Archiv des Autors: Peter Sutter

300 Reichste um 38,5 Milliarden Franken reicher geworden und immer mehr Obdachlose im gleichen Land: Kein Zufall…

Immer mehr Menschen in der Schweiz sind von Obdachlosigkeit betroffen. Gleichzeitig sind die 300 Reichsten innerhalb eines Jahrs um 38,5 Milliarden Franken reicher geworden. Auf den ersten Blick hat das nichts miteinander zu tun. Tatsächlich aber findet unsichtbar eine permanente Umverteilung statt, von denen, die viel zu viel haben, zu denen, für die immer weniger übrig bleibt. So sind Tiefstlöhne und sich überpurzelnde Konzerngewinne die beiden unauflöslich miteinander verbundenen Kehrseiten der gleichen kapitalistischen Münze. Das Gleiche gilt auch bei der „Gesundschrumpfung“ von Betrieben: Bedeutet das für die einen Erwerbslosigkeit und Armut, so bedeutet es für die anderen höhere Profite, da sie nun mit geringeren Lohnkosten eine höhere Rendite erreichen. Solche Zusammenhänge werden kaum je diskutiert. Obwohl es evident ist: Geld fällt nicht vom Himmel, es wächst auch nicht auf Bäumen. Wenn es sich am einen Ort so gewaltig auftürmt, fehlt es an anderen Orten umso schmerzlicher. „Wärst du nicht reich“, sagt der arme zum reichen Mann in einer bekannten Parabel von Bertolt Brecht, „dann wäre ich nicht arm.“ Deshalb lässt sich dieses Problem nicht durch mehr Sozialprogramme oder Notschlafstellen lösen, sondern nur durch eine radikale Umgestaltung des Wirtschaftssystems. Es braucht nicht Almosen, sondern Gerechtigkeit. Man muss nicht die Armut bekämpfen, sondern den Reichtum. Wenn der übermässige Reichtum verschwindet, dann verschwindet die Armut ganz von selber.

Mehr Geld für den Krieg auf Kosten der ärmsten Länder der Welt: In was für einer verrückten Zeit leben wir eigentlich?

Weltweit eskalierende Rüstungsausgaben werden von jedem einzelnen Land stets damit begründet, dass es alle anderen Länder auch machen – eine jeglichem gesundem Menschenverstand zutiefst widersprechende Logik, die im schlimmsten Fall zu nichts anderem führen könnte als zu einer Selbstvernichtung der gesamten Menschheit. Viel logischer wäre das Gegenteil: Dass ein Land damit beginnt, seine Rüstungsausgaben zu reduzieren, um auf diese Weise die anderen Länder zu ermutigen, es ihm gleichzutun, bis es am Ende keine Waffen, keine Armeen und keine Kriege mehr gäbe. Wenn es ein Land gibt, das, aufgrund seiner jahrhundertelangen humanitären Tradition, diesen ersten Schritt wagen könnte, dann wäre es wohl zweifellos die Schweiz.

Stattdessen beteiligen wir uns, wie alle anderen, blindlings am Wahnsinn der globalen uferlosen Rüstungsspirale: Die Ausgaben für die Schweizer Armee sollen 2025 und 2026 um je 3 Prozent und 2027 sogar um 5,1 Prozent gesteigert werden. Und wo wird das benötigte Geld eingespart? Ausgerechnet bei der Entwicklungshilfe! Konkret soll zum Beispiel die finanzielle Unterstützung für zwei der ärmsten Länder, Sambia und Bangladesch, zur Gänze gestrichen und für eine Reihe weiterer Länder teilweise massiv gekürzt werden, ebenso die Beiträge für die internationale Aids-Hilfe, weitere UNO-Entwicklungsprogramme und die Unicef, wovon beinahe ausschliesslich notleidende Kinder betroffen sein werden. Dabei war bereits die bis anhin von der Schweiz geleistete Entwicklungshilfe alles andere als grosszügig und betrug laut der Entwicklungsorganisation Oxfam bloss einen Fünfzigstel dessen, was unser Land gleichzeitig im Handel mit Entwicklungsländern an Profiten erwirtschaftet.

Aber es kommt noch besser: Die Reduktion der Entwicklungshilfe wird sogar noch mit den Aufwendungen von rund 4 Milliarden Franken für die 13. AHV-Rente begründet. Am Ende sollen also noch die Rentnerinnen und Rentner, die sich endlich einen einigermassen finanziell gesicherten Lebensabend erkämpft haben, daran Schuld sein, wenn zukünftig Aids-Kranke in aller Welt, notleidende Menschen in von Kriegen zerstörten Ländern und Zehntausende von Kindern, die nicht genug zu essen haben, von der Schweiz keine Unterstützung mehr bekommen. Gleichzeitig werden in der Schweiz jedes Jahr Erbschaften in der Höhe von fast 90 Milliarden an „überschüssigem“ Geld von einer Generation zur nächsten weitergeschoben und die 300 Reichsten des Landes sind im letzten Jahr wiederum, ohne dafür einen Finger krümmen zu müssen, um insgesamt 38,5 Milliarden Franken, mehr denn je zuvor, reicher geworden. In was für einer verrückten Zeit leben wir eigentlich?

Von der Psychotherapie über die Schule bis zur Familie: Wenn die Liebe fehlt, dann fehlt alles…

Die Psychologin hat mehrere Blätter vollgekritzelt. Kreise, die sich überschneiden, andere Kreise, die sich bloss berühren, wieder andere, die weit voneinander entfernt sind. Kleinere und grössere Figürchen, die sich berühren oder einander mit grimmigem Gesicht anschauen. Dazwischen kleinere und grössere Pfeile, von links nach rechts, von oben nach unten, andere wiederum, die ihre Richtung wechseln und am Schluss wieder dort landen, wo sie angefangen haben. Dort musst du noch einmal anfangen, sagt die Psychologin zur fünfzehnjährigen Charlotte, die infolge einer schon länger anhaltenden Depression heute zur Therapiestunde gekommen ist, dort – und sie zeigt auf einen winzigen Punkt neben einem der weiblich dargestellten Figürchen – musst du noch einmal anfangen. Überlege dir bis zum nächsten Mal, was dir damals durch den Kopf ging. Überprüfe, ob du das, was du dachtest, auch noch deiner heutigen Sicht entspricht. Führe das Tagesprotokoll weiter, schreibe jeden Abend etwas auf, was dich besonders gefreut hat, und etwas, worüber du dich besonders genervt hast. Ergänze auch noch einmal die Zeichnung vom letzten Mal, da fehlt immer noch ein typisches Wort deines Bruders in der Sprechblase. Nimm dir fünf Dinge vor, die du in deinem Leben ändern möchtest. Lies den Text über die Spiegelbilder und überlege dir, wie du auf andere wohl wirkst, wenn du manchmal so ausrastet, wie du mir das erzählt hast.

