Archiv des Autors: Peter Sutter

Strategien der Vergangenheit und Strategien der Zukunft: Kriegslogik und Friedenslogik…

In einem Interview mit der „Sonntagszeitung“ vom 31. August 2025 sagt der Militärhistoriker und Strategieexperte Mauro Mantovani, die Schweizer Armee könnte niemals alleine einen Grossangriff abwehren und solle deshalb ihre Luftraumverteidigung an Frankreich übertragen. Andere bemühen zurzeit sogar einen möglichst schnellen Beitritt der Schweiz zur NATO herbei, um unser Land unter einen gemeinsamen Schutzschirm zu stellen, damit es nicht eines Tages irgendeinem „Grossangriff“ schutzlos ausgeliefert sein wird.

Tatsächlich aber ist dieser „Grossangriff“ längst schon im Gange. Aber nicht in der Art und Weise, wie das in den Köpfen ewiggestriger „Kriegslogiker“ immer noch eifrig herumspukt. Dieser tatsächliche Grossangriff besteht nämlich nicht aus konventioneller Kriegsführung, sondern, beinahe unsichtbar, Tag für Tag, Stunde für Stunde, in der schrittweisen Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, in der Verödung immer grösserer Landwirtschaftsflächen infolge des Klimawandels, in der Vergiftung einst fruchtbarster Landwirtschaftsböden und in einer zunehmend gigantischen Ungleichverteilung der noch vorhandenen Güter, welche am einen Ende die Produktion einer immer grösseren Menge unnötiger Luxusprodukte zur Folge hat und am anderen Ende den Tod von weltweit täglich rund 15‘000 Kindern infolge von Unterernährung.

Ein Überleben der Menschheit wird nicht im militärischen Kampf aller gegen alle möglich sein, sondern nur durch ein neues Gemeinschaftsdenken über alle Grenzen hinweg. Die bisherige Kriegslogik muss in eine neue Friedenslogik transformiert werden. Und gerade hierzu könnte die Schweiz als neutraler Ort der Diplomatie, der Völkerverständigung und der friedlichen Konfliktlösung eine gar nicht genug hoch einzuschätzende Rolle einnehmen. Damit sich dann die sogenannten Militärhistoriker und Strategieexperten tatsächlich nur noch mit der Vergangenheit beschäftigen müssten, aber definitiv nicht mehr mit der Zukunft.

Nicht immer sind die Frauen Opfer und die Männer Täter: Bis zur endgültigen Verwirklichung einer gewaltfreien Gesellschaft brauchen wir eine tiefergehende Systemveränderung…

Wie das „St. Galler Tagblatt“ am 3. September 2025 berichtete, hat das oberste Schweizer Militärgericht kürzlich eine Kommandantin und zwölf Offiziere zu bedingten Geldstrafen verurteilt. Dies aufgrund eines Vorfalls in der Kaserne Colombier NE am 6. April 2018, wo es im Zusammenhang mit der Beförderung von Militärangehörigen zu haarsträubenden Gewaltexzessen gekommen war: Armeekader nutzten die Zeremonie, um mit gröbster Gewalt auf die ihnen untergebenen Soldaten einzuprügeln. In den darauffolgenden Tagen mussten 22 Soldaten vom Truppenarzt behandelt werden. Sie hatten Schmerzen, Blutergüsse, zwei von ihnen zeigten Anzeichen von gebrochenen Rippen, einer bekam kaum Luft und ein anderer musste notfallmässig in eine Klinik eingewiesen werden. Die Schläger waren bei diesen Gewaltexzessen insbesondere von einer Kompaniekommandantin zusätzlich angefeuert worden, unter anderem mit diesen Worten: „Ich toleriere bis zu zwei gebrochene Schlüsselbeine.“ In der Gerichtsverhandlung versuchte die Kompaniekommandanten ihr Verhalten damit zu rechtfertigen, dass sie als Frau im Ausbildungsalltag habe Härte demonstrieren wollen, weil sie befürchtet hätte, als „zu nett“ oder „nicht kämpferisch genug“ zu gelten.

Weitere Fälle, bei denen sich Frauen als besonders gewalttätig erweisen, konnte man wiederholten Berichten über Trainingsmethoden bei der Förderung jugendlicher Spitzensportlerinnen und Spitzensportlern in schweizerischen Ausbildungszentren entnehmen. Wiederholt war und ist dabei die Rede von Trainerinnen aus osteuropäischen Ländern, vor allem im Kunstturnen, Eiskunstlaufen, Synchronschwimmen und Balletttanzen. Jugendliche, vor allem Mädchen, erleiden dabei oft über Jahre kaum zu beschreibende physische und psychische Gewalt, so etwa kommt es immer wieder vor, dass trotz schwerer Verletzungen wie Knöchelbrüchen weitertrainiert werden muss, Synchronschwimmerinnen so lange unter Wasser bleiben müssen, bis sie in Einzelfällen schon das Bewusstsein verloren haben, Turnerinnen wegen zu geringem oder zu hohem Körpergewicht erniedrigt und in Anwesenheit ihrer Teamkolleginnen aufs Gröbste beschimpft werden oder sich sogar, auch darüber wurde schon berichtet, wegen kleinster Fehler beim Trainieren vor ihren Trainerinnen nackt ausziehen und auf den Knien vor ihnen um Vergebung bitten mussten.

Die schweizerische Kompaniekommandantin sowie nicht wenige der notabene als besonders erfolgreich geltenden Sporttrainerinnen mögen zwar seltene Ausnahmen sein, aber ihr Machtgebaren und ihr gewalttätiges Verhalten gegenüber Untergebenen zeigen, dass auch Frauen sich genauso „herrisch“ verhalten können wie all jene Männer, die Frauen respektlos behandeln, erniedrigen oder ihnen auf die eine oder andere Weise mehr oder weniger schwere Gewalt antun.

Selbstverständlich soll mit solchen Beispielen nicht ansatzweise all die immense Gewalt, welche von Männern gegenüber Frauen ausgeübt wird, verharmlost oder relativiert werden. Aber Männer bloss moralisierend an den Pranger zu stellen, bringt uns nicht zu einer Lösung des Problems, solange nicht auch die dahinterliegenden Machtstrukturen in aller Beharrlichkeit analysiert und offen gelegt werden.

