass es Menschen gibt, welche so viel Geld besitzen, bloss um sich Bilder zu kaufen, die sie vielleicht nicht einmal in ihren Wohnungen aufhängen, mit so viel Geld, das andere nicht einmal während eines ganzen Lebens verdienen, nicht einmal diese Tatsache scheint sie in besonderem Masse betroffen oder gar aufgerüttelt zu haben. Dabei haben schon unzählige Experimente gezeigt: Man könnte anstelle all der berühmten Bilder auch Kinderzeichnungen aufhängen oder Bilder, die von in Farbtöpfe getauchten Kuhschwänzen gemalt wurden oder sogar Bilder, die aus einer einzigen gleichförmigen Farbfläche ohne jegliches Sujet oder erkennbares Motiv bestehen würden – die Menschen würden an ihnen ebenso still, wie Schlafwandlerinnen und Schlafwandler, nahezu andächtig, vorüberziehen.

Und mit der gleichen Andacht und Unbetroffenheit werden sie später auch durch die Stadt gehen und zahllose Sehenswürdigkeiten, Kirchen, Schlösser, Paläste, prunkvolle Parkanlagen an ihren Augen vorüberziehen lassen. Sie werden all dies hundertfach fotografieren und all die Bilder, welche sich gleichen wie ein Ei dem andern, in alle Welt versenden. Aber sie werden sich auf unerklärliche Weise nicht damit beschäftigen und sich schon gar nicht darüber ereifern, mit welchen Opfern, Schmerzen und Leiden all diese zur Schau gestellte Pracht verbunden war und dass all dieser Reichtum nur deshalb so unsäglich gross gewesen war, weil die Armut auf der anderen Seite, die keinerlei Spuren hinterlassen hat, nirgendwo mehr zu sehen ist und von niemandem mehr fotografiert und in alle Welt versendet werden kann, noch unsäglich viel grösser gewesen war.

Ich wünschte mir, dass es, nebst all diesen Orten, wo die Menschen sich stundenlang und tagelang an den Wundern längst vergangener Zeiten ergötzen, doch endlich auch möglichst viele Orte gäbe, wo sie sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern mit der Zukunft. Orte, wo eifrigst darüber diskutiert und gerungen würde, wie diese Welt, um allen ihren Bewohnerinnen und Bewohnern ein gutes und sicheres Leben bieten zu können, in zehn, zwanzig oder fünfzig Jahren aussehen könnte, wenn die Bilder von Picasso, Monet und Franz Marc schon längst verblasst sind. An diesen neuen Orten würde es freilich nicht so still und andächtig zu und her gehen wie in den Museen und den Kirchen vergangener Zeiten. An diesen Orten wäre es laut und heftig, kein Gesicht bliebe unbeweglich, an niemandem würden himmelschreiende Ungerechtigkeiten, Leiden und Schmerzen einfach so abprallen. Vielleicht gäbe es ja auch dann noch so etwas wie Museen. Aber in diesen Museen wären dann nicht mehr Bilder idyllischer Landschaften, vielfarbiger Blumensträusse in kunstvollen Vasen und abstrakter Symbole und Muster zu bewundern, denen niemand einen Sinn abzuringen vermag. In diesen Museen wären die Zeugnisse einer Zeit unbeschreiblicher sozialer Ungerechtigkeit zu sehen, einer Zeit unbegreiflicher Zerstörungswut gegenüber der Erde, den Tieren und den Pflanzen und einer Zeit, da einzelne Menschen andere in den Krieg schickten, bloss um sich dadurch masslos zu bereichern. Einer Zeit, von der die Menschen eines Tages wohl nicht mehr begreifen werden können, dass dies alles auf dieser Erde einmal Wirklichkeit gewesen war und sich so viele Menschen, still, schlafwandelnd und andächtig durch die Hallen vergangener Zeiten wandelnd, offensichtlich so sehr an dies alles gewöhnt hatten, dass schon fast niemand mehr auf den Gedanken kam, sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft dagegen aufzulehnen.

Das Christentum – eine Irrlehre?

Erstmals haben sich ehemalige Schülerinnen und Schüler der evangelikalen Privatschule Domino Servite über die Misshandlungen, die sie während ihrer Zeit bei der evangelischen Gemeinde Hof Oberkirch im sanktgallischen Kaltbrunn über sich ergehen lassen mussten, öffentlich geäussert. Dies hat eine heftige Debatte in den Medien ausgelöst. Zeitgleich ist die öffentliche Auseinandersetzung mit sexuellen Übergriffen durch katholische Priester in vollem Gange, Kirchenaustritte häufen sich. Doch eigentlich müsste man nicht nur über Missstände in der katholischen Kirche, über evangelische Freikirchen, freikirchlich ausgerichtete Schulen und deren Erziehungspraktiken diskutieren. Eigentlich müsste über christliche Erziehungsmethoden, über Religionsunterricht und letztlich über die zentralen Botschaften christlicher Lehre ganz allgemein eine breite und selbstkritische öffentliche Debatte stattfinden.