Eine Woche später. Eigentlich wäre heute der nächste Termin bei der Psychologin. Doch Charlotte hat ihr eine Nachricht geschickt, sie sei krank, sie könne heute nicht kommen. Ich will überhaupt nicht mehr zu dieser Psychologin gehen, sagt sie zu mir. Immer stochert sie in der Vergangenheit und das will ich nicht, ich habe es ihr auch gesagt, aber sie hat gesagt, es sei eben wichtig, auch wenn es mir unangenehm sei. Ich will auch nicht, dass sie mich immer als diese kleine hilflose Figur zeichnet, das bin nicht ICH. Ich will auch nicht, dass sie mir immer irgendwelche Aufgaben gibt, die mir keinen Spass machen. Ich will einfach meine Ruhe haben. Ich will einfach Spass haben. Ich will einfach leben. Immer sagt sie, was ich alles in meinem Leben ändern müsse. Ich WILL gar nichts ändern. Immer gibt sie mir zu verstehen, dass alles viel besser wäre, wenn ich ANDERS wäre als so, wie ich bin. Ich WILL aber gar nicht anders sein. Ich will SO sein, wie ich BIN. Nein, ich werde definitiv nie mehr zu dieser Psychologin gehen.

Es ist nicht die erste Geschichte dieser Art. Immer und immer wieder höre ich in letzter Zeit solche Geschichten. Sie haben drei oder vier Monate auf einen Gesprächstermin gewartet, voller Hoffnung, endlich professionelle Hilfe zu bekommen. Und dann sagen sie schon nach dem ersten oder dem zweiten Gespräch wieder ab. Weil sie spüren, dass es nicht das ist, was sie wirklich brauchen.

Ich habe keine Ausbildung in Psychologie oder Psychiatrie. Aber vielleicht gerade deshalb spüre ich, dass hier etwas nicht gut ist. Ich glaube an die Wirkkraft der Liebe. Ich glaube, dass es genügt, einen Menschen zu lieben, ihm zu verstehen zu geben, dass er so, wie er ist, GUT ist. Dass er nicht ANDERS werden soll, sondern so bleiben soll, wie er IST. Menschen können nicht ANDERE Wege gehen, sondern nur ihre EIGENEN.

Charlotte hat mir heute ihr Leben erzählt, zwei Stunden lang. Ich habe ihr einfach zugehört. Vor mir ist das Bild eines Menschen entstanden, der zu jedem Zeitpunkt seines bisherigen Lebens alles immer genau richtig gemacht hat, denn was immer du tust in deinem Leben, du tust es nur deshalb, weil du hundertprozentig davon überzeugt bist, dass es in diesem Moment das einzige Richtige ist. Es hat immer einen tieferen Grund. Es können nach herkömmlicher Vorstellung „Fehler“ sein, es können scheinbar „unnötige“ Umwege sein, es können „Rückschläge“ oder „Misserfolge“ oder „Enttäuschungen“ oder „Illusionen“ sein oder was immer, aber es ist stets DEIN Weg, und es gibt keinen anderen.

Was du trotz aller Schwierigkeiten in deinem Leben schon geschafft hast, sage ich zu Charlotte, und ich nehme sogleich ihren fragenden, zweifelnden Blick wahr, als würde sie es nicht so recht glauben wollen, weil es ihr vielleicht noch nie jemand mit diesen Worten gesagt hat. Schon als ich dich, fahre ich fort, zum ersten Mal mit deinem jüngeren Bruder spielen sah, ist mir aufgefallen, wie geduldig zu bist, wie liebevoll du mit ihm umgehst, wie viel es braucht, um dich aus der Fassung zu bringen. Weisst du, wie schön es für andere Menschen sein muss, mit dir zusammen zu sein, dich kennen zu lernen, zusammen mit dir etwas auszuhecken, zusammen mit dir einen Plan zu schmieden…

Ich glaube, dass die LIEBE genügt. Ich glaube, dass Menschen, die sich geliebt fühlen, fähig sind, sich selber zu therapieren, weil die Liebe zu sich selber die einzige Kraft ist, die sie dazu wirklich befähigt. Ich glaube, dass auch ein trauriges Kind aus einem ärmeren Land, wo es keine professionelle Psychotherapien gibt, wieder glücklicher zu werden vermag, wenn es in einer liebevollen Umgebung aufwachsen kann. Und gleichzeitig glaube ich, dass ein Kind selbst im reichsten Land der Welt und mit noch so aufwendiger und „professioneller“ therapeutischer Unterstützung, wenn diese nicht von Liebe getragen ist und das Kind auch in seinem übrigen Alltag keine Liebe findet, nicht wirklich glücklich und gesund werden kann.

Ich möchte nicht ein pauschales Urteil fällen. Ich weiss, dass es unzählige Therapeutinnen und Therapeuten gibt, die genau mit diesem Ansatz arbeiten. Aber ich weiss ebenfalls, dass es auch viel zu viele andere gibt. Psychologinnen und Psychologen, die zwar über ein immenses Fachwissen verfügen, dennoch aber nicht die Gabe besitzen, andere Menschen wirklich bedingungslos zu lieben. Auch Lehrerinnen und Lehrer, die sich jahrelang an einer pädagogischen Hochschule ausbilden liessen und jeden noch so kleinen Schritt innerhalb ihrer Lektionsvorbereitungen, wissenschaftlich exakt, didaktisch begründen können, aber dem erstbesten Schüler, der sich nicht an die von ihnen vorgegebenen Regeln hält, zu verstehen geben, dass sie ihn halt schon ein bisschen weniger gut mögen als die anderen, die schön brav und fleissig sind. Und auch Eltern, die auf jeder noch so kleinen „Unzulänglichkeit“ ihrer Kinder herumhacken und ihnen nie ganz einfach unendlich viel Dankbarkeit dafür entgegenbringen, dass sie so wunderbare Wesen sind, von denen es jedes Einzelne nur ein einziges Mal auf dieser Erde gibt. Einen Menschen bedingungslos lieben, und darum geht es, bedeutet eben, auch seine scheinbaren „Fehler“, „Schwächen“ oder „Unzulänglichkeiten“ zu lieben, die ja alle Teil seiner gesamten Persönlichkeit sind.

Doch woher die Liebe holen, wenn sie nicht da ist? Das, denke ich, ist ganz einfach. Denn jeder Mensch hat sie als das grösste Geschenk, das man sich nur vorstellen kann, schon vor seiner Geburt mitbekommen. Es geht nicht darum, etwas künstlich zu schaffen, was noch nicht da wäre, da nützen auch die besten Universitäten nichts. Es geht ganz einfach bloss darum, das, was schon da ist, nicht zu verlieren. „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben“, sagt der italienische Dichter Dante Alighieri, „Blumen, Sterne und Kinder“. Wenn wir uns dessen bewusst sind und lebenslang aus dem Paradies geborene Kinder bleiben, dann bleibt auch die Liebe in uns erhalten. Und dann, wenn auch Charlotte und alle anderen traurigen Kinder und Jugendlichen von dieser Liebe umgeben sind, brauchen sie nie mehr in eine Psychotherapiestunde mit Pfeilen, Figürchen und Kreislein zu gehen und können dennoch zu gesunden und glücklichen Menschen heranwachsen.