Der Versuch einer These: Das Grundproblem ist nicht der Mann als solcher, sondern das bestehende gesellschaftliche Machtsystem, in dem die Mächtigeren weitaus häufiger Täter sind und die weniger Mächtigen in aller Regel ihre Opfer. Und da das herrschende Gesellschaftssystem so eingerichtet ist, dass Männer viel leichter und schneller Machtpositionen erlangen können als Frauen, sind Männer zweifellos in viel höherer Anzahl Täter, während Frauen in viel höherer Anzahl Opfer sind. Das ist nicht primär die Folge ihres Geschlechts, sondern die Folge einer Klassengesellschaft unterschiedlicher Rechte, Befugnisse und Privilegien sowie aller mit ihr verknüpfter und von ihr geprägter gesellschaftlicher Machtstrukturen. Der Mann wird nicht in dem Augenblick zum „Bösewicht“, da er – als Baby männlichen Geschlechts – geboren wird, sondern erst in dem Augenblick, da er in die vorgegebenen Denk-, Macht- und Verhaltensmuster hineinwächst und diese – wohl weitgehend unbewusst – nach und nach verinnerlicht.

Macht korrumpiert. Diese Aussage des Historikers Lord Acton aus dem Jahre 1887 gilt eben nicht nur für Männer, sondern gleichermassen auch für Frauen. Das mögen ein paar weitere im Folgenden ausgeführte Beispiele deutlich machen.

Erstes Beispiel: Die treibende Kraft hinter den von den USA über den Irak zwischen 1991 und 1995 verhängten Wirtschaftssanktionen war die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright. Sie liess sich von ihrem Ziel, dem Irak bleibenden Schaden zuzufügen, auch dann noch nicht abbringen, als die ersten Meldungen an die Öffentlichkeit gelangten, irakische Kinder würden infolge dieser Sanktionen in grosser Zahl sterben. Bis zuletzt hatten die Sanktionen einer halben Million irakischer Kinder das Leben gekostet. Noch Jahre später gab Albright einem TV-Reporter, der sie nach der Rechtfertigung für diese Sanktionen befragte, offensichtlich frei von jeglichem schlechtem Gewissen zur Antwort, sie würde sich wieder genau gleich verhalten, hätte sich der Tod dieser halben Million Kinder doch gelohnt, weil er dazu beigetragen hätte, die Interessen der USA gegen dem Irak möglichst wirkungsvoll durchzusetzen.

Zweites Beispiel: Es war eine Aussage der britischen Premierministerin Margret Thatcher aus dem Jahr 1987, auf die sich bis heute all jene berufen, die alles Gesellschaftliche dem freien Markt und dem freien Unternehmertum überlassen wollen und für die fast alles Staatliche des Teufels ist. Diese Aussage lautete: „Menschen sind Individuen, nur sie alleine können denken, handeln und frei sein, Das alles kann das Kollektiv nicht. Insofern gibt es keine Gesellschaften, nur Individuen.“ Heute, über 30 Jahre später, wird uns nach und nach bewusst, was für ein immenses Zerstörungspotenzial in diesen Worten einer der heftigsten Vorkämpferinnen des Neoliberalismus lag, jetzt, wo immer härter und erbarmungsloser der Egoismus überhand genommen hat im Kampf aller gegen alle und bald auch noch die letzten sozialen Netze zu zerreissen drohen. Wenn es eine typische Eigenschaft gibt, die sich, auch in grosser historischer Dimension, Frauen zuschreiben lässt, dann ist dies wohl das Soziale, die Fürsorge, die Gemeinschaft, die gegenseitige Verantwortung zwischen Stärkeren und Schwächeren. Und dann kommt ausgerechnet eine Frau und zerstört dieses Jahrtausendwerk ihrer unzähligen Vorfahrinnen innerhalb eines einzigen Tages, männlicher als der denkbar männlichste, herrschsüchtigste und machtbessenste Mann.

Drittes Beispiel: Aktuell treten sie sogar nicht nur einzeln auf, sondern geradezu reihenweise, als wollten sie der Öffentlichkeit endgültig beweisen, dass Frauen sogar noch weitaus „männlicher“ sein können als die schlimmsten Männer. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula Van der Leyen, die ihre Macht, demokratische Abläufe wo immer möglich auszuhebeln zugunsten ihrer eigenen Machtinteressen, geradezu strahlend auszukosten scheint. Die ehemalige deutsche Aussenministerin Analena Baerbock, die am liebsten ganz Russland zerstören würde. Die EU-Aussenbeauftragte Kaya Kallas, die auch von den irrwitzigsten Lügen nicht zurückschreckt, um möglichst viel Angst vor einem Angriff Russlands auf die baltischen Staaten und den Rest Europas zu schüren, damit auch niemand auf die Idee kommt, die bereits in Gang gesetzte Rüstungseuphorie der europäischen Länder in Frage zu stellen. Die sogenannte Sicherheitsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die mit ihrem aggressiven und hasserfüllten Gehabe nur darauf zu warten scheint, mit dem Gewehr an die Ostfront geschickt zu werden, denn dort, wie sie einmal sagte, könnte man sie gewiss „gut gebrauchen“.

Die Welt ist nicht primär von herrschsüchtigen, skrupellosen und machtgierigen Männern bestimmt, sondern primär von „männlichen“ Machtstrukturen, Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnissen. Wer – ob als Mann oder als Frau – in dieser Gesellschaft in Bezug auf Ansehen und Karriere erfolgreich sein will, muss sich, solange diese Machtstrukturen unangetastet bleiben, ihnen so weit als nur irgendwie möglich anpassen. Dann hat man es sogar bis über den Tod hinaus geschafft. So wie Madeleine Albright: Bei ihrem Begräbnis im März 2022 war allenthalben nur von ihrem Mut, ihrer Tapferkeit, ihrer Geradlinigkeit und ihrer Hartnäckigkeit die Rede und niemand erwähnte auch nur mit einem einzigen Wort, dass eine halbe Million irakischer Kinder für die ausserordentlichen „Qualitäten“ dieser Frau ihr Leben hatten opfern mussten. Während – um ein Gegenbeispiel zu nennen – die ehemalige, frühzeitig freiwillig aus ihrem Amt geschiedene neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern nicht als Siegerin, sondern als Versagerin in eine immer noch zutiefst von „männlichem“ Erfolgsdenken geprägte Geschichte eingehen wird, nicht, weil sie über keinerlei Qualitäten für dieses Amt verfügt hätte, sondern ganz im Gegenteil deshalb, weil ihre tägliche politische Arbeit so sehr von Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeitsliebe getragen war, dass sie schliesslich an den Widerständen und Hindernissen der herrschenden Machtstrukturen scheitern musste. Machtstrukturen, die sich unter anderem in Chatrooms manifestierten, die voll waren mit beleidigenden, wütenden und drohenden Mitteilungen sowie täglichen Vergewaltigungs- und Morddrohungen und in denen Jacinda Ardern als „dämonisch“ und „böse“ dargestellt und sogar mit Adolf Hitler verglichen wurde, sodass sie auch heute noch und vielleicht sogar für den Rest ihres Lebens für ihre Sicherheit besonderen Polizeischutz benötigt.