Aufgewühlt erzählte mir eines Tages die Mutter eines siebenjährigen Mädchens, ihr Kind könne am Abend nicht mehr einschlafen. Der Grund war, dass die Lehrerin im Religionsunterricht den Kindern erzählt hatte, mit jedem bösen Wort und bei jedem bösen Gedanken, den ein Kind habe, würde sich in seinem Herzen ein kleiner schwarzer Fleck bilden. Und darüber sei der liebe Gott traurig, weil so viele Menschen schon ganz schwarze Herzen hätten. Das war nicht in einer Freikirche, sondern im ganz „normalen“ Religionsunterricht an einer öffentlichen Schule. Fortan also würde das Mädchen in beständiger Angst leben vor seinen eigenen Gedanken und seinen eigenen Gefühlen und damit letztlich vor sich selber. Das ist so ziemlich das Schlimmste, was man einem Kind antun kann.

Diese verhängnisvolle, lebensfeindliche Kernbotschaft der christlichen Lehre von der „Erbsünde“: Dass der Mensch sündig geboren werde und nur dadurch erlöst werden könne, dass er sich zur christlichen Religion bekenne und sich Gott, dem „Allmächtigen“, anvertraue. Dabei ist doch gerade das Gegenteil der Fall: Wenn etwas nicht sündig ist, dann ist es das zur Welt gekommene Kind in seiner ganzen Vollkommenheit und Unverdorbenheit. Wenn man etwas als sündig bezeichnen müsste, dann wären es gewiss nicht die Kinder, sondern all jene Erwachsenen, welche anderen Menschen Schaden zufügen, sich auf Kosten anderer bereichern, gegeneinander Kriege führen oder aus reiner Profitgier die natürlichen Lebensgrundlagen und damit die Zukunft ihrer eigenen Kinder und Kindeskinder zerstören. Genau deshalb sagte ja auch Jesus zu den Erwachsenen: „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“ Nur hat die spätere christliche Kirche als Machtinstrument im Bunde mit den Reichen und Mächtigen ihrer Zeit diese Botschaft genau ins Gegenteil verkehrt und die christliche Lehre dafür missbraucht, den Menschen Angst einzuflössen, sie zu unterjochen und ihnen vorzugaukeln, sie müssten nur möglichst hart arbeiten, nur möglichst gehorsam sein, nur sämtliche Ungerechtigkeiten stillschweigend erdulden, nur möglichst keine dummen Fragen stellen und nur alle Unterschiede zwischen Arm und Reich, zwischen oben und unten, zwischen Mann und Frau, zwischen Erwachsenen und Kindern als unveränderbaren Ausdruck einer göttlichen Ordnung akzeptieren – um dann, hätten sie alle diese Leiden auf sich genommen, wenigstens nach ihrem Tode mit dem Zutritt zum Paradies belohnt zu werden.

Wenn die christliche Lehre eine Zukunft haben soll, dann nur, wenn sie zu ihren Ursprüngen zurückkehrt und das oberste, über allen anderen stehende Gebot der Nächstenliebe und der gegenseitigen Verantwortlichkeit und Solidarität praktisch handelnd in die Tat umsetzt, die Menschen befreiend und ihnen Mut machend, mit ihren eigenen besten Kräften die Welt jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Alles, was Angst macht, alles, was den Menschen einzureden versucht, sie seien von Natur aus sündige Wesen, alles, was kritisches Denken zu verhindern versucht, alles, was Menschen voneinander abhängig macht, alles, was ihre individuelle Lebensentfaltung und das Grundvertrauen in ihre eigenen Kräfte und Begabungen zu verhindern versucht, muss der Vergangenheit angehören. Das Paradies darf nicht länger als jenseitiges Trostpflaster dienen für auf dieser Erde erlittenes Unrecht. Das Paradies muss hier und heute auf dieser Erde Wirklichkeit werden. Denn wir haben keine andere Erde, alles Übrige ist reine Spekulation.

Nackt vorsprechen

Unhaltbare Zustände im amerikanischen Showbusiness: Immer noch kommt es vor, dass Darstellerinnen und Darsteller nackt vorsprechen müssen oder gezwungen werden, gefährliche Stunts zu machen. (Tagblatt, 26.9.23)

Regenwürmer stellen 140 Millionen Tonnen Nahrung her

Nach einer in „Nature Communications“ veröffentlichten Studie ermöglichen Gliederwürmer 140 Millionen Tonnen Nahrung, darunter 6,5 Prozent der globalen Getreide- und 2,3 Prozent der Gemüseproduktion. Das entspricht etwa dem Anteil ganz Russlands an dieser Produktion. Besonders wichtig ist das Wirken der Würmer im Untergrund der südlichen Länder, vermutlich weil Bauern dort weniger Zugang zu Düngern und Pestiziden haben. Sie lockern den Boden, fördern den Wasserrückhalt und helfen bei der Verarbeitung von organischem Material, sodass Nährstoffe besser zu den Pflanzen gelangen. Manche Forschende schätzen, dass Regenwürmer die Produktivität von Pflanzen um bis zu 25 Prozent steigern. (Sonntagszeitung, 1.10.23)