Leiser werdende Proteste gegen das WEF: Alles andere als ein Grund zu Euphorie…

„Die Ära der grossen Anti-WEF-Proteste ist vorbei“, schreibt die „Sonntagszeitung“ am 19. Januar 2025, „was gewiss damit zusammenhängt, dass sich der globale Handel entgegen früherer Befürchtungen insgesamt als Erfolgsrezept und als regelrechtes Wirtschaftswunder erwiesen und einigen Ländern einen spektakulären Aufstieg ermöglicht hat.“

Was für eine unglaubliche Schönfärberei. Dass der globalisierte Kapitalismus ein Erfolgsrezept sein soll, gilt doch, wenn überhaupt, bloss für eine winzig kleine Seite der Medaille. Die andere, ungleich viel grössere, ist, dass in einer Welt, an deren einem Ende sich eine nie dagewesene Fülle an Luxus auftürmt, nach wie vor am anderen Ende jeden Tag rund 15’000 Kinder unter fünf Jahren sterben, weil sie nicht genug zu essen haben, nicht weil weltweit insgesamt zu wenig Nahrung zur Verfügung stünde, sondern schlicht und einfach deshalb, weil im globalisierten Kapitalismus die Güter nicht dorthin fliessen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, sondern dorthin, wo sich mit ihnen am meisten Geld verdienen lässt. Zudem wüten an diesem anderen, viel grösseren Ende der Welt zurzeit rund 60 fürchterliche Kriege, mehr denn je seit 1945, und in den meisten von ihnen ist es immer auch ein Kampf um stets knapper werdende Rohstoffe, welche vom Wachstumswahn der kapitalistischen Wirtschaftsideologie in immer grösserem Ausmass verschlungen werden. An diesem anderen Ende der Welt sind zurzeit auch rund 100 Millionen Menschen auf der Flucht, ebenfalls mehr denn je, viele von ihnen werden vom tunesischen Militär in die libysche Wüste gejagt, wo sie elendiglich verdursten, andere versinken namenlos im Mittelmeer oder im Ärmelkanal, wieder andere liegen bei Minustemperaturen mit gebrochenen Armen und Beinen in Wäldern und Sümpfen im bosnisch-kroatischen Grenzgebiet, und auch dies alles nur deshalb, weil das Gefälle zwischen armen und reichen Ländern im Zuge der kapitalistischen Globalisierung immer grösser wird und infolge der ebenfalls durch kapitalistisches Profitstreben verursachten Klimaerwärmung in zahlreichen Ländern des Südens die Landwirtschaftserträge mehr und mehr zurückgehen und nur schon das nackte Überleben immer mehr in Frage gestellt ist. In dieser angeblich von kapitalistischem Erfolgsrezept geprägten Welt, in der gerade wieder innerhalb von nur einem Jahr das Vermögen sämtlicher weltweiter Milliardäre drei Mal stärker gewachsen ist als im Jahr zuvor, die zehn reichsten Milliardäre pro Tag um 100 Millionen US-Dollar reicher geworden sind und den Menschen immer noch die Lüge eingetrichtert wird, Reichtum können geschaffen werden, ohne gleichzeitig auch Armut zu schaffen.

Dass die Proteste gegen das WEF leiser geworden sein sollen, weil sich der globalisierte Kapitalismus als Erfolgsmodell erwiesen hätte, ist reines Wunschdenken jener, die immer noch auf der kleineren, schönen Seite der Medaille sitzen. Der tatsächliche Grund ist indessen genau das Gegenteil: Dass es gerade an allen Ecken und Enden brennt und die, welche mit ihrer ganzen Leidenschaft für eine friedlichere und gerechtere Zukunft kämpfen, halt schlicht und einfach nicht überall gleichzeitig sein können. Dass der globalisierte Kapitalismus insgesamt ein nie dagewesenes Erfolgsmodell sein soll, können wirklich nur all jene behaupten, welche die Welt ausschliesslich von oben sehen und offensichtlich immer noch nicht mitbekommen haben, dass das, was von oben wie der Himmel aussieht, von unten gesehen nichts anderes ist als die Hölle.

16. Montagsgespräch vom 13. Januar 2025: Ist Feminismus nur etwas für Frauen?

Am 16. Buchser Montagsgespräch vom 13. Januar wurde die Frage diskutiert, ob Feminismus nur etwas für Frauen sei oder sich vermehrt auch Männer für feministische Anliegen einsetzen sollten. Zu dieser Frage zeigte sich schon zu Beginn der Diskussion ein klarer Konsens: Da es sich bei frauenspezifischen Anliegen stets auch um gesamtgesellschaftliche Fragen handle, in denen nicht nur Frauen, sondern immer auch Männer bestimmte Rollen einnehmen und auf irgendeine Weise mitbeteiligt seien, sei es nur logisch, dass sich auch Männer an den entsprechenden Veränderungsprozessen beteiligen müssten. Passives Verhalten, Schweigen oder Wegschauen, so eine Votantin, würde nichts anderes bedeuten als eine Zustimmung zur bestehenden Realität, in der Frauen auch heute noch zahlreichen Diskriminierungen unterworfen seien.

Eine ältere Diskussionsteilnehmerin erinnerte daran, dass soziale Errungenschaften, die heute als selbstverständlich gelten, nie von selber gekommen seien, sondern stets hart hätten erkämpft werden müssen. So etwa sei das neue Eherecht, welches den Frauen unter anderem erlaubt, ein eigenes Bankkonto zu eröffnen und auch ohne Zustimmung des Ehemannes einen Arbeitsvertrag abzuschliessen, erst im Jahre 1985 in Kraft getreten, was eine jüngere Diskussionsteilnehmerin zunächst fast nicht glauben konnte. Noch heute werde, so eine andere Diskussionsteilnehmerin, Feminismus von einem Teil der Männer als etwas Bedrohliches empfunden, doch gehe es nicht um einen Machtkampf zwischen den Geschlechtern, sondern nur um die gleichberechtigte, geschlechterunabhängige Teilhabe im Rahmen der elementaren Menschenrechte.

Ausgiebig wurde über die unterschiedliche Wertung und Wertschätzung diskutiert, welche mit mehrheitlich eher von Männern oder eher von Frauen ausgeübten Berufen verbunden ist. So höre man immer wieder die Aussage, eine Frau, die keinen bezahlten Job ausübe, arbeite nicht, sondern mache „nur“ den Haushalt oder kümmere sich „nur“ um ihre Kinder, obwohl doch gerade Haus- und Familienarbeit überaus wichtige Aufgaben seien und sogar die eigentliche Basis dafür bilden würden, um das bestehende Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten.

Ein weiteres Diskussionsthema bildeten die von der Wirtschaft vorgegebenen Rahmenbedingungen. Viele Männer würden gerne Teilzeit arbeiten und sich vermehrt am Haushalt und an der Kindererziehung beteiligen, was aber von zahlreichen Arbeitgebern gar nicht zugelassen würde. Auch würde die Tatsache, dass viele eher von Frauen ausgeübten Berufe schlechter bezahlt werden, einen Hemmschuh bilden für partnerschaftliche Lösungen, denn sie zwängen die Männer, um den Lebensunterhalt der Familien bestreiten zu können, zu grösseren Arbeitspensen.

Ein junger Familienvater wünschte sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen, unter denen man nicht schon von klein auf in bestimmte Rollenmuster und Abhängigkeiten hineingedrängt werde, sondern unabhängig vom Geschlecht frei und selbstbestimmt aufwachsen könne.