Es – aus Frauensicht – als „Erfolg“ zu feiern, wenn immer mehr Frauen machtvolle Positionen in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, in der Forschung, an den Universitäten, auf den Chefetagen multinationaler Konzerne und ganz allgemein an möglichst vielen Schalthebeln der Macht einnehmen, ändert an den tieferliegenden Machtverhältnissen auch nicht das Geringste. Im Gegenteil: Sie werden dadurch erst recht zementiert, kann doch die Tatsache, dass, sobald die entsprechenden „Frauenquoten“ auf den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsebenen erreicht sind, zum verhängnisvollen Trugschluss führen, dass damit das Ziel der Gleichberechtigung von Frauen erreicht sei und es deshalb keiner weiteren diesbezüglichen Anstrengungen mehr bedürfe. Tatsächlich aber werden die bestehenden Machtverhältnisse damit nicht überwunden, sondern höchstens verschoben, in eine andere Richtung gedrängt oder umgelagert. Denn für die Kaffeebäuerin in Kenia, die sich von früh bis spät bis an die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte abrackert und dennoch kaum genug Geld verdient, um sich und ihre Kinder ausreichend zu ernähren, spielt es auch nicht die geringste Rolle, ob Frauen auf den Chefetagen von Nestlé oder anderen Lebensmittelkonzernen zu fünf, 20, 50 oder 70 Prozent vertreten sind, solange diese Frauen nur die traditionellen, bisher Männern vorbehaltenen Rollen einnehmen, sich somit zu Komplizinnen und Mittäterinnen herrschender Ausbeutungsmechanismen machen und nicht mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Kräften für den Aufbau neuer, ausbeutungsfreier Wirtschaftsformen kämpfen.

Es ist kein Zufall, dass parallel zum Fortschreiten gnadenloser Profitmaximierung durch immer raffiniertere Methoden der Ausbeutung von Mensch und Natur auch die Gewalt gegen Frauen und Kinder und die Anzahl der Femizide laufend zunimmt. Alles hängt mit allem zusammen, in all den unzähligen Macht-, Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und Diskriminierungsverhältnissen, in denen nicht nur Frauen Opfer von Männern sind, sondern auch Männer Opfer von Frauen sein können, „ausländische“ Menschen, unter ihnen insbesondere Flüchtlinge, Opfer von „einheimischen“ bzw. „sesshaften“ Menschen sind, Kinder und Jugendliche Opfer bloss aufgrund ihres jüngeren Alters Opfer von Erwachsenen, kulturelle und ethnische Minderheiten Opfer von sich als etwas „Höheres“ und „Besseres“ fühlenden Mehrheiten, sogenannt „Ungebildete“ Opfer von sogenannt „Gebildeten“, sogenannte Laien Opfer von sogenannten „Experten“, Gelegenheitsdiebe und „Kleinkriminelle“ Opfer von all jenen, die sich ganz „legal“ auf Kosten anderer bereichern, so etwa durch den Besitz von Aktien, was ihnen ermöglicht, selber nicht mehr arbeiten zu müssen, sondern nur noch von der Arbeit anderer leben zu können. Bei allen punktuellen Bemühungen um den Abbau einzelner Macht- und Ausbildungsverhältnisse darf nicht das grosse Ganze aus den Augen verloren werden: Dass die einzelnen dieser Machtsysteme, und damit eben auch das Patriarchat, nur dann dauerhaft überwunden werden können, wenn gleichzeitig auch das heute weltweit in Form einer rigorosen Klassengesellschaft herrschende immense und weit verzweigte kapitalistische Macht- und Ausbeutungssystem überwunden wird.

Als wäre das Denken stillgestanden…

Als wäre das Denken gesellschaftlich irgendwann, vor 10, 20 oder 30 Jahren, stillgestanden. Die Menschen hätten freiwillig darauf verzichtet, weiterzudenken. Und würden nur noch und immer neuen Varianten all jene Wörter und Sätze wiederholen, die schon vor 10 oder 20 oder 30 Jahren gesprochen wurden.

Gleich wie seit eh und je

Nein, die heutigen Kinder sind nicht anders als die Kinder vor 100, 1000 oder 10’000 Jahren. Der Grund ist ganz einfach: Die Kinder kommen alle aus dem Paradies. Wie es der italienische Dichter Dante Alighieri so wunderbar sagte: „Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: Kinder, Blumen und Sterne.“ Und so sind die Kinder wie die Blumen und die Sterne die gleichen wie seit eh und je. Weil auch das Paradies immer noch das gleiche ist wie seit eh und je.

Mittagsnachrichten am Schweizer Radio vom 29. August 2025: Höchst tendenziöse Berichterstattung zu Gaza…

Schweizer Medien – Radio, Fernsehen, Tageszeitungen – rühmen sich einer ganz besonders „ausgewogenen“ Berichterstattung über internationale Ereignisse und grenzen sich damit oft auch von „ausländischen“, „weniger objektiven“ oder gar „propagandistischen“ Formen der Nachrichtenvermittlung ab.

Doch entspricht diese auch von einer überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung geteilte Sicht tatsächlich der Realität? Schauen wir uns an, wie Radio SRF in den Mittagsnachrichten vom 29. August 2025 über den Einmarsch der israelischen Armee in die grösste Stadt in Gaza, Gazastadt, berichtete…

Die israelische Armee hat Gazastadt zur Kampfzone erklärt…

Mit anderen Worten: Wenn Israel ein bestimmtes Territorium als „Kampfzone“ bezeichnet, dann findet dort logischerweise Krieg statt. Begründen muss man das ja nicht unbedingt weiter, weil es ja sozusagen ein offizieller, sogar transparenter und offensichtlich „legitimer“ Entscheid einer demokratisch gewählten Regierung ist, die schon wissen wird, wie sie zu diesem Entscheid gekommen ist.

Ab heute gäbe es dort keine taktischen Kampfpausen mehr, teilte das israelische Militär mit…

Aha. „Kampfpausen“ wären bloss ein „taktisches“ Instrument. Vielleicht, um die betroffene Bevölkerung kurz im Glauben zu lassen, die Angriffe würden aufhören, bloss um sie sodann noch viel heftiger weiterzuführen? Oder vielleicht, um den eigenen Soldaten jeweils eine kleine Verschnaufspause zu verschaffen? Oder vielleicht, um mit den zur Verfügung stehenden Waffen nicht allzu verschwenderisch umzugehen?

