“NZZ am Sonntag” vom 28. April 2024: Wenn selbst Wörter zu Waffen werden…

Der Artikel „Aufstand der Neoidealisten“ in der „NZZ am Sonntag“ vom 28. April ist ein typisches und vor allem höchst erschreckendes Beispiel dafür, wie sich selbst die Sprache je nach Zeitgeist verändert und Begriffe plötzlich eine ganz andere Bedeutung bekommen, als sie normalerweise haben. So werden die estnische Regierungschefin, der litauische Aussenminister und der tschechische Aussenminister als „idealistische Vorreiter“ gelobt, die sich der „Wahrung humanistischer Ideale“ verschrieben hätten und den „Weg in Europas Zukunft weisen könnten“ – und dies bloss deshalb, weil sie sich an vorderster Front für eine möglichst massive militärische Aufrüstung Europas stark machen und daher, zynisch genug, tatsächlich einiges dazu beitragen könnten, einen Weg in Europas Zukunft zu weisen, aber wohl einen, den sich niemand ernsthaft herbeiwünschen kann.

Als ein Land, welches „die demokratischen Werte hochhält, die Freiheit verteidigt und die Zukunft Europas schreibt“, wird, mit den Worten von Ursula von der Leyen, die Ukraine beschrieben, ausgerechnet jenes Land, wo mehrere Oppositionsparteien, Fernsehsender und Zeitungen verboten, alle russischen Bücher aus den Bibliotheken verbannt und die Aufführung von Musikstücken russischer Komponisten untersagt wurde, die Verwendung des Russischen mit Bussen geahndet wird und der Präsident seinem Volk, das sich gemäss Umfragen zu 72 Prozent für Verhandlungen mit Russland ausspricht, per Dekret ebensolche Verhandlungen verboten hat.

Das „Zaudern“ jener europäischen Regierungen, welche Waffenlieferungen an die Ukraine skeptisch gegenüberstehen, wird als „mutlos“ und „unmoralisch“ gebrandmarkt – vermutlich könnte allzu viel Zaudern möglicherweise ja dazu führen, noch auf dumme Gedanken zu kommen, etwa darauf, dass jede Waffe früher oder später einen Menschen verstümmeln, zerfetzen und seiner Familie entreissen wird.

So werden in kriegerischen Zeiten selbst die schönsten und edelsten Wörter, die dem Frieden, einer gewaltlosen Konfliktlösung und der Völkerverständigung dienen könnten, zu Waffen in der Sprache jener Illusionisten, die immer noch daran glauben, Kriege wären gewinnbar. Was für eine verrückte Zeit.

(P.S. Die obere Hälfte der Zeitungsseite, auf der dieser Artikel zu lesen ist, nimmt ein Foto mit zwei schwerbewaffneten, beim derzeitigen NATO-Manöver Steadfast Defender im Einsatz stehenden Soldaten ein, der eine von ihnen mit einem Maschinengewehr im Anschlag, beide, halb verschwommen, in einen rötlich-gelben Nebel gehüllt, ein Bild, das jedem Hollywood-Kriegsfilm alle Ehre machen würde. Was wohl der russische Präsident denken würde, wenn die Zeitung mit diesem Artikel und diesem Bild vor ihm auf dem Schreibpult liegen würde?)