Die zunehmende Attraktivität rechtsnationaler Kräfte und das Fehlen einer glaubwürdigen Alternative auf der linken Seite

„Es gibt eine weltweite Tendenz, wonach die nationale Politik zunehmend von Gerichten und internationalen Abkommen bestimmt wird“, so der Historiker Oliver Zimmer in der „Sonntagszeitung“ vom 12. Januar 2025, „die gewählten Politikerinnen und Politiker haben immer weniger Handlungsspielraum. So wird die Demokratie untergraben und die Menschen haben das Gefühl, dass es eigentlich gar keine Rolle mehr spielt, wen sie wählen, denn die Bandbreite, worüber die gewählten Politikerinnen und Politiker noch bestimmen können, ist sehr schmal geworden.“

Dass in den Demokratien die Handlungsspielräume für die Politik immer kleiner werden, mag gewiss ein Grund dafür sein, dass sich immer mehr Bürgerinnen und Bürger von den etablierten Parteien abwenden und rechtsnationale Kräfte vermehrt Zulauf erhalten. Es gibt aber noch einen weiteren, vermutlich viel wesentlicheren Grund. Er lässt sich mit einem Wort auf den Punkt bringen: Kapitalismus. Denn wir leben nicht nur in mehr oder weniger schlecht funktionierenden Demokratien. Wir leben gleichzeitig auch in einem kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und fast alle Probleme, mit denen wir uns heute immer hilfloser herumschlagen, sind unmittelbare Folgen dieses Systems, das auf den Prinzipien grösstmöglicher Profitmaximierung und unaufhörlichen Wachstums beruht: Stetige Umlagerung des Reichtums von der Arbeit zum Kapital, zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, immer weniger Geld für öffentliche Aufgaben, maximale Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen, zunehmender Druck am Arbeitsplatz, psychische Belastungen durch Überforderung auf der einen und wachsender Arbeitslosigkeit auf der anderen Seite, Verkehrsprobleme, Umweltzerstörung und Klimakrise, negative Folgen von Migration. Kurz: Ein System, das, wie immer mehr Menschen bewusst wird, aufgrund seiner inneren Widersprüche früher oder später kollabieren muss.

Leider, und das ist das Verhängnisvolle, existiert auf der linken Seite kaum mehr die glaubwürdige Vision einer Alternative zum Kapitalismus. Umso höher auf der anderen Seite des politischen Spektrums die Gunst der Stunde, von der laufend wachsenden Unzufriedenheit der Menschen zu profitieren. Diese Entwicklung lässt sich nicht aufhalten, indem man die Parteien am rechten Rand zu bekämpfen versucht, sie werden dadurch höchstens noch stärker. Was es dringendst braucht, ist eine glaubwürdige Alternative auf der linken Seite. Wahrscheinlich wird man schon bald erkennen, dass die Grundidee des Sozialismus doch nicht ganz so schlecht war. Man müsste sie wahrscheinlich nur noch einmal von Grund auf sorgfältig durchdenken und mit dem Ideal von Freiheit und Selbstbestimmung in Einklang bringen. Das dürfte nicht einmal so schwierig sein, denn Freiheit im Kapitalismus ist schon längst keine echte Freiheit mehr, es sind je länger je mehr nur noch Privilegien der einen auf Kosten der anderen.

Wenn die Demokratie zum Büchsenschiessen verkommt und was wir von Afrika lernen können…

Weisst du, sagte mir ein Freund, der seit zwei Jahren Mitglied unseres Gemeinderates ist, manchmal komme ich mir vor wie eine dieser Büchsen in einem Jahrmarktsstand, auf die pausenlos jemand mit Bällen schiesst, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele von uns abzuknallen und dann als Belohnung ein möglichst grosses Stofftier zu bekommen. Und ja, denke ich, das kann nicht schön sein. Kein Wunder, gibt es immer weniger Leute, die sich für öffentliche Ämter zur Verfügung stellen. Und oft sind es dann ausgerechnet solche mit einer besonders dicken Haut, die sich durch Angriffe von aussen nicht allzu sehr aus dem Konzept bringen lassen, oder solche, die dann mit ebenso grobem Geschütz oder sogar noch gröberem zurückschiessen. Aber ob das dann besser ist?

Aber es sind nicht nur die öffentlichen Ämter. Manchmal kommt es mir vor wie eine allgemeine Treibjagd, in der Politik, in den Medien, im Internet, in öffentlichen Diskussionen, selbst bei persönlichen Begegnungen auf der Strasse oder bei Familienfesten. Immer ist sogleich jemand zur Stelle, der dies oder das gehört oder gelesen, sich über dies oder das schon ganz gehörig ereifert oder genervt hat und jede Gelegenheit beim Schopf packt, nun seinem ganzen Unmut möglichst freien Lauf zu lassen, als wären wir in unserem Innersten immer noch eine Art Jäger, die stets sehnlichst auf den Tag warten, an dem der Beginn der Jagd offiziell verkündet wird, um dann sogleich mit der Flinte in der Hand loszurennen und in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Tiere zur Strecke zu bringen.

Oft ist es nur ein kleines „falsches“ Wort am „falschen“ Ort zur „falschen“ Zeit, und schon geht die Empörungswelle los, Tausende von Kommentaren im Internet, in den sozialen Medien, in Bruchteilen von Sekunden, Schlag auf Schlag, Ball um Ball und Büchse um Büchse, und wer da noch auf die verrückte Idee käme, alles ein bisschen entschleunigen und dem Nachdenken über ein bisschen tiefer gehende Hintergründe oder Zusammenhänge mehr Zeit und Raum geben zu wollen, kommt sich schon fast vor wie ein Relikt aus der Zeit der Dinosaurier. Als Held seiner Zeit gilt der, welcher möglichst rasch eine möglichst klare, keinen Widerspruch duldende Position einnimmt, diese möglichst rasch möglichst weit verbreitet und dem es gelingt, andere, dieser möglicherweise widersprechende Positionen möglichst erfolgreich zur Seite zu schieben.

Das tut der Demokratie nicht gut. Man könnte es vielleicht sogar als gewaltigen gesellschaftlichen Rückschritt sehen. Denn es gäbe schon noch ein paar bedenkenswerte Gepflogenheiten aus früheren Zeiten, die man sich vielleicht mal gelegentlich in Erinnerung rufen müsste, auch wenn sie fast aus der Zeit der Dinosaurier stammen.

Zum Beispiel die Dreistufigkeit einer guten Meinungsbildung. Die erste Stufe ist das Ereignis als solches, das Betroffenheit, Zustimmung oder Widerspruch auslöst. Als zweite Stufe müsste jetzt eigentlich zunächst die eigene, innere Auseinandersetzung kommen, sodann jene im näheren persönlichen Umfeld und früher oder später jene im öffentlichen Raum. So kann die eigene Meinung reifen, die impulsive Reaktion des ersten Moments wird sich dabei möglicherweise relativieren, entschärfen, versachlichen, erweitern oder gar auf den Kopf stellen. Zuletzt die dritte Stufe einer reif gewordenen, durchdachten eigenen Meinung zum betreffenden Thema. Was in den meisten Meinungsbildungsprozessen unserer schnelllebigen Zeit fast gänzlich abhanden gekommen ist, ist die zweite Stufe, meist wird unvermittelt von der ersten zur dritten Stufe gesprungen, schneller geschrieben als gedacht und dabei unbewusst das neue Ereignis, die neue Botschaft in das eigene, bereits bestehende Denkgebäude eingefügt, ohne es näher zu hinterfragen und in seiner möglichen Vieldeutigkeit zu analysieren. Dabei wäre doch die zweite Stufe, die Stufe der Reflexion und der inneren und äusseren Auseinandersetzung, mit Abstand die interessanteste, spannendste und fruchtbarste. In dieser Phase erfahre ich, was sich andere Menschen zum gleichen Thema für Gedanken gemacht haben, ich kann von ihnen etwas lernen, meine Kenntnisse erweitern und meine eigene Meinung kritisch überprüfen. Für diese Phase eignet sich das Internet nicht. Es braucht öffentliche Debattierclubs, Quartiertreffpunkte, Stammtische, wo sich Menschen unterschiedlicher Meinungen und Denkrichtungen treffen und sich miteinander austauschen können – ganz im Gegensatz zu all den „Blasen“ in der digitalen Welt, wohin sich Menschen auf der Suche nach möglichst vielen Gleichgesinnten zurückziehen und sich die eigenen Zweifel und Unsicherheiten leicht verdrängen lassen, indem man Teil einer Gemeinschaft wird, in der so wohltuend harmonisch alle fast genau gleich denken, und zwar natürlich das „Richtige“, denn selber ist man ja immer gescheiter als alle anderen, selber ist man ja immer etwas „Besseres“ als der Rest der Welt.