Gazastadt stelle eine gefährliche Kampfzone dar…

„Gefährlich“ für wen? Für Israel? Für die israelische Armee, die aus der Luft Bomben abwirft? Oder gar für die in Gazastadt lebenden Menschen, die seit Monaten Tag und Nacht in panischer Angst leben, kaum mehr etwas zu essen und zu trinken haben und schon seit Wochen auch nicht mehr über die grundlegendste medizinische Versorgung verfügen?

Bisher gab es in der grössten Stadt im Gazastreifen tagsüber Zeiten, in denen die israelische Armee ihre Kämpfe unterbrach, damit Hilfswerke die Menschen vor Ort versorgen konnten…

Wie lieb von der israelischen Armee. Also so schlimm, wie man oft hört, scheint sie nun doch nicht zu sein…

Die israelische Armee werde auch weiterhin humanitäre Bemühungen unterstützen, während sie Operationen zum Schutz von Israel durchführe…

Aha. Endlich erfahren wir, dass die israelische Armee im Grunde genommen eine humanitäre Organisation ist und ihr humanitäres Engagement auch weiterhin unbeirrt fortsetzen wird, selbst wenn die ganze übrige Welt das Gegenteil behauptet. Und dass ja alles nur zum Wohl der Menschen geschieht, zu ihrem „Schutz“, zu ihrer „Sicherheit“, und dass es gar nicht Völkermord ist, sondern nur „Operationen“ sind (und das kann ja nicht wirklich etwas Schlechtes sein), und dass man ja gar nicht wirklich tötet, sondern nur „durchführt“, was demokratisch beschlossen wurde.

Mitte August hatte Israel angekündigt, auch Gazastadt einzunehmen, um die Terrororganisation Hamas zu zerstören. Die Ankündigung sorgte international für Kritik…

„Ankündigen“ tönt in der Tat nicht schlecht, ist sogar ganz besonders rücksichtsvoll, gab man damit ja sogar den Menschen in Gazastadt die Gelegenheit, ihre Häuser rechtzeitig zu verlassen und an sicherere Orte zu gehen, auch wenn es diese schon längst gar nicht mehr gibt. Nett auch, alles so frühzeitig anzukündigen, damit die Menschen nicht den Schock erleben müssten, mitten in der Nacht von den Bomben überrascht zu werden, sondern fast zwei Wochen Zeit hatten, sich auf diesen Moment vorzubereiten. Doch abgesehen von alledem: Wenn das Ziel darin besteht, eine „Terrororganisation“ zu zerstören, dann muss man ja eigentlich alles andere gar nicht mehr rechtfertigen, denn dann sind sowieso alle Mittel recht, um das Ziel zu erreichen, ganz so, wie es der ehemalige israelische Geheimdienstchef Aharon Haliva unlängst mit diesen erschreckenden Worten formulierte: „Die Tatsache, dass es in Gaza bereits 50‘000 Tote gibt, ist notwendig und erforderlich für zukünftige Generationen. Für alles, was am 7. Oktober 2023 passiert ist, für jeden am 7. Oktober getöteten Menschen müssen 50 Palästinenser sterben. Es spielt jetzt keine Rolle, ob es sich um Kinder handelt. Sie brauchen hin und wieder eine Lehre.“ Alles klar. Denn es wäre ja auch völlig vermessen, die israelische Regierung, die inzwischen schon fast 100’000 Menschenleben auf dem Gewissen hat, auch nur im Entferntesten mit der Hamas zu vergleichen, die an jenem ominösen 7. Oktober rund 1400 Menschen tötete. Und erst recht wäre es jenseits aller „Ausgewogenheit“ und „Objektivität“, käme auch nur ein einziger Mensch auf die Idee, die israelische Regierung als „Terrororganisation“ zu bezeichnen, obwohl das Wort „Terror“ nichts anderes bedeutet als „Schrecken“ und es eigentlich nicht allzu grosser Phantasie bedarf, um sich vorzustellen zu können, dass wohl kaum ein anderes Wort dermassen genau das beschreibt, worunter die Bewohnerinnen und Bewohner von Gazastadt derzeit zu leiden haben.

Wenigstens erfolgte in den Mittagsnachrichten von Radio SRF am 29. August ganz zuletzt noch die Aussage, die Ankündigung der israelischen Regierung, Gazastadt „einzunehmen“ (im Klartext: dem Erdboden gleichzumachen), hätte international für „Kritik“ gesorgt. Mehr Untertreibung ist nun wirklich kaum mehr möglich, ist „Kritik“ doch der denkbar schwächste Ausdruck für jenen millionenfachen Schrei der Empörung, den diese „Ankündigung“, zwar nicht so sehr bei den Regierungen, aber vor allem und umso mehr bei breitesten Bevölkerungsschichten, insbesondere in den Ländern des Globalen Südens, ausgelöst hatte.

Schauen wir uns die Berichterstattung von SRF zu diesem Thema zusammenfassend noch einmal an, so müssen wir zum Schluss kommen, dass es sich hier eigentlich bloss um so etwas wie ein Pressecommuniqué der israelischen Militärführung handelt. Zitiert wird niemand ausser der israelischen Armeeführung (mit den entsprechenden „taktischen“ und „humanitären“ Ausführungen), keine einzige Stimme aus der UNO ist zu hören, keine Stimme aus einer friedenspolitischen Organisation oder einem in Gaza tätigen Hilfswerk, keine Stimme aus einer israelkritischen Regierung, keine Stimme aus der betroffenen Bevölkerung, keine einzige Stimme eines Mannes, einer Frau oder eines Kindes, das vor zwei oder drei Tagen vielleicht noch gelebt hätte und jetzt schon tot ist.

Das also ist die „Objektivität“ westlicher Berichterstattung, am Beispiel des Schweizer Radios SRF am 29. August 2025, die schon so „ausgewogen“ ist, dass sie tendenziöser gar nicht mehr sein könnte. Und erst noch vorgetragen von einer angenehm klingenden Frauenstimme, in genau derselben Tonlage, in der auch die weiteren Meldungen über die Höhe von Spenden an die einzelnen politischen Parteien der Schweiz und die anstehenden Strompreissenkungen im Kanton Zürich verlesen werden.