Auch die Grundhaltung, dass der andere möglicherweise Recht haben und man selber möglicherweise auch falsch liegen könnte, wäre eine wesentliche Voraussetzung für eine fruchtbare Meinungsbildung. „Intellektuell sein“, so Stefan Zweig, „heisst gerecht sein, heisst Verständnis aufbringen für sein Gegenüber, für die Oppositionellen, für die Gegner.“ Paul Watzlawick, Philosoph und Kommunikationswissenschaftler, sagt: „Der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.“ Und Kurt Tucholsky formulierte es so: „Streitende sollten wissen, dass nie einer ganz Recht hat und der andere ganz Unrecht.“ Das wussten die Menschen in Afrika schon vor Jahrhunderten. Was bei uns Gemeinderatssitzungen sind, waren in den afrikanischen Dörfern die „Palaver“: Im Rat der Weisen wurde über ein Thema so lange diskutiert, bis man eine gemeinsame Meinung gefunden hatte, egal, ob es ein paar Stunden oder ein paar Tage dauerte. Und zwar diskutierte man nicht so lange, bis man Zweifler oder Andersdenkende „überredet“ und in eine Minderheit versetzt hatte, sondern, ganz im Gegenteil, so lange, bis die Ideen dieser Zweifler und Andersdenkender in die gemeinsame Beschlussfassung in ausreichendem Mass Eingang gefunden hatten, so dass sich diese mit dem Resultat einverstanden erklären konnten – eine Form von Demokratie, die unserer heutigen Zeit damals schon um Jahrhunderte voraus war, ist doch in der heutigen „demokratischen“ Schweiz in jedem Entscheid über eine Volksinitiative, auch wenn sie nur mit 50,4 Prozent Neinstimmen abgelehnt wird, kein Quentchen von dem enthalten, was sich diese anderen 49,6 Prozent gewünscht hätten. So wird gesellschaftlicher Fortschritt durch die „Siegermentalität“ der „Erfolgreichen“ nicht ermöglicht, sondern immer und immer wieder aufs Neue abgewürgt. Kein Wunder, wird Politik auf diese Weise weitgehend als Stillstand und permanente Zementierung des Bestehenden wahrgenommen und wenden sich immer mehr Menschen enttäuscht davon ab.

Ein anderes wichtiges Instrument, das dazu dienen könnte, gesellschaftlichen Fortschritt zu beflügeln, ist die Theorie des von 1770 bis 1831 lebenden deutschen Philosophen Georg Friedrich Hegel, wonach sich zu jeder Idee bzw. These eine Gegenidee bzw. Antithese formulieren lässt, aus deren Verschmelzung eine neue Idee bzw. Synthese entstehen kann. Eine Methode, von der die heutigen Menschen in unseren modernen „Demokratien“ offensichtlich kaum mehr etwas zu wissen scheinen, obwohl sie ganz einfach und zudem äusserst erfolgreich sein könnte. Sie beruht im Wesentlichen darauf, dass sich bestehende Verhältnisse am wirkungsvollsten dadurch verändern lassen, indem man sich zunächst mal ihr Gegenteil vorstellt. Konkret: In einer Welt voller Armeen und von Jahr zu Jahr steigender Rüstungsausgaben stellt man sich vor, dass es keine einzige Armee mehr gäbe, und weiter, was man mit dem damit eingesparten Geld alles finanzieren könnte. Als Gegenidee zu einem Gesundheitssystem mit 55 privaten Krankenkassen, einem Dschungel an Hin- und Herfinanzierungen, einem zerstörerischen Renditezwang und der für viele Menschen schon längst nicht mehr tragbaren Belastung, für die Gesundheitskosten weitgehend privat aufkommen zu müssen, stellt man sich ein staatliches, ausschliesslich über Steuern finanziertes Gesundheitssystem vor. Als Gegenidee zu einem Lohnsystem, wo in einzelnen Firmen wie etwa dem Pharmakonzern Roche die höchsten Löhne die geringsten um das 307fache übersteigen, stellt man sich einen Einheitslohn mit dem gleichen Stundenansatz für alle Berufe, von der Putzfrau bis zum Topmanager. Als Gegenidee zu einem vom privaten Automobil dominierten Verkehrssystem, das immer mehr an seine Grenzen gelangt, stellt man sich ein dermassen weit ausgebautes und von der Allgemeinheit getragenes öffentlichen Verkehrssystem vor, dass das private Automobil früher oder später überflüssig geworden sein wird. Als Gegenidee zu einem Schulsystem, das sich an Jahrgangsklassen und künstlich geschaffenen, ausschliesslich von Erwachsenen geschriebenen Lehrplänen orientiert, stellt man sich eine offene, unstrukturierte Lernwelt vor, in der sich Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu jeder Zeit ihres Lebens und stets aufgrund ihrer jeweiligen echten Lern- und Lebensbedürfnisse frei und selbstbestimmt bewegen können. Damit soll nicht postuliert werden, dass so utopische Ideen von heute auf morgen verwirklicht und alles Bisherige innert ganz kurzer Zeit über Bord geworfen werden kann. Aber nur wenn das Gegenteil des Bestehenden zunächst einmal frei und mutig gedacht wird und man es sich konkret vorzustellen versucht, wenn also zu den bestehenden „Thesen“ ihr Gegenteil in Form von „Antithesen“ in den Raum gestellt wird, können sich daraus neue, kreative Lösungen als „Synthesen“ verwirklichen lassen, die man sich, obwohl sie meistens ganz logisch und simpel wären, zuvor noch gar nicht vorzustellen vermochte. Dass Politik ohne Phantasie, Kreativität und Visionen reine Zeitverschwendung ist, müssten wir ja eigentlich längst schon erkannt haben, wenn man bedenkt, wie seit Jahren alle grossen Herausforderungen vom Gesundheitssystem über das Verkehrssystem, das Bildungssystem, die Altersvorsorge, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, den Fachkräftemangel, die Missstände bei der IV, die Strukturprobleme in der Landwirtschaft, die steigenden Lebenskosten, den fehlenden Wohnraum bis hin zum Verhältnis zur EU, der Frage der Neutralität, der Rolle der Schweiz in der Welt und nicht zuletzt der Klimakrise wie heisse Kartoffeln ungelöst vor sich hingeschoben werden und dabei die Probleme immer nur noch grösser und grösser werden. Dazu kommt jetzt zu allem Überdruss noch die sogenannte Künstliche Intelligenz, die natürlich ausschliesslich im bereits Bekannten, also im Bereich der Thesen, verharrt und diesen sogar noch zusätzlich einen technologischen „Heiligenschein“ verleiht. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass aus dieser Ecke die wirklich kreativen und das herkömmliche Denken sprengenden Antithesen kommen, die wir so dringend brauchen. Hierfür bedarf es schon echter Intelligenz.