Was für ein Kontrast zu tatsächlicher „Objektivität“, wenn man sich, bloss um ein einziges Beispiel zu erwähnen, den Bericht eines Schweizer Arztes vor Augen führt, der vor wenigen Tagen von einem Einsatz in Gaza in die Schweiz zurückgekehrt ist: „Ich habe in den zerbombten und vom Hunger heimgesuchten Krankenhäusern gearbeitet und kann von Dingen berichten, die kein Mensch jemals sehen, geschweige denn selbst erleben sollte. Babys und Kinder, die nur noch Haut und Knochen sind, viele mit abgerissenen Gliedmassen. Mütter, die zu schwach sind, um ihre Neugeborenen zu füttern. Sogar das Krankenhauspersonal bricht vor Hunger zusammen. Schaut nicht weg. Wechselt nicht das Thema. Denn in einem anderen Leben könnten auch wir es sein, die vor Bomben fliehen, für Essensreste Schlange stehen und die Welt anflehen, etwas zu tun.“

Ich habe einen Vorschlag an die für die Berichterstattung über internationale Ereignisse Verantwortlichen von Radio SRF: Verzichtet auf „objektive“ Meldungen, die nahezu identisch sind mit Pressecommuniqués rein interessengesteuerter Staaten oder anderer Machtsysteme. Taucht hinunter zu den Menschen, die unter diesen Machtinteressen leiden und ihnen zum Opfer fallen. Ihr werdet sicher einwenden, dass es neben den offiziellen Nachrichtensendungen zur vollen und halben Stunde auch andere Sendegefässe gäbe, die vertiefter hinter die Oberfläche schauen. Und doch bilden sich viele Menschen ihre Meinung in erster Linie durch die Kurznachrichten zu den Haupttageszeiten und haben meist auch zu wenig Zeit, um sich ausführlichere Reportagen anzuhören.

Der oben zitierte Bericht des aus Gaza zurückgekehrten Schweizer Arztes mag als Beispiel dienen für einen Text, der auch im Rahmen von „Hauptnachrichten“ einen Platz finden könnte. Und dann bitte nicht von einer allzu „angenehmen“ Stimme lesen lassen, ohne jegliche Emotion. Warum sollte persönliche Betroffenheit nicht auch zum Ausdruck kommen dürfen? Warum sollte nicht auch einmal ein Moderator oder eine Moderatorin beim Lesen solcher Berichte in Tränen ausbrechen, und weshalb sollte ihr vielleicht nicht auch mal die Stimme versagen? Und wie wäre es, solche Sendungen nicht nur in sterilen Räumen ohne auch nur geringste „Nebengeräusche“ aufzunehmen, sondern wenn man stattdessen im Hintergrund den Lärm von Bombardierungen, Gewehrschüssen oder Schreien verzweifelter Menschen hören würde?

Für Alessia

Bevor sie
nachmittags um fünf
zu dir kommen
sind sie schon
sieben Stunden lang gesessen und jetzt
sitzen sie wieder auf einem
grossen bequemen Stuhl während du
ihnen die Haare schneidest
und während sie
sieben Stunden lang gesessen sind
bist du schon
sieben Stunden lang auf den Beinen gestanden
aus denen die Schmerzen
immer stärker
von unten nach oben in
deinen ganzen Körper dringen und
obwohl sie nur gesessen sind und
keinerlei Schmerzen verspüren
während du nur gestanden bist und dir
alles weh tut
haben sie dennoch
in diesen sieben Stunden
fünf oder sechs Mal mehr Geld verdient
als du
ja Alessia
meistens sind es Männer die sitzen und
meistens sind es Frauen die
stehen rennen und sich die Füsse wund laufen
in den Restaurants
in den Bars und in den Nachtclubs
in den Frisiersalons
in den Spitälern
in den Altersheimen
in den Supermärkten
in den Fabriken
beim Einkaufen von Geschäft zu Geschäft
von Termin zu Termin hetzend
in den Bürohochhäusern und in den Toiletten
um mitten in der Nacht
alles blitzblank zu putzen damit
Männer
am nächsten Morgen wieder
bequem in ihren breiten Stühlen
sitzen können
auf den Chefetagen ihrer Konzerne
an meterlangen Konferenztischen stundenlang
und zur Mittagszeit im Restaurant
am Abend mit dem Bier vor dem Fernseher oder
am Stammtisch
in Bars und Nachtclubs
nein Alessia
die Welt ist nicht gerecht
doch noch schlimmer ist dass
viele von denen die das Glück haben OBEN zu sein
oft noch verächtlich auf jene hinunterschauen die
UNTEN sind
und sich nicht selten sogar noch als bessere gescheitere oder
wichtigere Menschen fühlen
manchmal Alessia
wünschte ich mir dass
nur für einen einzigen Tag alles
umgekehrt wäre
vielleicht Alessia
käme dann die Wahrheit ans Licht dass
das ganze schöne Kartenhaus
gebaut aus denen OBEN und
denen UNTEN
im Bruchteil einer Sekunde
in sich zusammenstürzen würde wenn
die unten eines Tages ganz einfach
aufhören würden sich mit
so viel Arbeit und so wenig Lohn für
die oben Tag und Nacht abzurackern
wenn du die Schmerzen in deinen Beinen
nur für eine Stunde lang in die
Beine deines Kunden schicken könntest wenn
der Computerspezialist und der Universitätsprofessor nur
einen einzigen Tag lang mit so wenig Geld auskommen müssten wie
die alleinerziehende Mutter am anderen
Ende der Stadt und wenn
die Chefs ihre Toiletten
selber putzen und sich
ihre Haare
ganze alleine
selber
schneiden müssten.



Schon eine harmlose Zirkusnummer ruft eine Moralapostelin auf den Plan…

„Die aktuelle Nummer des mexikanischen Clowns Chistirrin im neuen Programm des Circus Knie“, so lese ich in der „Sonntagszeitung“ vom 24. August 2025, „sorgt für Diskussionen. Chistirrin spielt darin einen Musicclown mit Saxofon, der erfolglos immer wieder versucht, sich einer Saxofonistin, die zusammen mit ihm auftritt, anzunähern. Dabei macht er wiederholt einen übertriebenen Kussmund in ihre Richtung und einen langen Rrrr-Zungenroller.“

Worüber sich die Zirkusbesucherinnen und Zirkusbesucher amüsieren, ist bei Agota Lavoyer, Autorin und Expertin für sexualisierte Gewalt, ganz und gar nicht gut angekommen. Sie spricht von „wiederholten, hartnäckigen Annäherungsversuchen“ gegenüber der Saxofonistin, kritisiert die „Aufdringlichkeit des Clowns gegenüber der Frau“ und findet die Nummer insbesondere darum problematisch, weil sie „übergriffiges Verhalten in einer humorvollen Verpackung präsentiert“ und weil auf diese Weise „sexuelle Belästigung als romantisches Begehren verschleiert“ werde. Dass man sich „über gewaltvolle Situationen lustig macht“, so Lavoyer, trage zur „Normalisierung der Gewalt bei“.