Man müsste vielleicht die Demokratie neu erfinden, um das alles in den Griff zu bekommen. Oder, ganz einfach, wieder zu ihren Wurzeln zurückkehren. Das Büchsenschiessen jedenfalls bringt uns gewiss nicht weiter. Es braucht wieder menschliche Begegnungen, stundenlange Palaver, mutige Ideen und Visionen, die Bereitschaft einander zuzuhören und gemeinsam Lösungen zu suchen, nicht gegeneinander, denn, wie schon Friedrich Dürrenmatt sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Niemand besitzt die Wahrheit als Ganzes, jeder und jede besitzt nur einen Teil davon, je ein einzelnes Puzzlestück, und nur wenn wir sämtliche Stücke einfügen, kann das ganze Bild entstehen.

Und das kann nur geschehen, wenn wir uns dafür die nötige Zeit und Ruhe nehmen. Aus Zeitdruck und permanenter Hektik, aus Stress und ständiger Überforderung kann nichts Gutes entstehen. Warum nehmen wir uns nicht zum Beispiel den Freitag als regelmässigen Wochentag der „Besinnung“, der politischen Arbeit und der menschlichen Begegnungen? Einen Tag pro Woche nicht am Computer sitzen, uns in Gespräche vertiefen, immer Zeit haben, nie sagen: „Tut mir leid, ich muss gleich weiter, ich habe noch einen Termin, ich muss noch dies und ich muss noch das…“ Bereits Max Frisch, und das ist nun schon eine Weile her, sagte: „Einst hatten wir Zeit. Ich weiss nicht, wer sie uns genommen hat. Ich weiss nicht, wessen Sklaven wir sind. Wir sind ja schon fast so wie die Ameisen.“ Was er wohl sagen würde, wenn er heute noch leben würde?

Wir brauchen nicht fremde Diktatoren, um uns die Demokratie zerstören zu lassen. Das können wir, wenn wir so weitermachen, ganz gut auch selber schaffen. Ebenso aber liegt es auch in unserer Hand, wieder zu den Grundwerten echter Demokratie zurückzukehren. Demokratie ist zwar, wie Winston Churchill einst sagte, die schlechteste aller Regierungsformen, aber wenigstens doch immer noch besser als alle anderen…

Von Solingen bis New Orleans: Auf den Mücken herumtrampeln, damit die Elefanten möglichst lange unsichtbar bleiben…

„In New Orleans“, so ist in den Mittagsnachrichten des Schweizer Radios SRF1 am 1. Januar 2025 zu hören, „ist ein Autofahrer mit seinem Fahrzeug in eine Menschenmenge gerast, mitten auf der beliebten Ausgehmeile Burban Street. Die Behörden melden zehn Tote und 30 Verletzte. Der Mann sei wild entschlossen gewesen, so viel Schaden wie möglich anzurichten, sagt die Polizeichefin. Er habe nach seiner Fahrt aus dem Auto heraus auf die Polizei geschossen. Präsident Joe Biden hat den Verletzten und den Hinterbliebenen sein Mitgefühl ausgedrückt. Es gäbe, so Biden, keine Rechtfertigung für jegliche Art von Gewalt. Und weiter: Die Bundespolizei stufe das Ereignis als terroristischen Akt ein und werde die nötigen Untersuchungen einleiten.“

Gleichentags hat ein Amokläufer im montenegrinischen Cetinje sechs Menschen erschossen, darunter zwei Kinder. Und es ist erst zwölf Tage her, da raste an einem Weihnachtsmarkt in der Magdeburger Innenstadt ein Autofahrer in eine Menschenmenge, fünf Menschen – vier Frauen und ein neunjähriges Kind – starben, weitere 200 wurden verletzt, 41 von ihnen schwer. Der Täter, ein 50jähriger Saudi-Arabier, der 2006 nach Deutschland kam und im Jahre 2016 als politisch Verfolgter das Asylrecht erhielt, habe, so Bundesinnenministerin Nancy Faser, „unfassbar grausam und brutal gehandelt“. Der Anschlag löste in Deutschland eine immense politische Debatte mit dermassen massiven gegenseitigen Schuldzuweisungen aus, dass ein paar Tage später nicht nur die AfD, sondern auch die CDU massive Verschärfungen des geltenden Asylrechts forderte, so etwa den Entzug des Aufenthaltsstatus für straffällige Flüchtlinge. Auch solle das Sicherheitspaket, das bereits nach dem Anschlag in Solingen vom 23. August 2024, bei dem ein syrischer Asylbewerber auf einem Volksfest drei Menschen niedergestochen hatte, verabschiedet worden war und unter anderem eine biometrische Gesichtserkennung und die Speicherung von IP-Adressen vorsieht, nun endlich rigoros umgesetzt werden. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder forderte sogar eine „Zeitenwende für die innere Sicherheit“.

Doch während sich halb Europa über drei Attentate mit insgesamt 21 Toten und 230 Verletzten ereifert, beläuft sich die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen durch die israelischen Bombardierungen seit dem 7. Oktober 2023 sowie der dadurch verursachten Zerstörungen mittlerweile auf bald Hunderttausend, weitere über Hunderttausend leiden unter zum Teil schweren Verletzungen, ohne auch nur annähernd ausreichende ärztliche Versorgung zu bekommen. Mit der von der israelischen Armeeführung verfügten Schliessung des Kamal-Adwan-Spitals am 29. Dezember 2024 ist nun auch noch das letzte Spital in Nordgaza ausser Betrieb. Rund eine Million palästinensische Männer, Frauen und Kinder harren in notdürftig zusammengebauten Zelten aus, Tausende werden, abgeschnitten von Hilfslieferungen und medizinischer Versorgung, voraussichtlich den Winter nicht überleben. Bereits sind, in den letzten Tagen des abgelaufenen Jahrs, sechs Kleinkinder an Unterkühlung gestorben.

Im Sudan tobt weiterhin, nahezu unbeachtet von der Weltöffentlichkeit, der derzeit weltweit wohl grausamste und verheerendste Krieg, ausgelöst durch den Machtkampf zweier Generäle, von denen jeder das ganze Land unter seine Gewalt bringen will und nicht zum kleinsten Kompromiss bereit ist. Opfer des Kriegs sind, wie immer, vor allem Frauen und Kinder. „Ein Junge“, so der „Tagesanzeiger“ am 20. November 2024, „hat soeben eine Heuschrecke gefangen. Er hält sie fest wie einen Schatz. Er wird sie sogleich essen. Doch es ist zu wenig, um lange durchzuhalten. Viel zu wenig. Ein paar hundert Meter entfernt kauert eine junge Mutter vor ihrem selbst gebauten Unterschlupf aus Ästen, Zweigen und Stroh. Der Blechtopf zu ihren Füssen ist leer. Im Moment hat sie nicht einmal eine Heuschrecke, die sie ihren Kindern anbieten kann… US-Schätzungen zufolge hat der Krieg im Sudan innerhalb von nunmehr 19 Monaten bis zu 150’000 Todesopfer gefordert. Mehr als elf Millionen Menschen sind auf der Flucht. Es droht eine Katastrophe, wie die Welt sie seit der grossen Hungersnot in Äthiopien 1985 nicht mehr gesehen hat: 25 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen, 755’000 sind akut vom Hungertod bedroht. Und ein Ende der Gefechte ist nicht in Sicht… Was macht das mit der jungen Frau, wenn sie nichts tun kann, ausser zuzusehen, wie sich die kleinen Körper, Schritt um Schritt, selbst aufzehren?… Halma, eine Frau Mitte zwanzig, erinnert sich nicht genau, was sie und ihre vier Kinder in den vergangenen Wochen noch zu sich genommen haben. Eine volle Mahlzeit bekamen sie seit ihrer Flucht Ende April jedenfalls nie mehr… Als die Kämpfe ausgebrochen seien, sei Hakima, eine andere junge Mutter, mit ihren Kindern einfach losgerannt. Zehn Tage waren sie unterwegs. Zu Fuss, ohne Essen, ohne Hilfe. Die Mutter erinnert sich noch an ihre erste Begegnung mit Kämpfern der Miliz. Sie packten die Kinder und begannen sie zu verhören. Die Kinder sagten: Unsere Väter haben keine Waffen. Es hagelte Schläge, weil ihnen die Milizen keinen Glauben schenkten. Sie erzählt, wie die Milizen die Männer zu ihren Frauen schleppten und sie dann, vor deren Augen, erschossen. Eine andere Frau sagt: „Sie schlugen mich, bis ich nicht mehr stehen konnte.“ Und: „Sie machen mit dir, was sie wollen. Sie vergewaltigen die Frauen und die Mädchen.“… Bald bricht die Nacht herein. Hakima könnte noch losziehen. Geld hat sie keines, aber vielleicht findet sie jemanden, der mit ihr einen Becher Hirse teilt. Falls nicht, muss sie heute wohl noch auf einen Lalob-Baum klettern. Wenn die Menschen nichts mehr haben, pflücken sie die Blätter dieses Baumes, um sie zu zerkauen… Nach wie vor wird rund um die Nuba-Berge herum erbittert gekämpft, beide Generäle, Hemeti und Burhan, setzen auf Sieg, obwohl alle Experten sagen, dass sich die beiden längst in ein militärisches Patt manövriert haben und es weder für den einen noch für den anderen einen Sieg geben wird.“

Nicht nur im Sudan. Weltweit leidet jedes vierte Kind unter fünf Jahren unter schwerer Ernährungsarmut und jeden Tag sterben rund 10’000 Kinder unter fünf Jahren, weil sie nicht genug zu essen haben. Und wie die Kinder, so gehören auch die Frauen zu den Hauptleidtragenden von Machtkämpfen und Gewalt, nicht nur in jenen rund 60 Ländern, wo zurzeit Kriege wüten, sondern auch in den „friedlichsten“ und „demokratischsten“ Ländern der Welt: Alle zehn Minuten wird, gemäss einem Bericht der UNDOC und der UN-Women, eine Frau oder ein Mädchen getötet, weit mehr als die Hälfte von ihnen durch die Hand ihres Ehemanns oder eines nahen Angehörigen. Vollkommen unschätzbar und von keiner Statistik erfasst dagegen ist die Zahl jener der weltweit insgesamt 49 Millionen Flüchtlinge – die höchste Zahl aller Zeiten -, die auf der Fahrt mit einem der winzigen, schiffbrüchigen, von Schleppern für teures Geld erstandenen Fischerboote das Mittelmeer oder den Ärmelkanal zu überwinden versuchen und dabei den Tod finden, oder aber mit verbundenen Augen von tunesischen Soldaten mit Jeeps in die libysche Wüste transportiert, dort ausgeladen werden und innert weniger Tage elendiglich verdursten.

Der Unterschied ist: Während westliche Medien jedes Mal laut aufheulen und in aller Ausführlichkeit darüber berichten, wenn Amokläufer oder andere Fanatiker in Schulen, auf Weihnachtsmärkten oder in Einkaufsmeilen drei oder zwanzig Menschen töten, und dann wochenlang in der breiten politischen Öffentlichkeit über ganz und gar nichts anderes mehr debattiert wird, bleibt das tägliche Leiden und der tägliche Tod von Millionen Menschen fast gänzlich unsichtbar, als hätte man sich bereits so sehr daran gewöhnt, dass es gar keiner Schlagzeile mehr wert ist. Man kommt wohl kaum umhin, nicht nur das dermassen einseitige und willkürliche Medieninteresse als überaus zynisch und menschenverachtend zu bezeichnen, sondern auch die gesamte damit verbundene Rhetorik. Der gleiche Joe Biden, der gegenüber den Verletzten und Überlebenden des Attentats in New Orleans beteuert, es gäbe „keine Rechtfertigung für irgendeine Form von Gewalt“, hat nicht die Grösse, die gleichen Worte gegenüber dem Präsidenten eines befreundeten Staates aufzubringen, der mittlerweile rund hunderttausend Tote und eine noch höhere Zahl an Verletzten auf dem Gewissen hat. Worte wie jene der deutschen Innenministerin, wonach der Autofahrer, der in Magdeburg fünf Menschen tödlich verletzte, „unfassbar grausam und brutal gehandelt“ hätte, habe ich in dieser Deutlichkeit bisher noch von keinem europäischen Politiker gehört, wenn es darum ging, die Kriegspolitik Netanyahus zu beschreiben. Und der Begriff „Terrorist“ scheint nur einzelnen Amokläufern und durchgebrannten Autorasern vorbehalten zu sein, während man tunlichst vermeidet, diesen Begriff ebenso auf Staatsmänner anzuwenden, die, wie Ronald Reagan, George W. Bush oder Benjamin Netanyahu, insgesamt Millionen von Menschen auf dem Gewissen haben, oder etwa auf Männer, die ihre eigenen Frauen über Jahre hinweg quälen, prügeln, würgen und zu Tode foltern.