Wie verklemmt und humorlos wollen wir eigentlich noch werden. Werfen wir doch einen Blick ins Tierreich: Viele Vogelarten zeigen komplizierte Balzrituale wie das Trällern von Liedern oder das Präsentieren von farbenprächtigen Federn. Männliche Baumgrillen erzeugen durch Aneinanderreiben ihrer Flügel zum Anlocken von Weibchen einen besonderen Gesang und bieten ihnen als Hochzeitsgeschenk Nährstoffe aus speziellen Flügelpolstern. Hirsche schwenken ihr mächtiges Geweih, um Weibchen zu imponieren. Hasen versuchen, Weibchen mit Boxkämpfen und Verfolgungsjagden zu beeindrucken.

Zum Glück können Tiere nicht lesen, was gewisse Sittenwächter und Moralapostelinnen in Büchern und Zeitungsartikeln schreiben, und treiben ihr buntes Liebesspiel fröhlich weiter wie die beiden Clowns im Zirkus Knie, über die man so richtig herzhaft lachen kann.

Lasst euch das Leben nicht vermiesen, es ist schon schwer genug.

Grenzenlose Verschwendungsliebe

Wenn man all die wunderbaren Begabungen sieht, die der liebe Gott in die Menschen gepflanzt hat, in buchstäblicher grenzenloser Verschwendungsliebe, und dann sitzt die junge wunderschöne Frau aus Afrika mit ihrer Frisur, für die sie wahrscheinlich schon morgens um fünf aufgestanden ist, um sich auf den neuen Tag vorzubereiten, dann sitzt diese wunderschöne junge Frau acht Stunden hintereinander an der Kasse im Supermarkt und schiebt tausende von Dingen über das Rollband, von denen sich die Menschen in ihrer Heimat das allermeiste in ihrem ganzen Leben auch nicht ein einziges Mal leisten könnten, und ihr Blick wird immer trauriger und ihr Lächeln, das sie am ersten Tag noch hatte, immer seltener, bis es ganz und gar verschwunden ist.

Der Trumpsche Zollhammer und die Schweiz: Heilsamer Schock, um über ein paar Dinge nachzudenken…

„Schock“, „Demütigung“, „Tritt in die Magengegend“ – mit solchen und ähnlichen Schlagzeilen kommentierten die Medien die von US-Präsident Donald Trump der Schweiz ausgerechnet am 1. August, ihrem Nationalfeiertag, aufgebrummten Zölle von 39 Prozent. Nur ein paar wenige Länder, unter anderem Brasilien, bedachte Trump mit noch höheren Zöllen. Niemals hätte die Schweiz, bisher eines der kapitalistischen Lieblingskinder der USA, damit gerechnet, dermassen hart bestraft zu werden. Es war wie ein jähes Erwachen aus einem jahrzehntelangen Traum, in dem fast immer nur Milch und Honig geflossen waren. Und da vermochten nicht einmal mehr zwei unmittelbar nach diesem Entscheid nach Washington ausgeflogene schweizerische Regierungsmitglieder etwas daran zu ändern. Die ganze Titelseite einer der meistgelesenen Schweizer Tageszeitungen, des „Blicks“, war von oben bis unten schwarz, darin riesengross die Zahl 39. Einige sagten sogar, es sei der schwärzeste Tag gewesen in der Geschichte unseres Landes. Etwas Vergleichbares hatte es noch nie gegeben. Nicht einmal der Untergang eines ganzen Dorfes vor wenigen Wochen unter einer gigantischen Schuttlawine hatte einen so grossen schweizweiten Schock ausgelöst…

Dabei ist, bei Lichte besehen, das, was der Schweiz durch den Trumpschen Zollhammer widerfahren ist, nur ein winziger Teil dessen, was für andere Länder oder ganze Kontinente der ganz alltägliche „Normalfall“ ist, und dies oft schon seit Jahrhunderten. Für all jene nicht oder wenig industrialisierten Länder des Globalen Südens etwa, die seit Jahrhunderten gezwungen sind, ihre wertvollen Bodenschätze und Rohstoffe für wenig Geld zu verscherbeln, um sich zu einem ungleich viel höheren Preis aus den reichen Ländern des Nordens die für ihre eigene Entwicklung notwendigen Industrieprodukte zu beschaffen, was zwangsläufig dazu führt, dass diese Länder darauf angewiesen sind, immer wieder Kredite vom IWF, von der Weltbank oder anderen Finanzinstituten aufzunehmen, die sie wiederum mit hohen Zinsen zurückzahlen müssen, worauf ihre Verschuldung noch weiter ansteigt und ihre Abhängigkeit von den jeweiligen Geldgebern noch weiter zunimmt, weil sie, um jeweils wieder weitere Kredite zu bekommen, laufend noch drastischere Sparprogramme umsetzen müssen, von welcher in erster Linie die sowieso schon am meisten benachteiligten Bevölkerungsschichten am allermeisten betroffen sind, was wiederum dazu führt, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb jedes einzelnen der davon betroffenen Länder, aber auch zwischen den Industrieländern des Nordens und den Agrarländern des Südens insgesamt immer noch weiter und weiter vertieft. Wie „erfolgreich“ die Schweiz an vorderster Front an diesem Geschäft permanenter Bereicherung der Reichen durch Verarmung der Armen beteiligt ist, zeigt sich aufgrund einer Expertise der Entwicklungsorganisation Oxfam, die ausgerechnet hat, dass die Schweiz im Handel mit sogenannten „Entwicklungsländern“ mehr als 50 Mal höhere Profite erwirtschaftet, als sie diesen Ländern in Form von „Entwicklungshilfe“ wieder zurückgibt. Da diese Zahl schon ein paar Jahre zurückliegt, dürfte sie heute, nachdem die Schweiz die Gelder für die „Entwicklungshilfe“ noch weiter reduziert hat, sogar noch um einiges höher liegen.

Doch das ist längst noch nicht alles. Ausgerechnet viele der benachteiligten und unterprivilegierten Länder des Südens sind zudem häufig Opfer von Wirtschaftssanktionen, welche an vorderster Front von den USA gegenüber missliebigen Regierungen verfügt werden und an denen sich in aller Regel auch die übrigen westlichen Länder inklusive die Schweiz beteiligen, so etwa, um nur einige wenige zu nennen, gegenüber Kuba, Venezuela, dem Iran, Syrien oder dem Irak, wo allein zwischen 1991 und 1995 als Folge US-Wirtschaftssanktionen über eine halbe Million Kinder sterben mussten, was die damalige US-Aussenministerin Madeleine Albright in einem Interview mit einem TV-Reporter mit einer Aussage kommentierte, die zynischer nicht sein könnte. Auf die Frage nämlich, was sie zum Tod dieser halben Million Kinder meine, sagte sie, der Tod dieser Kinder habe sich gelohnt, weil er dazu beigetragen habe, die politischen und wirtschaftlichen Ziele der US-Aussenpolitik gegenüber dem Irak erfolgreich durchzusetzen.