Als wäre es ein gewaltiges, global inszeniertes Ablenkungsmanöver. Denn so lange die „bösen“ Autoraser, Messerstecher und Amokläufer im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen und die Aufmerksamkeit eines von Sensation zu Sensation hastenden Weltpublikums von in Sekundenschnelle sich gegenseitig jagenden Schreckensbildern Tag und Nacht absorbiert wird, kommt schon gar niemand dazu, sich darüber Gedanken zu machen, wer und weshalb überhaupt ein Interesse daran haben könnte, dass auf diesem Planeten, wo das Leben so schön sein könnte, immer noch über 60 Kriege wüten, mehr denn je seit über 70 Jahren. Niemand kommt dazu, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie weit 500 Jahre koloniale Ausbeutung des Südens und damit verbundene künstliche Grenzziehungen wesentliche Ursachen sind für heutige Kriege wie jene im Sudan und in anderen Ländern des globalen Südens. Niemand kommt dazu, ernsthaft darüber nachzudenken, wie und weshalb und im Interesse wessen die UNO im Laufe von Jahrzehnten dermassen geschwächt wurde, dass sie bei allen diesen Konflikten, zu deren friedlicher Lösung sie doch einst geschaffen wurde, nur noch hilf- und machtlos zuschauen kann. Keine tiefschürfende Analyse des kapitalistischen Wirtschaftssystems wird in Angriff genommen, um endlich jenen Wahnsinn zu entlarven, dass in einer Welt, wo insgesamt für die Ernährung der gesamten Menschheit mehr als genügend Nahrungsmittel zur Verfügung stehen würden, dennoch eine Milliarde Menschen hungern und 49 Millionen Menschen – mehr denn je zuvor – ihre Heimat verlassen mussten und unter permanenter Lebensgefahr eine neue Heimat suchen, weil die Lebensbedingungen zwischen den Ländern, wo sich Reichtum in immer grösserem Umfang anhäuft, und den Ländern, die als Quelle dieses Reichtums missbraucht und bis aufs Letzte ausgeblutet wurden, immer weiter auseinanderklafft. Auch die tägliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird nur in Form einzelner Schreckensmeldungen wahrgenommen und nicht als Spitze eines gewaltigen Eisbergs in Form einer patriarchalen Weltherrschaft, die sich durch jede noch so kleine Facette des täglichen Lebens gnadenlos hindurchzieht. Und nicht einmal die Klimakrise findet jene Beachtung, die sie doch eigentlich haben müsste, wenn man bedenkt, dass es dabei doch früher oder später um nichts anderes geht als um das Überleben der gesamten Menschheit. Auf geradezu absurde Weise geniessen die in ihrer Auswirkung geringsten Ereignisse den grössten Platz in der medialen Berichterstattung, in nichts damit vergleichbare Katastrophen wie der Krieg im Sudan kommen nur ganz am Rande vor und die existenziell weitaus gefährlichsten Bedrohungen wie der Klimawandel sind fast gänzlich aus dem Scheinwerferlicht der Medien verschwunden.

Individualgewalt und Systemgewalt. Mücken und Elefanten. Man muss nur genug beharrlich auf den Taten einzelner individueller „Bösewichte“ herumhacken und die Illusion am Leben erhalten, dass die ganze Welt gut und friedlich wäre, hätte man diese Übeltäter endlich unschädlich gemacht – um so den Blick zu versperren auf die wahren Übeltäter und Bösewichte in Form der herrschenden kapitalistischen und patriarchalen Machtsysteme, die man in ihrem ganzen historischen Ausmass von der Auslöschung der amerikanischen Urbevölkerung über den Sklavenhandel und alle im Namen von Kolonialismus und Imperialismus begangenen Verbrechen bis hin zur systematischen Zerstörung sämtlicher Lebensgrundlagen ehrlicherweise als das tatsächlich verheerendste und zerstörerischste terroristische Netzwerk aller Zeiten bezeichnen müsste, das in seiner Profitgier und dem verrückten Glauben an ein immerwährendes Wirtschaftswachstum auf Kosten der natürlichen Ressourcen nicht einmal davor zurückschreckt, selbst das Leben jener Generationen auszulöschen, die noch nicht einmal geboren wurden.

Damit diese systematischen täglichen Ablenkungsmanöver weiterhin wirkungsvoll bleiben, hoffen zweifellos all jene, die kein Interesse an der Aufdeckung der wahren Machtverhältnisse und einem daraus folgenden Verlust ihrer Privilegien haben, wohl stets sehnlichst darauf, dass möglichst bald wieder irgendein Verrückter austickt und alle mit dem Finger auf ihn zeigen können. Damit man weiterhin auf den Mücken herumtrampeln kann und die Elefanten möglichst lange unsichtbar bleiben…

Voraussichtliche Ablehnung der Umweltverantwortungsinitiative: Die Kunst des Verdrängens

Die Umweltverantwortungsinitiative, über welche am 9. Februar abgestimmt wird, verlangt, dass die Schweiz als Ganzes ihren Ressourcenverbrauch so stark reduziert, dass die planetaren Grenzen eingehalten werden und nicht eine höhere Menge an Schadstoffen produziert wird, als die Erde aushalten kann. Ich kann mir kein einziges vernünftig begründbares Argument gegen diese Initiative vorstellen. Denn niemand kann allen Ernstes wollen, dass wir in der Gegenwart so viele Ressourcen verbrauchen, dass für zukünftige Generationen nichts mehr übrig bleibt, und so viele Schadstoffe produzieren, dass infolge einer immer stärkeren Klimaerwärmung immer grössere Teile der Erde unbewohnbar werden. Wer das bewusst in Kauf nehmen will, müsste ehrlicherweise zugeben, dass er zukünftigen Generationen sowie Menschen in anderen Teilen der Welt nichts weniger abspricht als das Recht auf Leben, während er es für sich selber in geradezu überbordendem Ausmass in Anspruch nimmt.

Trotzdem sprechen sich laut Umfragen nur 35 Prozent der Bevölkerung für eine Annahme der Initiative aus. Dies lässt sich wohl nur damit erklären, dass die Mehrheit der Menschen offensichtlich keine Kunst so gut beherrscht wie die Kunst des Verdrängens. Man wüsste es zwar, aber man will es nicht wahrhaben. tag

Am absurdesten ist das Argument, es bräuchte, um diese Ziele zu erreichen, keine Gesetze, sondern jeder und jede könne ja aus freien Stücken sein eigenes Verhalten entsprechend verändern. Die tägliche Realität zeigt uns jedoch, dass dies offensichtlich nicht funktioniert, ganz im Gegenteil: Sämtliche zur Verfügung stehende Daten bewegen sich in die genau entgegengesetzte Richtung. Es wäre ja schön, wenn wir nicht immer eine grössere Zahl von Gesetzen bräuchten. Aber das würde nur funktionieren, wenn wir begännen, uns endlich wieder unseres ureigenen gesunden Menschenverstands zu bedienen, statt uns an der Illusion eines immerwährenden Wirtschaftswachstums und am Erwerben von immer mehr materiellen Gütern als Inbegriff von Lebensqualität festzuklammern.

Auch das Argument, die Schweiz könne alleine eh nichts bewirken, entbehrt jeglicher Logik. Die einzige logische Schlussfolgerung dieser Behauptung wäre eine ganz andere: Nämlich, dass die Schweiz mit ihren finanziellen, diplomatischen, wissenschaftlichen und technologischen Ressourcen alles daran setzen müsste, gemeinsam mit allen anderen Ländern neue Konzepte einer nachhaltigen globalen Wirtschaftsordnung auszuarbeiten und Schritt um Schritt umzusetzen, damit allen Menschen auf diesem Planeten auch noch in 100 oder 200 Jahren die notwendigen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung stehen. Denn, wie Friedrich Dürrenmatt einmal sagte: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Wir meinen alle das Gleiche

Wir meinen alle das Gleiche: die Liebe. Aber wir sagen oder verstehen es so oft ganz anders, als es gemeint war. Wir reden so oft aneinander vorbei. Und dann kann es sein, dass sich die Liebe, ohne dass sie es wollte, in Hass verwandelt. Wir müssen sie wieder lernen. Die Sprache der Liebe.