Ja, es macht schon einen Unterschied, ob man zu den Siegern oder zu den Verlierern des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems gehört, die Welt sieht dann, je nachdem, ob man von oben nach unten schaut oder von unten nach oben, schon ganz gehörig anders aus. So gesehen könnte man den von US-Präsident Trump über die Schweiz verfügten Zollhammer auch als so etwas wie einen heilsamen Schock sehen, der die bisher so verwöhnte, sich stets auf der Seite der Sieger befindliche Schweiz ein ganz klein wenig aufwachen und spüren lassen könnte, wie sich das Leben auf der gegenüberliegenden Seite dieses Grabens anfühlen muss und wie schmerzlich es sein kann, der Machtdemonstration eines Stärkeren mehr oder weniger ohnmächtig ausgeliefert zu sein.

Ein heilsamer Schock, der Anlass dazu sein könnte, für einmal darüber nachzudenken, warum ausgerechnet die Schweiz, einer der an Bodenschätzen und Rohstoffen ärmsten Flecken der Erde, dennoch das reichste Land der Welt geworden ist. Was hat die Schweiz so reich gemacht? Zum Beispiel Schokolade. Zum Beispiel Kaffee. Zum Beispiel Baumwolle. Zum Beispiel Erdöl. Zum Beispiel Gold, Eisen, Kupfer, Lithium, Kobalt. Zum Beispiel Diamanten. Alles Rohstoffe und Bodenschätze, von denen kein einziges Gramm und kein einziger Tropfen aus Schweizer Boden stammt, mit deren Kaufen, „Veredeln“, „Transformieren“ und Weiterverkaufen aber die Schweiz bzw. hier ansässige Rohstoff- und Nahrungsmittelkonzerne grössere Gewinne erzielen als fast alle anderen Länder der Welt. Nicht harte Arbeit und übermenschlicher Fleiss ist es. Vielmehr die Kunst, aus möglichst wenig möglichst viel zu machen und so reich zu werden dadurch, dass andere im Elend versinken. Ausgerechnet Länder wie Nigeria und Libyen, aus deren Böden jährlich jene Millionen Tonnen Erdöl herausgepresst werden, welche schweizerische Geldtöpfe bis zum Bersten füllen, verwandeln sich mehr und mehr in Zonen des Todes, wo nur schon das nackte Überleben zum puren Luxus geworden ist. Von den elf Franken, die man bei Starbucks in Zürich oder Basel für einen Crème Brulée Brown Sugar Frappuccino bezahlt, bekommt die Kaffeebäuerin, die sich von früh bis spät auf irgendeiner fernen Kaffeeplantage in Costa Rica oder Äthiopien bei weit über 40 Grad in der prallen Sonne von früh bis spät fast zu Tode schuftet, bloss gerade mal, wenn es gut kommt, fünf Rappen. Allein in den ersten eineinhalb Monaten des Jahres 2025 sind im Ostkongo, wo Rebellenverbände, Söldnertruppen und Mörderbanden als Vorhut der hinter ihnen im Unsichtbaren agierenden Regierungen und Konzerne im gegenseitigen Konkurrenzkampfe um die Aneignung besonders gewinnbringender Bodenschätze gegeneinander kämpfen, rund 7000 Menschen getötet worden, 450’000 Menschen sind obdachlose Binnenflüchtlinge im eigenen Land und 2,8 Millionen Menschen haben bereits ihre ursprünglichen Wohngebiete verlassen müssen, doch kein einziger Schweizer, der sich beim Morgenkaffee die neuesten Börsenkurse zu Gemüte führt, erfährt jemals, wie viele Menschen geopfert wurden, damit er, ohne einen Finger zu rühren, über Nacht um 2000 oder 5000 Franken reicher geworden ist. Ja, wenn man sich das alles vor Augen führt und noch dazu kommt, dass die Schweiz immer noch einer der weltweit wichtigsten Finanzplätze ist und bekanntlich nichts so hilfreich ist, um Reichtum zu schaffen, als schon möglichst viel davon zu besitzen, dann verwundert es eigentlich nicht mehr besonders, dass der Genfer Soziologe und Schriftsteller Jean Ziegler schon vor vielen Jahren in einem seiner Bücher die Schweiz als das „Gehirn des kapitalistischen Monsters“ bezeichnet hat. Vielleicht verstehen viele, die damals darüber bloss den Kopf geschüttelt haben, heute immer besser, dass das nicht übertrieben war, sondern die reine Wahrheit.

Der heilsame Schock des Trumpschen Zollhammers könnte daher auch Anlass dazu sein, sich über eine andere Weltwirtschaftsordnung Gedanken zu machen, die nicht mehr auf Ausbeutung, grenzenlosem Wirtschaftswachstum und dem Recht des Stärkeren beruhen würde, sondern auf einer global fairen und gerechten Verteilung der vorhandenen Ressourcen und Güter, auf Gemeinwohl, Frieden und sozialer Gerechtigkeit, auf gegenseitigen Handelsbeziehungen, bei denen alle Beteiligten auf gleicher Augenhöhe miteinander umgehen und über die gleich langen Spiesse verfügen.

Und so weitergedacht, käme man vielleicht auf eine zunächst als ganz verrückt erscheinende Idee, die sich aber bei näherem Hinsehen als durchaus realistisch, vernünftig und zukunftsträchtig erweisen könnte. Nämlich, dass die Schweiz das Lager wechseln und als erstes europäisches Land dem Bündnis der BRICS-Länder beitreten würde. Wie zukunftsträchtig das wäre, wird schnell deutlich, wenn man sich folgende Zahlen anschaut: Betrug im Jahre 1990 der Anteil der G7-Länder am weltweit gemessenen BIP (nach Kaufkraftparität) noch 47%, jener der BRICS-Länder 16%, so lagen die beiden Zahlen zwölf Jahre später bei 43% bzw. 19% und zwanzig Jahre später, nämlich 2022, bei 30% bzw. 32%, mit anderen Worten: Der Anteil aller BRICS-Länder am weltweiten BIP liegt heute bereits über jenem der G7-Länder. Zudem leben 48% der heutigen Weltbevölkerung in BRICS-Staaten – und es werden von Jahr zu Jahr mehr -, während in den G7-Staaten gerade mal 11% der Weltbevölkerung beheimatet sind. Zukunftsträchtig aber vor allem auch deshalb, weil zwar die Wirtschaftsweise der BRICS-Staaten ebenfalls grundsätzlich eine kapitalistische ist, aber viel stärker auf gegenseitige Solidarität zwischen Starken und Schwachen ausgerichtet ist, denn diese Länder haben eine grundsätzlich andere Geschichte, einen grundsätzlich anderen Erfahrungshintergrund, gehörten sie doch während den letzten 500 Jahren kolonialistischer Ausbeutung des Südens durch den Norden – von Brasilien über Südafrika, Äthiopien, Ägypten bis zu Indien und Indonesien – nicht zu den Siegern, sondern stets zu den Verlierern der Weltgeschichte.

Auf keinen Fall, so Remo Reginold, Direktor des Swiss Institute for Global Affairs, dürfe man die BRICS-Staatengruppe unterschätzen, ganz im Gegenteil: „Ich sehe die BRICS als ein Symbol für eine Entwicklung, die ein neues weltpolitisches Zeitalter einläutet.“ Reginold sieht in den BRICS-Staaten ein Konglomerat, eine Zusammenballung verschiedener Materialien unterschiedlicher Struktur, Grösse und Eigenschaften. Ziel der BRICS-Staaten sei es, durch eine Reform der UNO, der Weltbank und des IWF die Interessen des Globalen Südens besser zu repräsentieren. Es solle eine neue Form der internationalen Zusammenarbeit geschaffen werden, die sich nicht am westlichen Regelwerk orientiere. Die Schweiz müsse, so Reginold, genau wie alle anderen Länder des Westens, ihre „westliche Brille“ abnehmen, um die BRICS zu verstehen und ihre Zeichen richtig zu lesen. Stimmen wie eine solche von Remo Reginold sind leider in der schweizerischen Öffentlichkeit kaum je zu hören.

Und ja. Die Schweiz als erstes europäisches BRICS-Mitglied. Es wäre sogar, wenn man es sich recht überlegt, so etwas wie eine Rückkehr und eine Rückbesinnung auf die urschweizerischen Grundwerte von Gemeinschaftsdenken und Solidarität der Stärkeren mit den Schwächeren. Es würde die vom Westen bisher konsequent auf die Spitze getriebenen Fronten zwischen den Siegern und den Verlierern aufbrechen und wäre gerade für die Schweiz eine in ihrer Bedeutung gar nicht genug hoch einzuschätzende Chance, vieles von früher begangenem Unrecht wieder gut zu machen und sich mit all ihren zur Verfügung stehenden Kräften am Aufbau einer neuen, gerechten, friedlichen und ausbeutungsfreien zukünftigen Weltwirtschaftsordnung aktiv zu beteiligen. Es mag noch verrückt klingen und vermutlich noch lange nicht mehrheitsfähig sein. Aber sind nicht gerade die verrücktesten Ideen genau jene , die – wie einst der deutsche Philosoph Schopenhauer sagte – zunächst zwar belächelt werden, eine Zeitlang vielleicht sogar bekämpft, aber früher oder später doch zu einer Selbstverständlichkeit geworden sein werden, bei der man sich nur wundern wird, weshalb man nicht schon früher darauf gekommen ist…

22. Montagsgespräch vom 11. August 2025: Die Juso-Erbschaftssteuer – vernünftig oder gefährlich?

Das Buchser Montagsgespräch vom 11. August setzte sich mit der von den Juso initiierten Erbschaftssteuer auseinander, über die am 30. November dieses Jahres abgestimmt wird. Bei einer Annahme der Initiative käme es zur Einführung einer Steuer von 50 Prozent für Erbschaften und Schenkungen, die über einen Freibetrag von 50 Millionen Franken hinausgehen. Die dadurch jährlich anfallenden rund 6 Milliarden Franken wären zweckbestimmt für die Bekämpfung der Klimakrise. Von dieser neuen Steuer betroffen wären schweizweit etwa 2000 Personen oder 0,05 Prozent sämtlicher Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Was könnte es angesichts der Tatsache, dass die 300 Reichsten der Schweiz heute bereits mehr als 833 Milliarden Franken besitzen, überhaupt für ein einleuchtendes Argument gegen diese Initiative geben, so ein erstes Votum in der Diskussion. Es wäre ja höchstens ein winziger Tropfen auf den heissen Stein, auf das zunehmende Auseinanderklaffen einer superreichen und jährlich immer noch reicher werdenden Minderheit und der breiten Bevölkerung, wo die Löhne seit Jahren weitgehend stagnieren.

Dieser Argumentation widersprach eine Unternehmerin in der Runde, die zu bedenken gab, dass Firmen ja nicht einfach das Ziel hätten, möglichst viel Reichtum für einzelne Privatpersonen zu schaffen, sondern dass sie eine soziale Verantwortung trügen und die von ihnen erzielten Gewinne wiederum für Investitionen nötig seien, um Arbeitsplätze für die Bevölkerung zu schaffen. Die grossen sozialen Unterschiede gäben aber auch ihr zu denken, allerdings würde sie anstelle einer Erbschafts- und Schenkungssteuer eher die Einführung einer Kapitalsteuer befürworten.

Im Laufe der weiteren Diskussion wurde auch die Frage aufgeworfen, ob die Einführung einer solchen Erbschaftssteuer nicht zu einer untragbaren Mehrfachbelastung der Betroffenen führen würde, die ja bereits Gewinn-, Einkommens- und Vermögenssteuer bezahlen würden. Diesem oft gegen die Initiative ins Feld geführten Behauptung wurde die Tatsache entgegen gehalten, dass die Erbschaftssteuer ja nicht von den jeweiligen Firmenbesitzern bezahlt werden müsste, sondern ausschliesslich von deren Nachkommen. Ebenfalls erinnerte ein Diskussionsteilnehmer daran, dass es ja bis 1991 in sämtlichen Kantonen eine Erbschaftsteuer gegeben hätte, ohne dass offensichtlich die Wirtschaft darunter zu leiden gehabt hätte. Die Erbschaftssteuer sei in der Folge in einem Kanton nach dem andern abgeschafft worden, nicht weil sie grundsätzlich wirtschaftsfeindlich sei, sondern als Folge eines Steuerwettbewerbs, bei dem jeder Kanton im Konkurrenzkampf mit den anderen bemüht ist, möglichst gewinnträchtige Firmen und reiche Privatpersonen anzulocken.

Ob die Drohungen einzelner Unternehmer, bei einer Annahme der Initiative die Schweiz zu verlassen, ernstzunehmen oder doch eher ein Versuch sind, durch Angstmacherei eine Annahme der Initiative zu verhindern, darüber waren die Meinungen geteilt.